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sich ab« an dies« Delikatesse zn erlaben, bot der menschen- freundliche Bruder Studio, wie ein hiesiges Blatt meldet, dem Verkaufer die Würste unter der Bedingung zum Geschenk, daß er sie in feiner Gegenwart verzehre. Dieser dankte ebenso höflich wie bestimmt dem zuvorkommenden Käufer seiner Würste selbst dann noch, als dieser ihm noch 20 Pf. extra bot. Der Vorgang hatte eine größere Menschenansammlung zur Folge, und dem so schwer auf die Probe gestellten Wursthändler blieb nichts weiter übrig, als das Schlachtfeld schleunigst zu räumen. Wie bon der Eisenbahn-Verwaltung den Beschwerden des Publikums über ungenügende Verkehrsmittel und Heber- füllutig der Vorort-Züge gegenüber die Frequenz» ziffern festgestellt werden, das ist jetzt in einem be- sonderen Falle von dem Vorsitzenden des.Ostvorort-Vereins". Amtsgerichls-Sekretär Freise ermittelt worden. Seit langer Zeit schon haben die Vororte an der G ö r l i tz e r Bah» die Eisenbahn-Direktion dringend ersucht, die Zahl der Vorort-Züge erheblich zu vermehren, namentlich aber an den Sonn- und Feierlagen, an denen im Sommer bei schönem Wetter kaum mehr mitzukommen ist. Infolge solcher erneuten Klage» wurden am zweiten Psingstfeiertage von der Eisen» bahn-Verwaltnng die mit den Vorortzügen der Görlitz  « Bahn von Berlin hinausfahrenden Passagiere beim Einsteigen in den Zug gezählt. Obgleich nun aber die weitaus meisten dieser Vorortzüge von Charlottenburg   aus über die ganze Stadtbahn gehen, auf sämmtlichen Stationen mit durchfahrenden Passagiere» besetzt werden und dies besonders an schönen Festtage» in solchem Maße geschieht, daß bereits auf dem S ch l e s i s ch e» B a h n h o f die ganzen Züge dicht besetzt, ja zum Theil überfüllt sind, hat dennoch die Eisenbabn-Ver- waltnng am 2. Pfingstfeiertage die erwähnte Zählung der ein- steigenden Fahrgäste erst vom Schlesischen Bahn- hos aus vorgenommen und die sämmtlichen übrigen Stationen der Stadtbahn dabei gänzlich unberücksichtigt gelassen. Ans diese Weise ist selbstverständlich das Ergebniß der Zählung, über welches man in de» belheiligten Vororten aufs höchste erstaunt war, da es der thatsächlicheu Besetzung der Züge nicht entfernt entsprach, ein so geringes geworden, daß auf grund des- selben die Vermehrung der Züge an maßgebender Stelle abgelehnt wurde. Es kann also hiernach kaum mehr ein Zweifel darüber bestehen, welcher Werth aus die Frequenz-Feft- stellungen zu legen ist. die von der Eisenbahn- Verwaltung vor- genomme» werden, wenn es gilt, die Forderungen des Publikums auf Abstellung der Zugüberfüllungen»c. mit»amtlichen Ziffern" abzuwehren. Einen unerwartet glücklichen Ausgang hat der Unfall genommen, der am lb. v. M. dem 4 Jahre alten Söhnchen Otto des Gastwirthes Wolff aus der Wallstraße 30 znsließ. Der Kleine fiel, wie wir seinerzeit mittheilten, nachts aus dem Fenster der elterlichen Wohnung auf den Hof hinab und wurde von den Eltern, als sie von einer Festlichkeit heimkehrten, mit ge­brochenem Schädel aus dem Pflaster liegend gefunden. Längere Zeit schien der Tod dem Schwerverletzten sicher zu sein, dennoch aber ist es der ärztlichen Kunst gelungen, sein Leben zu erhalten. Bereits am Sonnabend Nachmittag konnte der Kleine