»r. 78.
Freitag, den% April 1886«
III. Jahrg.
cllmerVolkiblM Krgan für die Interessen der Arbeiter.
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ngetragen in der Poftjeitunatvrttiliste für 1888 unter Nr. 769.)
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Ziemlich genau so, wie wir eS unseren L-scra voraus« sagten, ist der Verlauf der Berathung de« Sozialistengesetzes erfolgt, nur daß die entscheidende Abstimmung über die Verlängerung de« Gesetze» schon in die zweite Lesung ge- fallen ist und in der dntte» Lesung nur einfach wiederholt wird. Im Allgemeine» wurde angenommen, daß dre Ver- längerung des Ausnahmegesetzes nur mit ganz lnapper Ma- jorttät durchgehen würde, jedoch haben wir dir» stet» be» stritten und auf eine größere Majorität hiv gewiesen. Diese hat sich auch zusammengefunden, da mindestens d i e Hälfte de« Zentrums für die Verlängerung de» unveränderte» Gesetzes gestimmt hat, so daß dieselbe mit 27 Stimmen Majorität angenommen wurde. Die anwesenden Deutschfreisinvigen stimmten sämmt» lich gegen da» Gesetz; die Sozialdemokraten waren voll» zähltg am Platze. Eme namentliche Abstimmung, die auf Antrag von mindestens 50 Mitgliedern stattfinden muß, wurde nicht beliebt, so daß man weder die Stimmende»,»och die Fehlenden genau kontroliren kann. Bei der dritten Lrsung aber soll der Versuch gemacht werden, eine namentliche Ab» stimmung zu erzielen. Doch nun wolle« wir uvS den Verlauf der ganzen Berathungen de« Sozialistengesetzes noch einmal vergegenwärtigen, nm da« Gaukelspiel des Abg. Windihorst in seinem vollen Glänze würdige» zu können. Um seine und de» Zentrums Volks- und Freiheitsfreund» lichkeit in Hellem Lichte zu zeige«, brachte Dr. Windthorst in der Kommission eine Reihe von AbävderungSanträqen ein, welche einzelne Befugniffe der Polizei beschränken, im Uebrigen aber da« Gesetz in seiner vollen Härte bestehe« lassen wollte». Mit Trompetento» wuide dem staunenden Volke verkündet, daß unter der Führung der„schwarzen Schaar" das Bollwerk der Reaktion, da« Sozialistengesetz im Sturm genom- me«— pardon— langsam abgetragen werden sollte. Und wie gestaltete sich dieser Angriff? Nicht mit Spieße« und Stange« und Brecheisen be- waffvet, rückte die„schwarze Schaar" heran, sondern ihr Führer Dr. Windthorst mit einem Schurzfell avgethan und mit der Maurerkelle in der Hand kratzte an dem Bollwerk herum, so daß etwas Mörtel herabfiel. Das war die ganze That! Zn der Kommission wurde« die Windthorst'sche» An- träge bekanntlich angenommen; das ganze amendirte Gesetz aber verworfen, da die Linke de» Reichstag « da« abgekratzte Reaktionsbollwerk«och immer für gefährlich hielt und die Rechte nur ei» wieder aufgeputztes haben wollte.
