Nr. 143.

Mittwoch, den 23. Juni 1886.

III. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner   Volksblatt"

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erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Bf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Bf. Sonntags- Nummer mit der illuftritten Beilage 10 Bf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreislifte für 1886 unter Nr. 769.)

Die Miethsstener.

Redaktion: Beuthstraße 2.

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Insertionsgebühr

beträgt für die 4 gespaltete Bettzelle oder deren Staum 40 Bf. Arbeitsmarkt 10 Pfennige. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin   SW., Simmerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux  , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

fonen mit über 60 000 M. Einkommen nur 3,6 bezw. 3,9 ober 3,4 Prozent ihres Einkommens auf Miethe, bei 6000 M. Einkommen werden durchschnittlich schon 17,9 bezw. 18,3 Pro­bezent auf die Miethe verwandt und je niedriger das Ein­kommen, desto höher der auf die Miethe entfallende er bei einem Einkommen bis zu Prozentsatz, bis

Folgende elf Stäbte im preußischen Staat befizen bie höchft zweifelhafte Ehre, noch mit einer Miethssteuer haftet zu sein: Berlin  , Frankfurt   a. M., Halle a. S., Danzig  , Gaffen, Tempelburg, Bojanowo, Tönning  , Apenrade  , Ottensen  und Emden  .

Vier große oder doch größere Städte und sieben fleine. Man versteht die Busammensetzung gar nicht, da diese Städte an Einwohnerzahl ganz verschieben und ihrer Lage nach in den verschiedensten Provinzen zerstreut find. Man kann also das Bedürfniß nach einer Miethssteuer hier nicht in ein Syftem bringen. Es giebt eine große Anzahl von Städten, besonders im Westen Deutschlands  , wo die Rom  munalsteuer einen viel höheren Prozentsaz erreicht, als in ben genannten Städten mit fammt der Miethssteuer und wo die letztere boch nicht eingeführt oder schon längst ab­geschafft worden ist.

Ueber die Ungerechtigkeit der Miethssteuer, über das Drückende dieser Steuer gerade für die unteren Klassen der Bevölkerung sind schon, auch in unserem Blatte, zahl reiche Ausführungen gemacht worden, so daß wir uns furz faffen können.

Die Miethssteuer widerspricht-wenn man die in­direkten Steuern auf nothwendige Gebrauchsgegenstände aus­nimmt wie feine andere dem Grundsaße der gleich mäßigen Vertheilung der Steuerlaft nach dem Maßstabe der Leistungsfähigkeit. Diese Leistungsfähigkeit ist nach dem Einkommen zu beurtheilen und jede birekte Steuer foll im Prinzip wie im Effekt das Einkommen treffen. Die Mieths feuer, bie eine direkte von dem Miether zu tragende Steuer ist, richtet sich nun aber keineswegs nach dem Ein tommen, sondern nach der Höhe der Miethe und man ftellt fie feft, indem man annimmt, daß der Anfwand für Miethe tia Beweis des Einkommens sei.

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ber

Das ist ganz falsch. Der Arme, zumal wenn er verheirathet ist und Kinder hat, muß oft- feines Eistommens für eine Wohnung verwenden; reiche, aber unverheirathete Mann zahlt manchmal nicht mehr für seine Wohnung und entrichtet deshalb auch keine höhere Miethssteuer, als der arme Mann. Der fleine Geschäftsmann, der sein Geschäft außerhalb seiner Wohnung betreiben muß, bezahlt natürlich verhältnismäßig viel mehr Miethe und entrichtet somit eine verhältnißmäßig höhere Miethssteuer als der große Fabrikant oder Rauf mann, der seine Wohn- und Arbeitsräume zusammen hat. In welchem Rontraft aber die Miethsverhältnisse mit ben Einkommenverhältnissen stehen, lehrt uns folgende sta tische Untersuchung:

Danach verwenden in Berlin  , Hamburg  , Breslau Per­

Kagerud verboten.]

gott  

Feuilleton.

Eine Mutter.

