nealogie der Herrscherhäuser, dann ein unterhaltender oder bes lehrender Theil, von allerhand Abbildungen begleitet, jum Schluß Gemeinnüßiges, Anekdötchen u. s. w. Aber diese so ftreng bewahrt gebliebene Eintheilung rüdt den großen Fort schrift der Anschauungen seit hundert Jahren in um so helleres Licht. Betrachten wir z. B., so erzählt die ,, Boff. Btg.", was der Göttinger   Taschen- Kalender, ein seiner Belt sehr angesehenes Buch, im Jahre 1785 seinen Lesern für wissenschaftliche Nahrung bietet. Nach dem Berichte eines holländischen Reisenden erfahren wir, daß es auf Java einen Giftbaum giebt, deffen Hauch auf einen Umkreis von 10 Meilen alles Land bis zur gänzlichen Unfruchtbarkeit verpeftet und allem Lebenden den Tod bringt. Das Gift dieses Baumes ficert gummiartig aus der Rinde heraus, und die Eingeborenen bes bienen fich feiner zur Vergiftung der Waffen. Wie aber ge winnen sie den männermordenden Saft, da doch kein Sterb­licher ungestraft dem Baume nahen darf? Ei nun, einige vers fuchen es doch, nämlich die zum Tode verurtheilten Verbrecher, denen die Wahl zwischen dem Henker und der fatalen Reise zum Giftbaum grlaffen wird. Sie müssen aber darauf achten, fich dem legteren mit dem Winde zu nähern, damit die todt bringende Ausdünstung von ihnen fortgetrieben wird, und aus demselben Grunde müssen fie gegen den Wind wieder von Dannen fliehen. Das Unternehmen bleibt ein sehr heilles, denn in dreißig Jahren ist von fiebenhundert Miffethätern, welche bie Pilgerfahrt wagten, kaum der zehnte Theil mit gefüllter Giftbüchse zurückgekehrt. Jm weiteren berichtet uns dieser Kalender von wichtigen Neuerungen auf wirthschaftlichem Ges biete, z. B. einer Verbesserung der Lichtpußscheeren, die nun mit beweglichen, das Herausfallen des abgeschnittenen Dochtes hindernden Klappen versehen sind, und zum Schluß erwirbt fich das Büchlein das Verdienst, einige allgemein verbreitete Frrthümer endgiltig richtig zu stellen. So erfahren wir, daß der König der Thiere, der Lowe, eigentlich ein feiges Individuum ist, welches dem Widerstande möglichst aus dem Wege geht, daß das Stachelschwein leineswegs, wie bisher an genommen worden, feine Stacheln auf den Verfolger abschießt, und daß ebenso die Bunge des Rhinozeros durchaus nicht so scharf ist, um durch Lecken tödten zu können. Dagegen aber werden wir ,, nach der Meinung einiger Neueren" belehrt, daß der Schwanengefang und das Einhorn nicht in das Reich der Fabel gehören. Wider einen anderen Unglauben der Beit wendet sich der in Lauenburg   gedruckte Königlich Groß­britannische Genealogische Kalender auf das 1785 Jahr", in­dem er nachweist, daß es in der That Meermenschen giebt. Es werden mehrere Beispiele aufgezählt, daß solche merk­würdigen Geschöpfe gefangen oder doch gesehen worden find. Ein weibliches Eremplar, das bei einem Sturme an die holländische Küste geworfen war, lebte mehrere Jahre ehrbar lich in der Stadt Haarlem  . Man brachte ihm das Verzehren der landesüblichen Koft und sogar die schwierige Kunst des Stridens bei, aber zum Sprechen war es nicht zu bewegen. Derselbe Kalender vom Jahre 1786 giebt wichtige Aufschlüsse über Wesen und Wandel des Krokodils, welches mit folgenden Worten dem ängstlichen Leser vorgestellt wird: Glücklicher. weise ließ die Natur den Krokodil in einer ziemlichen Ent­fernung von Europa   entstehen." In den fernen heißen Ländern fürchtet man fich weniger vor dem Schuppenthier, denn dort bedienen fich die großen Herren seiner zum Beitvertreib. Sie brauchen ihn statt eines Pferdes. Allein es ist nicht ohne Gefahr; manchmal frist er seinen Reuter". Indessen giebt es auch im lieben Deutschland   viele gefährlichen Dinge, darunter manche, die als solche gar nicht erkannt werden, z. B. den Fächer, welcher oft in schönen Händen nichts anderes ist, als ein scharfes Meffer in der Hand eines fleinen Kindes. Wodurch Dieses herbe Urtheil begründet wird? Es ist Thatsache, daß Bugluft Erkältung bringt; wie sollte also nicht die fühle Luft, welche man mit dem Fächer Geficht, Hals und Bruft zuweht, die Ursache manches Leidens sein, welches das Frauenzimmer in den schönsten Sommertagen oft von einer Spazierfahrt oder Visite mit nach Hause bringt." Sehr bedauerlich ist es, daß manche der neuen Erfindungen, von welchen unsere alten Kalender berichten, im Laufe des Jahrhunderts wieder vers Loren gegangen find. So die prächtige Erfindung eines Herrn Le Rour, der eine Müge fonstruirt hatte. mit welcher bekleidet man aus beträchtlicher Höhe auf die Erde springen konnte, ohne Schaden zu nehmen, ja nur aus dem Gleichgewicht zu tommen. Wie nüßlich wäre diese Müge für uns Großstädter, die wir täglich mit dem Treppensteigen so viel Zeit ver­schwenden müffen. Die Hälfte dieser Beit würde uns erspart bleiben; wir brauchten, wenn wir auf die Straße wollen, nur die Müße auffeßen und könnten dann direkt vom Fenster auf den Perron der vorüberfahrenden Pferdebahn hüpfen.

