I habe auf dem Rock des Arikellagten einen alien und einen frischen Blutfleck gesehen. Hausdiener Hintze bestätigt im Wesentlieben die Belun« düngen des Kriminal- Kommiffars. Vertheidiger, Rechtsan­walt Dr. Richard Wolff: Herr Kommissar, wenn hier bewiesen wird, daß die angeblichen Blutflecken überhaupt keine Blut- flecken und daß mit den bei dem Angeklagten vorgefundenen Werkzeugen der Mord nicht ausgeführt sein kann, würden Sie alsdann den Angeklagten noch für den Mörder halten? Zeuge: Diele Frage kann ich nicht ohne Weitere? beant- warten. Präs.: Wenn Eie auf dieser Frage beharren, Herr Vertheidiger, dann werden wir, unter Vertagung der Sache, die vorgesetzte Behörde des Heim Zeugen fragen müssen, ob letzterer befugt ist, diese Frage zu beantworten. So ohne Weiteres kann der Herr Kommiffar eine Fraae von solcher Tragweite nicht beantworten. Vertheidiger: Ich be> halte mir einen solchen Antrag vor. Kriminal> Polizei Fw spektor v. Hülleffem: Ich habe die Blutflecke auf dem Rocke des Kowalski gesehen und mir schien es auch so, als waren einzelne frisch gewesen, als Richtsachverstän- mger kann man daS ja aber nicht mit Be> stimmtbeit sagen. Ich habe zunächst den Kowalski über seinen Aufenthalt am 3. Rovember zu Protokoll vernommen. Kowalski sagte mir, er sei zunächst mit Kreuzberger und Eupvrian in d-r Arbeit«,-Kolonie und attdann im Büreau deS Vereins zur Besserung entlassener Strafgefangener gewesen. Alsdann sei er in eine in der Lindenstraße belegene Volksküche gegangen. Nachmittags sei er mit dem Kellner Kogel in ver- schiedenen Kasss und Hotels gewesen. Ich vernahm alsdann den Kogel und dieser bekundete mir mit vollster Bestimmtheit. unter genauer Angabe von fich als wahr erwiesenen Daten, daß er nicht am 3. sondern am 4. November mit KowalSk in dm verschiedenen Kafs'S und Hotels gewesen. Ich hiett dieS dem Kowalski vor, dieser blieb jedoch bei seiner Behauptung, daß es am 3. November gewesen ist. Präs.: Nun, Angeklagter, was sagen Sie dazu?- Angekl.: Ich bleibe dabei, daß eS am 3. November gewesen ist. Präs.: Wenn nun aber Kogel hier auftreten und bekunden wird, daß es am 4. November gewesen ist?- Angekl.: Es ist richtig, ich bin auch am 4. November mit Kogel zusammen gewesen, am drit- im aber auch. Präs.: DaS sagen Sie nun jetzt zum ersten Male; weshalb haben Sie das bisher nicht gesagt. Bis jetzt haben Sie hartnäckig geleugnet, am Nachmittage deS 4. No­vember mit Kogel zusammen gewesen zu sein? Angekl.: Am 4. November war ich auch mit Kogel nur Vormittags zu« sammen. Präs.: Geben Eie nun zu. am 4. November mit Kogel in den verschiedenen Hotels und CaseS gewesen zu sein? Angekl.: Nein, daS ist Nachmittags den 3. November ge- wesen. Stadt-PhystkuS, Geh. Medizinalrath Dr. Wolff: Ich habe den Rock deS Angeklagt-n untersucht. Es ist eine alte Er- fahrung. daß frisches Blut fich sehr leicht löst. Das Blut an dem Rocke des Angeklagten löste fick jedoch sehr schwer» so drß anzunehmen war, daß daS r* cruS dem Paepke'schen Morde herrührte. Herr Geheimrath Limann hatte die Güte, von dem Blute. daS k" dem Hemde ver ermordeten Frau Paepke gefunden, ein Stück schwarzes Tuch zu tränkm. Dieses Blut löste fich sehr bald. Dagegen imprägnirten wir ein schwarzes Tuch mit frischem