Beilage zum Berliner Volksblatt.

. 278.

Parlamentsberichte.

Deutscher Reichstag .

6. Sizung vom 26. November, 12 Uhr. Am Tische des Bundesrathes von Schelling,

don Boetticher u. A. Erster Gegenstand der Tageso: dnung ist die erste Be­athung des in dieser Seffion zum dritten Male vorgelegten Antrages Reichensperger, wonach in Zukunft das Rechtsmittel der Berufung auch gegen die Urtheile der Straflammern zuläffig, und für die Verhandlung und Ent­heidung über diese Berufung besondere, bei den Land erichten zu bildende und mit fünf Richtern besetzte ,, Straf berufungsfammern" zuständig sein sollen. Die Straflammern würden dafür nach dem Antrage fünftig nur mit drei Richtern

befent fein. Abg. Reichensperger begründet seinen An rag in ingebender, aber auf der Journalistentribüne nur theilweise ftändlicher Rede. Er hätte nicht geglaubt, daß er den An überhaupt noch einmal einzubringen nöthig haben würde;

ine besondere fei es auffällig, daß gerade die Parteien, he immer der Fahne des Reichskanzlers zu folgen erflären, Lösung gerade einer so eminent humanitären und volta mlichen Frage nicht beitragen wollen. Es sei kein Argument gen die Berufung, wenn man anführe, daß die Ver blung vor der höheren Instanz nicht mehr das frische

Bild des Thatbestandes biete, wie die Verhandlung vor erften Inftanz. Gegen die allgemein eingeführte Berufung in Bivilprozessen habe niemals Jemand einen

lachen

olchen Einwand erhoben; auch sei nicht einzusehen, weshalb an die mehrfache Vernehmung derselben Beugen in Straf­perhorreszire. Die Zeugen, welche vor dem Gericht erster Instanz vernommen werden, seien ja doch schon meist mehrfach or her, z. B. von dem Untersuchungsrichter, von der Polizei 2c., bernommen worden. Eine mehrfache Beugenvernehmung werde lerdings durch die Wiedereinführung der Berufung noth bendig werden; jedoch sei dieselbe durchaus unbedenklich; jeden.

falls viel unbedenklicher, als die einer Reform dringlich bedür fenden jetzigen Vorschriften über den Voreid der Zeugen. Die Biedereinführung der Berufung werde nicht nur ein Korrektio

lein

gegen irrthümliche Urtheile der Straffammern, sondern ste

werde auch wesentlich dazu beitragen, solche irrigen Urtheile zu tole fiebt, wird erheblich sorgfältiger verfahren, als es jest in Derhüten; denn der erste Richter, wenn er über sich eine Kon­vielen Fällen noch geschieht. Auch in den Kreisen der Straf lenate beim Reichsgericht herrsche ein Gefühl des Unbehagens

ertläre

Freitag, den 27. November 1885.

überhaupt für nothwennig. Vor Allem aber stüße ich mich auf die Butachten, welche der Bundesrath von den deutschen Gerichten trahirt hat und die fich fast einstimmig, darunter auch die Staatsanwaltschaften, gegen die Berufung erklärt haben, einmal, weil sie gegen das Prinzip der Unmittelbarkeit und Deffentlichkeit verstoße, dann aber hauptsächlich, weil die bisherigen praktischen Erfahrungen nicht bewiesen haben, daß die Nichtausführung der Berufung zu besonderen Schäden ge führt hat. Gegen eine Ueberweisung des Antrages an eine Kommiffion habe ich nichts einzuwenden.( Beifall links.)

und des Unmuths gegenüber der heutigen deutschen Strafrechts­pilege; und man sei einig darin, daß dieselbe einer Reform bringend bedürfe. Selbst Herr v. Schwarze, der so wesentlich am Bustandekommen der Strafprozeßordnung mitgearbeitet hat, dieselbe jezt für revisionsbedürftig. Die Besorgniß, eingelegt werden fönnte, sei durchaus unbegründet. Gegen die Urtheile der Schöffengerichte werde erfahrungsgemäß nur in verhältnismäßig wenigen Fällen Berufung eingelegt; von Shefen Berufungen feien aber über 40 pCt. als begründet bes funden worden.( hört, hört!) Wende man nun ein, die Ur.

baß die Berufung gegen Straflammerurtheile oft mißbräuchlich

Gestrickte Socken u. Frauen- Strümpfe, a Paar 50, 60, 75, 80, 1,00, 1,25 Mt. Wollene gestrickte Gamaschen, a Paar 50, 80, 1,00, 1,25, 1,50 st.

