Nr. 305.

Donnerstag, den 31 Dezember 1885.

II. Jahrge

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt

aschetat täglich Dtorgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 f. Boßabonnement 4 Mt. Einzelne Nr. 5 Pf. Sonntags- Nummer mit illuftr. Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1885 unter Nr. 746.).

Redaktion: Beuthstraße 2.

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Berliner Volksblatt"

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,, Illustrirtes Sonntagsblatt"

Wer der Sache der Arbeiter dienen will, helfe ein Unter­nehmen befestigen, welches bestimmt ist, die berechtigten For derungen und Wünsche der Arbeiter zum Ausdruck zu bringen. Suche ein jeder von unseren bisherigen Anhängern, in dem Kreise seiner Freunde und Bekannten das Berliner Volksblatt zu verbreiten und sehe darauf, daß jeder neu ge

fundene Gesinnungsgenosse sein Versprechen, zu abonniren,

auch wirklich hält.

Unsererseits werden wir bemüht sein, den Inhalt unseres Blates immer reichhaltiger zu gestalten.

Das

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Berliner Volksblatt"

Loftet für das ganze Vierteljahr frei ins Haus 4 Mark, für den Monat Januar 1 Mart 35 Pf., pro Woche 35 Pfg. Bestellungen werden von sämmtlichen Zeitungsspediteuren, sowie von der Expedition unseres Blattes, Zimmerstr. 44, ents gegengenommen.

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Bum Jahresschluß.

Bei Jahresschluß ist es nun einmal Mode geworden, im Familien, im wirthschaftlichen und im politischen Leben einen Rückblick zu halten. Den Familienrückblick überlassen wir unseren geneigten Lesern, den wirthschaftlich politischen wollen wir hier in gedrängter Kürze denselben vorführen.

Das allgemeine Beichen der Zeit war in allen Kultur­staaten im vorigen Jahre ein wirthschaftlicher Rückgang, unter dem natürlich die Arbeiter am meisten zu leiden haben. Dieser Rückgang war so intensiv, daß derselbe selbst die verhältnißmäßig geringe russische Industrie ergriffen hat, die bislang eine wirthschaftliche Krisis leichter überwinden fonnte, der Unmasse billiger Lebensmittel wegen, die in jenem großen Lande aufgeftapelt liegen.

Aber auch die große Republik   im Westen, die Ver einigten Staaten von Amerika  , sind von dem Niedergang nicht verschont geblieben trotz der reichen Hilfsquellen, die

Wand verboten.]

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Feuilleton.

Die Hand der Nemesis.

Roman

Don

Ewald Auguft König. ( Fortseßung.)

Freilich!" sagte Marianne lächelnd. Herr Nabe will ihm ja das Geld dazu geben."

Erscheint Ihnen das nicht verdächtig?" fragte der Rutscher haftig.

Weshalb? Es fommt oft vor, daß ein Herr für seinen Rammerbiener sorgt."

Ja, wenn's der Oberst für den alten William thäte, so würde ich das begreifen; aber Rabe hat ja selbst nichts, und der Joseph ist in meinen Augen ein Lump."

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wie

nug,

Wenn Herr Nabe Fräulein von Lossow heirathet, er so hat Geld Franziska behauptet, ge und schenken wird er's feinem Kammers biener auch nicht. Ich finde darin wirklich nichts, Franz, und was mich betrifft, so mag ich ihnen wünschen, daß fie glücklich werden."

Ich wünsche ihnen auch nichts Böses, aber es ist eine alte Wahrheit, daß Jeber im Leben das findet, was er ver. bient. Und dann will ich Ihnen doch sagen, Marianne, daß ich in der Freundschaft Rabe's für seinen Kammerbiener mehr finde wie Sie! Erinnern Sie sich an die Papiere, die. dem Gärtner gestohlen wurden, erinnern Sie sich, daß der alte Mann Joseph dieses Diebstahls beschuldigte"

Lassen wir die alten Geschichten ruhen," unterbrach Marianne ihn unwillig, sie haben uns damals genug Auf regung gebracht, und die Wahrheit wird doch nicht an's Licht kommen!"

