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ja bekanntlich sehr opferfreudig ist, besaß einen Agitationsfonds, einen Flugschriftenfonds, einen Diätenfonds, einen Ünterftügungs. fonds, einen Archivfonds und ferner eine große Druckerei. Dies spricht doch ganz deutlich für das Vorhandensein einer geschloffenen Organisation. Es ist nun von den Angeklagten bestritten worden, daß die Vereinsbruderei in Bürich Eigenthum der Partei sei. Nun jedenfalls hatte die Parteileitung die Oberaufficht über dieselbe. Eine Partei, die so viele Vermögensstücke besaß, Kongreffe, Konferenzen 2c. abhielt, zu denen Delegirte gewählt, deren Mandate geprüft wurden 2c. fezt zweifellos eine ges schloffene Organisation voraus. Es ist undenkbar, daß eine berartige umfangreiche Thätigkeit von einer Partei ausgeübt werden kann, die lediglich durch ein geistiges Band verbunden ift. Der Angeklagte Bebel hat uns eine Nummer des„ Sozialdemokrat" überreicht, in dem ein minifterieller Erlaß abges bruckt war, der die deutschen Polizeibehörden auffordert, auf das Treiben der Sozialdemokraten Acht zu geben und von Beit zu Zeit Bericht zu erstatten. Wer den Sozialdemokrat" nur oberflächlich liest, wird finden, daß in jeder Nummer eine Anzahl unwahrheiten enthalten find. Der Sozialdemokrat" ift somit für mich kein Beweis. Allein angenommen, der ministes rielle Erlaß beruhe auf Wahrheit und es sei troßdem den Deutschen Polizeibehörden nicht gelungen, eine geschlossene Dr. ganisation nachzuweisen, so beweist dies doch bloß, daß die Sozialdemokraten derartig flug operiren, daß die deutschen Bolizeibehörden ihnen nicht ankommen fönnen. Es wird ja auch den Parteigenossen unaufhörlich strenge Verschwiegenheit in allen Dingen empfohlen. Das ist sehr erklärlich; die Führer der Sozialdemokraten wiffen sehr genau, daß, würde thre Organisation der Behörde bekannt, diese auf Grund des Sozialistengesetes verboten werden würde. Der Angeklagte Auer fagte:„ Aus unserem ganzen Verhalten ging hervor, daß wir Teine Verschwörungen getrieben haben;" allein darum handelt es fich hier auch nicht. Es ist hier kein Hochverrathsprozeß, sondern es handelt fich blos um die Frage: liegt eine Verlegung ber§§ 128 und 129 des Strafgesetzbuches vor? Daß eine geschloffene Organisation vorhanden gewesen, hat die Verhandlung zweifellos ergeben. Nehmen Sie dies an, m. H. Richter, dann werden Sie auch annehmen müffen, daß die Zwecke und Biele dieser Organisation vor der Staatsregierung gebeim gebalten werden und letztere bezwecken sollte, das Sozialistengeset unwirksam zu machen. Daß die Gebeimhaltung blos erfolgte, um persönliche Dinge nicht in die Deffentlichkeit gelangen zu laffen, fann nicht angenommen werden. Wenn auf dem Kopenhagener Rongreß das innere Leben der Partei zum Gegenstande einer Berathung gemacht und die Parole ausgegeben über diese wurde, Debatte ftrenge Verschwiegenheit zu beobachten, so tann Dies night blos geschehen sein, um schmußige persönliche Dinge nicht in die Deffentlichkeit gelangen zu laffen. Ich erwähne noch, daß sogar auf dem Wydener Kongres beschlossen wurde, das Wort gefeßlich" aus bem Programm der Partei zu streichen. Der Angeklagte Auer sagte:„ Wir waren genöthigt, das zu thun, da wir nach Erlaß des Sozialistengefeßes für vogelfrei erklärt wurden, denn man verbot Alles, was von den Sozialdemokraten ausging." Nun, so schlimm ist es niemals gewesen. Die deutschen Behörden haben lediglich das verboten, was einen Verstoß gegen das Sozialistengefes involvirte. Es ist danach klar, daß die Drga nisation bezweckte, die Zwecke der Sozialdemokratie mit ungeset lichen Mitteln zu verfolgen. Daß die gegenwärtigen Angeklagten zu den Theilnehmern dieser geheimen Verbindung gehört haben, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Ich halte nach den Ergebnissen der gegenwärtigen Verhandlung die Angeklagten für schuldig und beantrage deren Verurtheilung.