Blut und ließen da» Tuch bügeln. Wir machten alSdann die eigenthümliche Entdeckung, daß dai Blut fich sehr schwer löste. Durch diese unsere Beobachtung gelangten wir iu der Annahme, daß das vorgefundene Blut wohl aus der m Monat Februar v. I. von dem Angeklagten verübten Körperverletzung Herrübren könne. Sladtphyfikus, Geheimer Medizinalrath Prof. Dr. Limann tritt diesem Gutachten bei. Nach unseren Untersuchungen kann daS in dem Rocke des An- geklazten vorgefundene Blut nicht von dem Paepke'schen Morde herrühren. Präs.: Vorausgesetzt, daß der Rock nach dem 3. November nicht gebügelt worden ist? Sachverständiger: Jawohl. Zu bemerken ist hierbei, daß in Folge der schlechten Plazirung der Berichlerstatter die Aussagen der Sachverständigen kaum verständlich find. mithin die Berichterstattung über diesen wichtigen Punkt nicht nschöofend sein kann. Poltzeiagent Vogel, der bei der Vernehmung deS Kowalski zugegen gewesen, bestäiigt im Wesentlichen die Bekundungen des Kriminalkommissar Weyen. Auf Befragen des Präfi. denten bemerkt der Angeklagte: Es sei möglich, daß ein Be- amter gesagt: daS wird wohl die Kohlrübe kosten, was er darauf geantwortet, wisse er nicht mehr. Polizeisekretär Kappenstädter bestätigt ebenfalls die Bekundung deS Kriminal- kommiffar Weyen. Arbeiter Glöbel: Er erinnere fich sehr genau, daß er am 3. Novkmber Nachmittags mit Kreuzberger, nicht aber mit Kowalski zusammen gewesen sei. Der Angeklagte bleibt bei seiner Behauptung, daß er am Nachmittage des 3. November auch mit Kreuzberger zusammen gewesen sei. Der Prästdent kheilt nun mit, daß die alS Zeugen geladenen Kellner Kreuz- berger und Kogel und der Gärtner Jahn nicht erschienen find. Staatsanwalt: Ich beantrage, die gerichtliche Vernehmung dieser Zeugen zu verlesen. Verth.: Ich kann auf diese Zeugen nicht verzichten, ich beantrage daher, die Verhandlung eventuell zu vertagen. Präs.: Die Zeugen find nicht zu ermitteln, Herr Vertheidiger, Kreuzberger ist nach langem Umhersuchen in Duderstadt verhaftet und dort gerichtlich zu Protokoll vernommen worden. Da gegen denselben nichts weiter vorlag, so ist dieser selbstverständlich wieder entlassen worden. Er ist nun unterm 19. März d. I. in den Polizeiblättern und den zumeist gelesenen Zeitungen zu der gegenwärtigen Verhandlung als Zeuge geladen worden. Klinflnal. Polizei- Inspektor v. Hülleffem: Die Nachforschungen o L"J*"" Polizei haben ergeben, daß Kreuzberger in Duder- * jAagt; er wolle nach Holland gehen. Verth.: Jeden- falls ist feit dem 19. Mär, nach dem Aufenthalte des Kreuz- derger leine Ermittelung mehr angestellt worden. Kreuzberger ein iu wichtiger Zeuge, als daß ich dem Angeklagten zu- muthcn konnte, auf denselben zu verzichten. Ich beantrage also, bei dem hiesigen Polizeipräfivium anzufragen, ob dem- selben der Aufenthalt Kreuzdergers bekannt ist; eventuell be- antrage ich, das Poltzeiprästdium zu ersuchen, den Aufenthalt de» Kreuzberger zu ermitteln.