aus der königlichen Klinik entlasten und vollständig wiederhergestellt seinen Eltern übergeben werden. Die Todesursache der Arbeiterfrau Wilhelmine Philipp, Gneisenanstraße 101, wird zwar erst durch die am Donnerstag stattfindende Obduktion völlig aufgeklärt werden können, indeß ist der Ehemann des Mordes so verdächtig, daß er der Staatsanwalt- schaft vorgeführt werden mußte. Aeußere Verletzungen an dem Körper der Frau Philipp sind zwar außer rolhen Flecken am . Halse nicht wahrgenommen worden, doch erscheint ein natürlicher Tod der ganz gesunden Frau nicht wahrscheinlich. Andererseits ist festgestellt, daß Philipp seine Frau in rohester Weise gemiß- handelt hat, so daß sie wiederholt, nur mit dem Hemde bekleidet, aus der Wohnung flüchtete, auch hat er seine Frau, wenn er im trunkenen Zustande abends nach Hause kam, mit dem Tode bedroht. Mord. Der hier in d« Fürbringerstraße wohnende Bank­beamte B. erstattete gestern der Kriminalpolizei die Anzeige, daß er heute früh ein Telegramm erhalten hat, wonach sein Groß- vater, der Bankier Wilhelm Kohn in Pleß i» Ober-Schlesten, ermordet worden sei. B. nimmt bestimmt a», daß der Groß­vater auch beraubt worden sei und weiß, daß derselbe unter anderem nachstehende Werthpapiere beseffen hat. 3S 000 Gulden Ungarische vierprozentige Goldrente. 20 000 M Warschan-Wiener Prioritäten, 340 Pfd. Sterl. 1893, an Mexikanern Nr. 29 032 über 500 Pfd. Sterl., Nr. 27 033, 27 034 nnd 27 035 k 100 Pfd. Sterl., Nr. 14 970 und 14 971 k 20 Pfd. Sterl. Bei den Abriffarbeite« in der Ausstellung ereignete sich am Montag der erste schwere Unglücksfall. Ter bei der Frei- legung der Bedachung des Jndustriegebäudes beschäftigte Arbeiter St. glitt von der Eisenkonstruktion des Daches, auf der er kniete, ab. stürzte durch das Dach in das Innere des Gebäudes und blieb auf dem zementirten Fußboden besinnungslos liegen. Nachdem dem schwer Verletzten, der«ine Gehirnerschütterung er- litten hat, auf der Sanitätswache die erste Hilfe zu theil geworden war, wurde er in hoffnungslosem Znstande nach dem Kranken» hause Bethanien überführt. Ein räthselhaftes Verbrechen, dessen Ausführung noch rechtzeitig vereitelt wurde und dessen Held ei» Einjährig-Frei- williger vom hiesigen Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regimenl ist, wird aus Hannover   gemeldet. Dort wurden am letzten Todtensonntag der Einjährig-Freiwillige R. des vorgenannte» Regiments und der Arbeiter W. aus Berlin   verhaftet, weil sie angeblich in der Absicht nach dort gekomme» waren, den dort wohnhafte» Schauspieler S. und dessen Geliebte, die geschiedene Frau G. aus Berlin  , zu erschießen. R. führte bei seiner Fest- nähme, die in dem Augenblick erfolgte, als er in dem Zimmer eines dortigen Hotels die G. zur Rede stellte,«inen ge» ladenen sechsläufigen Revolver bei sich. Der mitverhaftete W. hatte, wie festgestellt wurde, von dem Vorhaben seines Reise- gefährten, des Einjährig-Freiwilligen R, Kenntniß gehabt und war von diesem nach Hannover   mitgenommen worden, um die Wohnungen der genannten Personen zu ermitteln. Ferner wollte er nach dem Tode des R., welch letzterer sich nach vollbrachter That selbst erschießen wollte, dessen Persönlichkeit rekogNosziren und einen von diesem zurückgelassene», an dessen