Nr. 304.

Mittwoch, den 30 Dezember 1885.

II. Jahrg

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt

00

fcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Boßabonnement 4 M. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.)

2.­

Redaktion: Beuthstraße 2.

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Bum bevorstehenden Vierteljahrswechsel erlauben wir uns, alle Arbeiter Berlins zum Abonnement auf das

"

Berliner Volksblatt"

mit der Gratisbeilage

einzuladen.

Illustrirtes Sonntagsblatt

Wer der Sache der Arbeiter dienen will, helfe ein Unter­nehmen befeftigen, welches bestimmt ist, die berechtigten For berungen und Wünsche der Arbeiter zum Ausdruck zu bringen. Suche ein jeder von unseren bisherigen Anhängern, in dem Kreise seiner Freunde und Bekannten das Berliner Boltsblatt zu verbreiten und sehe darauf, daß jeder neu ge fundene Gesinnungsgenosse sein Versprechen, zu abonniren,

auch wirklich hält.

Unsererseits werden wir bemüht sein, den Inhalt unseres Blaties immer reichhaltiger zu gestalten. Das

" Berliner Volksblatt"

loftet für das ganze Vierteljahr frei ins Haus 4 Mart, für den Monat Januar 1 Mart 35 Pf., pro Woche 35 Pfg.

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Die franzöfifche Kolonialpolitik.

"

Die Regierung des Herrn Brisson hat über die Opposition in der Tongling Affaire noch einmal gefiegt und zwar mit so wenigen Stimmen, daß man sagen kann, der Zufall hat dieser Regierung noch einmal eine

Frist gegeben. Frankreich schreitet also weiter auf dem verhängnißvollen Wege, den es betreten; das französische Boll muß Gut und Blut opfern, um für die regierende Klique ein fernes Land in Ostasien zu erobern. Was Herr Briffon zu Gunsten der bisherigen Kolonialpolitik anführte, zeigte so recht die Schwäche und die Gedankenlosigkeit bieſes we hanzösischen Truppen aus Longfing zurückziehen biefesregierungsfähigen" Republikaners; er meinte, wenn man die und den Eroberungsplan aufgeben würde, so seze man sich dem Vorwurf aus, daß die Republik Tongking nicht habe erwerben können, während die Monarchie Algier erworben habe. Welch geistreiche Motivirung der oftafrikanischen Kolonial­

Sinen sorboten.]

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Feuilleton.

Die Hand der Nemesis.

Roman

Don Ewald August König

. ( Fortsetzung.)

Was ich will, fann ich noch immer! Und ich will endlich Ruhe haben, die Geschichte hat mir nun lange genug auf der Seele gelegen."

"

Du hättest damals offen gegen mich sein sollen." " Durfte ich es?"

" Damals würde Rabe uns fofort das Gelb gegeben haben, dafür hätte ich gesorgt. Und that er es nicht, so that es der Oberft."

"

Was nußen jetzt die Vorwürfe, fie ändern nichts!" Gedulde Dich wenigstens nur noch einige Tage. Hast Du so lange gewartet, wird's auch auf ein paar Tage nicht antommen. Uebermorgen will Rabe sich entscheiden-" Und wenn er Dir wirklich das Geld gäbe, was bann?"

Dann fange ich sofort den Holzhandel an."

"

Und kommt die Geschichte später heraus, so wirst Du der Erpressung angeklagt," sagte die Frau warnend. Rabe wird dann auch nicht schweigen. Ich gestehe Dir offen, mich wundert's, baß der Gefangene noch nicht gestanden hat, baß er wirklich so, feft auf Rabe vertraut."

H

"

Hm, so ganz ftraflos geht er auch nicht aus-"

Aber er reinigt sich durch das Geständniß von dem

Morb." Auch nur dann, wenn der wirkliche Thäter entdeckt

wird. Glaubst Du, daß Rabe-"

Still! Die Frage tann und mag ich nicht beant worten. Ich weiß selbst nicht, was ich glauben soll."

Hm, ich fann mir schon denken, wie Alles gekommen ist," erwiderte Siebel, aber ben Ropf zerbreche ich mir brum auch nicht. Der Untersuchungsrichter wird schon eine Spur finden, wenn ihm Alles mitgetheilt ist."

Insertionsgebühr

beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 he Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Bimmerstraße 44.

politik! Das französische Volt hatte bisher ficherlich ge glaubt, die Republik sei in Frankreich deshalb eingeführt worden, weil man ihm nicht länger zumuthen wollte, mit seinem Gut und Blut für die friegerischen Abenteuer der Bonaparte, der Bourbon's und der Orleans aufzukommen und die Kosten für das Phantom der Gloire" zu bestreiten. Nun hört man aber aus dem Munde des leitenden Staats­mannes, daß die Art von Republikanern, die gegenwärtig in Frankreich dominirt, es genau so machen will, wie es die Orleans und die Bonaparte's gemacht haben, ja daß man entschlossen ist, die letzteren noch zu überbieten. Da werden fich die Franzosen nicht wenig wundern und so mancher Bürger, Bauer oder Arbeiter, den seine Steuern brücken und dessen Sohn in Tongking der Gefahr aus. gesezt ist, durch die Strapazen oder durch das Schwert und die Kugel des Feindes umzukommen, wird sich erstaunt fragen: Wozu ist denn der viele Lärm gegen Louis Philipp und gegen Napoleon III . gemacht worden, wenn die Machthaber der Republik genau dasselbe thun, was jene gethan?