- Der Gerichtshof beschließt noch längerer Berathung, bei dem Einwohner- Meideamt sofort anzu- fragen, ob Kreuzberger in Berlin ist, oder od demselben sein Auf- enthalt bekannt, bezw. welche Ermittelungen über den Aufenthalt desselben angestellt worden find. Kriminal-Poltzei-Jnspektor o- Hülleffem wird mit der sofortigen Ausführung diese» Be- WwffeS deauftragt. DerPrästdent verlieft hierauf die kommiffa- ?lcheBernehmuna des GärtnerJahn. Derselbe, der sich in Großen- Z�"®"fh°lt, bestätigt die bekannte HutauStausch Geschichte und Kowalski hat mich auch zur Betheiliguna an einem �fn� ��lordert, daS, wenn ich nicht irre, in Moabit auS- »ÄföMe. Ob das Geschäft bei einer Frau oder Ä»ÄÄ Ä ff. antchtllche Aussage deS nicht zu ermittelnden KellnerS Kogel fflV' Danwch hat dieser bekundet: Er wisse sehr genau, 1*"tcht zusammen gewesen. Kowalski, den mein�, Frage, weshalb er so häufig schlafe, antwortete er, er habe schon seit einiger Zeit keine Schlafstelle mehr. Ich sagte zu ihm, er solle doch seinen Rock versetzen; Kowalski ant« wartete: der Rock ifi zum Versetzen zu schlecht; ich konnte diese Meinung nicht theilen. EineS Tages kam Kowalski mit einem furchtbar schlechten Hut an. Ich fragte den K., wo er seinen Hut gelassen. K. erwiderte, er habe den Hut für 50 Pf. ein­getauscht. Am anderen Tage hatte K. einen sehr hübschen schwanen Hut. Auf meine Frage gab er an, daß er denselben für 50 Pf. gekauft habe. Auf mein Ersuchen, mir diese billige Quelle zu nennen, schwieg Kowalski. Präs.: Nun, Ange­klagter, waS haben Sie dazu zu sagen? Der Zeuge behauptet mit vollster Bestimmtheit, daß er Eie am 4. November überhaupt erst kennen gelernt habe. Gasthosbefitzer Hamann, Kriminalschutzmann Mischke und Gr- schästSsührer Raspe bestätigen die Bekundungen deS Kogel. Vertheidiger: Ich muß zu meinem B-dauern an dm Zeugen, Geheimsekretär Paepke, eine Frage richtm. Präs.: Ich bitte sehr. Verlh.: Herr Paepke, am 4. November soll Frau Mex zu Ihnen gesagt haben: Es ist doch schrecklich, daß Ihre Frau m dieser Weise zuaerichtet worden ist. Darauf sollen Sie ge» antwortet haben: Das wäre doch so gekommen, wenn eS nicht am Dienstag geschehen wäre, dann wäre es vielleicht 2 Tage später pasfirt.«Große Bewegung im Auditorium.) Zeuge: Soll mich Gott bewahren, davon weiß ich nichts. Frau M«x: Nicht am 4.. sondern am 5. November, Nachmittags, sagte ich zu Herrn Paepke, der junge Herr Paepke war auch zugegen: Sagen Sie bloZ, Herr Paepke, wer konnte lo ein Herz haben und Ihre Frau so zurichten? Herr Paepke sagte: Frau Mex, daS war ein Racheakt; wenn fich jetzt die Gelegenheit dazu nicht geboten hätte, dann wäre eS etwas später gekommen. Gebeimsekretär Paepke: Herr Prästdent, ich war anfänglich der Meinung, daß eS ein Rache­akt gewesen, auS diesem Grunde habe ich vielleicht von Rache gesprochen, das was die Zeugin hier bekundet, habe ich jeden- fall» nicht gesagt. Frau Mex bleibt bei ihrer Behauptung. Stellenvermittlerin Huder: Der Angeklagte ist Ende Oktober v. I. bei mir gewesen, hat mich, obwohl ich nur einen Nachweis für weibliche Dienstboten habe, um Vermittelung einer Stellung gebeten und fich dabei so auffallend benommen, daß ich defürchrete, er wollte einen Raubanfall gegen mich bestreitet, bei der Zeugin gewesen er Kowalski verüben. zu sein. Nach einer längeren Pause wird die Sitzung wieder er- öffnet. Der Prästdent theilt mit: Die Auskunft deS Ein­wohner- Meldeamts lautet: Der Kellner Kreuzberger hat bis zum 5. Novemher 1885 in der Neuen Friedrichstr. 