Nr. 230. ledat que podria Freitag, den 2. Oktober 1885.

Pond II. Jahrg.

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Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt

fcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Boftabonnement 4 Mt. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

Redaktion: Benthstraße 2.

Eine schwere Niederlage

hat bei der Enquete über die Sonntagsruhe die evangelisch­Lutherische Kirche oder besser gesagt, die Geistlichkeit dersel­ben erlitten, obwohl wir gern zugestehen, daß uns deshalb biese Kirche und diese Geistlichkeit für die Kulturentwicklung ber Menschheit weniger gefährlich erscheint, als zum Beis spiel die römisch- katholische Kirche   und die römisch- katholischen Priefter.

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Doch hören wir die Sozial Correspondenz  " darüber, bie von dem sächsischen Professor und Regierungsrath Dr. Viktor Böhmert, der unseres Wissens zur evangelischen Kirche gehört, redigirt wird. Nachdem das Blatt bemerkt hat, daß durch die Enquete recht ernste und betrübende Dinge zum Vorschein gebracht worden seien, heißt es dann wörtlich

weiter:

Dies gilt u. A. auch von dem Maße, in welchem die handarbeitenden Klaffen unseres Voltes, b. h. unseres protestantischen Volkes, der Kirche entfremdet find. Wir haben dabei vor Allem die Großstädte im Auge; auch was wir in Folgendem kurz mittheilen, ist den Ergeb­niffen der Erhebungen in einer derselben( Dresden  ?) ents nommen. Unter allen Befragten war nicht ein Einziger, ber in seinen Antworten auf bie bezügliche Frage die Rück­ficht auf den Besuch des Gottesdienstes auch nur erwähnt hätte, einerlei nun, ob er sich für oder gegen das Verbot ber Sonntagsarbeit erklärte; thatsächlich findet lettere, und zwar meist gerade Vormittags bis 12 Uhr, also während der Kirchenzeit, in der überwiegenden Mehrzahl der kleinge werblichen Betriebe statt."

Wir wollen Herrn Böhmert noch bemerken, daß auch in den fleineren Städten und besonders in den protestantis schen Industriegegenden der Kirchenbesuch ein überaus ges ringer ift.

Ein Meister der Bürsten- und Pinselmacherinnung er­flärte nach der Soz. Korr." auf Befragen, daß er seinen Gefellen frei stelle, ob sie Sonntags arbeiten wollten oder nicht. Auf die weitere Frage, ob es es denn nicht vors tomme, daß ein Geselle einmal in die Kirche gehen wolle und also von jener Einräumung Gebrauch mache, antwortete er: Allerdings, bei katholischen Gesellen ist mir das schon in dem öfters vorgekommen, aber bei protestantischen 3eitraum von 10-12 Jahren, seit ich Meister bin niemals. Und dasselbe bestätigten die Vertreter anderer Gewerbszweige, z. B. Schuhmacher, nur mit dem Beifügen, daß es auch bei solchen Gesellen, welche Mitglieder von " Selten", wie Baptiften, oder auch reformirt seien, mit­unter vorkomme, aber nicht bei Angehörigen der Landes­firche.

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3um Schlusse heißt es dann in dem genannten Blatte:

Bernd serboten.]

70

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Feuilleton.

Das Mormonenmädchen.

Amerikanische   Erzählung

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Balduin Möllhansen.

( Fortsetzung.)

Ebitha schloß die von edler Entrüstung ergriffene Schwester in ihre Arme und weinte bitterlich, wos bei fie mehrfach den Namen ihres Knaben aus sprach. Hertha tröstete ihre Schwester, wie sie furz vorher von ihr getröstet worden war, und so liebe füße Worte wechselten sie mit einander, daß selbst die Sterne an dem dunkeln, mild erleuchteten Himmelszelt sich darüber zu freuen schienen und sich das Ansehen gaben, als seien fie es, welche die glühenden, langgeschweiften Meteore, ähnlich fünftlich hergestellten Raketen, vor lauter Luft hier hin und dorthin schleuderten.-