KeuMeton. Der Trödler. Roma« von A. E. Brachvogel. (Fortsetzung) „Verrückt, verrückt I Alle Welt ist verrückt!" knirschte Edmund, als er vom„kalten Stein' abfuhr.„Gott sei Dank, daß ich aus dem Neste herauskomme! Mathilde will idyllisch in Kattunkleid und Schürze die Höhe de» Leben« finde»! Karriere soll ich mache«, aber solide soll ich lebe«! Ei» Weib nehmen, aber nicht so und nicht so! Hol'« der Henker, ich renn' gerade durch und handle, wie mir'« paßt! Da» ist die alte Manier, mit mir umzu- springe«! Alle korrigiren sie an mir, und schlußlrch ist« Keinem recht!— Hah, da kommt Oberhoff!— Wie lang. weilig, philisterhaft die Kneipe daliegt!— O Schaum der Jugend— und— dahinter ist nicht»! Fahr zum Teufel, Schwager, jede Stunde eher in S... ist er» Prostt am Lebe«!!' Vierte« Kapitel. Die Meinung, welche Edmund von den Personen und Dinge» im„kalten Stein" nunmehr zu hegen für gut fand, war weder seiner Liebe zu Mathilden, noch zum Vaterhause sonderlich voitheilhaft. Statt in sich die einzige Quelle alle« Widerspruch, und aller schlimme« Veränderungen zu suche«, hatte er die Gewohnheit der meiste« Menschen: alle» Uebrigen die Schuld des Zwiespalt« beizumesse«, sich selbst aber für höchst vernünftig zu halte«. Zu dieser ver» kehrten Meinung kam noch der Verdruß, während seines Besuche» bemerkt zu haben, daß ihn Zeder noch für de« alte» unbesonnenen Knabe» nahm, welchen man zu seinem eigenen Heile modeln und renke» müsse. Daß er jetzt der Erziehung wirklich um so benöthigter war, als er bis jetzt eben gar keine, oder, was schlimmer war, die wider- sprechendste von der Welt empfangen, kam seiner wachsen-
Dasselbe Schauspiel wiederholte sich im Reichstage selbst. Die Amendements Windthorst wurde» zunächst an genom- men; das also amendirte Gesetz wurde au« denselben Gründen wie in der Kommission wieder abgelehnt, da auch die Regierung sich mit einem solchen nicht einverstan- den erklärte. Da also die Regierung und die konservativen Parteien sich den Anträge« Windthorst widersetzt hatte«, so wäre e« eigentlich in der Ordnung und im Sinne der Zentrum«- devise:„Für Recht, Wahrheit und Freiheit!— ge« wese», wenn nunmehr das Zentrum gegen die ursprüng- liehe Regierungsvorlage, also gegen die Verlängerung de» Gesetzes überhaupt gestimmt hätte Aber da« gehörte nicht zur Komödie; zu der Komödie, welche Regisseur Windthorst den Mitglieder» de» Theater « so genau eingeübt hatte. Deshalb trat auch mit würdevoller Miene Freiherr von Hertling hervor, nahm zunächst von Windthorst da« Schurzfell und dann die Maurerkelle, mit welcher die kleine „Kratzbürste" an dem Bollwerk der Reaktion herumgekratzt hatte, und fing an, gravitätisch wie immer, diese« Boll- werk wieder aufzuputzen, so daß dasselbe ganz nach Wunsch der Regierung und der Konservative« aussah. Für da« so wieder hergestellte Gesetz fand sich nun auch eine Majorität, bestehend au« de« Konservative», de« Nationalliberalen und so vielen wohlgezählten Streitern„für Recht, Wahrheit und Freiheit", daß da« Bollwerk der Reaktion wieder hergestellt wurde, so„reinlich und zweifelsohne", wie e» bisher war. Aber nur auf zwei Jahre! Nach zwei Jahre», da« schwört das Zentrum beim Hertling, wird dasselbe— wieder verlängert werden. Doch genug der Komödie! Da« Zentrum will seinen Wählern und besonders den katholischen Arbettern Sand in
.. annehme» könne. Deshalb___ Expirimentire� und die hohle« Phrasen von Arbeiter. freundlichknt. Aber im entscheidenden Augenblicke, da zeigt sich die „schwarze Schaar" in ihrer wirklichen Gestalt, a l« di e Vorkämpf eri« der Volksverdummung und der rothesten Reaktion.