9 bei Müller gewohnt und ist sein jetziger Aufenthatt nicht bekannt. Diese Auskunft genügt dem Gerichtshof nicht, da der Zeuge Kreuz- berger unlängst in Duderstadt gewesen, so hat der Gerichtshof telegraphisch hei der Polizeibehörde in Duderstadt angefragt, ob fich Kreuzberger in Duderstadt befinde oder od die dortige Polizeibehörde wisse, wo er fich aufhalte. Inzwischen hat der Ge- richtihof auch bei dem hiefigen Polizei Präfidium angefragt. Dies hat festgestellt, daß Kreuzderger im Monat Februar in Löningen eine zweitägige Haftstrafe verbüßt hat. Der Gerichtshof hat deshalb auch an die Polizeibehörde in Zöningen und ferner an die Polizeibehörden in Elding und Köln telegraphirt. Elbing ist der HeimathSort des Kreuzberger und Köln ist die- jentge Stadt, durch die er vermuthlich seinen Weg genommen, wenn er nach Gollau» gehen wollte. Eine Antwort ist auf alle diese Anfragen bis jetzt jedoch nicht eingegangen. Ich frage die Herren Geschworenen , od Sic nun eine Vertagung der Sache bis morgen wünschen. Eventuell müßten wir eine Pause von etwa einer Stunde machen, bis die Antworten eintreffen. Die Geschworenen ertlären fich für die Vertagung und wird sonach die Sitzung gegen 7V« Uhr Abends auf morgen (Donnerstag) Vormittags 9 Uhr vertagt. f Von der Hartnäckigkeit, mit der in gewissen Fällen ein Rechtsstreit von der Behörde auSgefochtcn wird, legte ein Fall Zeugniß ab, der gestern vor der BerufungSkammer des Landgerichts zur Verhandlung kam. ES handelte fich um eine materiell sehr unbedeutende Angelegenheit, um einen Straf- befehl über 5 Mark, gegen den der Betroffene Widerspruch er- hoben hat und der durch alle Instanzen bis zum Kammer- gericht durchgeführt worden bst. Am 26. Juni v. I. fand in Rudersdorf bei dem Gastwirth F. ein Tanzvergnügen statt. Bald nach Beginn fand fich ein Gendarm ein, der bei seiner Reviston zwei schulpflichtige Knaben entdeckte, die auf einer Bank saßen. Nach seiner Angabe entfernten fich die Knaben augenblicklich, nachdem fit ihn bemerkten. Gastwirth F. er- hielt daraufhin seitens der Polizeibehörde eine Strafe von fünf Mark zudiktirt. denn nach einer Ver- fügung darf der Wirth schulpflichtige Knaben und Lehrlinge zu öffentlichen Tanzlustbarkeiten nicht zulassen. F. erhob Widerspruch, und eS wurde festgestellt, daß die beiden Knaben nur von dem Gendarmen gesehen worden seien. Der Kon- troleur de» Wirthes verficherte eidlich, taß er Knaben durch den Haupteingang zum Tanzlokal nicht habe hineinkommen sehen. Es blieb nur die Möglichkeit übrrg, daß die beiden Neugierigen, um die Mysterien de» TanzeS zu schauen, durch die nach dem Hofe führende Thür fich eingeschlichen hätten. Diese Thatsache wurde auch durch die BerufungSkammer de! Landgerichts, an welche daS Kammergericht die Sache zur noch- maligen Verhandlung überwiesen hatte, lediglich wiederholt festgestellt. Das Urtheil lautete daher auch auf Freisprechung des Gastwirths. Wie hoch mögen fich die Kosten dieses Rechtsstreites helaufen? Fahrlässige Gefährdung eine» Eisenbahntrausporte». Der Stationsvorsteher Bock und der Lokomotivführer Hermann waren wegen diese» Vergehens angeklagt, aber vom Land- gerichte in Lübeck am 4. Februar freigesprochen. Auf die Re- vifion deS Staatsanwaltes hob der Iii. Strafsenat deS Reichs- gerichtS vom 8. April das