Roman von Friedrich Gerstäder. ( Fortsetzung)

3ft benn nicht noch Jemand drüben beim Fürchte

" Ich habe auch sprechen gehört. Vor einer Stunde etwa tam ber Ontel nach Hause, ich hörte wenigftens bann hat sich nichts weiter gerührt. Jest tam wieder Schritte, und es ging Jemand in das Zimmer nebenan, und Jemand, und nun fprechen sie mit einander."

An der Verbindungsthür pochte es.

Seib Ihr noch munter?" fragte Pfeffer's Stimme. Ja, Ontel."

" Rönnen wir einmal hinüberkommen?"

Wir wer denn noch?"

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Der Jeremias."

" Der Bater? War der es, der noch so spät tam? Es ist doch nichts vorgefallen, Ontel?"

Rönnen wir noch einmal hinüberkommen?"

Es ist zu spät, Fürchtegott," fagte Jeremias abwehrend. Nie zu spät, eine gute Nachricht zu hören," brummte Pfeffer; wie?"

"

Sa gewiß, Ontel; ich habe noch Licht."

" Das weiß ich, Du fleine Here, und auch noch die Finger voll Blätter und Staubfäben; na, warte!" Und fein Licht vom Tisch nehmend, wintte er Jeremias und fah, als er fein Simmer verließ, nur eben noch, wie Jettchen in die Küche hineinhuschte.

Sie gingen hinüber. Das Bett der Kranten war jetzt im Wohnzimmer aufgeschlagen worden, und die Frau, welche recht leibend aussah, hatte sich aufgerichtet, um die beiden Manner begrüßen zu können.

Nun, wie geht's heute Abend, Auguste? Wieder viel gebuftet? Was machst Du?"

600 Mart in Hamburg   26,5, in Breslau   28,7 und in Berlin   sogar 41,6 Prozent beträgt. Und gerade Berlin  , in welcher Stadt die Belastung durch Miethe schwerer ist als irgendwo, hat eine Miethssteuer eingeführt, welche für alle Miethen, hoch und niedrig, gleichmäßig 6% Prozent beträgt.

Unter den oben genannten 11 Städten, in denen die Miethssteuer exiftirt, bringt Halle 51 Prozent feines ge fammten Rommunaleinkommens durch die Miethssteuer auf; Berlin   folgt mit 41, Ottenfen mit 40 Prozent. Frankfurt  und Emben erzielen durch die Miethssteuer 27 Prozent, die übrigen Städte einen viel geringeren Bruchtheil ihres Rommunalbedarfs.

Aus diesen statistischen Notizen geht hervor, daß auch in ben Berliner   Kommunalsteuerfädel ein großer Theil der Einnahmen fließt, welche aus einer Besteuerung herrühren, welche für die minder Wohlhabenden und besonders für die ärmften Steuerzahler im Vergleich zu den beffer Situirten bie größte Benachtheiligung enthält und so ungerecht als möglich ift.

Die Miethssteuer hat aber auch noch Einfluß darauf, baß ein weniger Bemittelter fich die Wohnung fo billig als möglich sucht, selbst auf die Gefahr hin, ungefunde Räume zu erwerben, welche Nachtheile für die eigene und die Ge sundheit der Familie herbeiführt.

Ein

Aber welche Steuer foll an Stelle ber Miethssteuer treten? Unsere modernen Wirthschaftsreformer schlagen natür lich die indirekte Steuer vor. Rommunale Biersteuern 2c. Das aber hieße ben Teufel burch den Beelzebub austreiben. Dadurch würde das Volt in seiner Ernährungsweise gestört und gerade die Arbeiter würden es sein, welche am meisten und am härtesten unter Erhöhung oder neuer führung indirekter Steuern auf Lebensmittel getroffen würden. Es giebt nur eine wahrhaft gerechte Steuer, die im Reich, Staat und Gemeinde einzuführen ist. Die progressive Ein. tommensteuer, wodurch in der That bei richtiger Abmessung Gleichmäßige derfelben der gerechte Steuergrundfah: Vertheilung der Steuerlast nach dem Maßstabe der Lei allein zur Wahrheit gemacht werden ftungsfähigkeit tönnte.

