Nr. 77.

Donnerstag, den 1. April 1886.

III. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt

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Er hat sich nochmals selbst gerichtet

W

der Berliner   Hofapostel Stöder in der Reichstagefißung vom 30. März. Dieser Tag, den er dazu bestimmt zu haben schien, sich zu rehabilitiren", wurde für ihn ein wahrer Tag des Unglücks! Der eble Diener Soites", der seit Jahr und Tag unter stetem Beruf auf Gott  ", Religion", Kirche"," chriftliche Staatsordnung" 2c. die denkbar wüftefte Hege gegen das Judenthum betreibt und die niedrigsten Leidenschaften, Neid, Haß und Nach fucht aufftachelte, um von der lieben Unwissenheit und Be schränktheit seiner Verehrer" als ein zweiter Luther" ans geftaunt und beweihräuchert zu werden; dieser tragi- komische Fanatiker, der feinen Feinden gegenüber in rücksichtslosester Weise nach dem Grundfage handelt: Der 3wed heiligt die Mittel"; diefer fromme" Prediger der nächstenliebe und des Gebotes: Du sollst nicht lügen", deffen Wahrheits­liebe" erst ganz fürzlich vor Gericht in einer für ihn geradezu vernichtenden Weise illustrirt wurde; dieser ver­ehrungswürdige" Mensch hatte die Unverfrorenheit, in der Sozialistengeset Debatte nicht nur seinen religiösen Fanatis­mus, sondern auch seiner fattsam bekannten Schmäh sucht einmal wieder gründlich die Bügel schießen zu Laffen.

"

Wenn die Welt noch eines Beweises dafür bedurft hätte, daß der Berliner   Hofprediger bei all seinem Auf­treten lediglich einer höchst kleinlichen persönlichen Ruhm sucht Rechnung trägt, so würde sein letztes Auftreten im

Feuilleton

Der Trödler.

Roman von A. E. Brachvogel. ( Fortsetzung)

Pfui, Beate, wie unrecht!" sagte Mathilde. " Sa, pfui immerzu, aber ich hab' auch gehört, daß ihn der Alte gefragt hat, ob ihm denn kein Mädel in S... gefällt? Da erzählte Edmund denn von Wulfens und Webels und, der Geier weiß, von welchen Frauensleuten, und der Alte rechnete schon aus, wie viel Vermögen Jebe hätte. Auf eine Baronesse As-, Aft-, Du lieber Gott, hab' ich den verrückten Namen vergessen! Mit As fing er an, fur, auf eine Baronesse Wolkenheim, oder so' was, ist der Herr Edmund ganz verseffen, aber der Alte schien schlechte Luft zu haben! Warten Sie's nur ab, in ein paar Tagen wird sich schon Alles zeigen!"

Es ist aber doch ganz unmöglich, Beate," feufate Christine. Wer Edmund beim Abschied sah, kann's nimmermehr glauben! Paßt auf, es tommt doch besser, als wir denken."

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Ich muß ihn sprechen, Beate, will den Versuch machen, ob er mir ausweicht; Mutter! laß uns morgen Nachmittag auf den Friedhaf zu Annen gehen, und Beate mag es ihm fagen. Kommt er nicht, bann, dann soll Beate recht haben.

"

Es ist das Beste," antwortete die Mutter, bann tommst Du doch wenigstens einmal in die Ruhe. Warst Du doch in den legten Monaten in ewiger Auf­regung!"

Gut, Madame Schäßlein. Morgen früh werd' ich's ihm fagen. Wollen fehen, ob sich eine erfahrene Person wie ich täuscht. Haben wir's nicht seinen Briefen ben ganzen Winter und das Frühjahr über angesehen, daß er von seiner Mathilde, feinen Versprechungen und den Leuten im falten Stein" herzlich wenig wiffen will, und nur noch Schande halber so thut, als gingen sie ihn' was an?"

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Expedition: Zimmerstraße 44.