Vertheidiger Rechtsanwalt Freytag I( Leipzig ): Meine Herren Richter! Ich bin mit dem Herrn Oberstaatsanwalt ein verstanden, daß es sich hier nicht um das Wesen der Sozial demokratie und ihre Prinzipien, sondern lediglich darum hans belt: haben die Angeklagten eine Verbindung unterhalten, deren Dasein, Bwed und Verfassung der Staatsregierung geheim werden sollte, und zwar zu dem Swede, um das Sozialistengeset unmöglich zu machen. Nicht einverstanden bin ich jedoch mit dem Herrn Oberstaatsanwalt, wenn er seine Behauptungen auf Vermuthungen stüßt. Wir haben es lediglich mit dem zu thun, was hier verhandelt worden ist, aber nicht mit dem, was hinter den Koulissen spielt. Lediglich die Ergebnisse der Ver handlung können für den Richter maßgebend sein. Ich bin dem Herrn Oberstaatsanwalt sehr dankbar, daß er die hifto rische Entwickelung der Sozialdemokratie uns vorgeführt hat. Daraus haben wir gesehen, daß bis zum Erlaß des Sozia liftengefeßes eine geschlossene Organisation der Sozialdemokraten Deutschlands bestand. Als das Sozialistengesetz jedoch ins Leben trat, löfte sich die Organisation sofort auf. Nun sagt der Herr Oberstaatsanwalt: die Organisation verschwand blos von der äußeren Bildfläche, im Geheimen beftand fie jedoch weiter. Einen Beweis hat uns der Herr Oberstaatsanwalt hierfür nicht erbracht. Daß das Sozialistengeset die hunderttausende von Sozialdemokraten sofort wegblasen konnte, hat man wohl nicht erwartet. Ein geistiger Bufammenhang blieb selbst verständlich auch nach dem Sozialisten Gesetz bestehen, allein die Parteileitung in Hamburg zeigte der Behörde sofort ihre Auflösung an, alle Lokal- Vereine löften fich auf, die sozialbemokratischen Beitungen wurden verboten, die Drudereien ge schloffen, die formelle Organisation war zerstört. So lange die Organisation bestand, war es erforderlich, um Mitglied der fozialdemokratischen Partei zu werden, daß man ganz direkt feinen Beitritt erklärte, fich zur Entrichtung der Parteifteuer verpflichtete, die Statuten und das Programm der Partei anerkannte. Alle diese Dinge find doch die nothwendige Voraussetzung einer geschlossenen Organisation. Allein nichts von alledem hat die Verhandlung erbracht. Nun sagt der OberStaatsanwalt: eine Parteisteuer fann auch in Form freiwilliger Beiträge gegeben werden. Freiwillige Beiträge sprechen aber in feiner Weise für eine gefchloffene Organisation. Allerdings befigt die Partei verschiedene Fonds. Diese wurden jedenfalls durch freiwillige Beiträge gebildet. Wir haben gehört, daß, als das Sozialistengeset erlaffen wurde, ein großer Nothstand innerhalb der Sozialdemokratie entstand. Es wurde eine große Anzahl von Sozialdemokraten aus Berlin ausgewiesen, Redakteure, Expedienten, Schriftfeger 2c. wurden brodlos. In solcher Lage ist es erklärlich, daß die beffer fituirten Sozialdemokraten diese durch das Sozialisten Geses geschädigten Parteigenoffen unterstüßten. Solchergestalt wurden Fonds gebildet. Der Oberstaatsanwalt meint: so viele Fonds können taum unentgeltlich verwaltet werden. Nun es fteht fest, daß die meisten Fonds, wie der Diätenfonds, der Unterstüßungsfonds u. f. w. von der Parteileitung, anderen Fonds in Zürich verwaltet wurden. Die Parteileitung war teine gewählte, sondern bestand stets aus den jeweiligen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten. Daß dieselben den Abg. Haffelmann ausgestoßen baben, spricht doch auch nicht im Mindesten für eine gefchloffene Organisation der Partei. Haffelmann wurde zunächst aus der Reichstags. fraktion ausgeschloffen, eine Handlung, die doch jeder Reichs tagstraktion zufteht. Würde eine solche Ausschließung eine ge fchloffene Organisation bedingen, bazu mußte die Bentrumspartet