II. Jahrg.

beiten, welche auf die Strafthat ein ganz anderes Licht werfen, aber die Berufung ist ausgeschloffen. Nach einer Verhaftung erscheinen in der Preffe alle der Polizei und dem Unters fuchungsrichter in der Voruntersuchung fich aufdrängenden Verdachtsmomente. Der Angeflaate ist also von vornherein in einer sehr üblen Lage; von der Mittheilung der ihm zustehen­den Rechte versteht er fein Wort, und, ehe er es erwartet, ist er verurtheilt. Hier fann allein die Berufung größere Rechts­ficherheit schaffen. Mit der Zeugenvernehmung ist das auch eine merkwürdige Sache. Hat doch im Prozeß Graef durch Vernehmung von höheren Richtern und Referendaren nicht einmal ficher festgestellt werden können, was in dem zu Grunde liegenden Brozesse eigentlich gefragt und beschworen worden ift. Da ist man nun zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Brotokolle nicht zweckentsprechend abgefaßt werden. Das ist ganz gut; aber, wie viel arme Leute mögen schon abgeurtheilt worden sein, wo man nicht darnach gefragt bat? Das voll­ständige Stillschweigen der Regierung in der heutigen Be rathung ist überaus merkwürdig.( Heiterkeit.) In der vor­jährigen Kommissionsberathung hat sich der Regierungs­tommiffar einfach darauf beschränkt, allem zu widersprechen. Sonst haben wir doch nicht gerade über Schweigfamkeit der Regierung zu flagen. Hier aber will das große Publi fum wiffen, was die Regierung dazu sagt. Die Klagen über au mangelhafte Benutzung des Ausschluffes der Deffentlichkeit finde ich durchaus unbegründet. In der Deffentlichkeit liegt ein erhebliches Moment der Rechtsgarantie. Was soll denn die Geheimnißträmerei, wenn doch die Urtheilever fündung und Begründung öffentlich stattfinden muß? Einer Reform der Strafprozeßordnung und selbst des Strafgesetzbuches wäre ich gar nicht abgeneigt, der Entwickelung unserer sozialen Bu stände entsprechen beide nicht mehr. Auch die Konservativen haben ja aus dem Prozeß Stöcker Bäcker diese Nothwendigkeit ertannt. Sie tönnen aber ganz zufrieden sein. Wenn ich z. B. wie Herr Kollege v. Hammerstein in der Presse die Richter beleidigt hätte, ich bätte das sicher mit ein paar Monaten ab­machen müssen, während er bedeutend gelinder weggekommen ift.( Heiterkeit.) Nach dem bestehenden Gesetz bat der Richter eine viel zu große Macht, er ist viel zu ſehr als Ideal Person fonftruirt, die er nicht ist und sein kann. Wir bedürfen größerer Rechtsgarantie und deshalb bin ich für den Antrag des Abg. Reichensperger. Unser Biel muß sein, daß auf Grund der gegebenen Gefeße teinem Menschen Ünrecht geschehe.( Beis fall bei den Sozialdemokraten.)

