Nr. 231.
Sonnabend, den 3. Oktober 1885.
II. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
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Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das Berliner Volksblatt
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 f. Boftabonnement 4 Mt. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)
Redaktion: Beuthstraße 2.
Der heutigen Nummer liegt für unsere auswärtigen Abonnenten die Nummer 44 des Juftrirtes Sonntageblatt" bei.
Bur bulgarischen Katastrophe.
Der offiziöfe Telegraph hat in der bulgarischen Ange Tegenheit die Rolle eines Diplomaten übernommen; ein Beschwichtigungstelegramm jagt das andere. Wollte man Alles, was nunmehr aus St. Petersburg , aus Ronstan tinopel, aus Sofia , aus Bukarest und aus Belgrad tele graphirt wird, für baare Münze nehmen, so müßte man die ganze bulgarische Angelegenheit als einen unglücklichen Bufall" betrachten, dessen unheilvolle Wirkungen in gemüthlicher Arbeit an den grünen Tischen der Diplomatie beseitigt werden können. Der König Milan von Serbien hat
die friedlichsten Absichten, allein er rüstet. Griechenland , im Begriff sich bis an die Bühne zu bewaffnen, läßt durch den Telegraphen erklären, daß es an triegerische Aktionen gar nicht dente. Aus Philippopel meldet sogar der Telegraph, daß man jede Agitation für einen Aufstand in Makedonien friegsrechtlich bestrafen werde, ein Versprechen, das um so interessanter ist, als es von ben Leuten ausgeht, bie soeben ben Umftura in Oftrumelien bewirkt und den auf Grund des Berliner Vertrags eingesetzten Gouverneur gegen das Völkerrecht verhaftet haben. In Rußland erfolgt das Verbot der Theilnahme russischer Offiziere und Freiwilliger an der bulgurischen Bewegung und dennoch strömen russische Offiziere und Freiwillige in Masse nach Bulgarien . Sie werden sich wohl denken, daß Sie werden sich wohl denken, daß fie wegen Uebertretung des Verbots nicht allzu hart bestraft werden dürfen. Auch auf Kandia regt es sich- man sieht, der europäische Orient ist wieder zu einem brodelnden Herentessel geworden und die Pforte soll ausessen, was barin gekocht wird. Und das Alles ist nur zufällig" getommen; das heilige Rußland ist an all diesen Dingen so unschuldig wie ein fleines Rind.
Die Versicherungen des offiziösen Telegraphen finden in ganz Europa feinen Glauben mehr; laut und deutlich sprechen es alle Blätter, die sich nur noch einen Schatten von Unabhängigkeit bewahrt haben, aus, daß es sich hier um einen wohlvorbereiteten russischen Koup handelt. Die Preffe hat bei solchen Gelegenheiten auch die Auf gabe, das Publikum nicht durch ein solches Gautelspiel täuschen Laffen, zu wie die offiziösen Telegramme aus dem Oriente aufgeführt haben. Rein Mensch im zivilisirten Europa wird leugnen wollen, daß die nun mehr als vierhundertjährige Herrschaft ber Osmanen auf der Baltanhalbinsel für die dort wohnenben Volksstämme unheilvoll gewesen ist. Die Paschawirth
adverboten.]
711
Feuilleton.
es
Das Mormonenmädchen. bob Amerikanische Erzählung
23 pon
Balduin Möllhaufen.
( Fortsetzung.)
Dieselben enthalten den Befehl für mich, nicht nur die Feindseligkeiten nicht zu eröffnen, sondern auch baldmöglichst eine bestimmte Person unter Eskorte nach der Salzfee Stadt zu senden. Diese ist nämlich beauftragt, dem Gouverneur Young mitzutheilen: ,, daß die Regierung der Vereinigten Staaten sich dafür dafür ents fchieben habe, auf die Vorschläge der Mormonen einzugehen, auf Grund beffen die Truppen aus der Nähe des Mormonengebiets zurückzuziehen und fernere Friedens unterhandlungen anzuknüpfen.
Insertionsgebühr
beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bei größeren Aufträgen hoher Nabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 the Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.
