Mr. 140.
Sonnabend, den 19. Juni 1886.
III. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Drgan für die Interessen der Arbeiter.
erscheint täglich Morgens außer nich Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mait, monatitch 1,35 Matt, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Bf. Sonntags Nummer mit der illuftritten Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)
Fälschungen.
Redaktion: Beuthstraße 2.
Gott Mammon ist auch der Gott der Lügner und Fälscher; diese Behauptung ist jedenfalls richtiger noch, als diejenige der alten Heiden, daß Mercurius , der Gott ber Raufleute, auch der Gott der Diebe set.
Wir meinen nun nicht Privatlügen und Banknoten fälschungen speziell, nein, wir wollen ein Beispiel hier vor führen, wo man Statistik und Wissenschaft im Namen des Gottes Mammon fälscht und die Nebenmenschen belügt.
Hat ba bie preußische Regierung resp. die Verwaltung der königl. Gruben im oberschlesischen Industriebezirk ein sehr verständiges Verbot der Beschäftigung weiblicher Arbeitskräfte erlaffen. Anstatt, daß nun die Privatgruben der christlich fatholischen Befizer in Oberschlesien dem guten Bei spiel folgen sollen, nehmen dieselben Anstoß an demselben, und erläßt in Folge dessen der Ausschuß des oberschleft schen Berg- und Hüttenvereins eine Petition an den Reichs tag, damit er die Ausbeutung der weiblichen Arbeitskräfte weiter ausüben kann.
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Insertionsgebühr
beträgt für die 4 gespaltete Bettzeile oder deren Haum 40 Bf. Arbeitsmarkt 10 Pfennige. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Simmerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.
Expedition: Zimmerstraße 44.
wöhnlich geringe, die Geburtsziffer überhaupt das gegen eine außerordentlich hohe und trotz dessen die Rinder fterblichkeit eine normale."
Wir können die sämmtlichen hier angeführten Behaup tungen nicht widerlegen, da uns das spezielle statistische Material nicht zur Hand sieht; aber zwei und zwar die schwerwiegendsten dieser fabrikantlichen Angaben find total unwahr und geben zugleich den Beweis, wie wenig auch den übrigen zu trauen ist.
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Buerft wird behauptet, daß die Sittlichkeitsverhältnisse und gebe man wohl acht! in Bezug auf die Ge burten außer der Ehe in Oberschlesien bessere feien als in allen übrigen industriellen Gegenden Deutschlands . Das ist einfach gelogen.
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Bahlen beweisen. Bleiben wir zunächst im Königreich Preußen. In Shlesien tommen auf hundert Geburten 10,86 außer der Ehe. In dem industriellen Rheinland beträgt die 3ahl der außerehelichen Rinder auf 100 nur 3,52, in dem industriellen Hessen Nassau 5,71 und in dem gewiß industriellen Westfalen gar nur 2,77 auf hundert Geburten.
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Ebenso unwahr ist die Behauptung, daß der Durch schnittssak der unehelichen Geburten in Oberschlesien hinter dem Durchschnittssatz in Deutschland zurückbleibe. Der Durchschnittssatz der unehelichen Geburten in ganz Preußen beträgt 8,09, im Deutschen Reiche 9,22 Prozent, während bie Prozentzahl in Schlesien , wie oben schon mitgetheilt, 10,86 ergiebt.
4,35 Prozent.
Tobtgeborenen in Schleften Reine andere Provinz Provinz weift eine fo hohe 3iffer auf, felbst Berlin allein genommen nicht. Berlin fleht mit 4,04 da. Der Durchschnitt im Königreich Preußen beträgt 3,92 Prozent; im ganzen Deutschen Reich nur 3,78. Uebertroffen wird die Proving Schlesien nur von Sachsen- Al'enburg mit 4,45 und Walded mit 4,94 Prozent. Alle anderen Staaten stehen unter der Provinz Schlesien in Bezug auf die Tobtgeborenen, bie man doch in erster Linie als anormale Geburten bezeichnen muß.
