Nr. 146.
Sonnabend, den 26. Juni 1886.
III. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
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Die Redaktion und Erpedition
des Berliner Volksblatt".
„ Die Volksabstimmung
in der schweizerischen Gesekgebung" ift der Titel einer kleinen Broschüre des Herrn Theodor Curti , Mitglied des schweizerischen Nationalraths, in welcher treffliche Aufschlüsse über diese wichtige Einrichtung gegeben
werden.
Der Verfasser schildert das schweizerische Referendum als die höchste Stufe der Ausbildung, welche die Formen der Politischen Demokratie bis jetzt erlangt haben. Und ob nun auch diese Staatseinrichtung in Europa nur vereinzelt bes steht, jeder Politiker kann ihr als einer Evolution der demofratischen Staatsidee sein Interesse schenken.
Wenn man in der Schweiz das Wort Referendum ge braucht, so wird oft figürlich, indem man ben wichtigsten Theil tatt bes Ganzen benennt, die Volksgesetzgebung
Nagbrudsrboten.]
Feuilleton.
Eine Mutter.
Roman von Friedrich Gerstäder.
( Fortsetzung)
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Du bist von Sinnen, Hubert!" rief George, welcher Reite Mitleid mit der Leidenschaft des Freundes fühlte. nach Hause und beruhige Dich erft, dann wollen wir Alles besprechen; jezt und in diesem Bustand fannst Du mich nicht beleidigen. Und damit lenkte er sein Pferb ab und wollte den Weg hinabreiten.
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bie reine Demokratie im Gegensatz zu der repräsentativen barunter verstanden, und sowohl der Formen, in denen sich diese ausgestaltet hat, wie der Formen des Referendum selbst giebt es mannigfache.
In einer Anzahl fleiner Rantone der Schweiz besteht noch wie vor Alters die Landsgemeinde. Alle Bürger vers fammeln sich, gewöhnlich einmal im Jahr, zur Frühlingszeit, auf demselben Plate, und es erfolgen hier die Wahlen der Landesbehörden wie die Abstimmungen über die Gefeßes vorschläge. Durch Handmehr entscheiden die Männer des Landes über die Anträge, welche der Rath oder ein Bürger ober eine Mehrheit von Bürgern gestellt hat.
In anderen Kantonen dagegen und darunter in allen größeren vollzieht sich die Gesetzgebung nicht so, wenn auch in ähnlicher Weise. Hier findet man das Recht der Abbe rufung, des Vetos oder falultativen Referendums, des obli gatorischen Referendums und der Initiative. Es fann ein gewiffer Bruchtheil des Voltes, wenn er mit der Thätigkeit bes Rathes nicht einverstanden ist, dessen Rücktritt verlangen, benfelben abberufen; es kann ein Bruchtheil der Bürger, wenn ber Rath ein Gesetz erlassen hat, gegen baffelbe Einsprache erheben und die Voltsabstimmung verlangen, was man als Veto oder fakultatives Referendum bezeichnet; oder es muß jedes vom Rathe erlaffene Gesetz erst vom Volte durch Abstimmung, die meist Urabstimmung is, angenommen werben, um Giltigkeit zu haben, was obligatorisches Refe rendum heißt; endlich ist der Rath gehalten, auf den Wunsch eines Bruchtheils der Bürger ein Gesetz auszuarbeiten oder er hat ein von einem Bruchtheil der Bürger selbst ausge arbeitetes Gesetz der Boltsabstimmung zu unterbreiten.
Wählen wir als Beispiel den Kanton Zürich , so hat dieser auf das Abberufungsrecht verzichtet und sich mit dem Beto nicht begnügt; feine Verfassung fennt das obligatorische Referendum und die Initiative. In der Regel finden im Frühjahr und im Herbst Volksabstimmungen flatt, welche fich auf alle Renderungen der Verfaffung beziehen, ebenso auf alle Gefeße und Rontorbate und auf die Beschlüsse des Kantonraths, die eine einmalige Ausgabe von 250 000 Franten ober eine jährlich wiederkehrende von 20 000 Fts. nöthig machen. Diese Einrichtung nennt man also das obli gatorische Referendum. Wünscht aber ein Bürger selbst oder mehrere den Erlaß, die Aenderung oder Aufhebung eines Gesezes, so können sie ihren Wunsch in die Form einer Anregung oder eines förmlichen Gefeßentwurfes fleiden und jene oder dieser muß nun zur Volksabstimmung gebracht werden, sobald ein Drittel der Mitglieder des Rathes ober 5000 fimmfähige Bürger ihn unterstützen. Dem Rath steht es frei, zu gleicher Seit dem Bolle einen Gegenentwurf vorzulegen. Dieses ist das Recht der Ini
tiative.