Expedition: Zimmerstraße 44.
schaft ist im Ganzen heute noch so schmählich wie sonst und das Alttürkenthum erstarrt und verhärtet in den Sagungen muhamedanischer Glaubensfäße, ist für einen zeitgemäßen Fortschritt immer noch unzugänglich. Wären dem unter nehmenden Midhat Pascha und seinen Genossen seine kühnen Pläne gelungen, die Türkei zu einem wirklichen modernen Staatswesen zu machen, so wäre die Wirkung davon auf die gesammten Stämme des Balkans zurückgefallen und das Verhältniß aller dieser Stämme zur Pforte wäre ein anderes, der Zeit angemesseneres geworden. Darin lag aber Darin lag aber auch die einzige Möglichkeit, die Situation auf der Balkanhalbinsel erträglicher zu gestalten. Innere Reformen an Stelle der politischen äußerlichen Veränderungen bas war die große Idee Midhat Pafchas. Das Alttürken thum widersetzte sich dem kühnen Neuerer und führte seinen schwer zu bezahlen; möglicher Weise damit, daß der Halb- süchtigen Pläne verfolgt, allen Verträgen zum Trop. Sturz herbei. Diese Verblendung hat das Alttürkenthum
fann auch ein fiegreicher Vorstoß eines türkischen Heeres gegen Bulgarien nichts mehr ändern. Daß der offiziöse Telegraph und gewisse Blätter die Aufgabe haben, diese Erft Aussicht möglichst zu verschleiern, liegt auf der Hand. wenn man vor der vollendeten Thatsache steht, werden die Rouliffen weggeschoben.
mond auf der Sophienkirche zu Konstantinopel durch das russische Kreuz ersetzt wird.
Wer bei dieser Sache nur sehen und hören will, der tann es. Rußland läßt sich durch solche Abmachungen, wie der Berliner Vertrag eine ist, absolut nicht darin stören, seine Pläne gegen Ronstantinopel zu verfolgen. Wir finden dies so gefährlich, nicht weil es gerade die Türken find, denen die Intriguen und Machinationen des heiligen Rußland gelten, sondern weil in der bulgarischen Ratastrophe der Beweis enthalten ist, daß mit dem großen Friedensstörer im Osten eben kein Frieden zu machen ist, daß das heilige Rußland durchaus rücksichtslos feine länder
Darin liegt auch das Charakteristische der dreiviertels asiatischen Macht, die in Europa die Vorherrschaft zu era reichen strebt. Hätte fie reichen strebt. Staaten, die als zivilifirt gelten wollen, müssen sich doch für verpflichtet erachten, große Staatsverträge ernsthaft aufzufassen und zu halten; für die Staats männer in St. Petersburg aber scheinen noch immer jeneAnschauungen maßgebend zu sein, auf Grund deren einst in wilden Zeiten die Häuptlinge der Mongolen und der Tar taren gegen den Westen vorzubrechen pflegten.
"
Die Pforte handelt mit vieler Mäßigung. Hätte sie wirklich, wie gemeldet wurde, den bekannten General Mut thar Pascha mit einem Heere nach Bulgarien gefandt, so wäre es ben Revolutionären von Oben" in Ostrumelien wahrscheinlich sehr schlimm ergangen, denn Mukthar Pascha ist kein Mann, der viel Federlesens zu machen gewohnt ist; er pflegt folchegordische Knoten", wie die bulgarische Frage einer ist, einfach mit seinem frummen Säbel zu zerhauen. Aber die Pforte ist nicht mehr so thatkräftig wie früher und fie Sie hat ihre guten Gründe dazu. Wie die All gemeine 3eitung in einer Korrespondenz aus Konstantinopel ganz treffend sagt, hält sich das offizielle Rußland von der Theilnahme an dem bulgarischen Konflikt zurück; um so thätiger ist das offiziöse Rußland , die zweite Seele des Riesenförpers. Das offiziöse Rußland eilt dem Bulgarenfürften ganz offen zu Hilfe und daraus kann man wohl den Schluß ziehen, daß der besiegte Battenberger von Rußland nicht im Stiche gelassen werden würde. Ohnehin gilt der neue türkische Unterstaatssekretär des Aeußeren für eine russische Kreatur.
