Kr. 66.Freitag, de« 19. März 1886.HI. Jahrg.ellimVMIMKrga» snr die Interessen der Ardeitcr.♦Abonnement»-(Einfodimg.Unser geehrten auswärtigen Abonnenien ersucken wirhöflichst, das Abonnement pro 2. Quartal 1886 auf das„Kerltnrr Dolksvlatt"mit der Gratisbeilage„Illnstrirtes Sonntagsblatt"baldigst, jedenfalls so rechtzeitig aufzugeben, daß ihnen eineNachzahlung von 10 Pf. Etrafbestellgelv erspart bleibt.Außerdem wird durch eine verspätete Bestellung die regelmäßigeZusendung der Zeitung unterbrochen.Der AbonnementSpreii für daS„Berliner Volksblatt'*W-■"*? ÄU p„ 9(,.«W ,886bei allen Reichspostanstallen.Die Expedition de»„Berliner Volksblatt".Berlin 8W., Zimmerstraße 44.Ei« wichtiz« IrKmiiIliß.Wir lesen in einem konservativen Blatte:„Man muß bekenne», daß in Deutschland die Arbeit»�eiustellungea im Tanze» friedlich verlaufe« und,wie b,i dem vorjährige» Maure» streik in Berlin oder demFormer streik in Leipzig, höchstens einige EinschüchterungS-versuche der Arbeitswilligen durch Streikeode vorkommen, sonehme» die Streiks bei den»omanischen Völkern fast immerden Charakter von Tewaltthätigkeiten an."Wir freuen uns aufrichtig über dieses Bekenntniß;deshalb wollen wir auch kurz die Gründe angeben, w e s-halb in Deutschland die Strrikt sich von Thätlichkeite»ferne halten, weshalb die deutsche» Arbeiter nicht so leichtbei Arbeitseinstellungen zu äußeren Gewaltmitteln greife«,wie die Arbeiter in den romanischen Länder«.Ganz abgesehen davon, daß die Romanen überhauptheißere« Blut, die Germanen größere Besonnenheit besitzen,liegt der Grund für da« Verhalte« der deutschen Arbeiterbei Streiks in der bessere« Erkenntniß dereigene» Lage und in der bessere» Organisa«tio» derselben.Seit Zahre» haben wir in Deutschland eine Arbeiterbeweguvg, welche sich trotz de» jetzt zum Oberreichsanwaltavanzirten früheren ersten Staatsanwalt« in Berlin, de«Herr» Tessenvorff, und trotz des Sozialistengesetzes nochimmer eine» innigen Zukammenhang« erfreut, wenngleichdie äußere Organisation zerstört ist.I» keinem Lande der Welt werden die Arbeiter, so«weit sie sich überhaupt um ihre gemeinsame Lage bekümmern,gfeuiflfctonoDer Trödler.Roman von A. E. Brachvogel.(Fortsetzung).Zustu»!"— begann die Frau leise und gepreßt,»sag's nur!— Uns ist auch gekündigt!'„O vermaledeit I!'.Zustu«, um Gottes willen I— O,«rcht d,e alteHeftigkeit, ich bitte Dich l'.. ä � v.Hast recht! Will nicht gleich einem HanSwurft wre derda oben rasen!— Za, uo» ist gekündigt l Hennings schreibt,n brauche fortan alle Räume für'« Geschäft und wolle über«dem sein Hau« von Zwistigkeite« und kleine« Muthern remhabe» l"—_.Siehst Du wohl? Hab' ich'« nicht immer gefürchtet?Die Geschichte von vorgestern hat das zu Wege gebracht!—Gort, ich will ja nicht schelte«, Mann! Aber Derne un«!?lige Bitterkeit und Spottlust. Dein Groll und Aerger. denDu an allen Leuten ausläßt, bringe« un« ganz m« Elend Ifrüher war'S Dein—"._„Dein-! Nu«, willst Du's nicht beenden. Frau?Hast Du nicht das Her, dazu?- Bring'«ich nur nichtr3-iWen auf de» weißen Nacken der«leinen, dre mt ver«Z«Äftund waakeod.