Urlheil auf und verwies die Sache an daS Landgericht in Oldenburg zurück. Die Gründe lau- teten: E» liegen erhebliche Bedenken vor, daß daS Gericht mft Rückstcht auf die obwaltenden zufälligen Umstände den Begriff der Gefährdung zu eng aufgefaßt und diese zufälligen Umstände bei der Beurthetlung nicht entsprechend gewür- dizt hat. In der Jhring-Mahlow'sche« Angelegenheit findet die erste öffentliche Gerichtsverhandlung am 19. d. M. statt, und zwar handelt es fich in derselben um die Urgirung ver an dem Kriminalschutzmann Jbring in einer Versammlung deS ArbeiterdezirkSvereinS de» Osten» nach seiner Entlarvung ge- übten Lynchjustiz. AlS einer der Männer, welche fich an dem Jhring vergriffen haben, ist von letzterem der Tischlergeselle Bodkicwicz bezeichnet und gegen diesen ist denn auch die An klage wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung er- oben. Der Vertheidiger desselben, Rechtsanwalt Freudenthal, at bereit? in dieser Sache eine Anzahl Zeugen zum Nachweise seiner Behauptung geladen, daß Jhring seine näheren Be« kannten aus dem Verein zur Begehung von Gewallhandlungen aufzureizen versucht hat. Der neue Termin in der sensationellen Brillant« tanbenaffäre ist bereits zum 20. d. M. anberaumt worden. Man wünscht nämlich in den maßgebenden Kreisen«ine be schleunigte Erledigung dieser Sache. t Kohlendiebstahl auf dem Güterbahnhofe der Echlestschen Eisenbahn. In der Frühe des 17. Dezember v. I. traf der Portier B. auf seinem Patrouillengange einen Mann an, der im Begriff war, mit einem großen Siück Kohle im Gewicht von 40 Pfd. daS Weite jit suchen. Er setzte ihm nach und hätte ihn gefaßt, wenn nicht der Dieb daS Stück gegen ibn geschleudert, so daß er an die Brust getroffen hinfiel. Als Thäter wurde später ein gewisser Ulrich ermittelt, der fich deS- Haid gestern vor der St-askammer de» Landgerichts zu ver- antworten hatte. Seine AuSrede, daß er daS Kohlcnstück nur auf der Flucht habe fallen lassen, fand keinen Glauben und so wurde er U. ist mehrfach vorbestraft wegen Diebstahls und weil er einem mit der Vollstreckung von Befehlen der Verwaltungsbehörde betrauten Beamten in seinem Amte Widerstand geleistet habe, zu 6 Monaten Gefängniß verurtheilt, von denen ein Monat als durch die Untersuchungshaft ver- büßt betrachtet wurde._ Vereine rntfc Versammlungen- * Da» neue Abcsystem, oder: Wie ist e» möglich» eineVerlretung" der Berliner Maurergesellenschaftheyu« stellen", die nach der Pfeife der Herren Meister tanzt? Mit diesem Problem beschäfligie fich die Versammlung der Bau» gcschäftSinhaber, die am Dienstag Vormittag bei Buggenhagen stattfand, löste eS aber, wie wir im voraus bemerken wollen, nur in der Theorie und auch da nur sehr unvollkommen. Das Problem ist eben, soweit wir die Berliner Maurergesellen kennen, einfach unlöslich, und deshalb müssen diese krampf- basten Versuche der Meister, um das Schlimme, die gerechten Forderungen der Arbeiter zu bewilligen, herumzukommen, selbst dem verbissensten Melancholiker ein Lächeln adnöthigen. In dieser Versammlung war eS der Maurermeister Jaenicke» der als Referent fich produzirte und verficherte, endlich ein Wundermittel gegen die störrigen Gesellen gefunden zu haben. Berichterstattung der beiden am 4. Februar