Abg. Mundel: Daß der Vorredner als National­liberaler gegen den Reichskanzler zu Felde zieht, ist interessant. ( Seiterkeit.) Ich erblide mit Herrn Reichensperger in dem Urtheil des Herrn Reichstanzlers teinen juristischen Sulfurs, sondern ich schöpfe aus seiner Anficht die hoffnung, daß der Antrag vielleicht diesmal mehr Erfolg haben tönnte als bisher. Wenn der Reichskanzler für den Antrag ist, so muß derselbe wichtig sein, und das rechtfertigt auch eine Kommissions­berathung. Ich wünschte aber, daß die Kommission fich nicht wie früher mit einer Resolution begnügt, sondern uns einen bestimmt formulirten Antrag unterbreitet. Die Sache ist bringend und wichtig, denn fte hängt zusammen mit dem Rechtsbewußtsein Der Nation, welches durch ble gegenwärtige Art der Rechtsprechung eine schwere Kränkung erleidet. Die Bulaffung der Berufung soll eine Vers befferung der Rechtsprechung sein nicht in dem Sinne, daß das zweitinstanzliche Urtheil beffer fein sollte als das erste, sondern daß das erste Urtheil besser wird dadurch, daß der erste Richter eine Instanz über sich weiß und in Folge dessen gründlicher und vorsichtiger verfährt in der Beurtheilung der thatsächlichen Verhältnisse. Wie diese bisweilen beurtheilt werden, dafür ist es schwer, einen parlamentarischen Ausdruck zu finden. Jest faffen die Richter ihre Erkenntnisse nur so ab, daß sie beim Reichsgericht in Leipzig nicht revifibel find, ie schlechter, um so unangreifbarer. Den Hinweis auf einen Verstoß der Berufung gegen die Unmittelbarkeit und Deffentlichkeit des Verfahrens fann ich um so weniger gelten laffen, als schon jest nicht blos im Falle der Wiederaufnahme des Verfahrens, sondern auch bei jeder Vertagung gegen diese Doktrin verstoßen wird. Denn bei jeder Vertagung fällt die sogenannte Frische der ersten Beugenvernehmung fort. So lange Sie nicht eine sachliche Kritit des ersten Urtheils ftatuiren, reicht eine Kritik vor dem Reichsgericht nicht bin, weil sie sich mit den tbatsächlichen Ver hältniffen nicht beschäftigt. Eine fachliche Kritit nur fann helfen, alle anderen Garantien stehen auf dem Papier. Oder sollen wir etwa auf diese Verbesserung verzichten, weil fie in die Theorie nicht past? hat doch der Reichss tangler eine staatsrechtliche Frage praktisch entschieden und die Theorie hat fie gerechtfertigt. Wir Rechtsanwalte wiffen am ersten, ob dem Angeklagten Unrecht geschehen ist oder nicht, das Bericht fann es nicht wissen und der Staats­anwalt bat fein Intereffe daran, daß das seinem Antrage fon forme Urtheil des Gerichts umgestoßen werde. Seßen wir die Berufung über den erfien Richter, so werden die Urtheile erfter Instanz so schön werden, wie fie es jetzt nicht sind, und es wird von dem Mittel der Berufung fast gar kein Gebrauch ge macht werden. Die Sache ist, ich wiederhole es, eine dringende und wir werden den Antrag so lange wiederholen, bis wir Erfolg haben. Jedenfalls dürfen Jedenfalls dürfen wir die Sache nicht bis zur Reform der Strafprozeßordnung verschieben.( Beifall

helle der Straffammern, als der Berufungsinstanz gegenüber ben Schöffengerichten, seien jedenfalls noch mangelhafter, als bie burch fie abgeänderten schöffengerichtlichen Urtheile, so stelle Daß man schon damit ein Argument liefere für die Berechtigung

an doch den Straflammern ein so schlechtes Beugniß aus,

der Forderung des Antrages. Das Haus möge in dieser Frage, Siele ftebe, jest schnell die so dringend nöthige Reform be ließen.( Beifall.)

Hartmann: Meine Fraktionsgenossen wünschen

thereinstimmend eine Reform der Strafrechtspflege. Die Straf

e Beilag

bg. Rojeßordnung hat auch bescheidenen Erwartungen nicht ent­ochen. Ob aber die Reform gerade in der Richtung des An es zu geschehen babe, ist eine andere Frage. Meines Er

ens würden die Vortheile der Berufung überreich durch theile ausgeglichen werden. Man sollte lieber das der

Strafprozeßordnung zu Grunde liegende System, welches bis. noch nicht genügend durchgebildet ist, weiter ausführen; follte statt der Wiedereinführung der Berufung die her durchaus mangelnden Garantien einer richtigen

Haber

Rechtsprechung in erster Instanz voll und ganz herstellen;

links.)

