Ar. 88.
Mittwoch, den 14. April 1886.
in. Jahrg.
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Drgan für die Interessen der Arbeiter.
Dtt kirchliche Friede.
So nennt man gewöhnlich die sich gegenwärtig voll- ziehende Aussöhnung zwischen dem römischen Stuhl und dem preußischen Staat. DieBe- Zeichnung ist sachlich nicht zutreffend, denn bei dem ganzen „Kulturkampf" hat es sich doch um andere Angelegen« heiten gehandelt, als etwa nur um rein kirchliche Streit- fragen. Und auch nunmehr, da man im Begriff steht, sich wieder zu vertragen, find für die bevorstehenden Entschlie« ßungen der beiden bisher sich bekämpfenden Mächte ganz andere Dinge bestimmend, als die inneren Verhältnisse der katholischen Kirche .. Die letzteren liefern nur die äußer- liche Form, unter der das neue Gebäude, das in Aussicht steht, aufgeführt werden soll; der eigentliche Inhalt hat da- mit wenig zu thun. Daß die Versöhnung nunmehr zu Stande kommen wird, daran ist keinen Augenblick mehr zu zweifeln, nachdem der Inhalt der neuesten vatikanischen Schriftstücke, die Herr von Goßler dem preußischen Herrenhause vorgelegt hat, be- kannt geworden ist. Daraus ersieht man, daß der Reichs- kanzler gegenüber dem päpstlichen Stuhl die Besorgniß ge- äußert hat, der„kirchliche Friede" möchte nicht zu Stande kommen, wenn man römischerseitS die A n z e i g e p f l i ch t nicht bewillige. Der Reichskanzler meinte damit, daß die parlamentarische Mehrheit sich einer Revision, beziehung«- weise Abschaffung der Maigesetze widersetzen werde und nur durch Gewährung der Anzeigepflicht zu gewinnen sei. Der Papst hat in diesem Punkte nachgegeben und hat zugestan- den, die anzustellenden Geistlichen künftig der preußischen Regierung anzuzeigen, wenn nur das Versprechen einer baldigen Revision der Maigesetze gewährt wird. Man sieht, die beiden bisherigen Gegner sind einander nun so nahe gekommen, daß die entscheidende Umarmung in Bälde stattfinden kann. Die Abänderungsvorschläge sind So beschloffen, daß Konservative und Zentrum denselben zu- iimmen werden. Vielleicht thun es auch die Nationalliberalen, denn sie werden wohl einsehen, daß die schöne Zeit des Kulturkampfes für sie unwiderruflich verloren ist. Für das Zentrum wird sein Sieg— da« bleibt unsere Eii
Auffaffung— ein Pyrrhussieg sein; e» wird seinen Ein-
fluß auf die Massen zweifellos zum größten Theil einbüßen, wenn auch nicht sofort. Heute lächeln die Zentrumsblätter
erhaben darüber. Abwarten und Thee trinken. Aber auch noch andere Leute scheinen bei dem interessanten Schauspiel, wie sich Papst und preußischer Staat nach langem Streite wieder mit einander vertragen, in Halluziationen zu verhüllen. Das„Berliner Tageblatt", bei dem wir allerdings noch keinen beson«
§fe«UXeton.
Der Trödler. Roman von A. E. Brachvogel.