Was käme dann, wenn die Bulgaren von den Türken bestegt wären?
Dann käme die russische Intervention; es würde wieder eine Konferenz, zusammentreten und über das Schicksal der streitigen Provinzen entscheiden. 1878 hat die von Ruß 1878 hat die von Ruß: land erst indirekt, dann direkt angegriffene Türkei die Beche für das Ganze zahlen müssen. Würde es diesmal anders werden? Schwerlich! Unserer unmaßgeblichen Meinung nach wird die Türkei Ostrumelien nicht wieder kriegen, ob es nun mit dem nördlichen Bulgarien vereinigt bleibt oder ob man ihm eine neue äußere Gestaltung perleihen wird. Daran
über den Lieutenant Weatherton, von welchem ja Niemand etwas wußte, zum größten Dank verpflichtet. Doch die Nacht rückt immer weiter vor, und nach Eurem Aeußern zu schließen, wollt Ihr gewiß nach Eurem eigenen Lager zurüdtehren, welches natürlich nicht weit von hier entfernt fein taun. Morgen früh gegen zehn Uhr werde ich die betreffenden Papiere, nachdem ich mit Rüdficht auf Euern Gefangenen das Erforderliche hinzugefügt habe, absenden, und, wenn Ihr um diese 3eit an der Mündung des Passes fein wollt, so könntet Ihr selbst mit zu den Ersten gehören, welche die Nachricht von einem hoffentlich dauernden Frieden im Thale des großen Salzsees verbreiten."
Bei diesen Worten reichte er Hertha mit freundlichem Nicken die Hand, worauf er sich dem Missionär zuwendete und ihn fragte, worin er ihm dienen könne.
Ohne näher auf das Verhältniß einzugehen, in welchem Editha und Hertha zu einander standen, bat der Geistliche für eine Dame und ihr Kind, welche ben Gatten und Bater verloren, daß ihnen eine Reisegelegenheit nach den Ver einigten Staaten , vorläufig aber nur nach dem nur wenige Tagereisen weit entfernten Handelsposten Fort Bridger, geftattet sein möge.
Ihr sehet daraus, meine liebe Miß, und auch Ihr, meine Herren, eine Auswechselung der Gefangenen, deren Bahl sich im Ganzen auf brei oder vier Personen beläuft, muß selbstverständlich stattfinden. Doch befize ich nebenbei Es war nämlich zwischen Jansen und dem Geistlichen die Macht, im Fall man fich darauf füßen sollte, daß der verabredet worden, daß letterer die junge Frau und ihr junge abenteuernde Schiffs- Lieutenant sich auf seine eigene Kind nach Fort Bridger begleiten, bort aber so lange mit Hand zum Gefangenen machen ließ, ihn mit Gewalt zu bedenselben harren solle, bis entweder Nachricht von Hertha freien, und so thöricht werden die Mormonen hoffentlich ober auch diese selbst bei ihnen eingetroffen sei. Der nicht sein, sich um eines einzigen Menschen willen in einen Missionär wollte dann wieder an den Columbia- Fluß zurück fehren, während die Schwestern unter dem Schuße irgend Krieg zu verwickeln." eines Militärkommandos ihre Reise nach dem Often fortzusegen gedachten.
Rein, gewiß nicht," versette Jansen ernst, oder fie würden fich weit eher geweigert haben, neben bem von ihnen felbft gewählten Gouverneur, um den Preis des Friedens, auch noch einen von der Vereinigte Staaten Regierung eingesetzten Kommissär bei sich aufzu
nehmen."
Gut, gut," entgegnete der General gelassen ,,, es fann sich zwischen uns nicht um politische Fragen handeln Unsere Busammenkunft hat einen rein privaten Charakter, und indem Ihr mir Gelegenheit gabt, mich Euch gefällig zu zeigen, habt Ihr mich anch durch Eure Mittheilungen
Der General ging sogleich auf das Ersuchen des Missio närs ein und stellte ihm frei, unter den fast täglich nach dem Missouri aufbrechenden Wagenzügen nach eigenem Er messen eine geeignete Reisegelegenheit für seine Schußbefohle nen auszuwählen. Außerdem fügte er die Versicherung hinzu, wie gern er bereit sei, dieselben noch mit Empfehlungsbriefen an einflußreiche Personen zu versehenen, um ihnen nicht nur eine freundliche Aufnahme, sondern auch verläßliche Rathschläge für ihr weiteres Fortkommen zu sichern.
