Damit iß die Tagesordnung erschöpft- Schluß 7 Uhr. Es folgt eine nicht öffentliche Sitzung. Die nächste Sitzung fällt wegen Mangels an Material aus.
Zokales. Ei« interessanter Rechtsstreit, auf dessen Entscheidung man mit Recht gespannt sein muß, schwebt der„Volttztg." zu» folge zur Zeit zwischen einer Veificherungsgesellschast und einem biefizen Gewerbetreibenden, dem Erben seiner verstorbenen Ehrfrau. Die letztere, eine geborene Berlinerin und in der St. Nilolaikirche getaust, wie alle ihre Geschwister, hatte bei ihrer Verheirathung im Jahre 1865 keinen Taufschein beibringen können, weil nach Angade der Kirchendeamten dieser Tbeil der kirchlichen NamenSrepister nicht vorhanden war. Gleich» wohl war nicht nur die Trauung erfolgt, sondern die Verfiche- rungsgesellschaft(Jduna) hatte auch, des TaufscheinmangelS ungeachtet, die Vrrficheiung der Frau übernommen und nur in die Polize die Angabe aufgenommen, daß kein Taufschein der Verficherten hat erbracht werden können. Zwanzig Jahre hat nun die setzt Verstorbene ihren vollen Pflichten gegen die Gesellschaft genügt, die letztere hat die Zahlungen unverkürzt in Empfang genommen und hat gleichwohl einen wenn auch kleinen Theil der VerstcherungSsumme an den erbberechtigten Ehemann der Verficherten nicht ausgezahlt, bis der Taufschein der Verstorbenen beigebracht worden ist. Dies ist nun aber, nach der amtlichen Auskunft deS königlichen KonfistoriumS und nachdem der zum Empfange der VerstcherungSsumme berechtigte Gewerbetreibende alle hierzu möglichen Schritte vergebens ge» than hat, unmöglich, und-S handelt fich also um die Frage, od die Gesellschaft berechtigt ist, auf Grund eineS Formmangels, deffen Beseitigung gar nicht im Willen oder Vermögen det Betheiligten liegt, demselben eine VermögenSbeschädigung zu» zufügen, nachdem fie ohne jeden Vorbehalt und trotz dieses Formmangels ein Rechtsgeschäft ahgeschloffcn und zwanzig Juhce hindurch die Vortheile aus demselben gezogen hat. Jedenfalls wird die richterliche Entscheidung von großem Jnter« esse sein.— Dieser Vorfall lehrt wieder einmal, daß man bei ,4 Zb den meisten Lebensverficherun gS. Gesellschaften garnicht vorstchtig I genug sein kann. Gegen ein bekanntes hiestgeS Wucherkonfortium, die hier in der LandSdergerstraße wohnenden Kaufleute Simon und Emil Lcidert und den Kaufmann Schwarz, ist setzt von Seiten der Staatsanwaltschaft die Anklage wegen Betruges erhoben worden. ES wird dem sauberen Kleeblatt zur Last gelegt, die Ehefrau eineS ZimmermeisterS G. dadurch erheblich geschädigt zu haben, daß fie dieser, unter der Vorspiegelung, fie, die Käufer, seien vermögende Leute,«ine Erdschaft, deren Be- trag fich auf rund 10 900 Mark belief, gegen eine Anzahlung von 500 Mark abgekauft und sofort einem Dritten weiter zedirt haben. Ali Frau G. im Beistande ihreS Eh gatten wegen Auszahlung des Restkaufgeldes im Betrage von 2200 Marl (der bedungene Kaufpreis betrug 2700 Mail[!]) klagbar wurde, erstritt fie zwar ein obstegendeS Erkenntntß, indeß stellte fich bei der demnächstigen Exekution heraus, daß die Gebrüder Leidert, wie auch ihr„GeschästSkompagnon" Schwarz völlig mittellos waren. Die elegante Wohnung?, und Komtoir» einrichtung, welche fie besaßen, war aus einem Verleihgeschäft nur mielhsweise entnommen und mußte vom Gerichtsvollzieher auf die Jnterocntioniklage