in Berlin  lebende Mutter gerichteten Brief befördern. Die Veranlassung zu der geplanten schrecklichen That scheint Eifersucht zu sein. weil die G., welche bis vor kurzem seine Geliebte gewesen war, sich neuerdings dem Schauspieler S. angeschlossen hatte. Ans der Polizeiwache gestorben ist am Montag Abend der 25 Jahre alte taubstumme Schneider Wilhelm Deilitz aus der Wienerstraße 19. Der Mann verübte abends kurz nach 9 Uhr auf der Straße Unfug und wurde, zumal er betrunken war, von einem Schutzmanne auf die Wache des 25. Reviers in der Naunynstraße 38 gebracht. Hier bekam er bald nach der Einli-serung Krämpfe, an denen er starb. Wege» Betruges hat gestern der EngroS-Butterhändler P. in der Landsbergerstraße seinen Kompagnon N. bei der Behörde angezeigt. Letzlerer soll geschäftliche Veruntreuungen begangen habe». Ter Schlächtermeister Tyrock auS der Boyensiraße 17, der sich Moniag Nachmittag aus erner Bank in der Zeltenallee im Thiergarten eine Revolverkugel in die rechte Schläfe schoß, ist noch im Laufe des Abends der Verletzung erlegen. Nach einem Streit mit seiner Braut hat der Novalis- straße 14 wohnende dreiundzwanzigjührige Kaufmann I Selbst­mord begangen. Der junge Mann war seit einiger Zeit mit der Tochter eines hiesigen Handwerker? verlobt. Am letzten Sonntag kam eS zwischen den beiden jungen Leuten zu einem Streit, der damit endete, daß die Braut die Verlobung aufhob. I. begab sich sofort nach seiner Wohnung, wo er sich am Spiegelhaken erhängte. Als er bald darauf von seinem Bruder aufgefunden wurde, erwiesen sich Wiederbelebungsversuche als erfolglos. Gestern Vormittag 10 Uhr brach in der Gemeinde- schule in der L e v e tz o w st r a ß e während des Unterrichts Feuer aus. Die Kinder konnten ohne Unfall unter Anleitung der Lehrer die Schule verlassen, während die Feuerwehr die Flammen löschte. Erschossen hat sich am Montag Abend der in einer hiesigen Buchdruckerei beschäftigt gewesene Maschinenmeister Lenbach auf dem Flur der Gemeindeschule in der Höchstestraße. Er war mit der Tochter eines Schuldieners verlobt und soll von dieser seines unordentlichen Lebenswandels wegen eine Absage erhalte» haben. Aus dem Polizcibericht vom 24. November. In der Nacht zum Dienstag wurde der Pförtner des Hauses Kronprinzen- Ufer 5, Heinrich Adelt, von drei anscheinend angetrunkenen jungen Leuten durch längeres Klopfen an die Fenster ans dem Schlafe gestört, und, als er. sich vor die Thür begebend, mit einen» Srocke auf die Ruhestörer einhieb, von einem derselben dirrch einen Schlag mit einein scharfen Gegenstande im Gesicht erheblich verletzt. Er erhielt auf der Sanitätsivache in der Mauer­straße einen Verband. Monrag früh fiel in der Wörther- straße der 49 Jahre alte Kutscher Wilhelm Wenzel   in Krämpfen von seinem Bierwagen und trug außer einer leichten Verletzung am Kopfe eine Gehirnerschütterung davon. Er»vnrde nach der Unfallstation I gebracht. Aus den» Güter-Bahnhofe der Anhalter Eisenbahn entgleisten vormittags gus noch nicht festgestellter Veranlassung zivei Wagen eines Güterzuges. Hierbei erlitt der Raugirer Wilhelin Gertz, der sich auf dem Zuge be- fand, eine fchivere Quetschung des linken Unterschenkels, sodaß seine Ueberführung in das Elisabeth- Kranken- Haus erforderlich ivurde. Bei