8.

Beilage zum Berliner Volksblatt.

r. 296

Politische Uebersicht.

Die Intereffenpolttit, die jest leider im deutschen Par­lamente in einer Weise wie nie zuvor zum Ausdruck kommt, wird in einem Leitartikel der Boff. 3tg." eingehend be sprochen. Nachdem das Blatt darauf hingewiesen, daß fich die Begehrlichkeit des grundbefizenden Adels und namentlich besjenigen in den öftlichen Provinzen stets gesteigert babe, Schreibt es wörtlich: Bis 1849 hat fich das Junkertbum den erimirten Gerichtsstand und die Patrimonial Gerichtsbarkeit zu ethalten gewußt; weitere 23 Jahre hat es die Abschaffung der patrimonialen Polizei zu vereiteln verm cht, und seit dem Jahre 1872 lämpft es mit dem gleichen Erfolge für die Erbaltung des legten Restes seiner feudalen Privilegien, die Beibehaltung der gute heri lichen Polizei, und lebnt damit erfolgreich seine Verpflichtung ab, nach gemeinem Rechte zu den kommunalen Lasten, insbesondere zu dem Schulwesen und dem Wege. bau, beizutragen. Auf wirthschaftlichem Gebiete hat es seine Wünsche im Wesentlichen auf die Wiederherstellung seines Jagdrechts und auf die Beibehatung seiner Grund, Steuerfreiheit beschränkt. Daneben her ging auch ein wenig Schnapspolitit, aber bei Weitem nicht in dem Maße, wie dies beute der Fall ist. Wie klein, wie harmlos scheinen diese Bestrebungen gegenüber den wirthschaftlichen Sonderinteressen des Grundbefiges, die heute verfolgt werden. Es ist schwer, ein Gebiet des Staatslebens aufzufinden, auf welchem die lonservative Partei in Verbindung mit den feudalen Elementen des Bentrums ihre Majorität nicht zur Geltung gebracht hat. In der direkten Befieuerung verlangt fie eine scharfe Heran ziehung des mobilen Kagitals durch eine Rentensteuer und schließt in willkürlicher Weise die Grundrente von dem Begriff der Hente aus. Der Börse hat fte eine neue Steuer auf gelegt, die, wie man auch sonst über dieselbe urtheilen möge, ohne jede genauere Kenntniß von dem Wesen des Handels­geschäfts ausgearbeitet ist, den Verkehr auf das äußerste er schwert und schließlich nicht diejenigen finanziellen Resultate auf die man gerechnet hat. Die Ge bringen wird, treidezölle, die Holzzölle kommen nicht der Landwirth schaft, sondein wenigstens in überwiegendem Maße dem Großgrundbefiß zu Gute. Jedes landwirthschaftliche Brodult bis zur Bichorie herunter ist durch Bölle begünstigt. Der Buderindustrie sind jahrelang hohe Exportprämien bezahlt, die heute nicht mehr abgeleugnet werden fönnen, und die zur Störung des Gleichgewichts der Finanzen des Reiches und des Staates den Löwenantheil beigetragen haben. Wenn auch nicht in demselben Umfange, erfreut fich die Spiritus Industrie doch der gleichen Bevorzugung." Und zum Schluß heißt es: Man wird fich in der Geschichte vergeblich nach einem Beis spiele umsehen, wo eine Intereffenpolitik so nachdrüdlich und fo unverhüllt getrieben worden ist; man preist es ja geradezu als einen Fortschritt, daß die Beit vorübergegangen fit, wo man idealen Bielen nachjagte, und daß jezt die parla mentarischen Kämpfe zu einem Mittel geworden find, wider ftreitende wirthschaftliche Intereffen durchzufämpfen. An das Ende solcher Agitationen denkt Niemand, und doch ist es un weifelhaft, daß dieses Ende eintreten wird und daß der Beit­punkt, wo dies geschehen wird, nicht sehr lange ausbleiben lann."