"

Wer weiß das?"

Es fümmert sich ja Niemand mehr um die Geschichte, und wer sollte auch noch ein Interesse daran haben!" Franz blickte sinnend in die Abenddämmerung hinaus, Seine Stirne hatte sich leicht in Falten gezogen.

Insertionsgebühr

beträgt für die 3 gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 the Nachmittags in der Expedition, Berlin   SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annonces Bureaux  , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

gerade diesem Lande zu Gebote stehen. Die größere Aus. wanderung nach diesem Lande aus Europa   hat nicht etwa seinen Grund darin, daß in den europäischen   Staaten der Wohlstand gestiegen sei und ein frischeres wirthschaftliches Leben pulfire, nur die schlimmen Nachrichten aus Amerita, wo fich im vergangenen Jahre Krisen auf Krisen, Sireits auf Streits häuften, haben die Auswanderungs­lustigen gewarnt und die Reise über den Ozean auf beffere Beiten verschoben.

Unser Vaterland selbst leidet gleichfalls schwer unter der wirthschaftlichen Nothlage. Allerlei Ver suche sind in den letzten Jahren seitens der Regierung und auch der Volksvertretung gemacht worden, Hilfe zu bringen, besonders unter dem ausdrücklichen Vorgeben, den am meisten leidenden Arbeitern empor zu helfen. Indirekte Steuern wurden erhöht, 3ölle auf no: hwendige Lebensmittel gelegt, Industriezölle bewilligt, alles unter dem Vorgeben, daß dann die Löhne der Arbeiter steigen würden. Indeß hat sich dieses Experiment gar traurig bewährt hat sich dieses Experiment gar traurig bewährt die Löhne find gefallen!

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Durch die Sozialdemokraten getrieben, haben auch andere Parteien zu dieser Materie Stellung genommen und einzelne Anträge aus dem Arbeiterschutzgesetz zu den thrigen gemacht. So Zentrum, Konservative und Nationalliberale. Nur die Deutsch   Freisinnigen verhalten sich völlig ablehnend und ebenso, wie in letter 3eit verlautet, die Regierung. Das wäre allerdings eine recht sonderbare Waffenbrüderschaft.

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So kann man keineswegs auf das Zustandekommen auch nur irgend eines Theiles des Arbeiterschußgefeßes mit Hoffnung bliden dech dürfen die Arbeiter selbst nicht locker lassen, fie müssen immer weiter fordern, was ihr gutes Recht ist, dann werden sie dasselbe auch erringen.

In den übrigen Staaten Europas   sind die Arbeiter= verhältnisse, wie wir schon andeuteten, auch nicht besser, wie in Deutschland   und ebensowenig hat dort die soziale Gesetz­gebung, rozdem überall Anläufe genommen worden sind, einen nennenswerthen günstigen Verlauf genommen.

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Die politische Situation ist in allen europäis schen Staaten mit dem Worte Reaktion zu bezeichnen.

Von den Großstaaten find Frankreich   und England Man versuchte es mit der Sozial- Reform. Ein Kran- noch die relativ freiesten, aber auch dort haben im letzten tentassengeses, ein Unfallversicherungs- Jahre die konservativen Elemente große Fortschritte gemacht. gesetz wurden erlassen minimale Bugeständnisse an die Bon den übrigen Staaten ist in dieser Richtung nicht zu Arbeiterklasse, von deren Nußen überhaupt man bis heute reden. Bezeichnend aber ist, daß die schweizer Republik  noch nicht überzeugt ist. Vor dem Alterversorgungs- fortwährend von offiziösen und noch nicht überzeugt ist. Vor dem Alterversorgungs­reptilischen Beitungs­gefeß der Arbeiter, welches unter Umständen großen Se- chreibern Borwürfe erhält ob ihres lasterhaften Thun und gen den Arbeitern bringen könnte, ist man stehen geblieben. Treibens, ja daß man ab und zu mit dem Baunpfahl winkt, Ueberhaupt hat dieser Gedanke kaum Aussicht, feste Gestals die Republik   in der Schweiz   müsse balbigft der Monarchie tung anzunehmen. Neben dem Zögern der Regierung fieht weichen. man die Abneigung aller übrigen mächtigen Parteien, die vor ernsthafter Hilfe den Arbeitern gegenüber zurüdschreden.