„Ich will nur nachdenke«, es— es,tb sich schon ein« Auskunft finden!"durch die gleiche» Ideen, durch da« gleicheStrebe« so fest mit einander verbunden, wie inDeutschland. Die Macht der Zdee, die Arbeiterklaffe ausihre» gegenwärrigen Banden zu erlösen, übt eine derartigheilsame Wirkung auf die einzelne« Arbeiter, daß sie sichschämen, Rohheiten und unnütze Gewaltihätigkeiten zuverüben, und so sind durch die Arbeiterbewegung inDeutschland die Arbeiter selbst verständiger und gesittetergeworden.Man braucht sich nur in die Zeiten vor 25 Zahre»zurückzudenken, wo noch das HerbergSwesen herrschte unddie Arbeiter und Gesellen sich lediglich an einzelnen über«flüssigen Formen, am«arlenspiel und an der Flasche er»götzte». Und hatte man sich genügend daran ergötzt, so ware« ein verlorener Tag, wenn die Arbeitskollege» sich nichtordentlich die Köpfe wund schlugen.Z» jener Zeit wäre e« wahrscheinlich auch bei Streik«,die aber gesetzlich verboten waren, zu Gewaltthätigkeite» ge«kommen.Seitdem aber die Arbeiter zum Nachdenke» gelangt sind— besonder« in Folge der sozialdemokra«tische» Agitation, wie kein Mensch leugnen kann—da wissen sie, daß sie Bessere« ihm» können, al« sich gegen«seitig und anderen Leuten die Köpfe einzuschlage«.Man sieht da« am besten daran, daß dort, wo dersozial« Gedanke»och keine starke« Wurzeln geschlagen hat,z. B. im streng katholischen Oberschlesie« am ehestm Gewaltlhätigkeiten feiten« der Arbeiter vorkomme». Ueber>Haupt geschehen dort, wo die sozialistische Bewegung ammeisten ausgebreitet ist, wen» man dabei die andere» einschlägige» Verhältnisse unparteiisch in« Auge faßt, ver«hältnißmnhig die»venigsten Verbrechen gegen Leib und Lebe»der Nebenmenschen.Es ist da» auch nicht so unverständlich. Der Sozial!«muS will ja im Grunde doch nicht« andere« sein, al« einEvangelium deS Frieden«.Und die Kämpfe, welche nun einmal nothwendig sind,solle« doch in erster Linie Kämpfe deS Geistes sein, siesollen aber unter keine« Umstände« ihrerselbst wegen auSgefochten werden— daS ist zuge«standenerwaßen sozialistische Lehre.Durch solche Erkenntniß aber werde« die Gewaltthätigkeiten leicht zurückgedrängt.Nebe» der Weckung des sozialen Gedanken«,«eben demBewußtsein gemeinsamer geistiger Arbeit der deutschen Arbeiter zur Eiringung hoher Ziele, sind eS aber auch nichtin letzter-Linie die FachvereinSorganisatione«,welche strenge darüber wachen, daß besonder» bei Streikskeinerlei Ausschreitungen ihrer Mitglieder vorkommen.Diese gewerkschaftliche« Organisationen, die den ZweckChristine schüttelte den Kopf.— Zeder ging an sei»Tagewerk, ohne gefrühstückt zu haben. Später zog sichSchätzlei« an und machte einige Besorgungen ab, wahr«scheinlich suchte er Rath zu schaffen, um da« bevorstehendeUebel erträglicher zu machen. Er kam mißmuthig und un«verrichteter Sache wieder. Zu Mittag wurden auch nurei« paar Bissen gegessen, kaum daß man nach Tisch wenigekarge Worte wechselte. Wußte doch Keiner, wa« er demAndern sagen sollte, ohne auf die unglückselige Geschichte»kommen.