des EigenthümerS freigegeben wer dm. Damit nicht genug, stellte fich noch heraus, daß die Exequenden sämmtlich in den letzten Jahren zu mehreren Malen den Ossenbamngscid geleistet haben, ferner auch, daß Simon Leidert bereits wegen Meineids vorbestraft ist. Letzterer soll in vielen Prozessen vor den hiestgen Amtsgerichten l und Ii, die der„Kaufmann" Schwarz führte, als Zeuge fungirt haben. Dadurch ist über viele Familien namenloses Unglück herauf- beschworen worden. ES find dies dieselben Leute, welche die arme Wittwe eineS Offiziers in schändlichster Weise ausgeraubt hatten. Dem„Berliner Tageblatt" haben wir mit dem Vor- wurf, daß es fich die Früchte unserer Aulführungen in Bezug auf die gerichtlichen Ausverkäufe zu Nutze gemacht habe, dies- mal Unrecht gethan. ES befindet fich in der Nummer 92 des „Verl . Tgbl." vom 20. Februar allerdings ein Artikel, der von gerichtlichen Ausverkäufen in der Kolonial- Branche handelt. Wir nehmen leinen Anstand, dies freimütbig zu erklären. Poltzei-Bericht- Am 14. d. M., Morgens, entstand in einem Lagerkeller m der Gitschinerstraße durch unvorficktigeS Hinwerfen eines brennenden Streichholzes auf den mit Petro- leum durchtränkten Fußboden Feuer, welches jedoch noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr von den Hausbewohnern ge» löscht wurde.— An demselben Tage, Vormittags, fiel auf dem Neubau Müllerstr. Nr. 48 der mit dem Legen von Balken be- schäftigte Zimmermann Lau ein Stockwerk tief hinab und erlitt dabei außer einer nicht unbedeutenden Kopfwunde anscheinend auch innerliche Verletzungen, so daß er mittelst Droschke nach setner Wohnung gebracht werden mußte.— Zu derselben Zeit wurde eine Frau in ihrer Wohnung in der Manteuffelsttaße erhängt vorgefundm. Die Leiche wurde nach dem Leichen- schauhause gebracht.— An demselben Tage, Mittags, glitt eine Dame auf dem frisch gesprengten ASphattpflaster d«S PotS- dam erplatzeS auS und erlitt durch den Fall eine Verletzung an der Stirn in der Nähe deS rechten Auges. — Am Nach- mittage desselben Tages stürzte der Klempner DieSner von dem Dache des Hauses Landsberger Allee Nr. 5. auf welchem er mit Reparaturardeiten beschäftigt war. auf das Etra�enpflaster hinab und erlitt dadurch so schwere Verletzungen, daß er gleich nach seiner Uebrrführung in das städtische Krankenhaus am Friedrichshain starb.— Gegen Abend wurde auf dem Bürger steige vor dem Hause Friedrichstraße Nr. 203 ein Mann schwer krank aufgefunden und mittelst Droschke nach der Charttee gebracht. Gerichts-Zeiwng. o. k. Der Raubmord tu Moabit vor dem Schwur- geeicht. Vierter Tag der Verhandlung. Der Andrang des Publikums ist heute ein ganz immenser. Allein da noch das Eintreffen von Depeschen bezüglich deS Aufenthalts des Kellner Kreuzberger abgewartet werden muß, so wird die heutige Sitzung erst aege» 12'/« Uhr MrttagS eröffnet. Präfident, Landgerichts-Direktoe Müller theilt diesen Grund der Verzögerung mit. Die Polizeibehörde in Duder- stadt habe geantwortet:„Kreuzberger nicht hier, Aufenthalt angeb i'ch. in Belgien ." Die Polizeibehörden in Cltingen und Löningen haben geantwortet:„Aufenthalt des Kreuzberger un- derannt.'— Der Staatsanwalt beantragt nunmebr, die kom- miffarische Aussage deS Kreuzberger zu verlesen.