M

Eine gestern im Reichstagsgebäude   stattgehabte Auktion zeigte wieder die ganze Misère unseres gegenwärtigen Auktionswesens, andererseits aber auch, daß das Resultat einer Auktion in den Händen des Auktionators liegt. Es waren, wie der Boff. 3tg." geschrieben wird, zur Auktion gestellt unter Anderem: Beitungsmakulatur und Reichstagsdrucksachen. Außer den vollzählig erschienenen Händlern und Auktions flaneuren, welche, wie fast immer bei Auktionen, Klique bilde­ten, war auch einer der größeren hiesigen Papierhändler als Käufer anwesend. Lepterer ließ sich, nachdem etwa 45 Bentner Beitungen zu angemessenen Preisen versteigert waren, dazu herbei, der Klique beizutreten und gemeinschaftliche Sache mit thr zu machen. Die Folge davon war, daß auf demnächst zum Ausgebot gelangte 33 Bentner Drudsachen nur ein Gebot von 15 M. und auf 5 Bentner Zeitungen nur 16 M. abgegeben wurde. Bei solchen Schleuderpreisen zog es der die Auftion leitende Auftions Kommiffarius Haehnel vor, die Auktion ab zubrechen. Den hierauf entstehenden Tumult beantwortete er mit der Aufforderung, sofort die Räume zu verlassen, widrigens falls er das Hausrecht ausüben müsse. Nachdem das Gros der Klique fich entfernt hatte, fonnte der genannte Auktionator nach zuständigen Ortes eingeholter Genehmigung die Drud fachen, welche in der Auktion nur ein Gebot von 15 M. er sielt hatten, für 82% M., alfo fünf Mal höher! und die Beitungsmakulatur, für welche insgesammt nur ca. 780 Mart geboten worden, für 1068 M. also für be nabe 300 M. mehr! an brei noch zurückgebliebene Händler verlaufen. Wenn jeder Auktionator fich vollständig unabhängig von den Händlern hielte, was leider nur sehr wenige thun, und wenn jeder dann Der Klique lonsequent energisch entgegenträte, dann würden ficherlich die Klagen über das heutige Berliner   Auktionsun wesen ein Ende nehmen. Bu bedauern ist, daß fich Personen aus den befferen Ständen herablaffen, mit der Klique gemein schaftliche Sache zu machen.