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Und gerecht soll man gerade bei der Besteuerung sein - die Gerechtigkeit und nicht die Utilität( bie Nüglichkeit) und auch nicht die Bequemlichkeit muß in jebem Staats wesen die Leitung im Steuerwesen haben. Deshalb ist die

Es geht etwas besser, seit ich die häßliche Medizin nicht mehr trinken muß.

"

War der neue Doktor ba?" fragte Pfeffer rafch. " Jeremias wollte es ja absolut; er behauptete immer, daß unser alter Arzt mich falsch behandle."

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Und was sagt ber neue? Natürlich Alles verkehrt bisher, wie gewöhnlich, und nun versucht er es einmal mit einer anderen Duadfalberei; tommt mir damit, das bleibt immer baffelbe."

Er hat mir faft gar teine gegeben," fagte bie Frau leise; ,, er behauptet, ich wäre gar nicht frant, wenigstens tönne er nichts entdecken, was eine ernstliche Rur verlange. Nur vor Gemüthsbewegungen solle ich mich hüten und mir besonders feine traurigen Gedanken machen, denn es sehe ihm beinahe so aus, als ob mich nur die Furcht vor einer Krankheit wirklich frant gemacht hätte."

Also mache Dir teine traurigen Gebanken!" lachte und kann ich denn anders?" sagte die Frau leiſe.

Pfeffer."

Sehe ich denn nicht das arme Kind, das Jettchen, ben ganzen Tag vor mir, wie es immer ruhig, immer freundlich, mit feiner Rlage auf dem Herzen auch mit jebem Tage elender wird und sich verzehrt, und nur Abends, wenn sie glaubt, daß ich schlafe, ihre Schmerzensthränen still und heimlich fließen läßt? Das arme Jettchen! Aber was führt Dich noch so spät hieher, Jeremias? Es ist doch nichts vorgefallen? Lieber Gott, ich habe jetzt immer eine solche Angst, als ob irgend etwas recht Entscheidendes, etwas recht

Schlimmes eintreten müsse!"

Und wenn's nun etwas recht Gutes wäre, Auguste," fagte Jeremias, der sich die ganze 3eit verlegen die Hände etwas recht Gutes?" gerieben hatte-

Recht Gutes?" rief die Frau aufmerksam werdend. Thr seht mir Beide so sonderbar aus, und diese späte Stunde!" Wo stedt denn das Jettchen?"

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" Hier ist sie schon, Ontel," rief das junge Mädchen die Thür öffnend. Guten Abend, Vater! Ich hatte kurz vorher fochenb Waffer gemacht, weil die Mutter so huftete; das war den Augenblick wieder zum Rochen gebracht, und da

Miethssteuer, deshalb find bie indirekten Steuern auf noth wendige Gebrauchsgegenstände zu verurtheilen, deshalb ist die einzige der Gerechtigkeit entsprechende Steuer anzuftreben und einzuführen,

die progressive Einkommensteuer.

Politische Uebersicht.

Ueber die belgische Arbeiterbewegung scheint der Tele graph wieder einmal niederträchtig gelogen zu haben. Bekannt lich beläuft sich der jährliche Geschäftsverkehr zwischen Deutsch  land und Belgien   auf etwa eine halbe Milliarde Frants. Der Handel aber verlangt Ruhe und unter den fortwährenden auf regenden Nachrichten aus den belgischen Industriezentren hat er mehrfach gelitten. Das bekommt die Geschäftswelt natürlich allmälig satt und der Büffeler Korrespondent der Nat. Btg." rüdt nunmehr ganz offen mit der Sprache heraus. Seit drets einhalb Monaten-schreibt er hören die Verbreiter von Sensationsnachrichten nicht auf, alltäglich so beun ruhigende Gerüchte über die Lage in Belgien   zu verbreiten, daß wenn nur der vierte Theil davon wahr wäre,