der durch die Kriminalpolizei angeordneten Festnahme des obdachlosen Schuhmachers Georg Kruppa leistete dieser den beiden Schutzleuten heftigen Widerstand und griff sie thätlich an, so daß sie von ihrer Waffe Gebrauch inachen mußten. Hierbei ivurde Kruppa an den Armen und Schultern so erheblich verletzt, daß er nach Anleguiij) eines Ver­bandes nach dem Krankeuhanse am Friedrichshain   gebracht werde» mußte. Der eine Beamte, dem die Uniform völlig zerrisse» war, trug leichte Verletzungen im Gesicht und an den Händen davon. Ans den Nachbarorten. In Rixdorf bat der Gastwirth Ed. Wirsing, Knesebeck- straße 113 seinen Saal zu allen politischen und gewerkschaftliche» Versammlungen wieder zur Verfügung gestellt. Die Sperre über dies Lokal ist somit aufgehoben. Die Solidarität der Arbeiter- schaft wird sich auch ferner in der Lokalfrage bewähren. Der Vertrauensmann. In Nen-Wcissensee steht der Arbeiterschaft da? Lokal von Gustav Philipp, Prenzlauer Chaussee 3-4 zu Versammlungen ec. zur Verfügung. Die Lokalkommission. Nongvvtz dev Makionols-SoziKren. Erfurt  , 23. November 1396. Nach der Mittagspause nimmt das Wort Professor Max Weber   ans Freiburg  . Er würde die Schaffung einer natio- nalen Arbeiterpartei an sich gut heißen; die Arbeiter würden dadurch von Marx befreit. Das Marx'sche System liege nach der erausgabe des dritten Bandes desKapitals" theoretisch am oden. Es soll hier aber eine Partei der Mühseligen und Be- ladenen gegründet werden. Was soll denn mit denen geschehen, die erst zurArbeit" gehören und denen es später besser geht? Müsse» sie aus der neuen Partei ausscheiden? Eine solche Partei, die die Besitzenden ausschließt, ist unmöglich, rücksichtslos. Heute fragt es sich in Deutschland  , ob das Bürgerliche oder das Feudale herrschen soll. Die Sozialdemokratie hat der Reaktion gedient, weil sie ihren Einfluß gegen das Bür�crthum in die Wagschale wirft. Die neue Partei müßte das Bürgerthum stärken und die bürgerliche Freiheit. Die Stellung derZeit" zur Polenfrage ist grundfalsch Wir haben die Pole» nicht unterdrückt, sondern sie aus Thieren zu Menschen gemacht. Die Entfaltung der Macht des Reiches kann nur auf Koste  » anderer erfolgen. Seien sie in politische» Dingen nicht sentimental sondern hart; sonst können sich viele Gebildete der Bewegung nicht anschließen. Frau Dr. G n a u ck- Kühne bedauert, daß der neue Entwurf Na»- nmnn's die Frauenfrage nicht aufnimmt. Der E»t- wurf erwähnt zwar diearbeitenden" Frauen, aber auch für die Kommerzienrathstöchter besteht eine Frauenfrage: die Frage der Ausfüllung des Lebens mit nützlicher Arbeit. Die weitere Debatte beschäftigt sich wiederum fast ausschließlich mit der Frage, ob irgend ein Hinweis aufs Ehristenthnin i» das Programin soll. Ein christlich-sozialer 9lr- b eiter wünschte, daß der Name Christlich-Sozial beibehalten werde. Jedenfalls müsse man energisch das Christliche betonen. Dann werde man auch Arbeiter bekommen. Der Stamm dazu sei vorhanden. Aus den Reihen der Sozialdemokratie dagegen werde man sobald keine Anhänger gewinnen, und damit wird der Mann recht haben! Mehrfach wird dagegen betont, daß die sozialpolitischen Forderungen nicht aus dem Christenthum stammen, sondern ans wirthschaft- lichen und historischen