Diefe Ausführungen der Voff. Btg." entsprechen vollstän­big der Wirklichkeit. Doch wollen wir noch hinzufügen, daß nicht nur die tonservativen, sondern auch die liberalen Barteien Die idealen Biele längst bei Seite gestellt haben. Es ist noch nicht so lange her, als die Liberalen für jede ihnen auf wirth fchaftlichem Gebiete gewährte Konzeffton etne politische Freiheit verschacherten und ideale Forderungen verleugneten. Ideale Biele verfolgt heute nur noch die Arbeiterpartei, welche auch die& bschaft antreten wird, wenn die alten Parteien abge­wirthschaftet haben.

In dem Diätenprozeß Fiskus contia Hajenclever findet am 13. Februar in Naumburg ebenfalls der Termin zur Verhandlung in zweiter Instanz statt, wie schon gegen den deutschfreifinnigen Abg. Lerche.

Zu den Erörterungen über das allgemeine gleiche Wahlrecht bemerkt die" Volteztg.": Bitiren wir einen Beugen, welcher auch von der Kreuzzeitung " als einmandsfrei anerkannt werden wird, nämlich die Kreuzzeitung " felbft: Das Blatt des Herrn von Hammerstein schrieb im Jahre 1882 also nur ein Jahr, ehe der Abg. von Hammerstein im Ab­geordnetenhause für eine vorläufige Konservirung des allge­meinen Wahlrechts eintrat:

So lange das allgemeine geheime, direkte Wahl­recht die Stimme eines Halbblödsinnigen gleichwerthig macht mit der eines im Staatsdienst oder im öffentlichen Leben erfahrenen und wohlverdienten Mannes; so lange die Gestaltung unserer Gesetzgebung im legten Grunde abhängt von der unorganischen, urtheils lofen Maffe- so lange wird auch das unfittliche Treiben demagogischer Wühlerei, welches fich an die niedrigsten Instinkte des Volkes wendet, die Oberhand Goethe's Ausspruch von der Macht des ,, Niederträchtigen" fich bewahrheiten."

Wie fich doch die Ansichten ändern! Heute leugnet die­felbe ,, Kreuzzeitung ", daß die Konservativen Gegner des allge meinen gleichen Wahlrechts find. Sollte den Herren wirtlich die Erkenntniß gekommen sein, daß die urtheils lose Maffe" das Verhalten der Ronservativen sehr gut zu beurtheilen

Dermag?

Matrikularbeiträge. Die Berechnung der nach dem Reichshaushalts Etat für 1886-87 zur Dedung der Gesammt ausgabe aufzubringenden Matrikularbeiträge ift dem Reichs­tage zugegangen. Danach find im Ganzen an Matrikularbei Davon entfallen auf tragen aufzubringen 138 440 391 M. Breugen 72 296 032 M., Bayern 25 164 093 M., Sachfen 7873 345 M., Württemberg 9 395 177 M., Baden 6 604 461 Dart, Beffen 2481 520 M., Medlenburg- Schwerin 1 529 331 Mart, Sachsen Weimar 820 452 M, Mecklenburg - Strelit 265 736 M., Oldenburg 894 396 M., Braunschweig 925 283 Mart, Sachsen- Meiningen 548 797 M., Sachsen- Altenburg 410 882 M., Sachsen- Koburg Gotha 516 043 M., Anbalt 616 423 M., Schwarzburg Sondershausen 188 450 Mart, Schwarzburg Rudolstadt 212 803 M., Walded 149 797 Mart, Steuß ältere Linie 134 584 M, Reug jüngere Linie 268 548 Mark, Schaumburg- Lippe 92 750 M., Lippe 318 680 Mart, Lubed 168 478 Mart, Bremen 415 353 M., Hamburg 1 202 859 Mart und Elsaß Lothringen 4945 118 M.

