Nr. 75Sonnabend» den 27. Marz 1886.III. Jahrg.clMMyMBrgan für die Jntereffen der Arbeiter.An die Arbeiter Berlins!Mit dem Ablauf dieses Mona» find zwei Jahre verflossen, seitdem dieses Unternehmen, das.Berliner Volksblait", das einzige Albeiterblatt der Reichs«Hauptstadt, in« Lebe» gerufen worden ist. Von allen Seilen angegriffen, unter dem Druck eines strengen Ausnahmegesetzes und mit allen möglichen sonstigen Schwierigkeiten kämpfend,ist eS dem.Berliuer Volksblatt' dennoch gelungen, fich eine feste und achtunggebietende Stellung innerhalb der hauptstädtischen Presse zu erkämpfe» und zu behaupte». Wirfühle« uns getragen von jener große» Bewegung, welche alle vorgeschrittenen und selbstständizea Arbeiterkreise erfaßt hat, und wir wissen, daß auf diesem Verhältaiß unsereStärke beruht.Ze stärker wir find, mit desto mehr Nachdruck können wir die Zateressen der Arbeiterschaft im öffentlichen Lebe» geltend machen. Dies möge« vor Allem Diejenigmbegreife«, die e» bisher an Energie und Eifer für unsere Sache haben fehlen lassen. Es ist für ein publizistisches Organ heute nicht allzuleicht, der Arbeiterbewegung einer große»Stadt als Banner zu dienen; die Aufgabe kann ihm aber bedeutend erleichtert werden, wen» ihm genügend Sympathie, Unterstützung und Mitarbeit au» de» Arbeilerkreise» zuTherl werde».Wir wolle» und dürfen un« in dieser Beziehung nicht beklage»; wir haben zahlreiche und eifrige Freunde gefunden. Aber wa« wir erstreben, ist«och nicht erreicht;wir wolle», daß da«.Berli»er Volksblatt" eine Verbreitung erreicht, die dem Umfang der Arbeiterbewegung entspricht.Da« Organ der Berliner Arbeiter müßte von Rechtswegen das gelesenste Blatt in ganz Berlin sei«. E« müßte de» Stolz der denkenden und selbstständigen Arbeiter ausmache«, ihr Organ als da« verbreitetste und einflußreichste zu sehen.Wir verschmähe« die niedrige» Mittel der Konkurrenz, mit denen andere Unternehmungen das Publikum zu fange« bemüht sind. Wir wenden u«S an Kopf und Herzder intelligente« hauptstädtischen Arbeiterschaft und rufe» ihr zu:Euer Interesse gebietet Euch, da« Blatt, da» allein de» Kampf für Eure Sache führt, allen de» Blättern vorzuziehen, die Euch feindlich gegenüberstehe».Und mit Ausnahme des„Berliner Volksblatt" stehen alle Blätter Berlin» ohne Ausnahme der Klasse»bewegung der Arbeiter feindlich gegenüber.Wen» sie Euch auch manchmal schmeicheln, so kommt doch der Pferdefuß zum Vorschein, sobald Eure eigenste« Interessen in Frage stehe».Beherzigt die« und handelt darnach!Zur Arstebiiiiz ia DiMmtzesrh«.Wir waren in der letzte» Zeit mehrfach in der anae-nehmen Lage,««s anerkennend Über die Haltung de»deutschen Reichstags ausspreche» zu können.3« der Polenfrage, bei verschiedenen Wahlprüfunge»,beim Branntweinmonopol hat der Reichstag sich fest ge-zeigt; ei» demokratischer Hauch zog durch denselben. Aller«ding« verleugnet derselbe Reichstag beim Sozialistengesetzdiese Haltung, doch ist«an an da« Schwanken de« Reichs«tags in dieser Frage schon seit Zahre» gewöhnt, daß da»-selbe kaum mehr auffällt.Aber auch bei einer anderen Frage ist die klerikaleund deutschfreifinnig« Opposition gänzlich au« der Rollegefallen. Wir meine» bei Berathuvg de» sozialdemokrati«schen Antrag« auf Aufhebung de« DynamitgesetzeS am vorigenMittwoch.E« ist auch nicht ein Mitglied de« Reichstags, welche»mit dem Gesetz völlig zufrieden wäre. DaS Gesetz ist inUebereilung gemacht worden und zwar zu einer Zeit, wodie ReichSdote» schon ihr Bündel geschnürt hatten, um nachder Heimath zu eilen.Juristische Ungeheuerlichkeiten btfi»dea sich in dem Ge«setz; das niedrigste Strafmaß für den Besitzer von Dynamit,der die polizeiliche Erlaubniß nicht nachgesucht hat, ist dreiMonate Gefängniß. Und hätte bei Einführung des Ge«setze» nicht ein sozialdemokratische« Mitglied de» Reichstag«darauf aufmerksam gemacht, so würde obige Straf« auch dentreffen, in dessen Behausung man Dynamit fände, auch wen»der Besitzer keine Ahnung vavon hatte. Es würde genügthaben, wenn irgend ei»„guter Freund' unbemerkt ein Päck«che« Dynamit Jemanden in« Gehöft oder in» Haus legte,um drei Monate in« Gefängniß zu spazieren.Diese Ungeheuerlichkeit wurde lediglich auf Anregungehte« Sozialdemokraten au» dem Gesetze herausgebracht, in-dem da« Wort.wissentlich" w de» Entwurf aufgenommenwurde.