Charakterfestigkeit hielt. Wohl hatte Mathilden« die alte Jugendliebe
Politische Ueberstcht. Di« entscheidende Abstimmung über daö Sozialisten- gesetz ist schon in der zweiten Lesung erfolgt; die Abstimmung in der dritten Lesung ist bedeutungslos, da ste ledig- lich da» Resultat der zweiten bestätigen wird. AlleS, waS wir de» Eitelkeit, seinem Eigenwille« nicht entfernt in de« Sin». Galt er nicht in S... für eben so wohl erzogen wie ge- sittet, für eben so geistreich wie liebenswürdig? Die Anforderung MathildenS, ihr zu Liebe in da« enge Joch sogenannte» spießbürgerlichen Philisterium« zu kriechen, die Hartnäckigkeit, mit welcher sie, allerding» von der MutteS wie Beate» bestärkt, jedem fernere» Austausch, jedem Vergleich auswich, erzürnten Edmund aufs Heftigste. Er warf ihr Eigensinn, Unbildung und Mangel an jedem höhere« Streben vor, und bestärkte sich um so mehr in seiner Starrhett, al« er Dieselbe für männliche Kraft und er beim Wiedersehe» neu aufwalle» gefühlt, hatte ihn doch die schlichte Lieblichkeit und Naivetät feiner Gespielin mit dem alte« Hauche süßer Stunde« umweht! Als er indeß«ach S... zurückkam, in diese glänzende« Gesellschaften neu eintrat, machte er wider Willen dre Be« merkung, daß Mathilde doch mit diese« pikante« Schönen, am allerwenigsten mit der strahlende« Astarte einen Ver- gleich aushalten konnte, ja e» ganz unmöglich sei, daß er mit ihr in der Ehe, bei so verschiedenen Lebenswünsche« und Begriffe», glücklich werden könate. Diese Entdeckung machte er, als er eben von seiner erste» Vifite bei der Baronin Wollenstem zurückgekommen war und mit der bezaubernden Astarte längere Unterhaltung gepflogen, welche ihn berauscht nnd mit neuen Seelenfäde» an diese verführerische Schöne gefeffelt hatte.— Er entsetzte sich vor dieser Entdeckung! All« Geister der Leidenschaft, der Selbstqual und Selbstlüge wurde« ist ihm wach! Hut und Handschuhe von sich werfend, ging er mit großen Schritte» im Zimmer auf und ab. Der Kopf brannte ihm und er empfand ei» Herzschlage», als ginge er eben an eine schimpfliche That, an ein nie gut zu machen- des Vergehen! „O du witzreiches Hirn, das mich sonst nie im Stiche ließ, schaffe mir Rath! Entwirre diese Räthsel meiner Seele und gieb mir Licht über mich felber! Ich liebe Mathilden noch mit derselben Innigkeit, wie al» Knabe!
an dieser Stelle vorher gesagt haben, ist eingetroffen.— Bei der Berathung deS Gesetzes wurden vom BundeSrathStische Aeußerungen laut, die darauf schließen lassen, daß da» Gesetz fortan mit größerer Schärfe noch angewandt werden wird. Die Arbeiter aber dürfen nicht verzagen. Hat doch unter der Herrschaft dieses Gesetzes die Arbeiterpartei große Fortschritte gemacht; ist fie doch mächtiger geworden in der Vertretung der Nation; hat fie fich doch gefestigt nach innen, ist ste doch gewachsen nach außen! Deshalb muß fie auch in aller Ruhe, aber auch mit aller Kraft, wenn auch gehemmt durch ein AuS» nahmegesetz, weiter kämpfen, um ihr Ziel: Das Wohl und die Freiheit deS Volke?, daS gleiche Recht für Alle, endgilliz zu erreichen. Schwer ist ein solcher Kampf, aber nicht aus- fichtsloS— die Einigkeit deS arbeitenden Volke» führt zum Siege. Die Angst der besitzenden Klassen vor Erweitern«« deS Wahlrechte» der großen Masse trat in der Mittwochs- fitzung deS preußischen Landtag» wieder einmal schlagend zu Tage. Zur Berathung stand ein Antrag des ultramontanen Abgeordneten Bachem, den ZensuS bei den Wahlen in gewissen Gemeinden herabzusetzen. ES giedt bekanntlich heute noch Ge- meinden in Preußen, in welchen das Bürgerrecht, bez. das Stimm« und Wahlrecht in Kommunalangelegenheiten an die Bedingung eineS jährlichen KlaffensteuerdeitrageS von 3 oder 4 Thalern geknüpft ist, in diesen Gemeinden besteht also nicht nur vreiklassenwahl, das elendeste aller Wahlsysteme, sondem Dreiklaffenwahl und dazu noch ein ziemlich hoher ZensuS! Ader auch nur diesen ZensuS zu beseitigen oder herabzusetzen, dazu war die Majorität deS Reichstages nicht zu haben. Der g. Fritzen vom Zentrum betonte ganz richtig, durch die de-
stehende Gesetzgebung würden viele kleine Leute von dem Ein- uß auf die Gemeindeverwaltung ganz ausgeschlossen. Der
„ rikonservatioe v. Oertzen meinte aber,..«S sei keineswegs nöthtg, der arbeitenden Bevölkerung eine Mitwirkung b-i den Kommunalwahlen einzuräumen, ia daS würde sogar unter Um- ständen gefährlich sein!" Der Nationalliberale Seyfardt hielt eS für„bedenklich", gegenwärtig einen Schritt zur Erweiterung deS Wahlrechtes zu thun. Brave Volks Vertreter!