Auf Grund des Sozialistengesetes verbietet die fgl. fächsische Kreishauptmannschaft Bwidau die unter dem Titel: Meeraner Wochenblatt und Anzeiger. Amtsblatt für den Armenrath zu Meerane " erschienene sozialdemokratische Flug schrift, welche am Schluffe die Angabe: Verantwortliche Re Dattion und Verlag von E. J. Schulze's Nachfolger in Meerane " enthält.

Freitag, den 18 Dezember 1885.

Frankreich .

Dem Eifer der Patriotenliga verdankt Frankreich die Ein­richtung der sogenannten Süßen bataillone, deren Ausbildung zur Förderung des Patriotismus und als Vorbe reitung des fünftigen Revanchefrieges dienen sollte. Die Ein­richtung ist kaum ein paar Jahre alt, aber schon beginnen die Franzosen des Spiels müde zu werden. Wie der Voff. 8tg." telegraphirt wird, hat der Neuillyer Gemeinderath beschlossen, das dortige Schülerbataillon aufzulösen, da die Einrichtung fich für die militärische Ausbildung als werthlos erwiesen und die Schuljugend blos zuchtlos gemacht und an Rauchen und Trinken gewöhnt habe. Andere Gemeinderäthe wollen diesem Beispiel folgen. So ist es auch beffer!

Großbritannien .

Deffentlich leugnet sowohl Herr Gladstone, wie auch Herr Salisbury, mit Parnell Verhandlungen gepflogen zu haben, während insgeheim von beiden Seiten um die frische Freund schaft geworben wird." Standard" erfährt, Gladstone wolle, falls er die Staatsleitung wieder übernehme, die irische Frage auf folgender Grundlage lösen: Aufrechterhaltung der Reichs­einheit und Autorität der Königin; Suprematie des Reichs. parlaments; Bildung eines irischen Barlaments, welchem die legislativen und Verwaltungs Angelegenheiten anvertraut wer­den sollen, jedoch mit Bürgschaften für Bertretung der Mino­ritäten und der billigen Bertheilung der Reichslasten. Eine dieser Bürgschaften würde die Ernennung eines gewissen Verhältnisses der irischen Abgeordneten durch die krone sein. Es wird angenommmen, daß der Standard" seine In formationen aus der Denkschrift geschöpft habe, welche Glad stone an die Königin über die irische Frage richtete. Herr Barnell wird sich schwerlich damit zufrieden stellen laffen, daß Die Krone das Recht haben soll, eine Anzahl Deputirter ins zukünftige irische Parlament zu schicken.

Amerita.

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Nach einer aus San Franzisto hier eingegangenen Depesche entdeckte die dortige Bolizei eine sozialistische(?) Verschwörung, welche die Ermordung des Gouverneurs von Kalifornien und anderer angesehener Bürger zum Swede hatte. Mehrere Ber haftungen haben stattgefunden. Soweit uns belannt, giebt es in San Franzisto nur wenig Sozialisten, es ist schon des­halb mehr wie auffällig, daß die Verschwörung eine fozia listische" gewesen sein soll. Voraussichtlich wird sich auch in diesem Falle wieder herausstellen, daß die Sozialisten mit der Verschwörung" nicht das Geringfte zu thun hatten.

Parlamentarisches.

Kommunales.

II. Jahrg.

Stadtverordneten- Versammlung.

Sizung am Donnerstag, den 17. Dezember. Der ftellvertretende Stadtverordneten Vorsteher Herr Büchtemann eröffnet die Versammlung um 5% Uhr mit geschäftlichen Mittheilungen. Die Abtheilungen haben die Wahl von 15 Mitgliedern für den Ausschuß zur Vorberathung der Vorlage, betreffend die für das Jahr 1886 erforderlichen Erweiterungen und Erneuerungen auf den städtischen Gas anstalten und am Rohrsystem in der Stadt, sowie von 15 Mitgliedern für den Ausschuß zur Vorberathung der Neuwahl der Mitglieder der Einschäßungs- Kommission für die klaffift zirte Einkommensteuer pro 1886/87 vollzogen. Frau Dr. Straßmann hat ein Schreiben an die Versammlung gerichtet, in dem sie ihren innigen Dank für die herzliche Theilnahme ausspricht, die ihr die Stadtverordneten- Versammlung anläßlich des Ablebens ihres Mannes bezeigt hat.