— Vertheidiger: Ich kann auf den Zeugen Kreuzberg « nicht v«zichten; ich be- 2?t,rIa0»ema�l.b<e Verhandlung zu vertagen und das Berliner Polizei. Prastdium zu ersuchen, Ermittelungen nach dem Auf- enthalt deS Kreuzberger anzustellen. ES ist doch lediglich Schuld 'Äi der königlichen Staatsanwaltschaft, daß seit dem 19. Mär, keine Ermittelungen nach dem Au'cnthalt deS Kreuzberger statt» gefunden haben.- Präs.: Ich habe schon gesagt, daß Kreuz- derger, nachdem die gegenwärtige Verhandlung anoeraumt, öffentlich alS Zeuge geladen worden ist. Nun, Angeklagter, was haben Sie noch zu sagen?— Angekl.: Ich wünsche, daß Kreuzderger hi« erscheint.— Präs.: Der Gerichtshof hat de- schloffen, da der Aufenthalt des Kreuzberger nicht zu ermitteln rst, den Antrag des Herrn VerthetdigerS auf Vertagung der Verhandlung abzulehnen und die kommissarische Aussage deS Kreuzberger zu vnlesen. AuS dieser Aussage
Al Die.
d
ist zu entnehmen: Kreuzherger ist 24 Jahre olt und wegen versuchten TodtschlagS mit 4'/, Jahren Zuchthau« bestraft. Kreuzberger hat bekundet: Ich habe bis zum 31. Ottober 1885 in der Fricdrichstraße 9 bei Müll« gewohnt und habe an diesem Tage meine Schlafstelle verlassen, da ich die Miethe nicht bezahlen konnte. Am 1. Novemb« lernte ich in der christlichen Herberge zur Heimatb(Oranienstraße) den Kowalski kennen und bin ich von diesem Tage an bis zum 5. November, an welchem Tage ich Berlin verließ, täglich mit demselben usammen gekommen. Ich habe Berlin freiwillig verlassen und fin von Kowalski gebeten worden, in Berlin zu bleiben. Ich >atte aber den ganzen Kram satt, denn Kowalski forderte mich ortwährend auf, ihm bei sog. Geschäften behilflich zu sein. Kowalslt proch dabei von einer„Elle",„Tändelei" u. s. w., die er fich anschaffen müßte, um einen Einbruch in eine Ladenkaffe zu be- gehen. Welche Geschäfte und in welchen Gegenden diese Ge- chafte ausgeführt werden sollten, hat Kowalski nicht gesagt. Cmmal erzählte mir Kowalski, daß er in Moabit gewohnt habe. Wann dies gewesen, hat er mir nicht gesagt. Kowalski hat nicht damit gemeint, daß er in dem Moabiter Straf- oder UiitersuchungSgefängniß gewohnt habe. Am 1. und 2. November bin ich mrt Kowalski in d« christlichen Herberge zur Hcimath zusammengetroffen. Am 3. November des Morgens ging ich mit Kowalski und Supprian in die in der Reinicken- oorferstraße belegene Arbetterkoionie. Auf dem Wege dorthin erzählte Kowalski von der Ermordung eines Briefträgers. Er habe, als dies geschah, Extrablätter verkauft, womit er ein sehr schöneSStück Geld verdient habe: er wünschte, daß ein solch« Mord bald wieder einmal vorkommen möge. Von der Arbeiter- Kolonie gingen wir in den Verein zur Besserung entlassener Straf» gefangen«, woselbst ich einen Brief an den Misfionar Frank erhielt. Von da begab ich mich in die Herberge, während Ko» walSki uud Supprian in die in der Lindenstraße belegene VoUS- küche gingen. Etwa gegen 12V- Mittags kamen Kowalski und Supprian auch in die Herberge. Sehr t-ald darauf begleitete ich einen Kellner Namens Kogel in das Caf« Keck, Cafs Bauer, Cafe National, Hotel PernSburg u. f. w. Etwa gegen 2'/, Uhr trafen wir Unter den Linden den Kowalski. Woh« derselbe gekommen, kann ich nicht sagen. Wir waren etwa eine halbe Stunde zusammen und trennten uns von Kowalski in der Jerusalemerstraße. Ich begab mich hierauf in eine Kaffeeklappe in der Oranienstraße. Wenn be- züglich deS Tages zwischen Kogel und mir ein Widerspruch besteht, so wird fich derselbe am besten dadurch lösen lassen, daß ich dem Kogel gegenüber gestellt werde, um alSdann an der Hand von Etnzelnheiten genau festzustellen, ob daS, wai ich bekundet, am 3. oder 4. November gewesen ist.