—fing bereits zu dunkel« an, im Keller war's Nacht.Die Verkäufer schloffen ihre Schräge», Christine brachteihr Töchterchen zu Bett. Ach, wohl nie ward ein Vater»unser mit größerer Bangigkeit gesprochen.— Zustu« standauf der unterste» Treppenstufe und starrte empor in da»schwärzliche Himmelsblau, grübelte und zerplagte sein Hirn.— Da« Treiben de« Tage» hatte aufgehört, einzelneWagen rasselten vorüber, und leise, wie au« einem Grabe,erscholl die Stimme seiner Frau, welche Mathilde» in de«Schlummer sang.War schon sür Pinkert, de» Posamentier, die Kündigungei« unberechenbarer Nachtheil für sein Geschäft, war sie fürZustu« geradezu ein Verderbe«.AuS dem äußersten Elend hatte er sich mit seinerFamilie in so weit herausgearbeitet, um eine» kleinenHandel mit jenen Bagatellen zu beginnen, welche Anderewegwarfen, al« nutzlos, schlecht und überlästia für ei«eKleinigkeit hingaben: Lumpen, Glasscherbe», alte» Eisenu. s. w. Nur durch den größten Fleiß gelang es ihm, sichu erhalte«, ja nach und nach feine Lebenslage etwas zu>essern, sein Geschäft auf edlere und werthvollere Dinge zuerstrecken. De« bedeutendsten Erfolg seiner Bemühungenhatte er aber nicht sowohl seiner Thätigkeit, al« der über«au« glücklichen und bequeme» Lage seines Keller« zu danken,der, vom lebendiqen Verkehr des Markte«, de« kleinen Bür«gerthum« und Gewerbes umwogt, eine« Anlauf für alleDiejenige» bot, welche dergleichen alte Dinge kauften undverkauften. Da« war nunmehr durch die Kündigung abge«schnitten! 3« einem entfernten, stilleren Stadttheil warZustu«' Untergang vorauszusehen und die Hoffnung, i« derhaben, die Arbeiter vor Allem auf die nächstliegcn-de» Forderunge« zum Nutze» der Arbeiterklasse auf-merksam zu machen, lassen es in Deutschland im Großenund Ganze« auch nicht daran fehlen, in ihren Mitgliedernden ideale» Gedanke» an die allgemeine Erlösung derArbeit vom Druck« des Kapitals zu nähre» und aufrechtzu erhalte«.Dadurch werden die Arbeiter geistig und sittlich ge-hoben. Sie werden abgelenkt vom Egoismus und an Ge-meingefühl gewöhnt. Geistige und sittliche Hebung aberist da« beste Gegengewicht der Brutalität, organisatorischeErziehung hält auch die wildesten Elemente von Gewalt-thätigkeiten zurück.Also die Erziehung der deutschen Arbeiterwelt zur so-zialen Erkenntniß und zu verständige« Organisationen, dusist der Grund, weshalb die deutschen Arbeiter in ruhigerund verständiger Entschlossenheit, mit der sie auch ihreweitere«, ferneren Ziele anstrebe«, sich bei ArbeitSeinstellun-gen bewege«.Möge in dieser Hinsicht die gute deutsche Art sich inimmer weiteren Kreisen geltend machen, zum Heile derganzen Menschheit.Täuschung.Politische Weberstcht.tiung. Die Berliner„VolkSzeituna"„Volkszeitungm Illg.Ztq." folghaben d i e Soziäl'Reformen, welche die Reobessern bieten kann, für„Krimskrams" erklärt gegenüberSozial-Reformen, welche der LiberalismusUnd hierüber findMßlängst vollkommenbefindet sich da in vollkommener Täuschung.allerdings darüber klar, daß die Sozial-Reformen,schreibt ineiner Polemik gegen die„Nordd. Allg.Ztg." folgendes:„Wirlaben die Sozial-Reformen, welche