(Fortsetzung) Siebente» Kapitel. Am Morgen nach dieser verhängnißvollen Familien- Uene, welche den künftigen Frieden und das erträumte Glück aller Betheiligten gänzlich zu untergraben schien, nach einer qualvoll verbrachten, einsamen Nacht, begab sich Edmund zu seiner Gattin, um etnen Versuch zur Verständigung und Aussöhnung zu machen.— Wohl war die überheiße Liebe zu Ästarien einer aräulicken Nückternbeit aewi-ben. nW
der tiefe Schmerz, fortan so bar und leer jede« Schimmers -15
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von Glück zu sein, die Schmach und Schande, welche ihn durch Bekanntwerden seine« hauslichen Elends bedrohte, Ehrgefühl und Scham zusammen vermochten ihn diesem Schritte. Gleich so Manchem klammerte er sich zu an den letzten Rest de« verlorenen Besitze» mit schmerzlicher Angst, so sehr er auch fühlte, daß er ihm ganz verloren gegangen tÜ' et„nur nach einem lügenhaften Schein, einem Nichts Aand ausstrecke. _..Er fand äl starten vor ihrem Schreibtisch über Papieren, welche sie_ sichtete. Sie wandte den Kopf, als er eintrat, biß sich heftig auf die Lippe, warf ihm einen kalten Blick �u und setzte dann ihre Beschäftigung fort.— Fast knaben- sm.-i? �»3 und diese Entwürdigung trieb sein inü ziTchtT bezwang sich indeß mühsam und ,.»Astarte , ich komme zu Dir— der Gatte, welcher mit seiner Frau allein die Zerwürfnisse auszumachen hat. Ich die Gewalt Deiner gestrigen Leidenschaftlichkeit wird sei 4 der meinen gelegt haben, Du wirst vernünftiger
»Ich begreife nicht, wa« Du mir nach solchen Vorgän« gen noch zu sagen hast? Du beleidigtest nicht nur meine
deren politischen Scharfsinn zu bewundern hatten, meint, mit der Ueberweisung der vatikanischen Aktenstücke an da« Herrenhaus habe der Parlamentarismus„den glänzendsten und entscheidensten Sieg" davongetragen, „dessen er sich jemals auf deutscher Erde hat rühmen können". Nach den Diplomaten de« Moffe'schen Blattes ist nämlich der Kanzler in eine Sackgasse gerathen, au» der ihn nunmehr das Parlament heraushauen muß. Und welch ein Parlament— das Herrenhaus! An dieser Auffaffung ist nur richtig, daß die Regierung mit dem Kulturkampf in eine Sackgasse gerathen war. Nun brauen Rom und Preußen eine Vorlage zurecht, der alle reaktionären Elemente im Verein mit dem Zentrum zu- stimmen können und das nennt man einen Triumph de« deutschen Parlamentarismus! Wir sind vom deutschen Parlamentarismus gewiß nicht erbaut, aber vor solchen „Triumphen" möchten wir ihn in Zukunft denn doch be- wahrt wissen. Am Ende wird eine von des Reichskanzler» Liebling«- Ideen, nämlich den Papst in Fulda zu haben— wie Busch mittheilt— auch noch ver- wirklicht und daS„Berliner Tageblatt" sieht e« als einen „glänzenden Erfolg de« deutschen Parlamentarismus" an, wenn der preußische Landtag dem Papst eine Residenz in Fulda und zur höheren Annehmlichkeit einige Milliönchen jährlich bewilligt! Doch genug von den Halluzinationen Moffe'scher Blätter. Wtr sehen die Sache viel ernster an. Die Ver- söhnung mit Rom dürfte noch Manches mit sich bringen, wovon die Herren vom„Tageblatt" keine blasse Ahnung zu haben scheinen. Nach erfolgter Versöhnung ist dann auch endlich die feste parlamentarische Majorität da, nach der man sich so lange gesehnt hat. Die freisinnigen, wirklich oppositionellen Elemente scheiden dann nach und nach aus dem Zentrum aus, und sie bilden jetzt im Zentrum weitaus die Minderheit. Die reaktionären Elemente aber helfen dann die große Mittelpartei bilden. nach der die offiziöse Presse schreit, wie der Hirsch nach frischem Wasser. Und alle die„schmiegsamen" und unbestimmten po- litischen Elemente werden sich dann dieser großen Mittelpartei anschließen. Daß diese Mittelpartei zunächst daran gehen wird, sich behaglich einzurichten, daran zweifeln wir nicht im Geringsten. Das nächste Ziel ihres Angriff« wird das allgemeine und geheime Wahlrecht zum Reichstage sein und vielleicht liegt darin dann ein Kommentar zu den dunklen Worten de» Kanzler», die er der Linken zurief, von der Bahn, die man zu be« treten genöthiat sei und die dahin führe, daß Diejenigen, welche über seine Ausführungen lachten, nicht mehr im Reichstage fitzen würden. Um dahin zu gelangen, dazu würde e« alsdann keiner