Der Feldzug in Tonaking wird also fortgesetzt werden, nachdem die dazu verlangten 75 Millionen Frants mit vier Stimmen Majorität bewilligt worden sind. Man kann sich dabei des Eindruds nicht erwehren, als ob bei den san guinischen Franzosen eine arge Täuschung obwaltete in Be zug auf den Feind, mit dem sie es in Tongling zu thun haben. Dieser Feind ist nichts mehr und nichts weniger als bas große chinesische Reich und man würde sich sehr irren, wollte man das China von heute mit dem China der wollte man das China von heute mit dem China der fechziger Jahre vergleichen, das damals von Franzosen und Engländern so spielend leicht bezwungen worden ist.

Die Chinesen haben aus ihren Niederlagen von damals Lehren gezogen und haben Alles umgestaltet. Es läßt sich benten, baß in dieser Nation von 500 Millionen Röpfen Rcäfte vorhanden sind, die, wenn zweckmäßig organisirt, Europäern furchtbar werden können. China hat nicht nur Europäern furchtbar werden können. begonnen, auf wirthschaftlichem und handelspolitischem Ge biet erfolgreich mit den europäischen Großmächten zu kon furriren, es hat sich auch militärisch völlig neu organisert nach europäischem Muster und unter Leitung von europäischen Offizieren. Wenn daher die Franzosen in Tongking einen unerwartet nachhaltigen Widerstand finden, so ist das erklärt. China ist aus seiner bisherigen Erschlaffung und Erstarrung erwacht; es ist eine Weltmacht geworden. Mit dieser ohne Grund anzubinden war mehr als leichtsinnig von ben Franzosen. Nun gibt es eine Menge von Republikanern, die zwar einsehen, daß es für Frankreich das Beste wäre, sich so schnell als möglich aus der Affaire zu ziehen, allein fie find geblendet von dem Schein der militärischen Ehre und sie glauben nun, Frankreich würde sich ganz unendlich

"

Wenn er die Sache nicht niederschlägt!" " Oho! So geht das nicht."

Wenn die Generalin es wünscht, so wird's geschehen, und Alles bleibt, wie es ist, jetzt hat ja Niemand mehr Schaden davon."

,, Aber der Mord muß gefühnt werden."

" Ich weiß nicht, wer ihn begangen hat," sagte die Frau achselzuckend, und es ist auch besser, wir fümmern uns nicht darum. Sorgen wir nur für uns, die Anderen mögen bas auch thun!"

Der Zimmermann sah sie scharf an.

"

,, Und der plögliche Tod des Gärtners?" fragte er. Darüber können wir auch nur Vermuthungen hegen, beweisen läßt sich nichts! Der alte Mann kann wirklich irrfinnig gewesen sein, ich-"

Der Eintritt Apollonia's zwang Frau Siebel, mitten im Saße abzubrechen, im Beisein des Mädchens durfte über dieses Thema nicht gesprochen werden.

Siebel hatte auch keine Lust, die Unterhaltung die Unterhaltung fortzusehen, seinem Urtheil über Werner Kaltenborn trat Apollonia mit einer Entschiedenheit entgegen, die nur zu einem nuglosen Wortstreit führen konnte. Er verließ bald barauf seine Angehörigen, um sich in seine eigene Wohuung zu verfügen.

Im Begriff, auf die Straße hinaus zu treten, begegnete er dem Antiquar, der in Begleitung eines anderen Mannes von braußen hereinkam.

Jakob Hochmuth erwiderte den Gruß des 3immermanns faum, er schien sich in schlechter Laune zu befinden, ungestüm warf er die Hausthüre in's Schloß, bann öffnete er die Thüre seines Wohnzimmers.

Wartet, bis ich Licht angezündet habe," sagte er in unfreundlichem Zone, es ist ein Unsinn, daß ich mich darauf einlasse, verstanden? Ich kenne Euch nicht und wer zu mir kommen will, ber kann am Tage

tommen."

Der Fremde erwiderte kein Wort, er räusperte sich nur, als ob er ein Beichen seiner Anwesenheit geben wolle.

Wenn ich Gelb von Jemand zu fordern habe,-der

schaden, wenn es Tongling ohne Erfolg aufgäbe. Aber Clemenceau wies mit vollem Recht auf den Boernkrieg hin. Als Gladstone dem tapferen Boerenvolle Frieden gewährte und ihm seinen Landbesitz sicherte, brachte dies England weber Schande noch Nachtheil, sondern Gladstone wurde wegen seines Entschlusses mit Recht allgemein belobt. Die meisten Franzosen lassen sich durch das Geschrei jener mili tärischen Abenteurer täuschen, die natürlich Feldzüge brauchen, um sich einen Nuf zu machen und um sich Schätze zu sammeln.