ebenfalls eine gefchloffene Organisation befigen, denn befannt lich hat diese den Abgeordneten Cremer vor einiger Beit von fich ausgeschloffen. Der Oberstaatsanwalt behauptet ferner, es hätten Gruppenbildungen bestanden. Nun es ist ja möglich, baß die Breslauer, die Münchener Sozialdemokraten u. 1. w. Versammlungen abgehalten haben, eine Handlung, die doch jedenfalls nicht verboten ist. Allein wenn wirklich Gruppen bildungen bestanden und diese mit der Parteileitung Verbinbung unterhalten hätten, dann mürde uns wohl der OberStaatsanwalt den Beweis für diese Handlungsweise geführt haben. Nirgends ist nachgewiesen worden, daß die Partei befoldete Beamte hat; im Gegentheil auf dem Wydener Kon Verantwortlicher Redakteur R.
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greß ift direkt betont worden, daß die Partei keine befoldeten Beamten habe. Der Dberstaatsanwalt hat ohne Weiteres an genommen, daß die Buchdruckerei in Zürich Eigenthum der Bartei ist, den Beweis hierfür ist er uns aber schuldig geblie. ben. Der Sozialdemokrat" war allerdings das Organ der Partei. Allein dies spricht doch noch keineswegs für eine gefchloffene Organisation. Der ,, Sozialdemokrat" war in derselben Weise das Organ der Sozialdemokraten, wie etwa die in Berlin erscheinende ,, Germania " das Organ der Zentrumspartei ist. Niemand wird aber aus dem legteren Umftande zu der Folgerung gelangen: die Zentrumspartei hat eine gefchloffene Organisation. Es ist richtig, die sozialdemokratische Arbeiter. Organisation. partei besteht nach wie vor.
Das geistige Band zwischen den einzelnen Sozialdemokraten besteht weiter und diese fühlen auch das Bedürfniß, von Beit zu Zeit einen Kongreß abzuhalten, an dem Jeder theil Dies bedingt nehmen kann, der fich zur Partei bekennt. feinerlei gefchloffene Organisation. Die nationalliberale Partei, bie Bentrumspartei u. a. haben vor einiger Beit ebenfalls Par teitage abgebhalten. Niemand wird aber aus der Abhaltung dieser Parteitage eine gefchloffene Organisation entdecken.
Die Verhandlung hat ergeben, daß nur eine einzige Ver trauensmänner Versammlung und zwar in Berlin stattgefunben bat; diese war aber polizeilich angemeldet.
Der Oberstaatsanwalt sagte: Wenn die deutschen Polizei behörden nichts von dem Vorhandensein einer Organisation entdeckt haben, so ist dies nur ein Beweis, daß die Sozialde mokraten ihre Organisation derartig zu verbergen wußten, daß ihnen nicht beizukommen war. Nun, bei aller Hochachtung vor der Intelligenz der sozialdemokratischen Führer, halte ich doch dafür, daß die deutschen Polizeibehörden bei ihrer großen Findigkeit wohl die Organisation entdeckt hätten, wenn fie eben vorhanden gewesen wäre. Der Oberstaatsanwalt sagt: Wenn eine geschloffene Verbindung vorhanden war, dann war fie eine geheime. Der Herr Cberstaatsanwalt läßt ganz außer Acht, geheime. Der Herr Oberstaatsanwalt läßt ganz außer Acht, baß die Sozialdemokraten in jeder Beziehung vollständig öffentlich handelten. Sie laden öffentlich zu den Kongressen ein, berichten über alle stattgehabten Versammlungen, quittiren öffentlich über alle eingegangenen Gelder. Der Sozialöffentlich über alle eingegangenen Gelder. Der Sozialdemokrat", in dem alle diese Veröffentlichungen geschehen, wird auf den Straßen Zürichs öffentlich verkauft, jeder Mensch in Deutschland hat das Recht, auf diese Zeitung zu abonniren ja ich bin überzeugt, jeder Staatsanwalt in einer größeren Stadt ist Abonnent des Blattes, gerade so wie ich persönlich es auch bin. Das Gesez spricht aber von geheimen Verbindungen, deren Dasein, Verfassung oder 3wed vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll." Daß das geschehen, ist in feiner Weise bewiesen.