Ueberzeugungen. Prof. S o h m meint, daß dieGebildeten" allein die geistige Wehrkraft des Volkes bilden. Darum kommt es auf deren Stellung zu uns an. Sie sinddas Volk", die anderen sind die geistig ohnmächtigen Massen. Wir vertreten die Interessen des Arbeiterstandes nicht seinetwegen, sondern der Gesammtheit wegen. Arbeiter Ros aus Frankfurt   meint, es gäbe zahlreiche fromme Arbeiter, aber die Vorkommnisse in den höheren Ständen nähmen dem Arbeiter das Christenlhum. Professor 83 o uff et schlägt vor, folgendes zu beschließen:Bei unseren Arbeiten wissen wir uns be- stimmt vom Geist des Christenthuiits, ohne daß uns dies hindert, jeden als willkommenen Mitarbeiter anzuerkenne», der unsere Ziele sozialer Erneuerung als die seinen anerkennt." Dadurch soll auch Katholiken nnd Nichtchristen die Thür geöffnet werden. H. v. G e r l a ch wendet sich gegen Prof. Weber. Sowohl das eigentliche Bürgerthum als auch der Feudalismus seien reaktionär. Man könne sich weder dem einen noch dem andern anschließen. Die Politik des Bemitleidens können wir nicht verlassen, am wenigsten das Nietzsche'sche Herrenmenschen- thum knltiviren. Der frühereSozialdemokrat" Lorenz aus Leipzig   ist ebenfalls f ü r das Chrislenthum. An den Ansführungen Weber's hat er manches Gute gefunden. Das Großkapital sei häufig zu sozialen Reformen geneigt. Der mittlere Unter- nehmer könne das gar nicht, es gehe dabei zu gründe. Dies sei aber kein Schade, wenn tansende von Arbeitern dadurch in ihrer Lebenslage gehoben werden. Die Versammlung beschließt hierauf, an den gemaßregelte» Pfarrer W e r n e r ein T e l e g r a in m zu richten, in dein man der Hoffnung Ausdruck giebt. daß die Zeit kommen werde, wo auch de» evangelische» Geistlichen die staatsbürgerlichen Rechte garantirt seien. Redakteur Oberwinder ivendet sich eben- falls gegen Prof. Weber. Im Gegensatz zu Gerlach vertritt er das Nanmann'sche Programm, nicht das des Ausschusses. Dex abends stattfindenden Volksversammlung wegen werden die Verhandlungen V«7 Uhr abgebrochen. Die Diskussion erregt trotz ihrer ermüdenden Länge bis zum Schluß das lebhafte Interesse derVersammlung. Im Lause des Tages liefen zahlreiche Begrüßungstelegramme ein. Es sind offiziell erschienen 114 Delegirte aus 55 Wahlkreisen. Auch die Presse ist sehr zahlreich durch Berichterstatt«, darunter mehrere ausländische, vertrete». Die abends stattfindende öffentliche V e r s a m in l n>, g von Delegirten und Gästen ist gesüllt. Musikstücke wechseln ab mit einigen Ansprachen. Nach einer kurzen Rede von Frau Gnauck, schlug Professor Sohm die Sozialdemokratie mauselodr. Morgen, Dienstag, ist eine geheime Besprechung der Geld- geber derZeit", worauf um 9 Uhr die Programinberathung forlgesetzt werden soll. Erfurt  , den 24. November 1396. Nachdem heute morgen eine geschlossene Versammlung der Geldgeber derZeit" stattgefunden hat, beginnen um 9 Uhr die Weiterverhandlungen über das Programm. Pastor K r ö b e r ans Leipzig  : Wir müssen zur Klarheit komme», wollen wir eine Jnteressenpartei oder eine AolkSpartei? Wir wollen dem vierten Stande helfen, um der Nation ivillen. Das Volk verelendet unter dem heutigen System. Die Ein- ivände, die gegen die Aufnahme des Christenlhnms gemacht worden sind, kann ich nicht theilen. Weil