Nach Eintritt in die Tagesordnung wird ein Naturalisas tionsgesuch geschäftsordnungsmäßig erledigt.

Wahl des Stadtverordnetenvorstehers. Ab gegeben werden 111 Stimmzettel; davon ist 1 unbeschrieben; Die absolute Mojorität beträgt 56 Stimmen. Es erhalten Herr Büchtemann 63, Herr Dr. Stryd 46, Herr Dierich 1 Stimme. Gewählt ist Herr Büchtemann. Der Ge wählte nimmt die Wahl unter Dantesworten an. Er bittet um Nachficht für seine Geschäftsleitung und verspricht eine un parteiische Handhabung derselben. Er schließt mit den Worten: Ich trete mein Amt in der Ueberzeugung an, daß der that fräftige, bürgerliche Sinn, der so schöne Schöpfungen in Berlin im lezten Jahrzehnt geschaffen hat, in Shnen, meine Herren, gleich lebendig und mit ihm der humane Sinn verknüpft qleiben möge, welchen die Versammlung bisher gegen die noth leidenden Mitbürger bewiesen hat. Ich hoffe, daß dieser Bürgerfinn bei Stadtverordneten und Magistrat bestehen und auch fernerhin seine Früchte tragen wird. Ich glaube, nichts Besseres versprechen zu können, als daß ich die Geschäfte der Bersammlung im Sinne und im Geifte meines verewigten Vorgängers im Amt weiter zu führen bemüht sein werde. ( Beifall.)

Nunmehr ist die Wahl eines stellvertretenden Stadtver ordneten Vorstehers erforderlich geworden. Dieselbe wird ge schäftsordnungsmäßig in der zweitnächsten Sigung erfolgen.

Die nächste Sigung wird auf den 30. dieses Monats feft

gesett. Interimsbrüde für den Neubau der Moltke brüde. Der Ausschuß beantragt durch seinen Berichterstatter, Stadtv. Nikolai, die Ablehnung des Baues der Interims. brüde. Die große Ausgabe( nominell: 77 000 M.) tönne ge spart werden. Der Verkehr sei durchaus nicht so bedeutend und die Pferdebahngeleise tönnen mit 280 Meter Umweg über die Alsenbrücke oder wenn diese wegen ihrer ge ringen Breite nur ein Geleiſe belommen tönnte, zum Theil über die Kronprinzenbrüde am Alexanderufer entlang geführt werden.

Die sozialdemokratische Fraktion des Reichs tags hat in ihrer legten Sigung einmüthig beschloffen, für die Regierungsvorlage, ben Nordostseetanal betreffend, zu ftimmen. Spezielle Wünsche, denen die Redner der Partei im Plenum Rechnung zu tragen haben, wurden laut in Bezug auf die Trennung der militärischen von den handelspolitischen In­tereffen, ferner bezüglich der Lohnverhältnisse der bet bem Kanalbau beschäftigten Arbeiter. Doch wurde ausdrücklich betont, daß alle diese Bedenken nicht ausschlaggebend sein tönnten auf die Gesammtabstimmung. Die sozialdemokratische Fraktion wird also ohne jegliche Bedingung für die Regierungs­Fraktion wird also ohne jegliche Bedingung für die Regierungsantrag abzulehnen und den Magistratsantrag auf Bau der vorlage fich erklären.