Da auf einmal hat man den Stein der Weisen gefun ben: Rolonisation! Hatte man zuerst Hoffnung, in biese Kolonien, welche deutsche Kaufleute für das Deutsche Reich erworben haben, den Strom der deutschen   Auswanderer hinzuleiten? Wir glauben es, doch diese Hoffnung war nur ein schöner Traum, der längst verflogen ist. Drohend steht an den Häfen West- und Ostafrika's   das Gespenst der Malaria, welches über kurz oder lang jeden Deutschen  , der dort Arbeit verrichtet, ergreift und zu Tode hetzt. Nur einige deutsche   Rheder und Handelsherren haben durch die Rolonialpolitik Vortheil und eine Anzahl oftpreußischer und pommerscher Spritbarone- das Volt geht leer aus.

Von allen Parteien, welche sich um die Arbeiterklasse in Deutschland   ein Verdienst erworben haben, ist es die sozialdemokratische, welche nun schon seit einigen Seffionen im Reichstage ein fozial- reformatorisches Gesetz, das sog. Arbeiterschutzgesetz eingebracht hat. Unseren Lefern ist dieser Gefeßentwurf bekannt und erfreut sich derselbe auch wohl mehr oder weniger der allgemeinen Zustimmung.

"

, Es mag sein, daß sich jetzt Niemand mehr darum fümmert," erwiderte er, bas gnädige Fräulein denkt nur noch an ihren Verlobten und der Herr Assessor hat auch das Interesse verloren. Aber unrecht ist es doch, daß man es nicht näher untersucht hat."

"

Was?" fragte Marianne erschreckt.

Weshalb der alte Mann sich das Leben genom  men hat."

"

Wer will das untersuchen? Die Todten reden nicht mehr, und außer Georg hat Niemand die Ursache gewußt." " Und jetzt findet er feine Ruhe im Grabe!"

Kommen Sie wieder mit den alten Gespenster.

geschichten?"

"

"

Das sind keine Gespenstergeschichten, Marianne, es ist Wahrheit," erwiderte der Kutscher in ernstem Tone. Der Selbstmörder hat im Grabe keine Ruhe, er muß jede Nacht an den Ort zurückkehren, wo er sich das Leben genommen hat. Deshalb graut mir auch vor dem Häuschen im Park, und deshalb kann ich den Vorschlag des Herrn Oberst nicht annehmen."

"

" Das ist so gewiß und wahrhaftig Unsinn, als ich hier vor Ihnen fige," sagte Marianne ärgerlich. Die Todten fehren nicht zurück, wenn auch sonst Manches passiren mag, was man nicht begreifen kann."

,, Und so lange Sie meine Behauptung nicht widerlegen tönnen, beharre ich dabei. Ich möchte in dem Häuschen nicht übernachten."

Und ich würde es ohne Bedenken thun!" ,, Spotten Sie nicht, Marianne!"

Ach was, ebenso fönnen Sie behaupten, die Pferde feien auch unsterbliche Geschöpfe."

"

Und wäre das denn so ganz unbenkbar? Ich habe oft bei Pferden mehr gesunden Verstand gefunden, als bei Menschen."