Abg. v. Graevenis( auf der Tribüne schwer verständ lich) erklärt sich im Wesentlichen mit dem Antrage Reichens­perger einverstanden. Man hat die Einführung der Berufung für unvereinbar erklärt mit dem Prinzip der Mündlichkeit, und darum in bestimmten prozessualischen Garantien einen Eriat für die Berufung schaffen wollen. Nach diesen unglücklichen Garantien hat man fast ein Jahrzehnt gesucht, ohne sie bis jezt gefunden zu haben, und doch wird feine prozeffualische Borkehrung die nochmalige richterliche Prüfung etsegen können.

Denn durch Garantien dieser Art wird man wohl den Jrr­thum des Angeklagten beschränken fönnen, nicht aber den Frr thum des Richters. Die Wiedereinführung der Berufung gegen Urtheile von Straflammern ist zur Nothwendigkeit geworden. Niemand vermag es zu begreifen, daß in Sivilsachen die Be rufung geboten sei, in Strafsachen aber nicht. Man kann ge troft sagen, daß ohne die Wiedereinführung der Berufung ein unsicheres Element in unsere Rechtspflege hineinkommen wird. Darum ist auch das Verlangen nach der Berufung ein so

hältnissen nicht die Möglichkeit haben, genügend für ihre Vers theidigung zu sorgen und die mit ihrem Hoffen vor Allem auf Richter und Staatsanwalt angewiesen sind. Aus diesem Grunde ist die Frage der Wiedereinführung der Berufung nicht zu verschieben bis zu der allgemeinen Revision der Strafprozeß ordnung. Die Vorberathung des Antrags wird am besten einer Kommission von 21 Mitgliedern übertragen.

Abg. v. Graeve( Bole) begründet die Wiedereinführung der Berufung unter Hinweis auf gewiffe politische Prozeffe feiner Heimathprovinz. Es ist vorgekommen, daß unter dem Eindruck politischer Voreingenommenheit polnische Beitungen wegen des Abdrucks von Artikeln strafrechtlich verfolgt find, bie in deutschen Beitungen unbeanstandet gelaffen find. Gegen die Richter soll darum nicht der Vorwurf der Ungerechtigkeit erhoben werden. Aber auch der Richter ist ein Mensch und gegen die Schwäche menschlicher Natur suchen wir eine Korrektur in der Berufung.

Garantien, die auch auf die Busammensetzung der Gerichte lebendiges. Es geht nicht aus von bestimmien juristischen udebnen wären. Ich spreche in dieser Sache aus lang Kreisen, sondern gerade von den Kreisen, die nach ihren Ver ng vor 1879 ichon keine Berufung mehr; damals verlangte riger praktischer Erfahrung; in Sachsen hatten wir 11 Jahre emand die Berufung, weil die nöthigen Garantien für rich Age Urtheilsfällung vorhanden waren. Die Stimmen, welche Fine Berufung verlangen, find auch in Sachsen erst nach Ein brung der Reichs Juftiagefeße laut geworden. Im Uebrigen tiäre ich nochinals namens meiner Freunde, daß wir die Durchgreifende, umfassende Reform der Strafprozeßordnung nb des Gerichtsverfassungsgesetzes für ein unabweisbares Bebot der Nothwendigkeit halten. Außer der Berufungsfrage And noch namentlich revifionsbedürftig die Bestimmungen über die Bereidigung der Beugen; es mangelt ferner an einer genügenden girung der Zeugenaussagen im Protokoll der Straffammerver blungen. Ob die Novelle vom vorigen Jahre wiederkehren wird, Diffen wir noch nicht; aber die Bause seit dem Schluß der vorigen Seffion hätte wohl benugt werden können, um die Revision auf eine wesentlich breitere Bafts zu ftellen. Insbesondere müssen auch ble Borschriften über den Ausschluß der Deffentlichkeit geändert werden, und es müßte dem Vorsitzenden des Gerichts die Befugniß Benommen werden, zu Verhandlungen, bei denen die Deffents Beruf und Gewerbe es ist, alles, was in ihre Hände kommt, bleit ausgefchloffen ist, gerade solche Leute zuzulaffen, deren fleunigft in die Deffentlichkeit zu bringen. Wir unsererseits unfer ceterum censeo ist: gründliche Reform der Strafpros Kordnung.( Beifall rechts.) Abg. Dr. Marquardsen: Ich halte diese Frage für Legenbeit, in der Jeder von uns nach seinem besten Wissen und