— Der Präfivent theilt mit, daß dies« Vernehmung der Kriminal» poltzeiinspettor v. Hülleffem beigewohnt habe.— Präs.: Nun Angeklagter, waS haben Sie zu dieser Bekundung zu sagen? — Angek.: Dazu habe ich nur zu bemerken, daß Kreuzberger fich in der Zeit int; wir haben uni lange vor halb drei Uhr Unter den Linden getroffen. Auch habe ich dem Kreuzberger nicht gesagt, daß ich einmal in Moabit ge- wesen sei.— Präs.: Daß Sie den Kreuzberger zur Theilnahme an sogenannten Geschäften aufgefordert haben, ist aber richtig? — Angekl.: Ja, daS stimmt.— Präs.: WaS verstanden Sie unter„Elle?"— Angell.:„Elle" bedeutet Brecheisen.— Ver» theidiger: Ich würde glauben, meine Pflicht zu v«letzen, wenn ich folgende Fragestellung unterlassen würde. ES ist mir die Mittheilung geworden, daß die ermordete Frau Paepke einen unehelichen Sohn gehabt, der unaufhörlich Gelder- Pressungen argen fie verübt babe- Herr Geheimsekretär Paepke soll dielen Umstand stets verheimlicht haben, ich richte an den Herrn Gehetmsekretär Paepke die Frage, ob seine ermordete Gattin einen unehelichen Sohn gehabt hat?— Zeuge(in groß« Erregung): Nicht ein Wort von all' dem Vorgebrachten ist wahr. — Der Vertheidiger deantragt hierauf, den Maurer Franz Wehler, der, wie ihm mitgetheilt, geäußert habe, er kenne den Mörder, wolle ihn ad«, mit Rückficht auf die Familie Paepke, nicht nennen, zu laden. Fern« beantragt der Vertheidiger zu beschließen, od der Kriminallommiffar Weyen verpflichtet ist, die gestern von ihm(Vertheidiger) an denselben gerichtete Frage zu beantworten� — D« Gerichtshof beschließt, dem ersten Antrage stattzugeben, den zweiten jedoch abzulehnen.— Auf Antrag deS Vertheivt- gers wird noch der Oberkellner des Cafö Keck, Scholz, ver» nommen, der fich in Folge der Zeitungsberichte gemeldet, da er fich erinnere, daß am 3. November ein Kellner bei ihm vor» gesprochen habe.— Der Zeuge weiß jedoch bei seiner Ver- nehmung nicht genau, ob der«wähnte Vorgang am 3. oder 4. November gewesen ist.— Da der zu vernehmende Zeuge Wehler in der Landsberger Allee wohnt, so wird die VerHand lung wiederum auf einige Zeit vertagt. Nach Wiederaufnahme der Verhandlung erscheint als Zeuge Äaur« Franz Wehler. Präs.: Haben Sie Kenntntß, wer die Frau Geheimsekretär Paepke ermordet hat?— Zeuge: Nein.— Präs.: Haben Sie zu Jemanden gesagt, Sie kennen den Mörder?— Zeuge: Nein.— Präs.: Sie sollen gestern in einem Schanklokal in d« Reinickendorferstraße zu einem ge- wissen Altherr gesagt haben: Sie kennen den Mörser der Frau Geheimsekretär Paepke, Kowalski ist es nicht. Sie weiden den wahren Mörder nennen, wenn die Verhandlung beendet ist; Sie wollen jetzt den Mörder mtt Rückficht auf die Familie Paepke nicht nennen?— Zeuge: Davon weiß ich nichts.— Präs.: Kennen Sie Altherr!— Zeuge: Ja, ich bin aber schon Sit November mit demselben nicht mehr zusammen gekommen. lihnr arbeitet mit meinem Vater zusammen.— Veriheidig«: Dann beantrage ich den Vater deS Zeugen und den Althen zu laden.— Der Gerichts Hof deschließt, dem Antrage deS VertheidigerS stattzugeben. Nach etwa einer halben Stunde erscheinen die Zeugen.