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Vielleicht unternimmt es nunmehr der Ausschuß" des Berg- und Hüttenvereins in Oberschlesien , den Haupttheil ber geringeren Sittlichkeitsverhältnisse in Schlesien auf die anderen Regierungsbezirke zu schieben- doch wird er damit kein Glüd haben. Selbst wenn der Bezirk Breslau in Bezug auf uneheliche und anormale Geburten eine etwas höhere Biffer aufweisen sollte, als die Gesammtproving, so wird der Regierungsbezirk Liegnig eine geringere 3iffer zeigen, so daß der Bezirk Oppeln genau die angegebene Durchschnittsziffer der Provinz präsentirt.-
Wir wunbern uns zunächst, baß ein fabrikantlicher Ausschuß" solche Untertreibungen" in einer Petition an Reichstag versucht, da er doch annehmen muß, daß einzelne Reichstagsmitglieber derartige Petitionen auf die Wahrheit der in denselben enthaltenen Behauptungen prüfen werden. Allerdings hat der Abg. Nichter die Petition in seinen Haupttheilen in seinem Blatte abgedruckt, ohne jegliche Bemerkung, jebenfalls im Interesse der Fabrikanten, denen Frauenarbeit billiger fommt, als Männerarbeit oder aus untenntniß. Er hat fogar den Angriff auf Pommern und Mecklenburg in seinem Blatte gesperrt gebrudt, um den Landwirthen eins auszuwischen; aber Eugen Richter ist doch nicht der Reichs tag und von sozialen Dingen versteht er eben nichts.- Gott Mammon hat den vielerwähnten Ausschuß" mit Blindheit geschlagen deshalb hat er seine Petition mit
In dieser Petition wird unter anderem, um zu be Der Ausschuß" einer großen Körperschaft mußte dies weisen, daß das Verbot der Ausbeutung der weiblichen wiffen oder konnte dies leicht erfahren, wenn er das amtArbeitskräfte überflüssig und unnük sei, folgendes ange- liche Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich nach- ben führt: las. Dem Ausschuß" aber scheint Gott Mammon und die Bezüglich der Sittlichkeitsverhältnisse Ausbeutungsluft weiblicher Arbeitskräfte die Sinne umnebelt dürfte Oberschlesien allen industriellen Gegen zu haben. den Deutschlands voranstehen. Die 3 ahl ber unehelichen Geburten bleibe hinter dem Durchschnittssage in Deutschland , geschweige dem in den fast ausschließlich Landwirth. Shaft treibenden Gegenden Pommerns und Medlen burgs, zurü d. Nachtarbeit geschehe fast immer in taghell burch elektrisches Licht erhellten Räumen, die Arbeiterinnen arbeiteten fast immer in größerer 3ahl gemeinschaftlich 2c. Frauen würden ihren häuslichen Pflichten fast gar nicht entzogen, ba nur 2,8 pt. sämmtlicher Arbeiterinnen Ehefrauen feien, höchst wahrscheinlich ausschließlich solche, deren Männer erwerbsunfähig oder Trunkenbolde und Landstreicher seien. Auch der Behauptung, daß die Beschäftigung bei der Mon tanindustrie für weibliche Arbeiter ungeeignet, ihnen ungefund sei, müsse widersprochen werden. Die Arbeiterinnen des oberschlesischen Montanbezirks seien gefünder und träf tiger als bie Fabritarbeiterinnen großer Städte und indus firieller Gegenden, und die Beschäftigung weiblicher Arbeiter in der Montanindustrie, mit vielleicht alleiniger Ausnahme bes Sinthüttenbetriebes, tomme hinsichtlich der Gesundheit unmittelbar hinter der Beschäftigung in der Landwirthschaft. Die 3ahl der anormalen Geburten sei im oberschlesischen Bergrevier eine Bergrevier eine unge
Magbrud verboten.]
Feuilleton.
Eine Mutter.
Roman von Friedrich Gerstäder. ( Fortsetzung)
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zent der Provinz Schlesien über", alle andere Provinzen felbst Pommern ( britte unwahrheit!) stehen unter Schlesien , wenn das auch bei Pommern nur um ein Geringes ist. Auch in Hamburg ist die Prozentzahl geringer, als in Schlesien .