Staatssekretair v. Schelling: Die Schritte und Erörte rungen, welche hinsichtlich der Wiedereinführung der Berufung stattgefunden haben, sind ja offenfundig, das ganze Haus hat Davon Kenntniß; nur der Abg. Kayser scheint eine Ausnahme zu bilden. Der Bundesrath hat sich mit der Frage befaßt, aber die Nothwendigkeit einer Wiedereinführung der Berufung nicht anerkannt, wie Sie aus der Vorlage im vorigen Jahre ersehen haben. Die Gründe für die Entschließung des Bundesrathes find darin enthalten. Ich hatte also teine Veranlassung, die Gründe noch einmal zu wiederholen.

Abg.Kanser( Soz.): Die durch die jeßige Prozeßordnung gebotenen Rechtsgarantien genügen nicht. Der Bürger fann mit einer Menge von Bestimmungen gar nichts anfangen, er geht zu Gericht mit dem Gefühl der Furcht, durch einen Fehler, den er begeht, der Verurtheilung anheimzufallen. Einen Ad.

über

Abg. Dr. Windthorst: Daß unsere Kriminalrechtspflege das Vertrauen zur Justiz herabgestimmt hat, fann fein Mensch leugnen. Eine Erörterung der Gründe würde zu weit führen und könnte leicht Erregung hervorrufen, welche wir vermeiden wollen. Vor Allem liegt ein Grund darin, daß so vielfach Tendenzprozesse geführt werden( fehr wahr! links und im Ben trum), welche die Richter mehr und mehr in politische Streitige Teiten hineinziehen. Ich freue mich jedes Mal, wenn die Ge leider nicht oft der Fall ist. Müffen doch jest wieder in richte mannhaft derartigen Versuchungen widerstehen, was ganz Deutschland Erörterungen Diätenfrage die Runde machen.( Sehr gut! links und Die unglückliche im Bentrum.) Wer hat denn diese Klage überhaupt für begründet erachten fönnen? Ich bin hier zugegen gewesen, bezüglich der Klageanstrengung mitgewirkt haben, baben die als jener Paragraph der Verfaffung gemacht wurde, Alle, die Verhandlungen gleich mir gehört, und doch haben sie geglaubt, daß man diese Frage zur gerichtlichen Kognition bringen fönne. Das nennt man doch Gerichtspolitik treiben; das heißt nicht die Achtung der Gerichte vermehren. Aber diesmal haben ste fich mannhaft gehalten. Die Regierung wird hoffentlich ein­fehen, daß es nicht zu ihrem Ansehen beiträgt, wenn sie die Sache noch weiter fortführt.( Beifalls links und im Zentrum.) Wir haben allerdings Ursache, unsere bestehende Prozeßordnung zu ändern, aber ich erkläre, daß ich einer umfassenden Revision in diesem Augenblid unter feinen Umständen zustimmen fann. Die politischen Parteien stehen nicht so, daß fie ein objektives Gesez hervorbringen können.( Unruhe rechts.) Ich würde mich daher auch gegen den vorliegenden Antrag erklärt haben, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß die Wiedereinführung der Berufung unabweisbar ist. Ich freue mich, daß heute bei nahe Einstimmigkeit in dieser Frage hervorgetreten ist. Wenn daher Staatssekretär v. Schelling geglaubt hat, es wäre nicht nöthig, auf die Sache näher einzugehen, weil alles bekannt sei, so ist dies nicht in der Ordnung, denn die Mehr zahl der Parlamentsmitglieder kann nicht in dieser Sache auf bem Laufenden bleiben. Besonders hätte ich von den anderen Mitgliedern des Bundesrathes, welche gegen diesen Bunkt vo tirt haben, eine Angabe ihrer Gründe erwartet.( Seiterkeit.) Die Hauptschwierigkeit hat ja gelegen in der Konstruktion der Gerichte, welche über die Berufung zu befinden haben würden, und man hat die Kosten gescheut für neue Stellen höherer Richter. Aber es tann ja, wie es der Antrag empfiehlt, auch ein anderer Senat, eine besondere Berufungskammer deffelben Gerichtes Recht sprechen, aber niemals dürfte ein Richter in der Berufung mit entscheiden, der schon in der ersten Jn ftans Recht gesprochen hat. Sind die Richter wirklich feste Charaktere, welche fich von Außen nicht beeinfluffen lassen, vor allen Dingen teine Streber( sehr wahr! links und im Bentrum),