wir die Nation wollen, wollen wir das Christenthum. Freilich möchte ich das Christenthnm nicht zur Voraussetzung der Zugehörigkeit zn unserer Vereinigung mache», aber erwähnt muß es im Programm iverden. Ich würde es nicht für gut halten, wenn sich die Inden auch unserer Bewegung be- mächtigte», wie sie es beim Freisinn gethan haben. Pastor G ö h r e: Es giebt keine Brücke zwischen Christen- thum und Polilik. Ich würde das Christenthnm vielleicht nicht ins Programm nehmen. Aber ivir müssen aus unsere Vergangen- heit Rücksicht nehmen. Wir sind vom Christenthnm zur Sozial- Politik gekommen. Wir sollte» daher unserer christliche» Welt- anschauniig Ausdruck im Programm geben, schon als Merk- mal des Gegensatzes zur Sozialdeinokratie. Weiter empfiehlt er die Aufnahme der Frauenfrage. Den Z 4 des Naumann'sche» Entwurfes(Vergrößerung des Antheils der Arbeit an» Gesammtertrage der Volkswirlhschafl) empfehle ich. Indem wir derArbeit" dienen, dienen wir dem nationalen Ganzen. Im vierten Stande liegt die Zukunft unseres Volkes. Die Kraft der Zukunft liegt im Sozialismus. Dieser beginnt sich i» der Form des Marxismus zu überleben. Wir wollen aber den fortgeschrittenen Sozialisinus vertreten. Schneider- geselle Ei che,» topf ans Sangerhansen meint, mit dem christlichen Paragraphen»verde man die Ar- b e i t e r nicht gewinnen. Diese würden erkläre», vom Christenthum können wir nicht leben. Ziehen Sie die Glace- Handschuhe des Gelehrteilthums aus und arbeite» Sie praktisch für die Arbeiter, dann werden sie Ihnen folgen. Werkmeister Bärrn aus Frankfurt am Main  will Eiitgegenkommen gegen die evangelischen Arbeiter- vereine und daher Beibehaltung des Christenthums. Die Sozialdemokraten sind»och zum großen Theil christlich; streichen Sie aber das Christenthnm, dann werden wir die Sozialdemo- kraten erst recht nicht gewinnen. Professor Sohm, der ab- gereist ist, läßt durch den Vorsitzenden erklären, daß er von der Anfnahme des Christenthums seine weitere Mitarbeit abhängig macht. Vor der Abstimmung spricht noch N a u m a n n. Er hat den Professor Weber so verstanden, daß man im Programin aus- sprechen sollwir wünschen die großmdustielle Ent- wickelung Deutschlands  ." Dein Gedankengang stimme ich zn, aber ins Progran»» gehört dies nicht. Auch mit den Ausführungen über Feudalismus  »nd Bürgerthum sympalhi- sire ich. Er beaiitragt sodann mehrere Abänderungen seines eigenen Entwurfs. Die Frrnienfrage sollte anfgenommen iverden, i»eine Fassung des die Religio» betreffenden Paragraphen halte ich für die beste, glaube aber nicht damit durchzudringen. Es folgt nun die Abstimmung über die Ausnahme deS Christenthums. Alle die zahlreichen Anträge, die auf dessen Ausschließung aus dem Programm zielen»nd nur be- Ionen, daß die sämmilichen Paragraphen ans christlichem Geiste fließe», werden abgelehnt. Unter lebhaftem Beifall einstimniig angenommen wird der Antrag Naumann-Kröber: Im Mittelpunkt des geistigen und sittlichen Lebens unseres Volkes steht uns das Christenthum, das nicht zur Partei- fache gemacht werden darf, sich aber auch im öffentlichen Leben als Macht des Friedens und der Ge»ui  »schaftlichkeit bewähren soll." Bei der nun folgenden Spezialberathung wird der neue Naumann'sche Antrag zu gründe gelegt. Die