- In der Arbeiterschußtommission des Reichs­tags wurde gestern die Debatte über die Reorganisation der Reichs- Arbeitsämter fortgesezt. Abg. Auer spricht für die Nothwendigkeit der Einführung derselben, während Dr. Lieber folgende Resolution beantragt: 1. Der Reichstag wolle be schließen, unter Ablehnung des Antrages Auer, den Herrn Reichstanzler aufzufordern, die Vermehrung der Bahl der Fabril Reichskanzler aufzufordern, die Vermehrung der Bahl der Fabril. inspettoren unter gleichzeitiger Verkleinerung der Aufsichtsbezirke überall da herbetzuführen, wo fich das Bedürfniß einer solchen

Stadtv. Wied vertritt die Ansicht der Minorität des Ausschusses. Die Konstruktion der Alsenbrücke sei nicht ge eignet, einen größeren Lastenverkehr auszuhalten. Außerdem werde nach Eröffnung des neuen Backhofes der Laftverkehr über diese Brüde gehen. Der Redner ersucht, den Ausschuß­

interimistischen Brücke anzunehmen.

Stadtv. Seiter rechtfertigt den Ausschußantrag. Stadtv. Dr. Kürten hält eine Interimsbrücke für durch aus nothwendig.

Stadto. Dopp bittet, den Ausschußantrag anzunehmen. Es sei allerdings bekannt, daß in der Fraktion der Majori: ät beschloffen worden sei, den Ausschußantrag abzulehnen. Er( Redner) hoffe, daß die fachlichen Gründe im Plenum stärker sein würden, als ein Frattionsbeschluß hinter den Kouliffen.

Stadtbaurecht Sobrecht erklärt den Bau einer Jn terimsbrücke für nothwendig und unerläßlich. Die Eisenton 6000 Kg. pro Wagen, während schon für einen großen Pferde bahnwagen 8500 Kg. Tragfähigkeit erforderlich ist. Auch den töniglichen Behörden gegenüber erleichtere man fich die Stellung ungemein, wenn man den Bau einer Interimsbrücke beschließe.

Bermehrung zur vollkommenen Erreichung der Aufsichtszwecke ſtruktion der Alfenbrücke habe höchstens eine Tragfähigkeit von herausgestellt hat oder noch herausstellen wird. 2. Den Herrn Reichetanzler aufzufordern, beim Reichstag den Entwurf eines Gefeßes, betreffend die obligatorische Einführung von Gewerbe gerichten, mit der Maßgabe baldthunlichst vorzulegen, daß die Mitglieder derfelben zu gleichen Theilen von den Arbeitgebern und von den Arbeitern in getrennten Wahlkörpern und in un mittelbarer, gleicher und geheimer Abstimmung gewählt werden." - Ein Beschluß wurde nicht gefaßt.

- Die Polen haben nunmehr ebenfalls einen Antrag in Bezug auf die Ausweisungen eingebracht, welcher folgenden Wortlaut hat: Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, in Ausführung des Artikels IV, Nr. 1 der Reichsverfaffung einen dahingehenden Gelegentwurf balomöglichst vorzulegen, in welchem den fremden Unterthanen insofern diefelben die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährden, der freie und ungehinderte Auf­enthalt innerhalb des Reichsgebietes gewährleistet und in wel­Bewohnern der ehemals polnischen Landestheile innerhalb des preußischen Staatsgebietes Freiheit des Verkehrs und des Auf­enthalts garantiren, gebührend Rechnung getragen werde." Als Antragsteller ist der Abg. v. Jazdzewsli unterzeichnet. Die drei Anträge, welche dieselbe Angelegenheit behandeln, sollen gleichzeitig zur Debatte gestellt werden und zwar veraussichtlich am ersten Schwerinstage" nach den Ferien, d. h. am 13. Januar. J. t