"

Diese Tongling Angelegenheit wird Frankreich noch lange in Aufregung erhalten. Uns däucht es sehr unwahr­scheinlich, daß die Franzosen es in Tongling zu großen Erfolgen bringen werden. Diese aber find erforderlich, wenn bas Rabinet Brisson sich halten will. Der nächste Mißerfolg in Tongling wird einen Regierungswechsel in Paris herbeiführen. Daß die Chinesen nunmehr Alles auf­bieten werden, um die Franzosen gänzlich aus Tongking hinaus zu drängen, läßt sich denken.

Da wird wieder viel Menschenblut vergossen werden, nur weil die Herren Campenon und Genossen auch ihren ,, tleinen Krieg" haben müssen.

" 1

Politische Uebersicht.

Gegen die illegale" Auswanderung, insbesondere gegen die Auswanderung kontraktlich verpflichteter Arbeiter verlangte in der Reichstagsfizung vom 14. d. Mts. der oft­preußische Abg. Rittergutsbefizer von Buttkamer( Blauth) ener tiven Herrn bereits in der Nummer 294 unseres Blattes an gische Maßregeln. Wir haben das Verlangen dieses konserva leitender Stelle kritisch beleuchtet nnd zugleich darauf hinge­wiesen, daß das vorzeitige Entlaufen der Tagelöhner und des Gesindes" zumeist auf unpassende Behandlung oder gänzlich unzureichende Löhnung zurückzuführen ist. Nicht Polizeimaß regeln so sagten wir am Schluß des Artikels fönnen die massenhafte Auswanderung verhindern; soll letteres ver hütet werden, so gilt es, im Vaterlande beffere Zustände zu schaffen, dem Volle muß es wohlergehen in der Heimath, es muß dieselbe lieb gewinnen tönnen. Aber nicht nur der oben genannte Abgeordnete, sondern auch der preußische Miniſter des Innern hält solche Maßregeln für nothwendig. In einem Erlaß deffelben vom 11. Auguſt 1882 an die Oberpräsidenten

heißt es, daß er beabsichtige, gesetzgeberische Maßnahmen zu beantragen, damit Auswanderer vor dem Verlaffen des Vaters landes zur Erfüllung zweifellos bestehender öffentlicher wie privatrechtlicher Verpflichtungen, insbesondere der aus dem Ge meindeverbande, der Familienangehörigkeit, dem Dienst- oder Arbeiter Vertragsverhältniß fich ergebenden Verbindlichkeiten angehalten werden fönnen. Um hierfür das erforderliche Material zu gewinnen, wurden Erhebungen darüber angeordnet, ob und in welchem Umfange Uebelſtände der beregten Art hervorgetreten find, und gutachtliche Aeußerungen darüber

nie zu Hause ist, dann überfall' ich ihn auch bei Nacht an der Hausthüre," fuhr der Antiquitätenhändler fort, ber jetzt das brennende Schwefelholz an den Docht der Lampe hielt, aber ich bin Reinem was schuldig, ver. standen zu

Habe ich Gelb von Ihnen gefordert?" fragte der Frembe, während er näher trat. " Hm, wer seid Ihr?"

" Ich war Rammerdiener bei der Generalin von Studs

mann."

Jakob Hochmuth ließ den forschenden Blick mißtrauisch auf seinem ungebetenen Gast ruhen.

"

"

Was will die Generalin von mir?" fragte er. Nichts."

Sie hat Euch also nicht geschickt?"

" Nein. Sie stehen mit Herrn Rabe in Verbindung, nicht wahr?"

Der Antiquar schüttelte den Kopf und nahm eine ge­waltige Prise, bann zeigte er auf einen Stuhl.

" Seßt Euch," sagte er. Ist der noble Herr wieder einmal in Verlegenheit?"

"

eine

"

Und wenn er das wäre, würden Sie ihm helfen?" Nein."

Joseph sah den alten Mann betroffen an, er schien andere Antwort erwartet zu haben.

Sie haben ihm oft Geld geliehen", erwiderte er.

" Hat er Euch das gesagt?"

"

Nein, aber ich weiß es."

" Die Kammerbiener spioniren Alles aus", spottete der Antiquar; was wollt Ihr nun von mir?"

Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie vor Kurzem Herrn Rabe eine größere Summe geliehen oder aber fie ihm in

Aussicht gestellt haben, es handelt sich dabei um eine Summe

von zehntausend Thalern."

Nicht mehr?" entgegnete Hochmuth mit schneidendem Hohne. Wer Dem zehntausend Thaler leiht, ist ein Esel, nichts für ungut. Von mir bekommt er sie nicht."

Die finftere Miene des Rammerdieners verrieth deutlich, daß er sich in seinen Erwartungen getäuscht fah. Ist das Euer Ernst?" fragte er.