Sie sprachen auch von der Zukunft; und Hertha ver­ficherte, fich nie wieder von ihrer Schwester und dem lieben Rnaben trennen zu wollen. Dann entwarfen sie ihre Pläne, wobei fie mehr denn je auf ihren Onkel rechneten, der seit Rynolds' Tobe ganz umgewandelt sei. Hertha wollte bem­gemäß noch einmal nach Fort Utah zurüdlehren, um sich von Weatherton's Befreiung zu überzeugen, dann aber mit möglichster Eile und noch vor Ausbruch der blutigen Feind­seligkeiten sich ihrer Schwester wieder zugesellen. Dieselbe sollte sie zu diesem Zwecke im Rücken der Vereinigten Staaten Armee an irgend einem geeigneten Punkte erwarten, und dann wollten sie sich vereinigt ihrer lieben alten Heimath jenfeit des Ozeans wieder zuwenden.

So lange die beiden Schwestern mit einander sprachen und, wenn auch vielfach zu wehmüthigen Betrachtungen hingeriffen, fich gegenseitig immer mehr 3uversicht und freudige Hoffnung einrebeten, hegte Hertha nicht die ge­ringften 3weifel, daß ihre Bemühungen bei dem komman­birenden General und demnächst bei den Behörden der Mormonen mit dem besten Erfolg gekrönt werden würden.

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Insertionsgebühr

beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werben bis 4 the Nachmittags in der Expedition, Berlin   SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

Wie gesagt, es ist hier nur von den Zuständen in einer Großstadt die Rede; in den Mittel- und Kleinstädten mag es damit anders und besser bestellt sein. Auch abgesehen indeß von dem großen und stets wachsenden Einfluß, den die Großstädte auf das nationale Gesammtleben ausüben, ist und bleibt es doch jedenfalls sehr beklagenswerth, daß ein so großer Bruchtheil unserer Volksgenossen so gänzlich außer halb des kirchlich- religiösen Lebens steht, und zwar gerade bie Angehörigen derjenigen Klassen, welchen der Ersatz, welchen die Gebildeten in anderweiten geistlich- fittlichen Faktoren finden, mehr oder minder vollständig abgeht, so daß bei ihnen die unausbleibliche Folge der Entkirchlichung eine Verödung und Verarmung des Gemüthslebens sein muß. Und aus dieser wieder entspringt meistens gesteigerte Genuß- und Ver­gnügungssucht, nicht ganz selten auch jene Verrohung und Verwilderung, die in den abscheulichsten Zügen von Herz­losigkeit, wie wir ihnen fast täglich in den Lokalberichten der Beitungen begegnen, zu Tage tritt."

Bunächst wollen wir uns einmal auf den Standpunkt des Verfassers stellen. Dabei drängt sich doch zunächst die Frage auf, weshalb denn die proteftantische Kirche so weit in ihrer anziehenden Kraft hinter der römisch- katholischen Kirche   zurücksteht?

Wir haben darauf zwei Antworten. Zunächst ist die protestantische Kirche eine Kirche der Halbheit; entstanden aus der katholischen hat sie die ganze Schroffheit derselben übernommen ohne die Milde, die Barmherzigkeit, die Ver­föhnung, welche in letterer zweifelsohne liegen. So ist zum Beispiel der starre Glaube an die Stelle des Glaubens und der werkthätigen Liebe getreten.

Dann aber entfremden sich die Prediger des die Prediger des Protestantismus immer mehr bem Volte. Die meisten find starre theologische Buchstabenmänner, bie sich gern um allerlei Formen streiter. Sie ver kehren nur in ihrer amtlichen Eigenschaft mit dem Volte und wenn sie auch ab und zu aus ihrem freien Willen als Tröster auftreten, so tritt bei diesen Tröstungen immer schroff der Priester und fast niemals der Mensch hervor.

Gesellschaftlichen Umgang pflegen fie lediglich mit den Vornehmen dieser Welt. Der junge protestantische Randidat ist meist bestrebt, eine wohlhabende, durch ihre Familie ein­flußreiche Frau zu erhalten, deshalb werden schon in der Jugend seine Umgangsformen zeremonios, er meidet ängst lich das Volksleben. Und so geht es bis an sein Lebens­ende weiter.