einem mächtigen Baulaften Schlöffer aufzurichten suchten, um fie nachher von Günthers Bleisoldaten stürmen und ber Eide gleich machen zu laffen. Und wie sie bann jubelten und lachten, wenn ber ftattliche Bau, den fie schon wenigstens noch einmal so hoch als Mas ma's Fußbant aufgerichtet, polterno in fich zusammenstürzte und Helenchen dann mit den kleinen Patschchen, vor Freude auftreifchend, dazwischen herumstrich, damit auch nicht ein Stein auf dem andern blieb!
Man sagt: Rinder zerstören gern; aber es ist nicht wahr. Nur neubilden wollen fie, nur dem, was sie be fizen, eine andere Form und Gestalt geben, und daß sie babei leichtsinnig mit dem, was ihnen gegeben, umgehen und nach der Berstörung oft nicht wieber im Stande find, das Geschehene ungeschehen zu machen ist es ihre Schuld, und thun wir großen, erwachsenen Menschen nicht so oft, o, so entfehlich oft im Leben genau dasfelbe?
Rann ich Dich nicht beleidigen, Ruppler?" schrie in biefem Augenblick der fast außer fich Gerathene, indem er fein schon überbies halb wild gewordenes Thier mit ben Und die Mutter sah das Alles nicht, hörte nicht Sporen in mächtigen Sprüngen nach vorn trieb, daß es in wenigen Sägen George's Pferb eingeholt hatte. So nimm einmal ben Jubel der Lieblinge über eine vollbrachte bimi das wenigstens zum Lohn! Und ehe es George verhindern nutive Heldenthat, und leise tropften bann und wann große, oder den Schlag pariren konnte, hieb er ihm mit der schwehelle Thränen von ihren Wangen nieder und auf die Arbeit, ren Reitpeitsche mit voller Kraft am Kinn herunter über die daß sie das Tuch zu Hilfe nehmen mußte, um nur wieber Bruft.
George zügelte im Nu sein Thier ein. Er war todten bleich geworden; aber fo bleich und ftarr fein Antlik war, so ruhig hielt er sich im Sattel, und wie Hubert sein springenbes Thier nur erst einmal wieder gebändigt, sagte George mit eisiger Rälte:
Gott vergebe Dir Deinen Wahnsinn, ich kann es nicht, bas forbert Blut!"
Hab ich Dich endlich warm gemacht?" lachte der junge Graf höhnisch, und seinem Pferd die Bügel laffend, flog er mit ihm im Rarriere die Allee entlang.
Wie das Glad we felt. In ihrem freundlichen Boudoir saß Helene, scheinbar mit einer fleinen Arbeit beschäftigt; aber ihre Gedanken waren weit von ba, und nicht einmal der Rinber achtete fte mehr, bie neben ihr auf dem Teppich spielten und aus
flar sehen zu können.
Geräuschlos war Felig eingetreten, aber kaum hatten ihn die Rinder bemerti als fie auffprangen und fich jubelnd an seine Knie hingen; er fonnte sich ihrer kaum erwehren, und die Mutter wischte indessen rasch und ver stohlen die verrätherischen Tropfen weg, daß der Gatte fie nicht sehen sollte.
fie,
Helene," sagte Felty und schlang leise seinen Arm um mein liebes, liebes Frauchen, immer noch die trüben, traurigen Gedanken?"
Ach, Felix," seufzte die junge Frau, soll ich fröhlich sein, wenn ich an das Schicksal der armen Paula dente?" Es ist unerklärlich," rief Graf Rottad, indem er fie losließ und zum Fenster trat, rein unerklärlich, wie das scheue, schüchterne Wesen nicht allein zu diesem Entschluffe, nein, zu der Ausführung beffelben gelangte, denn hätte mir Jemand vorher gesagt, daß gerade Paula so selbstständig,
Wenn nun aber die vier bezeichneten Rechte sich nicht beisammen finden und manche Rantone Abberufungsrecht und Initiative nicht befißen oder nur das fakultative und nicht bas obligatorische Referendum( ein einziger Kanton, Freis burg befigt weder das Eine noch das Andere) so ist doch in allen Kantons Verfassungen, entsprechend einer Bestimmung der schweizerischen Bundesverfassung, festgesetzt, daß über Verfassungs,( nicht bloße Gesetzes) Fragen stets das Voll und nicht die Raihe der Kantone allein zu entscheiden haben, also eine Rantonsverfassung nur dann zu Recht bestehe, wenn sich die absolute Mehrheit der Bürger für dieselbe ausgesprochen habe. In allen Rantonen besteht mithin, so zusagen als Minimum der Volksgesetzgebung, das obliga torische Verfassungsreferendum.