— Ar» bester Wehler bekundet auf Befragen deS Prästdenten: Ich weiß nicht, wer der Mörder der Frau Gehetmsekretär Paepke ist. Ich habe gestern bei Lesung der Zeitungsberichte gesagt: Kowalski scheint der Mörder nicht zu sein, da d« Hund nicht gebellt hat. Ich sagte, eS müsse wohl ein Bekannt« gewesen sein.— Präs.: Sonst wissen Sie von dem Morde nichts, haben auch nichts weiter gesagt?— Zeuge: Ich sagte noch, daß fich der Verdacht auch auf einen gewissen Grasheick in Charlotten» bürg, der viel in der Familie Paepke verkehrt hat, fich gelenkt hat.— Präs.: Haben Sie hierüber destimmte Anbaltspuntte? — Zeuge: Nein.— Präs.: Sie meinen blos, da Sie der An- ficht find, den Mord müsse ein Bekannter d« Familie Paepke degangen haben, daß eS dann GraSheick sein könnte.— Zeuge: Ja.— Vertheidiger; Herr Geheimsekretär Paepke, verkehrte der GraSheick viel in Ihrer Familie?— Zeuge: Nein, er war blos bisweilen meiner Frau beim Holzznkleinem behilflich.— Maurer Allherr: AlS wir gestern die ZeitungS« berichte üb« die gegenwärtige Verhandlung lasen, sagte Wehler: Kowalski ist nicht der Mörder, ich weiß, wer den Mord begangen hat. Wenn die Verhandlung beendet ist, werde ich den wirklichen Mörder namhaft machen; vorläufig will ich schweigen, um die Familie Paepke nicht zu dlamiren. — Präs.: Nun, Wehler, haben Sie daS gesagt?— Zeuge; Stein, eS ist mir nicht eingefallen, so etwaS zu sagen. Metallschleif« Richter, der fich augenblicklich wegen Dieb- stahls im Gefängniß defindet, bekundet: Ich kenne den Ko- walSki schon seit langer Zeit. Als wir unS im UntersuchungS gefängniß sahen, wund«ten wir unS Beide, daß wir in dieser Weise zusammenkamen. Ich«zähste nun, weshalb ich mich in Haft befinde. Kowalski sagte, er sei wegen Mordes in Haft. Auf meine Frage, wie es mit ihm stehe, antwortete er, eS stehe schlecht; eS sei Blut an seinem Rocke gefunden worden, daS sei aber von einer Schlägerei.— Präs.: Hat« sonst nichts weiter gesagt, Sie haben früh« etwaS anderes ausgesagt?— Zeuge(schweigt).— Präs.: Nun, Zeuge, befinnen Sie fich oder ich werde Ihrem Gedächtniß durch Verlesung Ihrer Aus-
sage, die Sie bei dem Untersuchungsrichter abgegeben haben, zu Hilfe kommen. Der Präfid«>t verliest diese Aussage. Dar- nach hat der Zeuge bekundet: Kowalski habe ihm gesagt, er sei nach Beiltn gekommen, um hier Einbruchsdiedstähle zu be- gehen und habe fich dazu auch einen neuen„Luden"(vrech« eisen) angeschafft; er sei jedoch gleich bei seinem ersten Ge- schüft„alle" geworden. Unter„alle geworden" v«stand ich „verhastet geworden". Kowalski sagte weiter: Ich werde oder ich kann mich ausreden, daß das Blut in meinrm Rocke von einer Schlägerei in Fürstenwalde herrührt. Daß er daS Wort„ausreden" gebraucht, weiß ich ganz genau.— Präs.: Haben Sie damals die Wahrheit gesagt, Richter?— Zeuge: Jawohl.— Präs.: Sie wußten fich wohl nicht mehr genau auf den Vorgang zu erinnern?— Zeuge: Nein.— Präs.: Nun, Angeklagter, wi.s haben Sie hierzu zu s-gen?— Angekl.: Ich habe lediglich zu dem Z-ugen gesagt: Ich bin wegen Moides verhaftet worden. Richier«widerte: Ist denn die Sache noch immer nicht todt, ich weiß ja, wer der Mörder ist.— Präs.: Richter, haben Sie das gesagt?