d. I. eingesttzfrn Lohnkommisfionen der Inhaber Berliner Baugeschäfte" und Welche Schritte find zu thun, um einem etwaigen Streik der Bauarbeiter wirksam zu begegnen?" stand auf der TageSord« nung. Die bisherigen Versammlungen der Maurergesellen, sagte nun Herr Jaenicke, zeigen deutlich, daß man unS das Messer an die Kehle setzen will. Wir müssen deshalb alle einig sein im Kampfe gegen fie. Mit ih-er Lohnkommisfion können wir nicht verhandeln, denn ihre Mitglieder gehören dem ftt Fachverein an und find berufsmäßige Agitatoren. (Schrecklich, schrecklich Herr Jaenicke!) Nicht dieirre- geleiteten Maurer, welche in ihrer Blindheit diese Lohnksm« misfion gewählt haben, können für unS maßgebend sein, son- dein nur die große Allgemeinheit, welche ihre Vertreter dirett wählen muß!"(So demokratisch, Herr Jaenicke?!) Dieses Wahlrecht muß aber folgendermaßen gehandhabt werden(Aha! Herr Jaenicke): Die Mitglieder aller Bauhandwerker- Kran» kenkassen in Berlin wählen dem Alphabet nach, und zwar so, daß zunächst beispielsweise die Maurer, deren Namen mit den Buchstaben A. bis F. beginnen, zusammen auf je 100 Personen 1 Vertreter wählen, dann in einer anderen Versammlung die Maurer mit Namen von G- bis 35., dann von N. bis S. und schließlich von T. bis Z. 15 000 Maurer find in Berlin ; wir würden also mit einer Kommisfion von 150 Mitgliedern zu verhandeln haben, und nicht wie bisher mit den 21 Fachver« elnsmitgliedern, die in fich einig und geschlossen find und welche die dem Arbeit(akd)er so vortheilhafte Akkordarbeit ver- dämmen. Mit 150 Mann läßt fich schon eher ein Wörtchen sprechen! Nachdem Herr Jaenicke diesen genialen Plan ent- hüllt hatte, brach er ab und bat die Versammlung, jetzt die Lohnkommisfion der Maurergesellen, die vorn im Lokal be« wacht wurde und auS den Herren Behrend, Wilke und Bock bestand, zuzulassen, um auS dem Munde der Gesellen zu hören, wie fi« fich zu den Meistern stellen wolle. Dieser Vorschlag rief ein kleines Gefecht von GeschäftSordnunaSreden her« vor, die alle dahin gingen, erst die Herren Meister ausreden und ihre Gedanken(?) entwickeln zu lassen und dann erst den Gesellen den Eintritt zu erlauben. Diese Anficht drang fiegreich durch, denn Herr Fränkel stellte die KabinetSfraae: er drohte den Saal zu verlassen, wenn der An- trag abgelehnt werde; er halte eS unter seiner Würde, mit den Gesillen zu dtskutiren I Es sprachen also zuerst die Meister. Nachdem einige von ihnen sehr unverständlich und wirr, jedoch im Sinne deS Referenten fich geäußert halten, kam nun der Augenblick, wo die Maurergesellen-Kommisfion eintrat. FlugS entstand eine gewaltige Unruhe. Die Herren Behrend und Wtlkc ließen fich jedoch nicht stören. Sic berichteten ruhig, daß die alte 21er Kommisston ihr Amt niedergelegt babe, jedoch von mehr als 7500 Maurer in drei gleichzeitigen Versammlungen. in der Tonhalle auf Tivoli und bei Busse wiederge« wählt worden sei. Dieser glänzende Beweis für das uner» schütterliche Vertrauen und die stcgreiche Einigleit der Berliner Maurer gebe der Kommisston die Zuoerflcht, die legitime Ver» tretung der Bauhandwerker zu sein. Sie werde nach wie vor gegen die Unternehmer die Interessen der Arbeiter vertreten Herr Jaenicke mit einigem Geräusch von neuem