werden in dieser Richtung, thun was in unseren Kräften steht; volaten fann fich der arme Mann nicht annehmen, er denkt dann wird ein richtiges Urtheil schon zu Stande lommen. Nach

im Gefühle seiner Unschuld, ihm tönne gar nichts pafftren, plöglich fieht er fich so eingeengt, daß er nicht aus und ein weiß. Dadurch ist in weiten Kreisen der Bevölkerung das Gefühl der Rechtssicherheit geschwunden. Die Vortheile einer Reform, wie fie der vorige Entwurf bot, waren sehr zweifel­

Benifien entscheidet. Auch das Urtheil des Herrn Reichslanz haft, fie waren nur dazu angethan, eine Verurtheilung zu er

Lers

zu Gunsten der Berufung lann für mich nicht maßgebend ein. Jedenfalls ist die Mehrheit des Bundesraths in diesem Buntie dem Reichskanzler nicht gefolgt. Für den Antrag Steichensperger ist weder die historische Entwickelung noch die

leichtern. Wie der Herr Abg. v. Graeve über eine Bedrän gung der polnischen Nationalität durch deutsche Richter klagte, o lann ich das Gleiche bezüglich uns Sozialdemokraten gegen über den sächsischen Richtern thun. Nicht nur in politischen,

jo

orie. Einige Staaten hatten die Berufung abgeschafft. auch in gewöhnlichen Prozessen ist man stets der Gefahr aus baben die Berufung bei den Schöffengerichten beibehalten, gefeßt, härter beurtheilt an werden, sobald die politische Partei

aber nicht, weil wir sie für absolut nothwendig hielten. Ich bin gegen die Berufung, weil ich fie für unvereinbar halte mit Dem Brinzip der Unmittelbarkeit und Deffentlichkeit des Verfah tens, Der Grundlage einer richtigen Strafrechtspflege. An der

ftellung als die unserige befannt ist. Der Richter, welcher an bem betreffenden Orte mit seinen Interessen mitten im Leben und im Varteigetriebe steht, beurtheilt die Dinge bei weitem nicht so unbefangen, als der höher stehende Richter. Sehr häufig Berufung als einer höheren Garantie. entfinnen fich Beugen erst nach Ablauf der Verbands

Sige der Gegner der Berufung steht unser früherer geachteter Diese Erfahrung führt auf die Wiedereinführung der

Rollege,

Der

Generalstaatsanwalt v. Schwarze.

Auch

Mittelstädt ist kein Vertreter der Berufung, er hält nur,

te ich felbft, eine gründliche Reform der Strafprozeßordnung lungen durch die Aussagen anderer Zeugen neuer Einzel­

dem heute vorliegenden Antrage wäre es besonders erwünscht, menn diejenigen Bundesrathsmitglieder, welche früher fontra votirt haben, angeben wollten, ob die Gründe noch dieselben find.

Abg. v. Helldorff hebt nochmals hervor, daß gerade der legte mehrfach erwähnte Prozeß gezeigt habe, wie ver derblich die Deffentlichteit auf die Rechtsprechung einzuwirken im Stande sei. Davor müßten die Gerichte vor allen Dingen geschüßt werden, es liege dies im Jnteresse der Nation, der Rechtsprechung und Justiz. ( Beifall rechts.)

Nach einer kurzen Schlußbemerkung des Abgeordneten Reichensperger wird der Antrag an eine Kommission von 14 Mitgliedern verwiesen.

Es folgt die erste Berathung des von dem Abg. Lenz­mann eingebrachten, von Mitgliedern der freifinnigen und Boltspartei unterstüßten Antrags auf Annahme eines Geset entwurfs, betreffend die Entschädigung für un schuldig erlittene Untersuchungs­Strafhaft.

und