Ein wie ganz anderer Mann ist der katholische Pfarrer -meist ein Welimann durch und durch. Freundlich mit jedermann tritt allzeit der natürliche Mensch hervor. Auf allen großen Volksfesten trifft man ihn vorzugsweise in ge­

Sobald fie aber bei dem Ausmalen ihrer Bukunft in finnen­des Schweigen versanten, wälzte sich auch die ganze Last ihrer Besorgnisse wieder auf ihre Seele, und ihre Unruhe wuchs in demselben Maße, in welchem die 3eit verstrich, ohne daß der in das Lager abgesendete Bote eintraf.

Was sollte sie beginnen, wenn der General einen ab­schlägigen Bescheid ertheilte? Auf welche Weise Weater­ton's Banden lösen, wenn Elliot, erbittert über ihre ver­änderte Gesinnung, sich aus Rache   weigerte, ihn frei zu geben, oder sich sogar dazu verleiten ließ, das Codesurtheil an ihm zu vollziehen? Und kam eine solche Handlung auch einem faltblütigen Morde gleich, hatte er nicht Mittel genug in Händen, sich und sein gewiffenloses, verbrecherisches Ver­fahren in den Augen seiner Glaubensgenoffen, ja, der ganzen Welt zu rechtfertigen? Wer fümmerte fich weiter barum, ob Jemand, den nur sein eigener Wille unter die Mormonen führte, daselbst als Spion, oder auf den dringen­den Verdacht hin, sich an der Ermordung Rynolds', wenn auch nur mittelbar betheiligt zu haben, erschossen wurde? Elliot wußte diefes genau, und so wie sie ihn jeẞt kennen gelernt, ließ sich erwarten, daß er vor dem schwärzesten Verbrechen nicht zurückschrecken würde, um entweder seinen Willen durchzusehen, oder auch, um sich auf eine furchtbare Art zu rächen.

Rächte er sich aber wirklich, wenn er seine Drohungen wahr machte? Gewiß! Eine schreckliche, wenn auch uner hörte Rache wäre es gewesen! Und dennoch, hätte sie sich, um ihn zu retten, auch bereitwillig opfern wollen, burfte,

konnte sie es jetzt noch jest, nachbem ihr jene Bedingungen klar geworden, die sich an das Mormonenthum knüpften und dabei ihren heiligsten Gefühlen, ihren Begriffen von Religion und von der Bestimmung des Weibes so ganz zu­widerliefen?

Diese Fragen und Betrachtungen beftürmten Hertha, als sie an die Schulter der Schwester zärtlich angeschmiegt dafaß und so lange auf das Feuer vor des Missionärs 3elt hinstarrte, bis Alles vor ihren Blicken zu flimmern und in einander zu verschwimmen begann, während Editha ihre Aufmerksamkeit den dunkeln Gestalten des Geistlichen und ihres Onkels zuwendete, die, in ein ernstes Gespräch ver­

müthlicher Unterhaltung mit Arbeitern, Handwerkern und sonstigen fleinen Leuten. Mit den ,, Vornehmen" kommt er ja doch noch genügend zusammen.

Aber auch seine Predigten unterscheiden sich von denen der protestantischen Bibeltertpredigten sehr vortheilhaft. In urwüchsiger Weise bespricht er manchmal die sozialen Fragen und schiebt durchweg den Reichen der Welt die größere Schuld zu, während er nur selten gegen die Untugenden der Armen wettert.

Da ist bei den protestantischen Paftoren das ge= rade Gegentheil der Fall. Und dabei muthet man den Arbeitern noch wohl zu, zu all' ihrer Noth und ihrem meist unverschuldeten Elend allsonntäglich noch eine Strafpredigt oder gar eine Bußpredigt zu erhalten. Büßen noch für das Elend und dann den üblichen Hinweis auf das Jenseits.

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In Vorstehendem haben wir gezeigt, weshalb bie rös misch- katholische Kirche der protestantischen weit über" ist wir wünschen der letzteren aber feine Besserung", da fie in ihrer jeßigen Verfassung keinerlei Einfluß auf bas Volksleben ausübt und dasselbe deshalb auch nicht trüben fann.