r. Ein Häuschen, das in der Luft hängt, ist sicherlich etwas feltenes auch in Berlin  , und doch fönnen die Paffanten am Hafenplay täglich nach Feierabend und früh vor Beginn Der Ausladearbeiten, sowie den ganzen Sonntag über dieses Wunder anstaunen. Neben einem der dortigen Dampffrähne ift ein fleines Häuschen aufgestellt, in welchem die Beamten bei ungünstiger Witterung Play nehmen und die Ausladungs­arbeiten leiten. Dieses kleine Häuschen würde des Nachts in Dieser einsamen Gegend auf Obdachlose eine starte Anziehungs fraft ausüben und von ihnen vielfach beschädigt werden. Um Dies zu verhüten, dreht allabendlich nach Beendigung der Arbeit Der mächtige Dampflrahn feinen Hebel gegen das fleine Häus­chen; die Kette mit dem großen halen raffelt nieder und faßt einen auf dem Häuschen angebrachten eisernen Ring, dann schwebt das kleine Bauwerk leicht an der Kette in die Höhe, Der Krahn wendet sich zurück und hält das häuschen schwebend über das Hafenwaffer, bis er es am nächsten Morgen mit erfter Bewegung wieder sanft auf den Boden niederläßt.

Alhambra- Theater. So groß auch die Räume dieses Theaters find, daffelbe faßt nahezu 1800 Personen

so

prangte doch am Sonntag bereits um 6% Uhr das von den Direttionen so gern gesehene Ausverkauft" am Schalter der Kaffe. Hunderte fanden keinen Einlaß. Die überaus luftige Poffe Berliner Sonntagsschwärmer" gefiel sehr.

Wasserstand der Spree   in der Woche vom 13. bis 19. September.( Angabe in Metern.)

Tage 13./9. 14./9. 15./9. 16./9. 17./9. 18./9. 19./9.

Am Oberbaum 2,16 2,14 2,14 2,14 2,14 2,14 Dammmühle,

2,13

Oberwaffer. 2,13 2,13 2,13 2,13 2,12 2,11 2,13 2,11 2,13 Dammmühle,

Unterwaffer. 0,67 0,75 0,73 0,73 0,75 0,74 0,77

Gerichts- Zeitung.

o. k. Die Reichstags- Abgeordneten v. Vollmar, Bebel   und Genossen wegen Theilnahme an einer ge­heimen Verbindung vor Gericht. Chemniß, 28. Septem ber 1885. Erster Tag der Verhandlung. Ein äußerst umfangs reicher Prozeß von weitgehendem politischen Interesse gelangt heute zur Kogniton der ersten Straffammer des hiesigen tönig lichen Landgerichts. Auf der Anklagebant erscheinen: 1) Der Schriftsteller und Reichstagsabgeordnete Georg Joseph Karl Heinrich von Vollmar, 35 Jahre alt, Dissident; 2) der Reichs­tags- und sächsische Landtagsabgeordnete Drechslermeister Fer dinand August Bebel  , 44 Jahre alt, evangelisch- lutherisch 3) der Buchdruckereibefizer nnd Reichstagsabgeordnete Johann Heinrich Wilhelm Diep, 41 Jahre alt, evangelisch; 4) der Möbelhändler und Reichstagsabgeordnete Ignat Auer, 38 Jahre alt, katholisch; 5) der Schriftsteller und Reichstagsabge ordnete Karl Franz Eugen Frohme, 35 Kahre alt, Diffident; 6) der Buchdrucker Karl Theodor Johann Ulrich( Offenbach  ), 32 Jahre alt, freireligiös; 7) der Bildhauer und Gastwirth Philipp Heinrich Müller( Darmstadt  ), 35 Jahre alt, freis religiös und 8) der Schneidermeister Stephan Heinzel  ( Kiel  ), 43 Jahre alt, Dissident. Der neunte Angeklagte, Journalist und Reichstagsabgeordnete Franz Georg Louis Viered lann frankheitshalber nicht erscheinen. Der Gerichtshof hat deshalb beschlossen, gegen diesen die Verhandlung abzuseßen.