Reichstage als solch ein Beweis anzusehen sein. Er trug eine Selbstüberhebung und Selbstüberschätzung zur Schau, für die er mit Recht die ungestüme Heiterkeit ber Majorität des Hauses erntete. Es hätte nur noch gefehlt, daß er ausrief: Mein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit." Er gerirte fich so vollständig als Verkünder des Willens und der Absichten der Gottheit, wie immer nur ein unfehlbarer Papst es ihun fönnte. Seines Geifers vollste Schale sprigte er über die " gottlofen" Sozialdemokraten, insbesondere über den ihm so fehr verhaßten Juden" Singer. Das ganze Gebahren erinnerte uns lebhaft an die Fabel von dem Raben und bem Schwan. Den schwarzen Gesellen ärgert des Schwanes helles Kleid, der auf flarem Wasser ruhig seine Bahnen sieht; er trägt einen Haufen Roth zusammen und bewirft Damit seinen Feind. Der aber taucht unter und erscheint im nächsten Augenblide so wie zuvor, während die boshafte schwarze Kreatur fich erst mühsam die Krallen wieder vom Rothe fäubern muß.

Wenn's dem Berliner   Hofprediger wieder einmal eins fallen sollte, die Rolle des Naben zu spielen, so möge er fich dieser Fabel erinnern. Uebrigens haben wir keinen Anlaß, einem Menschen zu grollen, der es so trefflich wie er verstand, fich vor den versammelten Vertretern der Nation felbft moralisch hinzurichten.

Die belgischen Tumulte.

In der belgischen Deputirtentammer find bie Unruhen nunmehr zur Sprache gekommen. Der Ministerpräst dent Bernaert machte folgende Mittheilungen über die Be wegung und deren Unruhen: Die Arbeiter flagten über unzu reichenden Lohn und verlangten eine Verkürzung der Arbeitszeit. Die Erträgniffe aus der Ausbeutung der Kohlengruben feien indeß äußerst spärliche; in den lezten 8 Jahren habe das dabei interesfirte Kapital nur 1 Prozent ergeben, und wenn man das den Arbeitern zukommen laffen wolle, so würden diese daraus boch nur einen Mehrverdienst von 6 Bentimes täglich haben.(?!) Der Minister giebt sodann eine Darstellung der Borgänge, bei denen fich nur bie efe des Bolls be heiligt habe. Durch die am 18. März in Lüttich   vorgekommenen Rubestörungen seien die Behörden überrascht worden, am 20. aber seien Truppen requirirt und die Ordnung sei sofort wieder hergestellt worden. Auch die Unterdrüdung der am 26. b. im Berstörungen habe nicht auf fich warten laffen. General van Koblenbeden von Charleroi   stattgehabten Ausschreitungen und

der Smiffen habe bereits am 27. mit 12 Bataillonen und Man mache der Regierung den Vorwurf, daß fie den Effektiv 9 Eskadrons in dem Kohlenreviere von Charleroi   geftanden. stand des Heeres zu febr verringert habe, derselbe be­trage 44 750 Mann. Am 27. dss. set die Einberufung weiterer zwei Klaffen der dienstpflichtigen Mannschaft angeordnet, dieser

Schäßlein trat von der Thür weg, er mußte genug. Schnell zündete er feine Pfeife an und qualmte heftig vor fich hin, während er in die Lampe ftierte. Balb lächelte er höhnisch, bald murmelte er, wie zornig bewegt.

Als die Frauen hereinkamen, fanden sie ihn eifrig lesend, und man ging ohne große weitere Unterhaltung zu Bett.

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Ihre empörten Gefühle, ihr getränkter Stolz hatten die alte Beate verleitet, Edmund's Sünden im schwärzesten Lichte darzustellen und der armen Mathilde wie Mutter Christinen eine schlechte Nacht zu machen. Mit der Wichtig­feit, die sich diese Gute als Erzieherin Edmund's und Ver­traute feiner Liebesgeheimnisse anmaßte, ließ sie den jungen Mann am andern Morgen, nachdem Papa Hen­nings in's Geschäft hinabgegangen war, ihre Berstimmung empfinden. Da Edmund dies aber nicht verstehen zu wollen schien, sondern sich trällernd anschickte, Visiten zu machen, konnte sie sich nicht länger halten.