sich die bisherigen Mittheilungen über die Stellung der Kurie zur Anzeigepsticht als ungenügend erwiesen. Die Beratbung der Vorlage im Plenum wird an einem der nächsten Tage stattfinden. Der Papst soll nur die Erfüllung der Anzeige- Pflicht in Bezug auf die zur Zeit vakanten Pfarrstellen zuge. jagt haben, derart, daß für die Besetzung von Stellen, welche fernerhin noch vakant werden, die Anzeige eben so wenig wie früher gemacht werden würde. Diese Haltung soll für die Ab- lehnung der Kopp'schen Anlräge seitens der Herrcnhauskom» Mission entscheidend gewesen sein. Der„Wislf. Merk." faßt die Gegensätze zwischen Regierung und Kurie knapp und scharf Wen» ihr Bild mir vor die Seele tritt, empfind' ich eine tiefe, heilige Rührung, ei» stille«, traumseliges Behage«, wie in jene« alten Stunde«, da uns die Welt nur ein Wundergarten voll Märchen und ei« jeder Tag ei« neue» buntes Leben war I So zutraulich frei werd' ich mit keinem Weibe mehr rede«, so alle meine inneren Regungen rückhaltslos keinem lebenden Wesen mehr preisgebe»! Ich liebe sie. und doch— zu meinem Weibe nehmen— nun, da ich Astarte wiedergesehen?— Unmöglich I— Wir stehe» un» zu nahe, kennen un« zu sehr, um uns wie Liebende,
wie Gatten zu umfangen! Es ist fast, als sollte ich die eigene Schwester freien I Und dann hat sie wieder von all' de« Bedingungen meine« Daseins, von meinen Wünschen, meinem Ehrgeiz, meinen Gefühlen und Neigungen keinen Begriff! Jeder Tag scheint diese unsere Gegensätze zu ver- mehre« I Was ist den« Ehe, wen« sie nicht die vollendete Harmonie deS Leben», Streben«, Fühlen» und Denken», der Bildung und Gewohnheit ist! O. e» giebt nur ei» Weib für solch holdeS Doppelleben I Ästarte!— Wir ver- lehen uns,_ ohne zu reden, unsere Gedanke« begegnen sich
einem Blick, unsere Empfindungen sind so gleich, so ergänzend, daß nicht» Liebe genannt zu werden verdient, ist eS nicht das! So habe ich nie— nie bei Mathilde» empfunden I Ich bin glücklich gewesen wie ei» Kind, aber ward nie in Begeisterung zu ManneSthaten beflügelt, wie durch Astarte!!•— O Hohn! Und Beide lieb' ich! Bi» verflucht, Beide zu lieben, Keine zu lasse», und darum Keine zu besitze»! Unmöglich, Edmund! Entwirre da» Räthsel, werde Dir klar!"— Er preßte seine erhitzte Stirn an die Scheibe» de» Fenster». Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, sein Herz wand fich in krampfhafte» Zuckungen. „Ja, e« ist so— ist so!— Mutterlos, wie ich bin, fast kann ich sagen auch vaterlos— hat der sich doch jetzt erst um mich gekümmert— wuchs ich mit Mathilden auf, wie Bruder und Schwester! Heilige, süße Geschwisterliebe band un« zusammen, und al« wir aufwuchsen, diese Nei- gung für etwa« Anderes nahmen, uns bei Annen» Grabe in kindischer Uebesonnenheit verlobten, betrogen wir uns!— Sei mir, süße Gefährtin der Jugend, Mathilde, sei mir