In der Zeit vom 29. März bis 2. April 1883 fand bes fanntlich in Kopenhagen   ein Kongreß der Sozialdemokraten Deutschlands   statt, an dem auch die Angeklagten theilnahmen. Als dieselben von dem Kongreß nach Deutschland   zurücklamen, wurden fte, theils in Kiel  , theils auf dem Bahnhofs- Perron in Neumünster   verhaftet. Die Staatsanwaltschaft folgert nun, daß die Angeklagten durch die Theilnahme an diesem und an dem im August 1880 auf Schloß Wyden   in der Schweiz   statt­gefundenen Kongreß sich der Verlegung der§§ 128 und 129 bes Strafgesetzbuches schuldig gemacht haben.

Die bezeichneten Paragraphen lauten:§ 128. Die Theil­nahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfaffung oder Bwed vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll, oder in welcher gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis zu sechs Monaten, an den Stiftern und Vorstehern der Verbindung mit Gefängniß von einem Monat bis zu einem Jahre zu bestrafen. Gegen Bes amte fann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffent licher Aemter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erlannt werden."§ 129. Die Theilnahme an einer Verbin dung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gefeßen durch un­gefeßliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis zu einem Jahre, an den Stif tern und Vorstehern der Verbindung mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen. Gegen Beamte fann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt

werden.