Be- rathung desselben ivird voraussichtlich bis zum Abend dauern. Z 1 wird nach längerer Debatte unverändert an- genommen, worauf um �e2 Uhr die Mittagspause eintritt. Für den Abend ist eine gesellige Zusammenkunft der Delegirten, für Mittwoch die Beralhniig der Organisation beab­sichtigt. Gevirfeks-Äeitung. Ein Freudenfest in der Preufienkncipe. Eine wilde Sache bildete den Ausgangspunkt einer umfangreichen Straf- fache, die am Dienstag vor dein Schwurgericht des Berliner  Landgerichts I   zur Verhandlung kam. Unter der Anklage der wiederholten schweren Urkundenfälschung saß ans der Anklage- bauk der erst 20 Jahre alte Justizanwärter Erich Zimmer, neben ihm saßen die Restauratenrfrau Bertha Schleifer und die Kellnerinnen Anna T h u n i g und Helene Sellin unter der Anklage der Hehlerei. Der erste An- geklagte, der ein Opfer des Leichtsinns nnd der Vergnügungs- sucht geworden ist. hat in recht verschmitzter und dreister Weise >6 Urkundenfälschunge» begangen und sein ganzes Leben dadurch verpfuscht. Er war als Jnstizanivärter am Amtsgericht II thätig und hat durch mehrere Urkundenfälschungen de» Justiz- fiskns zunächst um 345 M. und dann um 4500 M. geschädigt. Letztere Summe war in einer Zwangsversteigerung von einem Bieter hinterlegt worden; durch Fälschung von Unterschriften verschaffte der Angeklagte sich das Geld. Er wollte mit dein Gelde nach Amerika   durchbrennen, vorher aber noch die Freuden Berlins   durchkosten. Er ging in die in der Friedrich- straße belegene Prenßenkneipe und traktirte dort in un- glaublich spendabler Weise Wirthin und Kellnerinnen. Es entwickelte sich ein ganz unglaubliches Gelage. Der junge Mann bestellte 18 Portionen Abendbrot und hatte in kurzer eit vier Flaschen Rothwein und 20 Flaschen Sekt zu bezahlen. eine Rechnung betrug 324 M. Das störte ihn aber nicht. Mit der Grandezza eines kleinen Rothschild nahm er einen Tansendmarkschein aus seiner Brieftasche, ließ ivechseln nnd zahlte 500 Mark der bedienenden Kellneri». welche die überschießenden 176 Mark schmunzelnd als Trink- geld einsteckte. Der Geist des Weines brachte sowohl bei Z. als auch bei den übrigen Theilnehmern des Gelages das Blut heftig in Wallung und besonders der Spendeur wurde immer übermülhiger. Er sah nichts davon, daß die liebens- würdige Frau Äwthin, wie behauptet wird, beim Entkorken der in Massen aufmarschireiiden Flaschen mit der Marke Röderer carte blanche die Hälfte des theueren Nasses in den Eiskübel laufen ließ; er hatte auch nichts dawider. daß die Frau Wirthin aus seinem Portemonnaie die Kasse führte und den Kellnerinnen reichliche Trinkgelder zu- wendete. Die höchsten Trics behielt er sich selbst vor. Die An- geklagte Thnnig hatte es ihm besonders angethan, als sie als KellnerinToni" in seiner Nähe weilt«. Er schenkte ihr mit Gönnermiene plötzlich einen Tansendmarkschein als Trinkgeld. Darob aber wurden die anderen Kellnerinnen neidisch. sie er- zählten den Vorgang der Wirthin und auf deren Weisung mußte Fräulein Toni den schöne» braunen Schein wieder herausgeben. Der junge Mann meinte aber, daß er mit seinem Gelde machen könne, was er wolle, und so steckte er denn den Schein mit graziöser Verbeugungseiner Braut" wie er sich ausdrückte ins Mieder. Sehr eigenthümlich war