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In Bezug auf Mecklenburg hat der Ausschuß" endlich einmal die Wahrheit gefagt. Aber was beweist bas? Bunächst haben die feudalen Verhältnisse in Mecklen burg daran Schuld und dann waren in Mecklenburg bis zur Regelung durch das Reich die Ehen der Tagelöhner und armen Leute ungemein erschwert. Dies wirkt noch nach.
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Aber auch die Behauptung, daß die 3ahl der anor malen Geburten in Oberschleften eine ungewöhnlich geringe fet, ist unwahr. Im Gegentheil beträgt die 3ahl der
Aber die Wagen konnte man doch auch unmöglich hier er warten, und ein anderes Haus war nicht in der Nähe. Boten über Boten wurden jetzt vorausgeschickt, Leute waren bazu genug versammelt, um die Wagen zu beorbern, daß fie wenigstens entgegenkamen, oder an Droschten auftrieben, was fich finden ließ- am Theater hielten jett eine Menge, und wie die wilde Jagd hezten eine Anzahl von jungen Burschen den Weg hinab und an Rottads vorüber.
Immer leerer wurde es oben im Schlosse, immer unheimlicher. George selber war auf einem zweiten Pferd bavongefprengt wohin? Er wußte es selber nicht.
Aber eine grenzenlose Verwirrung hatte sich indessen der Gäste bemächtigt. Felix war rasch zu Helenen hinüber gegangen. Er wollte mit George sprechen, aber dieser war seiner Mutter schon gefolgt, und aufbrängen durfte er fich nicht. Er fühlte auch recht gut, daß man jetzt der Fa- In Paula's 3immer stand die Gräfin und las ein milie feinen größeren Gefallen thun tönne, als fie fo fleines Briefchen, das fie versiegelt auf der Tochter Toilette bald als irgend möglich von der Gegenwart Frember autisch gefunden. Ihr Gesicht war marmorbleich, aber feiner befreien; deshalb Helenens Arm ergreifend, flüsterte er ihr ihrer eifenbarten 3üge verrieth, welche Gefühle in diesem rasch zu: Augenblick ihr Inneres bewegten.
Romm, mein Herz, hier ist weiter nichts zu thun, als uns zu entfernen. Bei der wundervollen Nacht gehen wir recht gut zu Fuß in die Stadt zurüd; laß uns ein wenig eilen, daß wir nicht in den Troß tommen." Er nahm ihren Arm und führte fie aus dem Saal, und das war das Beithen zum allgemeinen Aufbruch.
Draußen auf dem Gang stand ein alter Diener, der dem Grafen seinen Rod gab.
Rönnen Sie mir nicht sagen, Freund, was vorge. fallen ift 8"
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In dem Bettel, der„ An meine Eltern" überschrieben war, standen nur folgende wenige Worte: Lieber Bater, liebe Mutter! Ich kann den jungen Bolten nicht heirathen, ich würde unglücklich mein ganzes Leben sein. Ich liebe mit aller Kraft meiner Seele Rudolph Handor und werde sein Weib. O, verzeiht Eurer armen Tochter Paula!"
Sie faltete das Billet zusammen, Kleiner und kleiner, bis es einen dünnen Streifen bildete, und fast mechanisch hob fie es bann empor zum Licht, entzündete es und fab zu, bis es ſich verzehrte, ja, die Spigen ihrer weißen Glacé handschuhe versengte. Dann schritt sie langsam hinüber zu ihrem Gatten, der noch immer bewußtlos auf einem Sopha lag, während ihm der Haushofmeister mit zitternden Händen bas über- falte Umschläge um die Schläfe machte. Der alte Graf Bolten stand baneben, die rechte Hand auf den Tisch gefüßt, in ftarrer Ruhe und verwandte feinen Blid von bem unglücklichen alten Mann.