einen

mann's ausgesprochen haben." Ferner heißt es in diesem Kongreßprotokoll: Es würde Wahnsinn gewesen sein, wenn Die Reichstagsabgeordneten nach Erlaß des Sozialistengesetes die Parole zum Losschlagen gegeben hätten." Die Vertreter der Partei im Reichstage wurden auf dem Wydener Kongreß beauftragt: im geeigneten Momente fünf Personen zu bestim­men, welche alle auf die Wahlen bezüglichen Anordnungen zu treffen haben." Ferner wurde auf Schloß Wyden   folgender Beschluß gefaßt: Es find nur solche Kandidaten aufzustellen, die unser Programm voll und ganz anerkennen und fich der Parteidisziplin unterordnen, indem fie fich verpflichten, an allen, durch Gesammtbeschluß der Parteivertretung herbeigeführten Aftionen fich zu betheiligen." Jm September 1883 wurde dem ,, Sozial- Demokrat" aus Schleften berichtet: Vor Kurzem hielten wir gut besuchten ab Provinzialtag mit der Tages- Ordnung: Innere Organisation 2c." Man war auf dem Provinzialtag allgemein der Ansicht, daß die geheime Agitation mit Rücksicht auf die heutigen Ver­hältnisse wohl beibehalten werden müsse und es ein Haupt­erforderniß sei, öfter derartige Zusammenfünfte zu veranstalten, damit die neugebildeten Organisationen dem großen Ganzen verbündet bleiben zum gemeinsamen Kampfe." Für das Bes stehen einer wirklich sozialdemokratischen Parteiverbindung spricht insbesondere dasjenige, was in den angedeuteten Quellen über das Bestehen von Parteifonds und über die Er bebung von Beiträgen und Steuern von den Parteimitgliedern zu ersehen ist. Die Parteiverbindung befißt: a) einen Fonds zur Unterstüßung der Opfer des Sozialistengesezes, b) einen Agitationsfonds, c) einen Flugschriftenfonds, d) einen allge meinen Wahlfonds, e) einen Archivfonds, f) einen Antheil fonds. Außerdem befizt die Partei: a) eine selbstständige Druckerei, b) ein bestimmtes offizielles Partei Organ( den in Zürich   erscheinenden Sozial Demokrat"), c) ein Bartei- Archiv. Nachdem von den früheren sozialdemokratischen Barteiblättern der in Berlin   erschienene Neue Sozial- Demokrat" am 1. Dl tober 1876 eingegangen, der in Leipzig   erschienene ,, Vorwärts" aber unterm 26. Ottober 1878 auf Grund des Sozialisten Gesetzes verboten worden war, tauchte am 28. September 1879 als neues Parteiorgan der Sozial- Demokrat"," Internatio nales Organ der Sozialdemokratie deutscher Bunge", als Wochenblatt, herausgegeben in Zürich  , auf. Dieses Blatt wurde unter dem 18. Ottober 1879 auf Grund des Sozialistengesezes in Deutschland   verboten. Auf dem Kongreffe zu Wyden wurde aber der Sozialdemokrat" zum einzigen offiziellen Parteiorgan erklärt und gleichzeitig ein erfreulicher Aufschwung des Blattes Tonstatirt. Am 16. Februar 1882 bringt der Sozial- Demokrat" eine von Auer, Bebel  , Blos, Dieß, Frohme, Geiser, Grillen­berger, Hasenclever, Kayser, Kräcker, Liebknecht, Stolle und v. Bollmar, unterzeichnete Erflärung, in welcher es u. A. heißt: Um ein für alle Mal falschen Auffaffungen des Verhältnisses Der deutschen   Sozialdemokratie zu dem in Zürich   erscheinenden Sozial- Demokrat" zu begegnen, erklären wir: der Sozial- Demo frat" ist das offizielle Organ der deutschen   Sozialdemokratie und hat den Zweck und die Aufgabe, die Parteigenoffen in Bezug auf die Parteibewegung auf dem Laufenden zu halten und die Grundsäße der Partei, wie fie in unserem Programm niedergelegt find, zu verfechten. Das Blatt soll ferner ein ges treuer Spiegel der Stimmungen und Anschauungen sein, die unter dem Druck des Ausnahmegeseges innerhalb der Partei zu Tage treten und demgemäß ist die Redaktion verpflichtet, allen derartigen Anschauungen und Stimmungen Raum zu geben, vorausgesetzt, daß dieselben den Prinzipien und Inter effen der Partei nicht widersprechen." Auf dem Kopenhagener Kongreffe wurde konstatirt, daß die Verbreitung des Sozial Demokrat" die erfreulichsten Fortschritte mache und daß derselbe faft überall gelesen werde, wo die Partei Anhänger befize. Daß die sozialdemokratische Verbindung ihr Dasein und ihre Verfaffung vor der Staatsregierung geheim hält, ist mit Rüd­ficht auf das Sozialistengefeß eine Eristenzbedingung für dies felbe. Das Parteiorgan predigt daher fast in jeder Nummer Vorsicht und Verschwiegenheit. In einer im Verlage des ,, Sozial- Demokrat" erscheinenden Druckschrift heißt es: Es müssen Alle, welche ihren Briefwechsel nicht gern von schmutzigen Polizeinasen durchschnüffelt haben wollen, in erster Linie aber die auf's heftigste verfolgten Sozialdemokraten, für welche jede Brief abfaffung zu Haussuchungen, Erwerbsbenachtheiligungen, sowie vor Allem zur Schädigung der Partei führen kann, darauf bes dacht sein, ihren Briefverlehr durch künstliche Mittel vor den Klauen der amtlichen Briefhabichte zu sichern. Deshalb ist es erforderlich, niemals an verdächtige Adressen zu senden, sondern fich stets diskreter unverdächtiger Adressen, sogenannter Vers mittelungs- oder Deckadreffen zu bedienen, ferner so wenig als möglich Namen zu nennen und dieselben nur durch Anfangs buchstaben, Beichen oder sonstwie zu bezeichnen, Verfängliches nicht direkt oder offen zu schreiben, sondern derlei unter einer unverfänglichen, am besten geschäftlichen Ausdrucksweise zu ver steden, vor Allem aber verdächtige Briefe niemals an der Polizei zugänglichen Orten, aufzubewahren. Alles dies ist in der Hauptsache aber nur durch die Anwendung der Geheim oder Chiffreschrift zu erreichen. Alsdann folgt eine Belehrung über diese Schrift. In einem unterm 25. Dezember 1882 feitens der Redaktion und Expedition des Sozial- Demokrat" an die Parteigenoffen" gerichteten Aufruf heißt es u. A.: Da das bekannte infame Gesez uns nöthigt, die Berathung im Auslande stattfinden zu lassen, wollt Ihr hiernach den nöthigen Aufwand bemessen. Ein Beitopfer von mindestens 8 Tagen intl. Reise müßt Ihr für Eure Vertrauensleute in Rechnung stellen. Die größeren Orte sind verpflichtet das Opfer zu bringen und selbstständig einen Vertrauensmann zu schicken. Die kleineren Orte und ärmeren Bezirke mögen zu gemeins famer Berathung und Wahl zusammentreten. Da aber überall das Spigelthum seine langen Dhren hinhält, so rathen wir Euch Vorsicht und strenge Geheimhaltung der Namen Eurer Vertrauensleute an. Die Namen der letzteren wollt Ihr nur in der bekannten Weise und unter den bekannten Adreffen, sofort nach getroffener Wahl, spätestens aber bis Ende Februar anzeigen, worauf dann weitere Mittheilung er folgt. Für legteren Swed ift genaue und fichere Adresse abzus geben. Der gewählte Vertrauensmann muß eine von minde ftens zwei uns Bekannten unterschriebene Vollmacht, als Aus weis vorzeigen lönnen." Der Kongreß fand nun, wie er wähnt, in den Tagen vom 29. März bis 2. April in Kopen bagen statt. Derfelbe war von 60 Delegirten besucht, die sich fast sämmtlich in den Hotels unter fremden Namen eingetras gen hatten.