So wird ein Stück vom ,, Testament Peters des Großen" nach dem andern verwirklicht. Katharina 11. ließ einst am Schwarzen Meer eine Tafel anbringen mit der Inschrift: Weg nach Konstantinopel !" Wenn man den Russen erst möglich gemacht hat, fich in Konftantinopel festzusehen, wie wird dann wohl die Inschrift auf dem politischen Wegweiser lauten, den sie dort aufstellen?
Politische Uebersicht.
Dem foeben in Kraft getretenen Unfallversicherungss gesetz widmet die Nordd. Allg. 3tg." einen längeren Artikel, in dem fie fich am Schluß folgendermaßen ausläßt: Geradeheute( am 1. Oktober) aber, wo das zuerst in Angriff ges nommene Wert der Sozialreform gleichsam seinen Abschluß erreicht hat, wo wir mit Befriedigung auf die Beit des Kämpfens und Ringens zurücbliden tönnen, haben wir uns auch zu erinnern, daß weitere Schritte auf dem Gebiete dieser Reform noch vor uns liegen. Nachdem aber bei diesen ersten Schritten der prinzipielle Widerstand überwunden, der geistige Kampf um die Biele ausgetämpft ift, giebt die heute erreichte Ueberführung dieses wichtigen Schrittes in das Leben des Arbeiters die Hoffnung, daß ohne die Kämpfe von gleicher Heftigkeit die weiteren Biele der allerhöchsten Botschaft vom 17. November 1881 erreicht werden können, und daß es unserem greisen Kaiserlichen Herrn noch vergönnt sein werde.
Hertha und der Missionär sprachen dem General ihren Dank in warmen Worten aus. Jansen dagegen schwieg während seine Stirn sich in finnende Falten legte. Hatte es zuerst in seinem Plane gelegen, fich in Fort Bridger von seinen beiden Nichten auf ewig zu trennen und in stiller Burückgezogenheit und strenger Ausübung religiöser Pflichten Ersatz für die ihm gewor denen Täuschungen zu suchen, so brachten des Generals Worte ihn auf andere Gedanken. Es verwundete sein natürliches Gefühl, die beiden Schwestern von fremben Men schen an fremde Menschen empfohlen zu wissen, und um biefem vorzubeugen, faßte er den Entschluß, nicht eher von ihrer Seite zu weichen, als bis fie fie zur zur Reise nach ihrem nordischen Heimathslande sich in New- York an Bord eines sichern und schnellen Schiffes begeben haben würden.
Bufrieden mit dem Erfolg ihres Besuches bei dem General, und allerfeits heiterer gestimmt über die Nachricht der frieblichen Ausgleichung der zwischen den Vereinigten Staaten und den Mormonen ausgebrochenen Mißhelligkeiten, trafen fie erst nach Mitternacht wieder in dem Lager des Miffio närs ein, wo sie von Editha Holmsten aufs freudigfte ema pfangen wurden.
Nach kurzer nächtlicher Ruhe waren sie indessen schon
wieder in Bewegung, um sich zum baldigen Aufbruch zu rüsten.
Der Missionär schlug die geradeste Richtung mitten durch das Feldlager ein, um sich langsam nach Fort Bridger hinzubegeben. Jansen und Hertha dagegen trafen zur beflimm ten Stunde in dem Engpaß ein, wo sie sich, wie verabredet war, der nach dem Salzfee bestimmten Kavallerie Abtheilung anschlossen.
Sie beabsichtigten, den Ueberbringer der Depeschen zus erst nach der Salzsee- Stadt zu begleiten, bort von dem Gouverneur noch eine besondere Ordre für Weatherton's augens blickliche Freilassung zu erwirken, und auf dem nächsten Wege Fort Utah zuzueilen.