so muß fie auch eine Verbindung unterhalten, ist mr unklar. Daß die Partei Kongreffe abhielt, tann doch etwa nicht füt: das Krimen sprechen. Es hat doch wohl Niemand geglaubt, daß das Sozialistengefeß die Hunderttausende, ja vielleicht Millionen beutscher Sozialdemokraten sofort aus der Welt schaffen würde. Die sozialdemokratische Partei blieb eben nach wie vo: bestehen und das geistige Band, das fie bisher umschlang, wurde durch das Sozialistengefeß nur noch fester geknüpft. Das geistige Band ersette eben das, was durch das Gesetz zerstört wurde. Eigenthümlich ist es jedenfalls, daß, obwohl, wie der Herr Oberstaatsanwalt behauptet, die Organisation der Sozialdemo fraten nach Erlaß des Sozialistengefezes nur von der äußeren Bildfläche verschwand, im Geheimen aber fortgesezt wurde, ich wiederhole, wiederhole, es ist höchft eigenthümlich, daß, trosdem die deutschen Polizeibehörden einen ganz immenſen Apparat in Szene setten, um das Treiben der Sozialdemokraten zu beob achten, nach vollen 7 Jahren diese geheime Verbindung noch nicht entdeckt worden ist. Der Herr Oberstaatsanwalt sagt: die Sozialdemokraten wußten ihre Organisation geheim zu balten. Ich bemerke hierzu: die geheimste Organisation ist wohl diejenige, die überhaupt nicht vorhanden ist. Der Herr Oberstaatsanwalt behauptet aber nicht nur, daß die Sozialdemo traten geheime Verbindungen unterhalten haben, er ist auch der Meinung, diese geheime Verbindung war unternommen, um das Sozialistengefeß durch ungefeßliche Mittel zu entfräften. Hierfür soll als Beweis der Antrag Auer gelten: das Wortgeset lich" aus dem Programm zu streichen. Ich meine, es tommt nicht darauf an, ob mein Kollege Auer im Reichstage den Mund etwas mehr oder weniger vollgenommen hat, auf mich hat seine diesbezügliche Erklärung feinen schreckenerregenden Einbruck gemacht. Ich habe aus seiner Erklärung nur den Sinn herausgelesen, den er ihr selbst untergelegt hat, d. h. eine Nicht anerkennung des Sozalistengesetzes. Die Zentrumspartei nimmt doch gegenüber den sogenannten Kulturkampfgeseßen denselben Standpunkt ein und Niemandem wird es einfallen, die Mits glieder der Zentrumspartei deshalb einer strafbaren Handlung. zu zeihen. Der Herr Oberstaatsanwalt sagte: die Sozial demokraten besaßen alle bürgerlichen Rechte, fie durften nur nicht gegen die Bestimmungen des Sozialistengesetes verstoßen. Allein wie uns Herr Auer mittheilte, wurde den Sozialdemo fraten zur Beit Alles und Jedes auf Grund des Sozialistengefeges verboten. Danach besaßen also die Sozialdemokraten alle bürgerlichen Rechte, wenn fie fich für politisch todt ertlärten. Eine Tödtung der Sozialdemokratie hat aber das Sozialistengefeß jedenfalls nicht bezwecken sollen und ich verdenke es Herrn Auer nicht, wenn er sagte: da man uns nicht mehr athmen laffen wollte, so gestatteten wir uns zu athmen, ohne Genehmigung der Polizei! Ich hätte es in gleicher Lage auch so gemacht. Das Strafgesetzbuch beftraft aber nicht bloß die Theilnahme an einer Verbindung, sondern diejenige Theilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll. Ob die Sozialdematratie überhaupt eine Verfassung befigt, dafür hat die Verhandlung nicht das Geringfte ergeben. Ueber das, was die Sozialdemo fraten