Mutter, Du entehrtest sie, indem Du ihr da» Haus ver- botest, in dem ihre Tochter lebt, da» Haus, welches Du ihr selbst angeboten! Du hast mich betrogen, denn statt ein wohlhabender, unabhängiger Mann zu sein, bist Du bevor- mundet von diesem Trödler, dem abgefeimtesten Betrüger, den die Erde trägt! Statt mich zu lieben, wie Du stet« in überschwänglichfiem Wortschwall betheuert, hast Du nicht
allein vorher eine ordinäre Liaison gehabt, sondern mit «so
dieser Person noch am Verlobungsabend ein Rendezvous veranstaltet, wahrscheinlich um ihr Garantien Deiner ferne- ren Liebe und ein klingendes Aequioalent für Deinen Besitz zu gewähren! Ich denke, wir sind doch wohl mit einander fertig? T
wirkli Dein
nicht
war, willkürlich in meinem Hause aufzutreten, ehe sie meiner _..---------.----------"
Genehmigung sicher war und die Verhältnisse kannte, magst Du Dir selbst sagen. E» stand einer Dame von so vor- nehmem Selbstbewußtsein, wie sie zur Schau trägt, schlecht an, sich meine Geschäfte zuzueignen, und wenn sie sich her
beiließ, sogar die Dienstboten auszuhorchen, zu Denunzianten ihre« Schwiegersohnes zu machen, um die Ehe ihrer
Tochter
zu stören, so hat sie sich ebenso entwürdigt, wie sie mich unheilbar verwundet hat. Deshalb habe ich vorge- zogen, in ihr den täglichen Störenfried zu verbannen! Da» Testament liegt offen da, Du magst also selbst sehen, daß der Wille meine« Vater», nicht der mei- nige, vre Verhältnisse also gestaltet hat. Die Zeit, nicht ich durch nutzlose Prozesse, kann sie verändern. Astarte, sei doch einsichtig! An der Seite Deines Mannes, dem Du Liebe zuschworst, ist Dein Platz, nicht neben der Mutter. Mein Verhältniß mit Mathilden, deS Trödler« Tochter, war rein, und wer selbst ehrlos ist, kann un« einer Ehrlosigkeit bezichtigen. Mutterlos, wie ich war, wuchsen wir zusammen auf al» Gespielen, liebten un» wie Geschwister naiv und schuldlos, und wenn aus diesen Gefühlen eine phantastische
Revolution von oben, keines Staatsstreichs bedürfen. Die Versöhnung mit Rom kann Alle« bringen, wa« man braucht; wozu dann ein Staatsstreich? Und wozu ein Staatsstreich gegen eine so geistvolle bürgerliche Opposition, die in dem Pakt mit Rom„einen der glänzendsten und parlamentarischen Erfolge" erblickt? Diese Fortschrittler und Dämmerliberalen werden au« ihren Halluzinationen wahrscheinlich sehr unsanft erweckt werden. Wenn sie dann Zeter schreien, sollten sie es zuerst über ihre eigene Kurzstchtigkeit thun.
UoMische Ueberstcht. o(raten und Sozialdemokraten. Wir
Demotraten und Sozialdemokraten. Wir find stets Gegner aller unklaren Parteiverhältnisse nach recht« und links gewesen und freuen un« daher des jüngsten Streich-S der rheinisch-westfälischen Demokraten ganz aufrichtig, weil hierdurch der unüberbrückbare Gegensatz zwischen bürgerlicher und pro« letarischer Demokratie wieder einmal scharf beleuchtet wird. Ehe wtr aber auf die Sache selbst kommen, müssen wir noch nachholen, daß besagte rheinisch, westfälische Demokraten am Sonntag einen„großen Parteitag" in Elberfeld abhielten und daß auch etwa 40 Mann erschienen waren. Bei Manchen war die Demokratie freilich nicht ganz zweifelsohne. Wenigsten« behauptet die„Freie Presse", vaß auch Herr Polizeisekretär Lautz(der vor einiger Zeit, als er seinen jetzigen Posten eben angetreten hatte, gelegentlich eineS sozialdemokratischen AuS- flugeS einmal mit recht wenig Erfolg als„sozialdemok, atischer Wnnreisender auS Koblenz " debütirte) als„demokra- tischer Paitetfteund" zugegen war und von Herrn Lenzmann sogar aufgefordert wurde, fich persönlich an den Ver- Handlungen zu betheiligen!— waS wenigstens dafür spricht, daß diese Demokratie keine weltumstürzende Pläne brütet.