—Da» Gesetz hat fich»un»ach keiner Richtung hin be-währt. Verbrecher find durch dasselbe bi» heute nicht ge-troffen worden, lediglich harmlose Leute, Arbeiter und Unter-nehmer, die von der Existenz de« Gesetze« gar keine Ahnunghatten und in Folge dessen die polizeiliche Erlaubniß zumBesitze de« Dynamit««»cht besaßen.De«halb halte» die Sozialdemokraten da« Gesetz fürüberflüsfig und zugleich für schädlich und hatte» eine- An-trag auf Aufhebung desselben im Reichstag eingebracht.Anstatt daß nun sämmtliche Parteien sich mit diesemzeitgemäße« Antrag i» eingehender Weise hätten be«schäftigen müsse», beseitigten sie unter Führung derHerren Windihorst und Hänel den Antrag durchUebergang zur Tagesordnung.Und welche Motiviruag?Weil die Sozialdemokraten de« Antrag auf Aufhebungdes Gesetze« gestellt hätte«, deshalb könne man da« Gesetz»icht abändern.Die Regierung hat in Bezug auf da» Sozialistengesetzauch nur die einfache Verlängerung verlangt und doch hatder Abgeordnete Windthorst eine ganze Anzahl von söge-nannten VerbesserungSauttägen eingebracht. Da« hätte auchbei dem sozialdemokratische»»nttage geschehen können; wennMan die Aufhebung de« ganzen Gesetze» nicht wollte, sokonnten bei der zweite« Berathuvg de« Antrag» bei deneinzelne» Paragraphen AbänderungSanträge gestellt werden,die zum mindesten alle Uagenauigkeiten hätte beseitigen unddie drakonischen Bestimmurgen aus dem Besitze eutferne«müssen.Weshalb man dies von Seiten de» Zentrums und desFreisinns nicht gethan hat? Weshalb man einfache» Neber-gang zur Tagesordnung dekreti.te?.Die zeitgemäße Anregung zur Aufhebung resp. zurAbänderung de» Dyaamitgesltze« war von s o z i afl d e m o«kratischer Seite ausgegangen und hatte in der Be-völkerung große Sympathie sich erwoiben. Wenn»undieser Anregung Folge gelüstet worden wäre, so hätten dieSozialdemokraten wieder eine« großen Erfolg erzielt. DieSmußte verhindert werden aus Partürückstchtea. Die großenParteien setzten i h r Wohl über das Volkswohl— undso verübte der Reichstag seinen jüngste» Streich gegen dieRedefreiheit.———Daß da» Dynamitgesetz. wenn nicht aufgehoben, sodoch abgeändert wird, ist nur eine Frage der Zert. Zentrumund Deutschfreifinnige werden wohl schon in der nächstenSession einen dahin zielenden Antrag einbüngen. Dan» sinds i e natürlich die großen Volksfreunde, dann haben f i enatürlich allein das Wohl de« Volkes in» Auge gefaßt.—Hoffentlich aber wird dann das Volk nicht vergessen haben,daß ohne die Anregung der Sozialdemokraten in dieserFrage nichts geschehen wäre.Politische Ueberstcht.Die Arbeiterbewegung. Au« verschiedenen Ländernkommt täglich Kunde, daß die Bestrebungen der Arbeiter, fichbessert LedenS« und Arbeitsbedingungen zu erringen, an Um«fang zunehmen. Wir brauchen hier nicht zu wiederholen, waSin Frankreich, in England, in Belgien, in Holland, in Nord«amerika vor fich gegangen und wir haben auch zu den Exzessen,die da und dort vorgekommen find, hinlänglich Stellung ge«nommen. Da» deutsche Phllisterthum, dessen Stimme zuweilenauch kläglich in drn Zeitungen widerhallt, kann fich diese Er«scheinungen gewohnter Maßen nicht ander« erklären, al» indeme» in dem Gespenst des Anarchismus die treibend« Ge«walt, den Hebel dieser Bewegungen«blickt. Mit dieser banalenAnschauung eine in so vielen Ländern gleichzeitig und im.Ganzen auch gleichartig auftretende Bewegung fich zu erklären,mag einem Philtstergehim vielleicht genügen; unS nimmer«mehr. Wir trauen un» einen mit langjähriger Erfahrung ver«bundenen Einblick in die Ardeitecoerhältniffe zu und wirwissen, daß der Anarchismus niemals Massen in Bewegungsetzen kann, sobald diese Massen aus wirklichen Arbei«tern bestehen. Diejenigen Ardeiter, die zielbewußt bessereArbeits- und Lebensbedingungen anstreben, haben mit demAnarchismus, dessen Ziel die