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Als Beweismittel für dieses Krimen führt die Staatsan waltschaft nicht nur die Protokolle jener Kongreffe, sondern auch eine Reihe von Artikeln aus dem in Zürich   erscheinenden Sozial Demokrat", sowie mehrere von sozialdemokratischen Abgeordneten im deutschen   Reichstage gehaltene Reden ins Feld. Bei fortgesetter Beobachtung der sozialdemokratischen Bewegungo heißt es an einer Stelle der voluminösen Anklagefchrift muß fich die Ueberzeugung aufdrängen, daß gegenwärtig in Deutschland   eine sozialdemokratische Verbindung besteht, welche fich als eine strafbare im Sinne der§§ 128 und 129 des Strafgesetzbuches darstellt. Schon die historische Ent wickelung der Sozialdemokratie giebt an die Hand, daß man es nicht blos mit einer politischen Partei, also mit einer Mehr zahl neben einander hingehender, in ihrer Gesammtheit eine und dieselbe politische Richtung verfolgender Gesinnungsgenoffen, sondern mit einer auf einen dauernden Bestand berechneten, bestimmte einheitliche Zwecke und Biele verfolgenden, zu einer eftgegliederten Organisation zusammengeschloffenen Parteiver bindung zu thun hat. Nachdem zunächst im Jahre 1863 Laffalle den Allgemeinen deutschen Arbeiter Verein" gegründet batte, deffen Sit Leipzig  , später Berlin   war und nachdem einige Beit nach der Gründung ein Theil der Mitglieder aus dem Bereine ausgetreten war und unter dem Namen Sozialdemos fratischer Arbeiter Verein" einen besonderen Verein gegründet hatte, welcher auf dem im Jahre 1869 zu Eisenach   ab­Sozialdemokratische gehaltenen Rongreffe den Namen Arbeiterpartei" angenommen hatte, erfolgte auf dem im Jahre 1875 zu Gotha   abgehaltenen Vereinigungs- Kongreffe der Sozialdemokraten Deutschlands  " die Vereinigung der beiden oben gedachten großen sozialdemokratischen Parteirichtungen und tonstituirte fich an Stelle jener beiden Hauptvereine ein Verein unter dem Nameu ,, Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands  ", welcher lediglich eine Fortsetzung der vorher bestandenen sozia listischen Vereine war. Dieser Verein war, wie die früheren Bereine, aus denen er herausgewachsen war, fest organiftrt, batte ein bestimmtes Programm, eine bestimmte Geschäftsord batte ein bestimmtes Programm, eine bestimmte Geschäftsord. nung, einen leitenden Vereinsvorstand, dem eine Kontrol Rommiffion," ein Ausschuß" und verschiedene Beamte( Selre tär, Raffirer 2c.) zur Seite standen; er hatte ferner ein bes stimmtes Breßorgan, bestimmte Normen für Aufnahme von Mitgliedern, für Vereinsbeiträge u. s. w. Es fanden alsdann in den Jahren 1876 und 1877 weitere allgemeine Partei- Kon­greffe zu Gotha   ftatt, welche, wie sich aus den bezüglichen Bro­fotollen über jene Kongresse ergiebt, nichts anderes waren, als Kongreffe des obengedachten Vereins. Nach dem Erscheinen des Reichsgesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Ottober 1878 wurden zwar die einzelnen Mitgliedschaften des gedachten Vereins verboten und es verschwand derselbe in Folge deffen von der äußeren Bild­fläche, allein daß die Organisation des Vereins thatsächlich nicht zerstört wurde, daß dieselbe vielmehr im Geheimen unternahme an dem Kongreß ist sonach zweifellos eine die Konso geringen, durch die veränderten Verhältnisse gebotenen Modi fitationen fortbestand, geht aus mannigfaltigen, an die Aeußer lichkeit getretenen Umständen deutlich hervor.