Nicht so gemüthlich wie gegen den Pottzeisekreiär war man aber gegen den Redakteur GllleS, weil dieser— schrecklich zu
sagen I— den sozialdemokratischen Bestrebungen zu freundlich
gegenüberstehe, ja im Stillen sogar bereit« Sozialdemokrat sei. Das ging den freisinnigen Herren doch über die Hutschnure
Das ging_.._______ — und so schloffen fie Herrn Gille« endgiltig von ihrer Ge- meinschaft aus. Und fie thaten recht, denn der Sekretär Lautz steht diesen Leuten allerdings näher als der etwas sozialistelnde Herr Gilles! .... Hervorzuheben ist nur noch, daß der Antrag auf AuS- schließung gestellt wurde von demselben Herrn Lenzmann, der serner Zeit, gemeinschaftlich mit Phillip«, dem Redakteur der Berliner „Volk«.Zeitung", fich von den„Deutsch . Freisinnigen trennte, um die Freiheit zu retten. Die Ar- Leuten
it zu retten. ten zu erwarten haben.
deiter sehen, wa« fie von solchen „Wir müssen alle rutschen, auf dem ewig gleichen Standpunkt stehen bleibt nur der politische Wahnsinn." So
.. hnstn preisen die nationalliberalen„Jtzehoer�Nachiichten" fich ob ihrer " calm
Bekehrung zur vollen Reaktion. Die Nationalliberalen rutschen allerdings alle, und zwar— Bauch l Die Londoner Sozialisten Hyndman und Genoffen find bekanntlich vor Gericht freigesprochen worden. Dazu de-
Zugendliebe erwuchs, wenn wir un« gegen den Willen un- serer Väter vorschnelle Schwüre thaten, so hat da« spätere
Leben, hast Du vor Allem mich über die Unrichtigkeit der- selben belehrt. Erst als ich Dich sah, erfuhr ich, was
Liebe und was nur brüderliche Freundschaft sei. Diese
Freundschaft ihr zu weihen, bin ich der Gefährtin meiner Zugend schuldig, sie wird nur mit meinem Leben verlöschen!
Ihr dies zu sagen, war mir an jenem Tage wissenSpflicht, wo ich mich mit Dir verlobte. Daß ich Dich, Ästarte, nur Dich allein geliebt, beweist, daß ich dem Wunsche meine« Vater«, der mich kurz vor seinem Tode Mathilden vermählen wollte und ihr deshalb den Schmuck vermachte, nicht nachgab. Deine Liebe zu mir wäre falsch und erlogen, wenn Du in meiner Beziehung zu Mathilden etwas Anderes erblicktest, als eine Kinderneigung, eine reine, selbstsuchtslose Geschwisterliebe! Sprich I Laß nicht fremde, niedrige Verleumder unseren Frieden vernichten, unsere Ehe trüben, die ich mit Opfern erkaufte, zu denen nur die glühendste Leidenschaft fähig macht!"— Er hatte ihre Hand gefaßt, sah fie mit brennenden Blicken an, al« wolle er ihre Antwort vorweg aus ihren Mienen lesen. Sie entzog ihm ihre Rechte und trat zurück.„Ich be- wundere Dein Verstellungstalent, mein Lieber, noch mehr die geschickte Art, mit welcher Du diese allerliebste, unschul- dige Jugendidylle Deiner Frau plausibel zu machen weißt. Ein Wort für tausend. ich glaube nicht daran I Du hast mich betrogen, mir Liebe geheuchelt! Gut, nun ich erwacht bin, werde ich mich in diese neue Art der Ehe, welche auch ihre interessanten Seiten hat, al« Dame von gutem Ton zu finden wissen I" „Astarte , mache mich nicht rasend! Quäle mich nicht so! Du liebst mich noch, mußt mich noch lieben, oder Du hast mich nie geliebt I" „Nicht näher, wenn ich bitten darf!— Scham wie Abscheu erfüllen mein Herz. Du bist ein Falscher, ein Ehiloser! Wurdest eS an mir, wie an jenem Geschöpf! Selbst wenn Alles bis auf den letzten Worthauch wahr ist, was Du mich versicherst, so frag' ich Dich, warst Du als Ehrennann nicht verbunden, mir diese« naive Jugend«