bezweden, haben fie niemals Jemandem im Untlaren gelaffen. Allein der Herr Oberstaatsanwalt sagt: die Sozial Demokraten erzählen in ihrem Parteiorgan Allerlei und daraus ist zu entnehmen, daß noch etwas Geheimes dahinter steckt. So viel mir erinnerlich, hat der Herr Oberstaatsanwalt die große Intelligenz der Angeklagten hervorgehoben. Nun ich muß bekennen, daß Jemand durch seine Schriften c. der Bes hörde Material zu einer Antlage gegen sich selbst liefern werde, sollte man teinem Menschen mit gesundem Menschenverstande, am allerwenigften aber den Führern der sozialdemokratischen Bartei zutrauen. Der Herr Oberstaatsanwalt führt als be lastend an, daß die Sozialdemokraten ihren Anhängern strenge Verschwiegenheit anempfehlen. Dieses Verhalten war doch durch die Verhältnisse dringend geboten. Ich muß gestehen ich würde z. B. in Preußen den Mitgliedern der doch gewiß ungefährlichen deutschfreifinnigen Partei bisweilen ebenfalls eine gewisse Verschwiegenheit anempfehlen. Ganz besonders würde ich den preußischen Beamten rathen, ihre etwaige Zugehörigkeit zur deutschfreifinnigen Partei etwas geheim zu halten.
Daß den Parteigenossen Verschwiegenheit anempfolen wurde, lag doch wohl in den uns geschilderten Verhältnissen. Es ist z. B. ganz selbstverständlich, daß auf dem nächsten Rongreß über den Streit zwischen Bebel und Frohme, sowie über den zwischen Viered und Vollmar Verschwiegenheit bes obachtet werden wird. Was find denn eigentlich für Beweise erbracht worden? Wo find denn die Beugen, die uns befundet hätten, die Angeklagten haben geheime Verbindungen im Sinne ber§§ 128 und 129 des Strafgesetzbuches unterhalten. Der Oberftaatsanwalt sagt: Eine Verbindung war vorhanden und weil wir fie nicht fennen, so ist anzunehmen, sie war eine geheime. Nun, ich bin überzengt, der hohe Gerichtshof wird sein Urtheil auf solche Vermuthungen hin nicht begründen. Der Oberftaatsanwalt fagt ferner: Die Angeflagten wollten ihre Swede mit ungefeßlichen Mitteln erreichen. Einen Beweis hierfür ist uns der Oberstaatsanwalt aber schuldig geblieben. Der vielfach erwähnte Beschluß auf dem Wydener Kongreß spricht doch nicht etwa für diese Behauptung. In der Praris hat sich die Partei auf durchaus gesetzlicher Bahn bewegt und dies haben ihre Führer im Reichstage auch fiets betont. Die Aufforde rung zum Abonnement auf den Sozialdemokrat" ist doch etwa feine ungefeßliche Handlung? Meine Herren Richter! Dieser Prozeß erinnert mich unwillkürlich an den vor vierzehn Jahren in Leipzig stattgehabten Hochverrathsprozeß, in dem ich ebenfalls als Vertheidiger der damaligen Angeklagten Bebel und Liebknecht fungirte. Ich sprach es damals aus, daß das Anklagematerial dieses Prozesses in Berlin gesammelt worden ift. Und, meine Herren Richter, in dieser Beziehung scheint mir zwischen diesem und jenem Prozeß eine gewiffe Aehnlich feit obzuwalten. Ich sprach es in dem Hochverrathsprozeß aus: In Berlin ist das Material zu diesem Prozesse ge= sammelt und alsdann der Leipziger Staatsanwaltschaft zur Erhebung der Anklage Befehl gegeben worden. Derfelbe Fall scheint mir hier vorzuliegen. Ich frage nun, meine Herren Richter, warum führt die Berliner Polizei ihre Brozeffe nicht in Preußen?- Präsident: Herr Rechts anwalt, das gehört nicht zur Vertheidigung.