auf die Bühne und �entwickelte seine«nfichten über Akkordarbeit. Er verwies dabei hauptsächlich auf die er Putzer, die bis in den Himmel erhob und die er als die eigentlichen. richtigen und tüchtigen Maurer bezeichnete. Der Beifall, der diesen Worten folgte, war nicht gering. Inzwischen war aber den Zimmermeistem, die bisher noch gar nicht zum Wort gekommen waren, der Geduldsfaden gerissen und Herr Selle fragte empört, weshalb man fich fortwährend mit den Maurer» gesellen beschäftige und ibnen nicht sage. waS fie mit ih en immergesellen anfangen sollten! Herr Jaenicke antwortete mit der ruhigen Sicherheit de» Erfinders, daß das patente Abcsystem auch bei den Zimmergesellen angewendet werden müsse. Nun wußte eS Herr Seile und war beruhigt. Dann ertheilte Herr Biedert noch einige gute Rathschläge und wünschte fromm, daß bei den Wahloersammlungen der Ge- sellen die Meister den Vorfitz führen müßten, und daß dieAgitatoren" nicht das Wort erhalten dürften, um ihre VerführungSkünste loszulassen. Heber diese Reden war die Zeit vorgerückt und die Meister sehnten fich nach ihrem arm« seligen Mittagbrote. Die große Majorität der Hungrigen nahm daher einen Antrag auf Schluß der DiSkusfion an. Rasch beschloß man noch, in den nächsten Tagen eine außer- ordentliche Versammlung der Inhaber von Baugeschäften ein­zuberufen und eine Kommisfion von 6 Maurer- und 5 Zimmer« meistern zu bestätigen, die da» Abc-System prüfen soll; dann war d-r Zauber zu Ende.- Die Sitzungen dieser Kommisfion finden, wie wir auS ficherer Quelle erfahren, in Schilda statt. 7% bee öffentlichen Volksversammlung, welche am Montag Abend im Saale der Habel'lchen Brauerei, Bergmann« straße 5 7, stattfand, sprach der ReichStagSabgeordnete Herr Singer über:Die gegenwärtige sozialpolirtsche Lage und die Thätigkeit des Reichstags". Trotzdem die Versammlung nicht durch Säulenanschlag bekannt gemacht wurde, war dieselbe doch gut besucht. Herr Singer führte etwa folgendes aus:Wenn man fich die gegenwärtige Zusammensetzung deS Reichstages betrachte, so könne man nicht auf die Erfüllung der Wünsche und Forderungen deS werlthättgen Volles rechnen. Konser« vative und Zentrum reden vor dm Wahlen viel von ihrer Ardelterfreundlichkeit, doch in der Praxis sehe man nicht» alS den Jnteressenkampf aller Parteien. So sei daS Arbciterschutz- gesetz in der vorigen Sesfion gar wenig berückstchtigt worden, da man die Zeit für Erlaß von Schutzzöllen und auf die Kolo- nialpolttll verwendet habe. Durch die Schutz-ölle würden die Großgrundbefitzer fich auf Kosten des ganzen Volkes, welchem man die Lebenimsttel vertheuere, bereichern. Die Kolonialpolitik sei zu verwerfen, indem man den Zweck, neue Absatzgebiete zu schaffen, nickt erreiche. Man solle erst den deutschen Arbeiter konsumtionSfähiger machen und im eigenen Lande kolontfiren; eS seien noch große Strecken in Deutschland unbebaut, welche der Kolonistrung bedürftiger find, als die Fieber- gegmden in Kamerun . Wenn man hier kolonistre, schaff« man nicht nur neue Absatzgebiete für unsere Industrie, sondern man schaffe auch lohnende Arbeit für die arbeitslosen Arbeiter. So sei der Nordostsee-Kanal ein derartige» Projekt, welchem die sozialdemokratische Fraktion einstimmig ihre Zustimmung ge»