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Aus all' den aufgeführten Umständen ist zu konstatiren, daß an dem Kopenhagener Rongreß nur solche Partei- Ange hörige Theil genommen haben, welche mit den Verhältnissen der sozialdemokratischen Parteiverbindung auf das Genaueste bekannt waren und von denen zu erwarten war, daß sie den ihnen ertheilten Vollmachten gemäß, auf dem Kongreffe eine den Parteiverbindungszweden entsprechende, die Verbindungs zwecke fördernde Thätigkeit entwickeln würden. In der Theil

libirung, Ausbreitung, Entwidelung und Kräftigung der sozial demokratischen Parteiverbindung bewußt fördernde Thätigkeit der Delegirten des Kongresses zu erblicken, eine Thätigkeit, welche den Begriff der Mitgliedschaft an der Parteiverbindung in Sinne der§§ 128 und 129 des Strafgesetzbuches vollständig erschöpft. Es steht nun fest, daß die Angeklagten sämmtlich als Delegirte, Bebel   fogar als Borfigender an dem Kongreffe theilgenommen haben." Dies im Wesentlichen die Aufzeich nungen der Anklagebehörde.

Auf den Kongressen zu Wyden und Kopenhagen   wurde beschloffen: Die Gesammtheit der sozialistischen   Reichstags­abgeordneten als Bartelleitung anzuerkennen. Diese Partei leitung scheint mit weitgehenden Vlachtoollkommenheiten aus­gerüstet zu sein. Sie leitet die Agitation, organifirt die Partei bezirte, vorbereitet die Kongresse und größeren Versammlungen, stellt die Vereinsbeamten an, bewilligt oder versagt Unter ffügungsgelder, übt die Parteidisziplin, beschließt über Ausschluß und Ausstoßung einzelner Parteigenoffen u. f. w. In dem Wydener Kongreßprotokoll heißt es u. A.: daß die sozial­demokratischen Reichstagsabgeordneten den Ausschluß vaffel- worten.

Da der Wohnort des Hauptangeklagten v. Bollmar zur Beit im Landgerichtsbezirk Chemnis lag, so haben sich die An geklagten wegen Verlegung der§§ 128 und 129 des Straf- Ge lezbuches vor Eingangs bezeichnetem Gerichtshofe zu verant ( Fortseßung folgt.)

Berantwortlicher Rebatteur R. Gronbeim in Berlin  . Drud und Verlag von Mar Bading in Berlin   SW., Beuthstraße 2.

Sieran eine Bellage