— Zeuge: Ich sagte blos, ein Metallschleif« Namens Neumann, der eine Kratzwunde gehabt, sei als Mörder verdächtig gewesen. — Auf Antrag eines Geschworenen wird das Urtheil deS Landgerichts zu Fürstenwalde verlesen, wonach der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körpnverletzung zu 6 Monaten Gefängniß verurtheilt wurde. Frau Forsthuber bekundet noch, daß der Angeklagte, alS er in der gestern erwähnten Weise bei ihr vorgesprochen, etwas hartes, anscheinend ein Instrument, unterm Rock gehabt habe. Danach wird die Beweisaufnahme geschlossen und der Präfident formulirt folgende, den Geschworenen vorzulegende Fragen: 1. Ist der Angeklagte, Handlungsgehilfe Kowalski schuldig, am 3. November 1885 eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine filberne Bloche und Geld der Frau Geheimselretär Paepke, in der Abficht rechtswidriger Zueignung, weggenommen zu haben? 2. Ist der Angeklagte schuldig, am 3. Noo. 1885, bei Unternehmung dieses Diebstahls, um ein der Ausführung desselben entgegenstehendes Hinderniß zu beseitigen, oder um fich der Ergreifung auf ftischer That zu entziehen, die Frau Geheimsekretär Paepke vorsätzlich getödtet zu haben? ES beginnen hieraus die PlardoyerS. Staatsanwalt Dr- Ritzel: Meine Herren Geschworenen ! Ich ersuche Sie, mir auf einige Zeit Ihre Aufmerksamkeit zu schenken, um meinen Antrag, den ich auf Schuldia in vollem Umfangt stelle, zu begründen. Der Staatsanwalt erörtert in eingehender Weise die Einzelheiten der Verhandlung. AuS alledem, ganz besonders aber aus den wirthschafllich-n Ver» hälinissen der Familie Paepke geht hervor, daß ein Bekannter die That nicht begangen haben kann. Ich weiß nicht, ob eS Bosheit od« Klatschsucht gewesen ist, daß fich einige Zeugen bemüht haben, den Gatten der ermordeten Frau Paepke der Thätnschaft zu bezichtigen. Noch bis zum letzten Moment ist man selbst bemüht gewesen, das Andenken der«mordeten Frau Paepke zu beschmutzen. ES widerspricht meinem Gefühle, dem Verdacht, daß ein Mann, der mit sein« Frau eine fünfundzwanzigjährige glückliche Ehe geführt bat, der Mörder dttselden wird, zu widersprechen. Nicht daS Geringste hat die lange Verhandlung zu Tage ge« liefert, daß der Mörder in der Familie oder deren Bekannten- kreisen zu suchen sei, im Gegentheil, Alles spricht dafür, daß die That nur von einem Fremden ausgeführt sein kann und zwar von einem Menschen, der fich in die Wohnung ringe« schlichen und mit dem Ausräumen von Wäschestücken beschäftigt war, von Frau Paepke überrascht worden ist, und da er de« fürchtete,«griffen zu werden, diese niedergeschlagen hat. Sie haben gehört, daß ein Zeuge, der erklärte, nicht an Gott zu glauben, am Vormittage des 3. November einen Menschen in der Paepke'schen Wohnung gesehen haben will, über dessen Geschlecht er fich nicht klar war, ver seiner Meinung nach aber auch ein Mann in Frauenkleidern gewesen sein kann. Es wird Ihnen bekannt sein, m. H., daß derartige mystische Persönlich« leiten fast in jedem größeren Krimtna'prozesse auftreten. Selbst- verständlich wird man niemals auf derartige Wahrnehmungen etwas geben können. Nimmt man aber an, und nach den Er« grbniffen der Brweisaufnahme muß man zu der Annahme ge- langen, die That kann nur ein Fremder begangen haben, dann ist eS nöthig, einen Blick auf den Angeklagten zu werfen. Der Angeklagte zählt zu den verwegendsten Einbrechern. Kaum 20 Jahre alt, begeht er einen Einbruchsdiebstahl, wofür er mit 1 Jahr Zuchthaus. 