- Wertheidiger: Doch, Herr Präfident, ich werde das sofort nachweisen. Die Angeklagten Heinzel und Frohme wohnen in Preußen, die Verhaftung der Angeklagten ist in Preußen erfolgt. Sollte Der Prozeß vielleicht deshalb nicht in Breußen geführt werden, weil das Elberfelder Landgericht eine ähnliche Anklage wie die gegenwärtige, die nach dem Wydener Rongreffe eingeleitet wurde, abgelehnt hat und weil die Rieler Staatsanwaltschaft fich nicht veranlaßt fühlte, die Anklage in der gegenwärtigen Sache zu erheben? Ich frage weiter: Weshalb wurde die Antlage gerade in Chemniz erhoben? Kein einziger der hier auf der Anklagebant figenden Angeklagten wohnt im Gerichts bezirk Chemniz. Sollte wirklich der zufällige Aufenthalt des nicht anwesenden v. Vollmar im hiesigen Gerichtsbezirke den bloßen Anlaß zur Erhebung der gegenwärtigen Anklage geurtheilen, alle anderen oppofitionellen politischen Parteien die, geben haben? Ich bin überzeugt, der hohe Gerichtshof wird fich von allen äußeren Einflüffen fern halten, sondern lediglich bas Ergebnis der Verhandlung prüfen und dann fann der hohe Gerichtshof nicht anders als zu dem Schluß gelangen: eine Verlegung der§§ 128 und 129 des Straf. Gefeßbuches ist
nicht vorhanden.
Es entsteht nun unwillkürlich die Frage: weshalb man gerade die gegenwärtigen Angeklagten vor den Richter zitirt hat? Warum nicht auch die anderen Führer der Partei? Ich fann mir nicht denken, daß man die in Kiel und Neumünster erfolgte Verhaftung der Angeklagten, die vom deutschen Reichstage gemißbilligt wurde, durch die gegenwärtige Ans flage fanttioniren wollte. Der Vertheidiger geht nun noch des Näheren auf die einzelnen Punkte der Anklage ein und fährt alsdann fort: Sichtet man das Material, so muß man zu dem Schluffe gelangen: die Angeklagten baben einer Vers bindung im Sinne der§§ 128 und 129 des Strafgesetzbuches nicht angehört. Im Uebrigen freue ich mich, daß die Ange legenheit zur öffentlichen Verhandlung gekommen und daß sie nicht in so sekreter Weise abgewiesen worden ist, wie dies von einigen Gerichtsbehörden geschehen sein soll. Die mündliche Verhandlung trägt ja vielfach zur Klärung bei, dies ist aber ganz besonders in der vorliegenden Sache in vollem Maße der Fall gewesen. Ich bin überzeugt, meine Herren Richter, Sie werden bei Ihrer Urtheilsabgabe den unsicheren Zustand, der durch diese Anklage nicht bloß auf der sozialdemokratischen Bartei, sondern auch auf allen anderen oppofitionellen poli tischen Parteien laftet, in Erwägung ziehen. Es ist richtig. Sie haben lediglich Recht zu sprechen, alle weiteren Folges rungen haben Sie nicht zu berücksichtigen. Allein Sie werden aber zu erwägen haben, daß, wenn Sie die Angeklagten vers
wie nachgewiesen, eine ähnliche Drganisation wie die Sozial demokraten haben, der Gefahr derselben Verurtheilung ausges fegt find. Dies fann aber das Strafgefeß feineswegs gewollt baben. Fast scheint es mir, als sollte jegt das Sozialisten gesez, nachdem es 7 Jahre bestanden, durch unser altes Straf gefeß noch ergänzt werden. Ich bin überzeugt, Sie werden bazu nicht beitragen und diesen Umstand bei ihrer Berathung wohl in Erwägung ziehen.
Präfident: Beabsichtigen die Angeklagten noch zu sprechen?