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So? Also Herr Edmund vergessen wohl ganz, wem Sie Ihre Liebe und Treue geschworen haben und daß Sie Nachmittags an Annens Grabe Gesellschaft finden können. Sie natürlich denken an nichts, als als an die Baro neffe!!"-

Edmund schrat furchtbar zusammen und starrte Beaten an, indem er sich heftig auf die Lippen biß.

Beate, ich bin Dir vielen Dank schuldig, und den werde ich nie vergessen, eben so wenig wie meine übrigen Pflichten. Eine Idee muß ich Dir aber benehmen, nämlich bie, ich sei der Knabe noch, den Du hofmeistern tannst. Was ich thun und lassen soll, ist meine Sache, und ich rathe Dir, Deines eigenen Vortheils wegen, misch' Dich

nicht hinein!"

schön, junger Herr, gut, junger Herr! Von heute ab wird mich auch nichts mehr' was angehen! Werd' mich ab wird mich auch nichts mehr' was angehen! Werd' mich nicht mehr hergeben, Ihre heimlichen Briefe-

Die brauchst Du auch nicht mehr zu bestellen, eben so wenig wie Du den Spion an der Thür zu machen haft, wenn ein Sohn mit seinem Vater spricht! Ich habe sonst eine alte, treue, gutherzige Beate gehabt, von der ich mir

Befehl sei in rascher Ausführung begriffen. Man müffe jest an die Zukunft denten. Die Regierung werde dies in aller Stube thun und nach Mitteln suchen, den Arbeitern zu helfen und Arbeit für sie zu finden. Nicht die Arbeiter seien es, denen man die vorgekommenen Verwüstun gen auzuschreiben habe. Die Regierung werde einen Kredit von 43 Millionen fordern; man set beschäftigt mit den Vorarbeiten für den Bau von Vizinallinien und noch vor dem Ende des Jahres würden 352 Kilometer dieser Linien dem Betriebe übergeben werden können. Nach dieser Darstellung des Minifters scheinen einmal die Ereignisse fich nicht so schred lich gestaltet zu haben, als sie anfangs geschildert wurden, und fcheinen wiederum verlumpte Burschen und weniger eigentliche Arbeiter die Haupterzedenten gewesen zu sein.

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die legten Nachrichten zusammen, die aus dem Baffin von Wir faffen nunmehr nach den telegraphischen Meldungen Sharleroi nicht mehr so schlimm lauten. Allerdings ist es noch an einzelnen Stellen zu blutigen Zusammenfiößen gelom men, so in Mariemont, wo 3000 Streitende einen Angriff auf bas Kohlenbergwerf machten und von den Truppen zurückges fchlagen wurden, wobei 14 Personen getödtet oder verwundet wurden; so in Barges wo es zu einem blutigen Busammen stoß mit der Gendarmerie tam. Auch weitere Arbeits einstellungen haben im Laufe des Montags noch statt gefunden, aber zu Ausschreitungen wie am Sonnabend ist es nicht mehr gekommen. Es wurden zahlreiche Ver haftungen Don Anarchisten und Aufrühretn DOT genommen. Das eingetretene starte Regenweiter erleichterte Den Truppen die Unterbrüdung der Bewegung. Nach einem Wolff'schen Telegramm aus Tournai   ist daselbst eine An zahl Streikender in die Stadt eingedrungen und verlangt von ben Befizern der Steinbrüche eine Erhöhung der Löhne, sowie schriftliche Verpflichtungen der Arbeitgeber. Aus Antoing wird gemeldet, tak zahlreiche Abtheilungen Streifender Die ländlichen Orte durchziehen und zur Arbeitseinstellung auf­fordern.