1 Jahr Ehrverlust und Poltzeiaufstcht be« straft wird. Während sonst die Verbrech« mit kleinen Dingen Ä? KÄÄÄtÄ' Verbrechnlaufdahn sehr bald zum Meister bringen wird. Er macht in dieser seiner Laufbahn sehr bald noch ganz bedeutende Fortschritte. Sie wissen, daß er seit 1879 fast unaufhörlich wegen schwerer Einbrüche mit Zuchthaus bestraft worden ist. Am 20. Oktober vorigen Jahres kam er wiederum nach Bnlin. Er wohnt und verkehrt hier in der christlichen Herberge zur Heimath. Sie haben gehört, meine Herren Geschworenen , wer in diesen christlichen Herdergen verlehit. Personen von der Kategorie des Kowolski oder solche Personen, die zu jedem Verbrechen fähig find. Kowalski fristet hl« seinen Untnhalt vom Betteln. Er sagte, « hade fich ernährt, daß er Fremdenführerdienste leistete. Wir baden gehört, welcher Art diese Fremdenführerdienste waren. Er begleitete den Kellner Kogel auf dessen Bettelgängen. Er behauptet nun, niemals in Moabit gewesen zu sein. Der Schloffer Spohrleger hat mit größter Bestimmtheit bekundet. daß er den Angeklagten in Moabit gesehen hat. Ich will auf das Zeugniß deS Schankwirth Falkenhagen und d« beiden hier vernommenen Knaben weniger Gewicht legen. Allein von großem Belang waren doch dir Bekundungen deS Baumeister Thiele und des Produktenhändler Seist. Diese zwei sehr gewissenhafte Männer sagen: Jetzt nach 5 Monaten können wir mit Bestimmtheit nicht mehr sagen, ob der Ange» klagte der Mann gewesen ist, der am 3. November, Nachmit- tagS gegen 2 Uhr, aus dem Hause Dreysestraße 8 nach dem Hause Dreysestraße 10 gegangen ist. Als den Zeugen der Angeklagte ad« wenige Tage nach dem Morde vorgeführt wurde, da erkannten fie ihn sogleich mit vollster Bestimmtheit. Daß die zurückgelassenen Zigarren des Thätns gute waren, wunder? mich nicht. Es hätte mich im Gegentheil befremdet, wenn Ko« «alski schlechte Zigarren geraucht hätte. Der Staatsanwalt schildert nun die Verhaftung deS Angeklagten, sein Verhalten bei dem Verhör, daS Kriminal- Kommissar Weyen mit ihm vor» genommen, sein Verhallen dem Hausdiener Hlntze gegenüber u. s. w. ES unterliegt also— so fuhr der Staatsanwalt fort — danach keinem Zweifel, daß der Angeklagte der Thäter gewesen ist. ES kann nur in Frage kommen od Kowalski die That allein ausgeführt oder ob er einen Genoffen gehabt hat. Dafür sprechen ja allerdings auch verschicdeneMomente, so z. v. dieWahrnehmung einer Zeugin, die hastig flüstern gehört hat. Es wäre ja mög« lich, daß ein solcher Genosse vorhanden gewesen. ES konnte dem Angeklagten nicht schwer werden, einen solcheü Genossen in der christlichen Herberge zu finden. ES ist ja auch nicht unmöglich, daß Kreuzberger dieser Genosse gewesen ist. Allein dieS geht Sie im Augenblick nichts an. Wenn Sie Ver Ueber- 'zeugung find, der Angeklagte hat die That allein oder in Ge« meinschaft mtt einem anderen degangen, dann muß Ihr Ver- dikt auf Schuldig lauten. V«tbeidlger Rechtsanwalt Dr. Richard Wolff: Meine Herren Geschworenen: Ehe ich dem Herrn Staatsanwalt ant« motte und daS Beweismaterial würdige, erlaube ich mir ein Wort an Sie, meine Herren Geschworenen , zu sprechen. Meine Herren, auf Ihren und meinen Schultern ruht eine große Verant« wortiichkeit. Ganz Berlin , ja, ich darf wohl sagen, ganz Deutschland steht mtt Spannung auf Ihren Urtheilsspruch. MS am 3.No«