Wenn Herr Professor Böhmert meint, daß die Ents firchlichung des Voltes Verrohung und Verwilderung her­vorrufe, so ist diese Ansicht eine grundfalsche und leicht zu widerlegen.

In früheren Beiten, wo die Entkirchlichung nicht vor­handen war, wo aber die allgemeine Humanität mehr noch wie jest in den Windeln lag, war Verrohung und Verwil­derung viel mehr sichtbar, denn jetzt. Im katholischen frommen Ober- Bayern, im katholischen Oberschlesien  , Posen und Westpreußen  , im protestantischen Schlesien  , Pommern  und West- und Ostpreußen  , wo die Entkirchlichung noch gar nicht weit fortgeschritten ist, sind die Verbrechen viel zahl reicher, die Verwilderung ist viel größer, als in den übrigen Provinzen und Gegenden, wo die Leute wenig in die Kirche gehen.

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Daß sonst verständige Menschen nicht einsehen wollen, daß Bildung, Aufklärung, Gesittung, Huma­nität, mit einem Wort die fortschreitende Kultur die Entkirchlichung herbeiführen, ist kaum zu klären! Wenn aber dies wahr ist und die Geschichte ist auch hier die große Lehrmeisterin auch hier die große Lehrmeisterin, wie fann dann die Entkirchlichung zur Verrohung und Verwilderung führen?

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Wir nennen es deshalb nicht eine beklagenswerthe Erscheinung, daß das Volk immer mehr entkirchlicht wird. Wir können deshalb den protestantischen Geistlichen auch nur gratuliren, daß fie es so wenig verstehen, dieser Ent­kirchlichung Einhalt zu thun und würden es auf das Lebe haftefte begrüßen, wenn die katholische Geistlichkeit( vielleicht

tieft, auf der andern Seite der beiden Belte langsam auf und ab wanderten und nur zeitweise in die Beleuchtung der von den Indianern geschürten Feuer traten.

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Da ließ sich der Hufschlag eines herbeieilenden Pferdes vernehmen, und mit einem lauten Gott sei Dank!" erhob sich Hertha, um ihrer Schwester voran zu dem Missionär zu eilen und dort aus erster Hand den Erfolg der Sendung zu erfahren.

Sie hatte sich in ihren Erwartungen nicht getäuscht, denn kaum war sie zu den beiden Männern hingetreten, so trabte auch ein Indianerbursche herbei, der dem Missionär ein flüchtig zusammengefaltetes, aber unverfiegeltes Briefchen überreichte.

Er gab zugleich vor, daß er Stunden lang auf die Heimkehr des Generals habe warten müssen, dann aber sogleich vorgelassen und eben so schnell abgefertigt wor den fei.

,, Es ist gut, mein Sohn," fagte der Geiftliche gütig zu dem Indianer; jedenfalls berechtigt uns Deine Mittheilung zu der Hoffnung, daß wir mit unserem Anliegen bei dem General nicht auf ernste Schwierigkeiten stoßen werden. Nun gebe mein Sohn, Du mußt müde und hungrig sein," und so sprechend, näherte er sich dem nächsten Feuer, um den Inhalt des Schreibens kennen zu lernen.

In athemloser Spannung folgten ihm seine Säfte nach, und namentlich war es Hertha, die es kaum erwarten konnte, etwas Genaueres über die Botschaft zu vernehmen.

er

Der Missionär hatte unterbessen das Papier entfaltet;

warf einen Blick hinein, und dann begann er sogleich vorzulesen.

,, Eine besondere Freude soll es mir gewähren, einem Landsmann mich gefällig zu zeigen. Erheischt Euer Anliegen Eile, so stehe ich noch heute Abend zu Euren Diensten, im entgegensezien Falle bitte ich, morgen die Frühstunden zu wählen, indem später dringende Geschäfte mich wieder fern von meinem 3elte halten dürften."

" Ihr seht meine Lieben, hob der Miffionär an, sobald er zu Ende gelesen, ich irrte nicht, als ich voraussetzte, der General würde nicht jederzeit zu finden sein; und nochmals wiederhole ich," fuhr er zu Jansen gewendet fort, daß ich