" Ich sage Ihnen noch einmal, das ist Unsinn!" er widerte Marianne, während sie dem eintretenden William einen Blick zuwarf, als ob sie ihn auffordern wolle, ihr zu Hilfe zu kommen. Wer einmal todt ist, der kehrt nicht zurück, und es ist dabei auch ganz gleichgiltig, wie Jemand sein Leben verliert. Was meinen Sie, William?"

Daß bei der allgemeinen Reaktion das Deutsche Reich  nicht zu kurz gekommen ist, läßt sich leicht denken.

Politische und Preßprozesse regnets nur so vom Himmel herab. Die fiskalischen Diäten prozesse stehen noch aus. Während bei uns die Ausweisungen von Personen russischer und österreichischer Nationalität graffiren, werden die Deutschen   in den russischen Ostseeprovinzen schwer bebrängt und die deutschen   Einwohner in Böhmen   und Mähren   von den Czechen geprügelt.

Der Nationalitätenhader, der immer und immer wieder durch Kriege neu genährt wird, muß selbst im tiefsten Frieden seine unbegreiflichen Bocksprünge machen und uns in längstvergangene 3eiten zurückführen.

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Außerdem aber hat sich das vergangene Jahr auch nicht frei gezeigt von allerhand Kriegsdrohungen. Die Rarolinenfrage tauchte plößlich in Folge unserer Rolonials politik am Horizont auf und schließlich war es dem Papst vorbehalten, feinen schiedsrichterlichen Friedens. spruch zu fällen. Ob das deutsche protestantische Raiser­thum von dem ganzen Vorfall besonders erbaut sein kann?

Die orientalische Frage ist wieder lebendig geworden, Will Franz das nicht glauben?" fragte der alte Mann topfschüttelnd. Die Ungläubigen seid Ihr!" rief der Rutscher un willig. 3hr glaubt nicht, was Ihr nicht seht, Ihr müßt es mit Händen greifen können. Früher dachte ich auch so, aber jetzt weiß ich's besser."

Und wie lange soll der alte Georg ruhelos herum­wandern?" fragte Marianne spöttisch.

Bis der Fluch von ihm genommen ist." Das ist wirklich dummes 3eug," erwiderte William, ,, damit dürfte meinem Oberst Niemand kommen."

Hm, die Soldaten glauben in der Regel an gar nichts," sagte Franz achselzuckend. Ich werde dem Oberst nicht läftig fallen, es tann mir ja einerlei sein, was andere Leute glauben."

"

Und was sagen Sie dazu, William, er will den Vors schlag des gnädigen Herrn nicht annehmen."

Ich würde es thun," erwiderte der Angeredete, als Gärtner hätte er ein angenehmeres Leben."

Auch Arbeit genug!" brummte Franz. " Wer nicht arbeitet, soll auch nicht effen," sagte Mari anne in verweisendem Tone. Der alte Georg hatte, wenn bie Sonne untergegangen war, Feierabend, wie oft müssen Sie mitten in der Nacht aus den Federn, um nach den Pferden zu sehen! Kommt der gnädige Herr heut erst nach Mitternacht   wieder, so müssen Sie das Pferd in Empfang nehmen."

"

Das gehört einmal zum Amt und seine Pflicht muß Jeder erfüllen," erwiderte Franz ruhig, ich habe mich barüber nie beschwert. Und dann ist es auch nicht meine Absicht, bis an mein Ende allein durch das Leben zu wandern; Jeber gründet gerne den eigenen Herd."

" Ich sagte Ihnen ja schon, daß Sie es fönnten, wenn Sie den Gärtnerposten übernehmen," antwortete Marianne. Es fäme ja nur auf eine Rücksprache mit dem gnädigen Herrn an."

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Mit einem leisen Schreckensruf war die Wirth schafterin bei den letzten Worten von ihrem Stuhl empor gefahren; ein dunkler Schatten war am Fenster vorbeiges huscht.

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