die Reaktion den Ar-denihnen bietet.find. welche„KrimSkramS" find,hnen Reaktion und Liberalismus bieten,aber, vaß fie dabei den liberalen Sozial-Reformen, die wohlim Monde liegen mögen, da sie uns unbekannt find, den Vor-zug geben, davon haben wir nichts gehört. Wir möchten übri-genS gern wissen, welche Sozial-Reformen die„Volkszeitung"meint, die den Arbeitern der Lideralismus bietet. Meint daSBlatt die dem Liberalismus vor zirka 18 Jahren in denSchooß geworfenen„Errungenschaften", wie Freizügigkeit, Ge-werbefreiheit u. s. w., so find wir ja mit denselben völlig ein-verstanden, aber daS find doch keine Sozial-Reformen, welcheder Liberalismus den Arbeitern bietet. Gerade der Kapi-taliSmus ist eS, der in erster Linie bei diesen„Sozial-Reformen" da« Schäfchen geschoren hat. Diese sozialen Re-formen wurden nebenbei dem Liberalismus damalsauf dem Präsentirteller entgegengebracht, worauf derselbeals Aequivalent der Regierung die polttifche Freihkitopferte. Dank find deshalb die Arbeiter dem Liberalismusnicht fchulvig. Für die der wirthfchaftlichen Herrschaft dcsLiberalismus günstigen Gesetze in den Jahren 1868—1878,eigentliche» Geschäftsgegend ein geeignete« Lokal zu finden,eitel und haltlos. Alle verzweifelten Empfindungen, dieden Gatte« und Vater in de» Stunden drückendster Nah-rungssorgen überkommen mögen, durchschüttelte« ihnfieberhaft, und der kalte Schweiß perlte von seiner Stirn.Zu Henning« zu gehe« und um Zurücknahme der Auf-kündigung zu bitte«, erschien ihm eben so fruchtlos wielächerlich. Henning« war jovial, wo er sich nrcht genirtoder beeinträchtigt fand, beides aber war hier der Fall,da» fühlte Schätzlei». Ueberdem hatte der reiche Kaufmannseine sehr ernsten, rücksichtslose» Seite«, vollständige Gleich,giltigkeit gegen die Gefühle kleiner Leute und eisernesBestehe« auf seinen einmaligen Beschlüssen. Die Art, wieer diese seine Obergewalt geltend zu machen pfleg, e, warum so schmerzvoller, als er feine Verfügungen mit einertrockea-scherzhaften Laune traf und alle Dinge al« Kleinig.leite« behandelte, welche er zweimal in den Mund zu nehmenzu vornehm war.—So stierte Schätzlein vor sich hin. Die grauenvollstenBilder thürmten sich in seiner Einbildungskraft auf undgepreßte Seufzer stiege« empor i« den mächtigen Sternen-räum.Er fuhr jäh empor, al« ein Lehrling Henning«' dieHausthür aufriß und todtenbleich schrie:„Heiliger Sott,"die Cholera!"„Halt!" rief Zustu» und wollte den vorübereilendenZungen fasse«.»Ich muß zum Doktor l" keuchte der Bube und ranntedavon.Schätzlein, au« dem Keller tretend, bemerkte nunmehrwie Hennings' Lade« i« größter Eile geschlossen wurde'Ein Kommi«, welcher de« Hut aufstülpend vorbeilief sagte-„Der Herr hat eben die Cholera gekriegt, ich muß auf diePolizei!'Schätzlein's Miene blieb unverändert. Nur ei» leiserZug verhaltener Ironie glitt wie ein Hauch über sein Ge-ficht.— Er ging rasch hinab in den Keller.„Christine," und er legte die Hand auf die Schulterseiner Frau..Du wirst vernünfttg sein und thun, wa« ichbefehle. Gott läßt e« vielleicht zu unser« Heil ausschlagen.