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die bedeutsamen Handelsbeziehungen eine tiefe Störung er leiden würden. Seit dem Brande der Glasfabrik Baudoux im Monat März ist in Belgien   nichts Außergewöhnliches ge schehen, was zu ernsthaften Besorgnissen Anlaß bieten tönnte. Alle diese ,, Rubeftörungen", Arbeitseinstellungen, Rundgebungen, von denen man unabläfftg spricht, find mit staten Uebers treibungen geschildert worden. Von einer sozialen Revolution ist hier auch nicht im Geringften die Rede. Eine Thatsache ist besonders geeignet, ale Gerüchte zu zerstreuen, welche von jenen Berichterstattern in der europäischen   Breffe verbreitet worden: Die Regierung erachtet die Lage so wenig für besorgnißerregend, daß sie soeben die Miliz tlasse des Jahres 1882, welche im Monat März einbe rufen wurde, als Gefahr vorhanden au ſein schien, in die heimath entlassen hat. Dieses Symptom dürfte für alle ernsthaften Beurtbeiler entscheidend sein." In der That, entscheidend genug. Wir freuen uns nur, daß der offistofe Telegraph von demselben Unternehmerthum fegt eine Nase erhält, dem er durch seine Uebertreibungen zu dienen ver

meinte.

Wenn die, Nordd. Allg. Ztg." die Bestrebungen der Arbeiter bekämpft, so führt fte nur den Willen ihrer Auf traggeber aus und soweit wird sich an ihr niemals etwas ändern. Dagegen haben wir die hoffnung noch nicht ganz verloren, daß die ,, Nordd. Allg. 3." allmälig wieder einen Rest des Gefühls für Wahrheitsliebe und Ehrlichleit fich aneignet, der felbft im Verkehr mit politischen Gegnern noch immer bean sprucht wird. Viel ist es freilich nicht, was zu dieser Hoffnung berechtigt, immerhin aber legt die Empfindlichkeit, welche das Ranglerblatt bisweilen für Tendenslügen" zeigt- insbesondere soweit fie fich in den Organen Richter's und Rickert's finden -die Vermuthung nahe, daß der Sinn für journalistischen Anstand in der Wilhelmstraße doch noch nicht ganz ent schwunden ist. Der legte Leitartikel der Nordd. Allg. 3tg."

hab' ich Euch Beiden eine Taffe Thee aufgegossen. Datel trinkt ihn ja doch gern, wenn er Abends nach Hause kommt, nicht wahr?"

Aber doch nicht um Mitternacht, Schahz; doch nun seze Dich einmal dahin. Wie, Jeremias, nicht wahr? wir wollen den Beiden jetzt einmal eine Geschichte erzählen?"

Was haft Du nur, Onkel?"

" Dahin sehen und ruhig zuhören; erst gieb mir aber einmal den Suder her."

Henriette gehorchte kopfschüttelnd, denn sie begriff gar nicht, was sie aus dem Allen machen sollte. Der Onkel war aber innerlich vergnügt, das hatte sie ihm auf

den ersten Blid angesehen; was konnte nur vorgefallen fein?

an

" So," sagte jetzt Pfeffer, als er sich hinter den Tisch gefekt und behaglich seinen etwas späten Thee fchlürfte, während ihn die beiden Frauen erwartungsvoll are fahen Nein, erzähl' Du's lieber," meinte sein Schwager, Du tannft's beffer."

"

-nun erzähl' einmal, Jeremias."

,, m, gut," nickte Pfeffer, bann will ich's erzählen; nun paßt einmal auf. Heute Abend war also Hamlet im Theater."

Ist das Alles?" lächelte das junge Mädchen, als der Datel schwieg.

feiner Bigarrentasche griff, fie aber wieder zurückschob und ,, Doch nicht ganz," sagte Pfeffer, der in Gedanken nach eine Prise nahm. Wie wir anfangen wollten, ftellte sich nämlich die fleine Schwierigkeit heraus, daß wir teinen Hamlet hatten." Reinen Hamlet?"

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gerin

Hanbor kam nicht; die Ouvertüre spielte, die Tän mußte ihre Rünfte machen, und noch immer tein Hamlet." Ja, aber was wurde benn ba?"

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trocken.

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Es mußte ihn ein Anderer spielen," sagte Pfeffer

Ein Anderer?" fragte jetzt auch die Frau erstaunt..