Und dieses besteht gleicher Weise im schweizerischen Ges sammtstaate: Menderungen der Bundesverfassung bedürfen jedesmal der Zustimmung des Volkes und, weil der Staat ein Bundesstaat, zugleich auch der Zustimmung der„ Stände" ober Kantone, das heißt der Mehrheit der Stimmfähigen nicht nur im ganzen Lande, sondern auch in mehr als der Hälfte der Kantone selbst.
Mit Bezug auf die Verfassungsänderungen ist es ferner Bundesrecht, daß 50 000 Schweizerbürger eine solche ver langen können; nur herrscht Streit über die Frage, ob fie wie eine Gesammtrevision der Verfassung so auch diejenige eines einzelnen Abschnittes oder Arntels derfelben zu verlangen berechtigt seien, und die Bundesversammlung, welche die Bundesverfassung auslegt, hat einmal dahin entschieden, es beziehe sich dieses Recht der Verfassungsinitiative nur auf Totals, nicht auf Partialrevisionen.
Was sodann die Gesetzgebung des Bundes anbetrifft, welche mehr und mehr gegenüber der kantonalen in den Vordergrund tritt, so ist bestimmt, daß Bundesgefeße sowie allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse, die nicht bringlicher Natur find, dem Volle zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden müssen, wenn es 30 000 Schweizerbürger oder die Vertretungen von 8 Rantonen verlangen.
Hiernach kennt der Bund auch das fakultative Gefeßesund Beschluffesreferendum. Was hinsichtlich des letzteren der Vorbehalt sagen will, daß nur die Beschlüsse, die allgemein verbindlich seien, dem Veto bes Volles unterstellt werden müffen, so hat man über denselben verschiedene Ansichten geäußert; ich beschränke mich, darauf hin zuweisen, daß die Volksvertretung in der Lage ist, diese Formel und ebenso diejenige der Dringlichkeit in ihrem Sinne auszulegen, wenn sie dem Voltsentscheide einen Bundesbeschluß nicht vorlegen will, und füge hinzu, daß auch bie Grenzen zwischen einem Gefeße unb einem Beschluffe, wobei der letztere Begriff mehr eine
so rücksichtslos selbstständig auftreten tönne, ich würde ihn für thöricht erklärt haben."
Und ist es bestätigt, daß fie mit jenem Schauspieler entflohen ist?"
H
Das Gerücht in der ganzen Stadt fagt allerdings Ja, und es bleibt uns beinahe nichts anderes zu glauben übrig, als ihm beizustimmen. Handor ist gestern Abend, etwa zu der nämlichen Beit verschwunden, so daß ein junger An fänger im Theater seine Rolle übernehmen mußte, und leider lautet das, was ich über jenen Hanbor heute Morgen in der Stadt hörte, troftlos genug für Paula's künftiges Lebensglüd."
Arme, arme Paula!"
" Daß sich die Eltern verföhnen ließen, daran ist nun vollends fein Gedanke," fuhr Felix fort, und ich fürchte, ich fürchte, das unglückliche junge Mädchen hat einem leichtsinnigen, gewiffenlosen Menschen ihre ganze Bukunft
anvertraut!"
Und kann denn gar nichts geschehen, um sie zu
retten?"
Es ist die Frage," sagte Felix ernst, ob ihr Vater unter bem ersten Einbrud dieser tödtlichen Kränkung auch nur den Verfuch dazu machen wird, und nachher ist es zu spät.- Aber wer ift bas? George Monford- großer Gott, wie todtenbleich er aussieht!"
Es war in der That George, der in diesem Augenblic vor dem Gartenthor abstieg, und sein Pferd am Bügel in die innere Einfriedigung hineinziehen wollte. Felix fandte augenblicklich einen Diener hinaus, um es ihm abzunehmen, und wenige Minuten später betrat ber junge Graf das Simmer, in welchem die beiden Gatten sich be fanden.
Beide begrüßten ihn auf das herzlichste. George selber war aber so bewegt, daß er anfangs gar nicht im Stande schien, ihre freundlichen Worte zu erwidern. Endlich sagte er leise:
Was müssen Sie von mir denken, wenn ich schon wieder mit einer Bitte nabe, die aber dieses Mal freilich feinen heitern Scherz betrifft!"
Lieber Graf," sagte Rottack herzlich ,,, Sie wissen, wie