- Die Kommission des Reichstags für die Einfüh rung der Berufung begann die zweite Lesung ihrer Beschlüsse. Der das Prinzip der Anträge enthaltende§ 354 der Strafprozeßordnung, wonach die Berufung stattfindet gegen Die Urtheile der Schöffengerichte und gegen die Urtheile der Straflammern in erster Instanz, wurde mit großer Majo rität angenommen. Wie in erster Lesung beschlossen, sollen Strafberufungslammern bei den Landgerichten gebildet wer den.§ 76 des Gerichtsverfassungs- Gesezes wurde in folgender von den Beschlüssen erster Lesung abweichenden Fassung ange­nommen: Die Straflammern find als erkennende Gerichte ferner zuständig für die Verhandlungen und Entscheidungen über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urtheile der Schöffengerichte 1. wenn lediglich Uebertretungen Gegenstand der Entscheidung in der Berufungsinstanz find, 2. in Privat­flagefachen, sofern nicht die Staatsanwaltschaft die Be rufung eingelegt oder im Laufe derselben die Verfolgung über nommen hat."

Die Rommiffion für die Beamten Unfallversicherung nahm einstimmig das Beamten Unfallgeses unter Streichung des§ 12 an, welcher die Ueberweisung von Staatsbetrieben wegen der unzureichenden Zahl der versicherungspflichtigen Mitglieder an die Berufsgenossenschaften zuläßt.

Stadt. Karsten spricht gegen den Ausschußantrag. Ein Schlußantrag wird angenommen.

Der Magiftratsantrag auf Bau der Interimsbrücke wird mit großer Majorität angenommen; der Ausschußantrag ist somit abgelehnt.

Petition des Bantier E. Löser um Errich. tung von Voltsbadeanstalten.

Der Petitionsausschuß beantragt durch seinen Referenten Herrn Dr. Kürten Uebergang zur Tagesordnung.

Stadtrath Borchard erkennt die Wichtigkeit von Volls­badeanstalten an und hofft, daß eine in nächster Zeit vom Ma­gistrat in dieser Hinsicht gestellte Vorlage die Zustimmung der Versammlung finden wird.

Stadto. So erdi: Die legten Ausführungen des Mit glieds des Magiftrats rücken die Verwirklichung eines Wun fches der arbeitenden Bevölkerung sehr nahe. Die Untersuchung der jezigen Badeanstalten hat ein Resultat ergeben, wie wir erwarteten: die gänzliche Unzulänglichkeit der fezt bestehenden mit Einrichtungen. Da der Magiftrat fich eingebend member

Sache beschäftigt hat, so tonnen wir ruhig diese Betition ihm als Ansporn zur Berücksichtigung überweisen. Es kann nicht befremden, daß die arbeitende Bevölkerung einen großen Vortheil in der Errichtung von Voltsbadeanstalten er blidt. Wenn in früheren Jahren der Magistrat auf diese Wünsche nicht eingegangen ist, so haben fich doch die Verhält niffe jest geändert. Die Industrie, der Verkehr hat eine un­geahnte Dimension angenommen, aber oft find die Einrichtun gen in den Werkstellen zur Reinigung des Körpers für den Arbeiter entweder mangelhaft oder gar nicht vorhanden. Sta tistisch läßt sich schwer nachweisen, daß augenblicklich die Bahl der Wannenbäder nicht ausreicht. Wer aber selbst als Ar beiter am Sonnabend die Badeanstalten besucht hat, der weiß, daß man oft 1-2 Stunden warten muß, bis man eine Badewanne benußen kann. Eine mangelhafte Reinigung des Körpers aber birgt große Gefahren den Gesundheitszustand der ganzen Bürgerschaft. Außerdem bieten jegt die Bauten der Gasanstalt, des Radial systems leicht Gelegenheit, derartige Einrichtungen unterzubrin gen. Das Bedürfniß wird ja auch von leiner Seite verneint. Mißtrauensvotum enthält, beantrage ich die Ueberweisung der Da die Ueberweisung der Petition an den Magiftrat tein Petition an den Magiftrat, um fie der Sanitätskommission zu überweisen.

für

Stadtv. Dr. Stryt: Die Schuldeputation geht mit dem Plane um, in den Volksschulen Badeanstalten für die Kinder herzustellen, indem das Souterrain hierzu eingerichtet