Der große Gott weiß es!" sagte der Alte, und die Thränen hanben ihm in den Augen- aber Geheimniß tann's nicht mehr bleiben: die junge Romtesse ift fort und Graf Bolten ihr nach. Draußen im Part fiel eben ein Schuß, die Diener wollen mit Fadeln hinaus- das überlebt der alte Herr nicht."
Großer Gott, Paula?" rief Helene. Felix aber, thr felber ben Mantel umwerfend und ihren Arm in den seinen ziehend, führte fte hinaus in's Freie.
Nicht so rasch tam die übrige Gesellschaft fort. Viele ber Damen, ja bie meisten, trugen weiße Atlasschuhe, da man fehr start auf einen fleinen Ball gerechnet hatte. Soll ten sie in diesen ben weiten Weg in die Stadt zurücklegen?
Drei Boten waren nach verschiedenen Aerzten gesandt, um fie rasch herbeizurufen; fie fonnten aber noch nicht ba fein, der Weg war zu weit.
Die Gräfin trat ins 3immer; Graf Bolten rührte sich nicht und wandte ihr den Blid nicht einmal zu. Sie zog
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unwahrheiten gespidt. Solche Petition gehört in den Pa pierkorb oder fann auch der preußischen Regierung über wiesen werden, als ein Beweis, wie richtig fie gehandelt hat, das Verbot der Frauenarbeit in den fiskalischen Gruben und Bergwerken Oberschlesiens anzuordnen.
Anständige Privatunternehmer und Privatgesellschaften aber sollten solchem Beispiel folgen.
Politische Uebersicht.
Unerhört. Durch die Beitungen geht folgende Korre spondenz: Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, daß die fozialdemokratische Partei im Reichstage darauf ausgeht, ben noch bevorstehenden Schluß der Seffton zur n bringung von Beschwerden auszubeuten. Dafür dürfte fie in
ihre weißen Glacehandschuhe aus, nahm dem Haushofmeister bas nasse Tuch ab und sagte tonlos:
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Sehen Sie nach der Tafel- daß alle Fremben bas Haus verlassen einige junge Leute behalten Sie zurüd, wenn wir vielleicht noch Boten gebrauchen sollten." 3u Befehl, Frau Gräfia." Wo ist George?"
" Forter hat sich ein Pferd satteln lassen." Es ist gut sehen Sie nach dem Hause."
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Der Haushofmeister zog sich mit einer Verbeugung und einem traurigen Blick auf seinen Herrn zurüd; er wäre noch so gern bei ihm geblieben, aber feine Pflicht rief ihn auf seinen Posten. Die Frau Gräfin hatte recht: die Maffe dort aufgestellten Silbers durfte nicht ohne Aufsicht bleiben daß sie nur daran gedacht hatte!
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Eine halbe Stunde verging so. Graf Bolten rührte fich nicht; er schien wie aus Stein gehauen, und nicht regungsloser war der Ohnmächtige auf dem Sopha, dem die Sattin ruhig und mechanisch die Umschläge wechselte. Endlich fuhr ein Wagen vor. So still war es im Hause ge worden, daß man deutlich das Knirschen der leichten Räber auf dem Ries hören konnte. Es war einer der Herzte, ber im Rarriere herausgefahren sein mußte.
Draußen vor dem Fenster wurden auch Stimmen laut und Leute kamen mit Facelu. Weber Graf Bolten noch Gräfin Monford beachteten es. Der Arzt schien einen Augenblid ba draußen aufgehalten zu sein; es dauerte wenigstens unverhältnismäßig lange, ehe er eintrat, ober däuchte ihnen bie Seit nur so lang? Endlich aber trat zu dem Lager des Kranken, dessen Hand er nahm, um kam und den Puls zu fühlen.
Gnädige Gräfin, ich bebauere unendlich Was halten Sie, von seinem Zustand Doktor?" Der Doktor schüttelte mit dem Kopf endlich frug er Teise: Liegt irgend eine bestimmte Ursache dieser heftigen Störung ber Lebensthätigkeit vor? Schreck oder Gemüthsbewegung?"
Es ist möglich," erwiderte kaum hörbar die Gräfin. Der Arzt niďte, ohne etwas weiter zu fragen oder