Angell. Bebel: Herr Präfident! Als wir Sonntag Nachmittag hier zusammentraten, um uns über die in unserem Prozeß innezuhaltende Taktik zu verständigen, kamen wir überein, daß nur zwei von uns, mein Freund Auer und ich, das Wort in der Bernehmung ergreifen und die übrigen Angetlagten fich unsern Aussagen einfach anschließen sollten. Diesem Uebereinkommen gemäß haben wir gehandelt. Der hohe Berichtshof wird uns das Beugniß ausstellen müffen, daß wir nicht mehr gesprochen haben, als für unsere Vertheidigung absolut nothwendig war. Auch haben die übrigen Angeklagten, getreu unserem Abkommen und obgleich ihnen während unserer Bernehmung gar manchmal das Herz auf der Bunge saß, ges schwiegen, was sicher wieder ein Beichen der ausgezeichneten Disziplin war, die in unserer Partei herrscht und die nach der Anllage ein Merkmal unserer geheimen Verbindung sein soll. Als dann gestern die Plaidoyers für heute angefest wurden, tamen wir zu dem Entschluß, von jedem weiteren Redenhalten abzusehen, wenn unsere Herren Vertheidiger, wie wir von vorn berein gar nicht bezweifelten, ihrer Aufgabe voll gerecht würden. Unsere Herren Vertheidiger find nun ihrer Aufgabe nicht nur gut, sondern ausgezeichnet gerecht geworden, und hieße es nur ihre Vertheidigung abschwächen, wenn wir derselben auch nur noch ein Wort hinzufügen wollten. Ich erkläre zugleich im Namen meiner mitangeklagten Genossen, daß wir auf jedes weitere Wort verzichten.
Vertheidiger Rechtsanwalt Mundel( Berlin ): Ich glaube, der Herr Oberstaatsanwalt verwechselt Partei und Verbindung. Man fann doch sehr wohl einer Partei angehören ohne Mitglied der betreffenden formellen Parteiverbindung über haupt zu fein, vorausgeseßt, daß eine solche Verbindung eriflirt. Der Herr Oberstaatsanwalt folgert: Da eine sozial demokratische Partei besteht, so muß auch eine Verbindung vor handen sein und den Beweis hierfür soll zunächst der Umstand er geben, daß eine Parteileitung existirt, die sogar den Ausschluß des Abgeordneten Haffelmann bewirkte. Nun ist es doch aber be fannt, daß jeder Parlamentsfraktion das Recht zusteht, Mitglieder von fich auszuschließen, welche die Prinzipien der Partei verlegen. Selbstverständlich hat diese Ausschließung auch gleich zeitig stets die Ausschließung aus der Partei, zu der sich der Betreffende bekennt, zur Folge. Niemandem ist es zur Beit eingefallen, die Bentrumspartei wegen geheimer Verbindung anzuflagen, weil die parlamentarische Fraktion dieser Partet, die wie bei allen Parteien die natürliche Parteileitung führt, den Abgeordneten Cremer von fich ausgeschloffen hat Das die Bartel Gelder sammelte, ja fogar Aufrufe zu Geldsammlungen erließ, lann doch etwa nicht für das Vorhandensein einer Ver bindung sprechen. Derartige Aufrufe werden bekanntlich von allen Parteien erlassen, ohne daß diese eine formelle Organifation haben. Selbst in der Norddeutschen Allgemeinen Beitung" findet man Aufrufe bebufs Geldsammlungen für den Wahlfonds der fonservativen Partei. Dies beweist doch aber nicht, daß die konservative Partei eine geschlossene Verbindung befigt Ebensowenig spricht für eine solche Verbindung das Vorhandensein eines offiziellen Parteiorgans. Bekanntlich befist jede politische Partei oftmals mehrere offizielle Breßorgane. Die sozialdemokratische Partei besigt nur ein einziges und tommt damit aus. Wie man zu dem Schluffe kommen kann, da die sozialdemokratische Partei ein offizielles Preßorgan befigt, Cronheim in Berlin . Druck und Verlag von May Bading in Berlin SW., Beuthstraße 2.
Der Präfident verkündet, daß die Urtheilsverkündigung am Mittwoch, den 7. Oktober, Nachmittags 4 Uhr, stattfinden wird und schließt alsdann die Verhandlung gegen 121 Uhr Mittags.
Hierzu eine Beilage.