Auflösung aller bestehenden Der«hältniffe und die gänzliche Ausrottung deS S:aatSged ankenSüberhaupt ist, nicht» zu thun, so wenig alS wir. UnserePhilister aber sollten fich gar nicht herausnehmen, über solcheErscheinungen abzuurthellen, so lange sie so wenigwie gegenwärtig über deren ökonomische Natur unterrichtet find. Die heutige PeoduktionSform in Verbindung mitder Konkurrenz de» Weltmarkts birgt in fich die entschiedeneTendenz, die Löhne.herabzudrücken, die Arbeitszeit zu ver-länger«, die Arbeitskraft deS Einzelnen so viel al» möglichauszunutzen und so immer mehr Arbeitskräfte überflüsfig zumachen. Daß in Folge dessen unter den Arbei ern fich überallBewegungen geltend machen, die darauf gerichtet find, fichgegen diese Wirlungen der heutigen Betriebsweise in der In«dustrie zu schützen, ist so erklärlich, daß man darüber keineWorte zu verlieren braucht. Gewisse Blätter ziehen allerdingsau« den Exzeffen, die an einzelnen Orten vorgefallen find, diedemagogische Nutzanwendung, daß man die politischeGesetzgebung gegen die Arbeiter verschärfen müsse,und wir haben ja gesehen, in welch' plumperWeise die Vorgänge von London und Lüttich alS Argumentfür die Verlängerung de« Sozialistengesetze« verw-rthet worden find. Für un« bedeuten jene in so vielen Ländem gleich«zeitig auftretende Erscheinungen nur den definitiven und voll«ständigen Bankerott der manchesterlichen Theorie»jener Theorie, nach welcher die Staaten die Pflicht haben sollen»die wirthschaftlichen Zustände fich ohne jeden Eingriff ent«wickeln zu lassen und den Schwächeren der Ucbergewalt de«Stärkeren rückfichtSloS preiszugeben. Möge man aus den Zeit«ereigniffcn die Lehre ziehen, daß e« geboten ist, an Stelle über«flüsfiger Redensarten endlich Thaten in Gestalt ernsthaftersozialer Reformen treten zu lassen. Diese werden da«letzte Mittel gegen den Anarchismus sein und wir wollendabei betonen, daß unS der gefährlichste Anarchismus jene«wirthschaftliche Durcheinander zu sein scheint, das im Charakterder heutigen Industrie begründet ist. Dieser wirthschaftlicheAnarchismus hat die Maffmarmuth zum Wahrzeichen unsererZeit gemacht und hat ganze Völkerschaften entkräftet. Ihn zubekämpfen, erscheint unS als die erste Aufgabe. Möge manallerwärt« endlich einsehen, daß man solche Erscheinungen nichtoberflächlich beurtheilen darf und möge man fich daran ge»wöhnen, da« WirthShauSgeschrei der Philister ebenso gebührendzu taxtren wie die Kunststückchen der offiziösen Blätter.WeShnld Fürst Bismarck gestern eigentlich im Reich««tag erschienen ist, da« können wir nicht verstehen. BloS umdem Leichenbcgävgniß de« Branntweinmonopols beizuwohnen?Denn wa« Fürst Bismarck sagte, war eigentlich nicht neu mehr.Er deSavouirte den ihm zugeschriebenen StaatSstreicbSgedankcn,kündete«ine neue Branntweinsteuer noch für diese Reichstag!»se fion an und deutete auf äußere Gefahren hin, welche dazuanaethan seien, baldmöglich die inneren Angelegenheiten de»Reiche« zu ordnen, mit andern Worten, neue Gteuerquellen zuerschließen. Der Vortrag de» Fürsten Bismarck war durchausnicht schneidig; er hatte vielmehr.einen recht elegischen Anstrichund zeigte, daß das gespannte Verhältnis zwischen Reichs«tag unv Reichskanzler gerade dem letzteren näher geht,als dem Reichstag selbst, dessen Majorttät den Ausführungende« Kanzler« mit großer GemüthSruhe folgte. Der Reichs«kanzler verstieg fich sogar zu dem Ausspruch, daß er hoffentlichnur noch kurz« Zeit die Geschäfte de« Reiche» zu leiten habenwerde- Solche elegischen Drohungen hat der Kanzler bekannt-lich schon häufig gemacht, deshalb prallen dieselben, da ste nichtgenügenden Glauben finden, an dem Reichstag ad, der ganzficher in der Branntweinbesteuerung fich nicht von seinemgegenwärtigen Standpunkt abdrängen lassen wird.Die geplante Abänderung de« RetchSverfassung. DieAlarmgerüchte der„Freif. Ztg." finden nirgend« rechtenGlauben. Auch die„VoltS-Ztg." hält jeden Versuch zu einemStaatsstreich für auSfichtSlo». Als Autor der Staatsstreich-gerüchte wild von den„Verl, poltt. Nachr." der Abg. Dr.