Ueber das Verhalten der Soldaten äußern fich einzelne Drgane sehr mißfällig. So schreibt ein Berichterstatter des Berl. Tagebl.":" Ich hatte Gelegenheit, mit verschiedenen Arbeitern zu sprechen; ich habe mich diesen Morgen, um die Ansichten der Leute kennen zu lernen, eigens unter Arbeiter in ein Rupee dritter Klaffe gefeßt und dabei gefunden, daß die Leute durch die Attaden des Militärs weniger gebändigt, als fürchterlich erbittert worden sind. Vor allem find die Frauen wie rasend und teizen die Männer unermüdlich zum Widerstante. Das ver goffene Blut hat einen Ingrimm und daß hervorgerufen, deren Folgen gar nicht abzusehen find. Es ist ohne Grund auf uns gefchoffen worden!" behaupten die Leute; ein Arbeiter erzählte seinen Kameraden, die Soldaten hätten ohne Weiteres auf eine friedliche Deputation gefeuert, die sich dem Offizier genähert hätte, um mit ihm zu unterhandeln.

Was hieran Wahres ist, mag dahingestellt bleiben, das Blutbad von Nour am 27. März hätte dagegen nach meiner Ansicht wohl vermieden werden fönnen. Nach den Berichten Der hiesigen, den Fabrilbefizern freundlich gesinnten Preffe

Vieles gefallen ließ, weil sie eben meine alte Beate war, eine gemeine Horcherin und Klatscherin verachte ich!"

Beate ging zornsprühend hinaus und warf die Thür in's Schloß, um sich in der Rüche auszuweinen. Sie war au der traurigen Einsicht gekommen, daß ihr unumschränktes Reich gänzlich vorüber und Edmund so schlimm geworden fei, daß eine treue Person, wie fie, dem Undankbaren ben Rücken wenden müsse." Sie gelobte sich steif und fest, daß tein Wort über ihn ferner von ihren Lippen gehen follte. Ihre Erbitterung war tief und in fofern gerecht, als fie, nachdem sie die Vertraute seiner Liebe gewesen, sich am wenigsten einer rauhen Behandlung verfehen konnte. Mit bem bin ich fertig!" sagte sie, indem sie zornig die lette Thräne aus der Wimper wischte.

eben so natürlich. Aber bie Art, wie er mit der alten Wirthschafterin umfprang, schien mindestens unbesonnen. Die Macht, welche sie über ihn als Knaben geübt, der Einfluß, den er ihr selbst als Vertrauten seiner Neigung eingeräumt, ließ fie bei ihrer geringen Bildung eben die Grenze zwischen Recht und Unrecht vergessen. Dies hätte Edmund bedenken sollen. Sein 3orn und Schrecken zu gleich entsprang aber aus der fatalen Gewißheit, Beate habe Mathilden mitgetheilt. Daß er hierüber so in Harnisch ge feine Aeußerungen über Astarte   gehört und sie sogleich rathen könne, bewies ihm ferner zu seiner eigenen Beschä mung, daß er sich selbst schuldig fühle. Er ärgerte fich nachträglich über fein faltes Benehmen gegen Beaten und fuchte es im Laufe des Tages möglichst gut zu machen, aber die gekränkte Wirthschafterin sah hierin erst recht, wie ge gründet ihr Argwohn sei, und setzte ihm ihrerseits einen trockenen Zon entgegen, ber den Triumph über den jungen

Edmund's Erbitterung über Beaten's Horcherei war

Mann besiegelte.

Nachmittags schüßte Mathilde Einfäufe vor, um sich bei Justus zu beurlauben, und wanderte so erregt wie ungewiß nach dem alten Ort des Stellbischeins.

Juftus, nachdem er Chriflinen einen Geschäftsgang auf getragen und nun allein war, wartete ab, bis Beate fich im Hofe bliden ließ, winkte sie zu sich herein und brang ihr ein umfassendes Bekenntniß über Edmund ab, welches