Mr. 154
Dienstag, den 6. Juli 1886.
III. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Drgan für die Interessen der Arbeiter.
Das„ Berliner Volksblatt"
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin fret in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Poftabonnement 4Mart. Einzelne Nummer 5 Bf. Sonntags- Nummer mit der illuftrirten Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreislifte für 1886 unter Nr. 769.)
Kriegsgefahren.
Redaktion: Benthstraße 2.
Unsere offiziösen Blätter haben, wie es scheinen will, ben Befehl erhalten, kräftig in die Kriegstrompete zu tuten. Bor einiger Zeit behaupteten sie, es sei Frankreich mit seinem bemokratischen Kriegsminister, das den europäischen Frieben bedrohe, und nun ist es wieber Rußland , wel ches diese Rolle übernommen hat. Daß die russische Orient politik eine ftete und gefährliche Bedrohung des europäischen Friedens ist, braucht man nicht erst heute einzusehen; bas ift eine Thatsache, die schon seit mehr als hundert Jahren feststeht und welche heute зи verkennen eine an Dummheit grenzende Kurzfichtigkeit erfordert. Man darf bei alledem indessen nicht außer Acht laffen, daß die Frage der Erneuerung des Militärjep tennats in nächste Nähe gerückt ist und daß die Offi giösen möglicher Weise jezt schon an der Arbeit sind, um bie für biefen Staatsatt erforderliche Stimmung" in den Maffen vorzubereiten. Wenn dem deutschen Philifter so recht eindringlich geschildert wird, von welchen Feinden wir in Deutschland ringsum bedroht find, dann geräth er in eine Art von Panil, die ihn alles im schlimmsten Lichte er bliden läßt. Er steht dann schon die Franzosen über den Rhein , die Rosaten über die Ober rüden und drängt seine Vertreter, womöglich noch mehr für die Militärausgaben zu bewilligen, als die Regierung selber verlangt. Ob es ben Offiziösen gelingen wird, bet bem Philifterthum ein Gruseln vor einem russisch - französischen Kriege auch diesmal zu erregen, scheint uns taum zweifel haft; der Philifter glaubt ja bas unwahrscheinliche oft lieber, als das Wahrscheinliche.
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Wenn wir sonach dem offiziösen Geflunter an und für fich wenig Werth beilegen, so find wir uns über die Bes beutung der russischen Orientpolitit boch völlig tlar, nur baß wir der offigiösen Weisheit dabei völlig ent rathen tönnen. Die vielberufene Orientfrage, die stets ein Knäuel mit tausend Verwickelungeu bleibt, droht wieber emporzufteigen und von Neuem eine kritische Lage über Europa heraufzubefchwören. Englische Blätter halten einen russisch - türkischen Krieg, der ganz Europa in seine Wirbel hineinreißen tann für unvermeiblich. Nun so weit ist es wohl noch nicht, wenn auch die russischen Regie rungsblätter eine äußerst drohende Sprache gegen die Türkei und gegen Alexander von Bulgarien führen. Aber daß die Situation nicht unbedenklich ist, sei zugegeben, nur ist sie es eben immer, so lange Rusland der gegenwärtige Spielraum für seine Intriguen und wühlereien verfügbar bleibt.
Wir betrachten es als einen großen und in feinen Wirkungen kaum zu schäßenden Erfolg der russischen
Hadbrud nrboten.]
Feuilleton.
Eine Mutter.
Roman ven Friedrich Gerstäder. ( Fortsetzung.)
" Ja, halben Gulden," lachte Peters,„ ba wäret Ihr dieses Mal schön angekommen-mit halben Gulden wird fich nicht befaßt, aber wie gesagt, wenn's nicht ist, ift es nicht," unb babei fiel er wieder über das Rind. fleisch her.
Herr Walther faß ihnen eine Seit lang schweigend gegenüber und fein Blid streifte babei ein paar Mal Jere mias. Daß ber mit barunter ftat, hatte er im Nu weg, und der Mann fah noch dazu aus, als ob er zahlen könne. Er trant sein Bier aus.
Rellner, unfere Bläser find leer!" sagte Jeremias und Peters nickte bestätigend mit dem Kopf. Der Niese machte eine halbe Verbeugung gegen den kleinen Mann, als Anerkennung seines Verdienstes um das öffentliche Wohl, nahm aber das Gespräch nicht wieder auf und schien die Sache an fich tommen zu laffen. Peters aber sagte auch nichts weiter, eine höchst überflüssige Bemerkung ausgenommen, daß er heute einen entfehlichen Durst habe, und trant ftart Rellner, unfere Bläser find leer!" rief Jeremias wieder nach einer gar nicht etwa so langen Pause.
babei.
Bitte," fagte dieses Mal Herr Walther, schob aber boch bem Rellner sein geleertes Glas hin. Die Stille wurde ihm aber unheimlich mit Effen waren fie fertig. Jere mias nahm feine Bigarrentasche heraus, zündete sich eine Bigarre an und offerirte biefelbe bann dem Gegenüberfißen ben und Peters. Beide Herren akzeptirten.
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" Donnerwetter," sagte Peters, das ist was Feines allen Respekt!" Ausgezeichnet," bemerkte Herr Walther, und blies den Rauch mit Rennermiene durch die Nase. Sein vis- a- vis
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beträgt für die 4 gespaltete Petitgeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pfennige. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 libr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Bimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.
Expedition: Zimmerstraße 44.
Diplomatie, daß es ihr immer wieder gelingt, Bündnisse mit weftlichen Staaten resp. Regierungen zu schließen. Diefe Regierungen, sie mögen sonst fein, welche fte erscheinen uns immer im Lichte der wollen, ber Uebervortheilten. Indem Rußland sogenannte Bündnisse schließt, macht es den übrigen Staaten ein Busammengehen gegen ben den europäischen Frieden bedrohenden Roloß an der Neva unmöglich. Rußland verlangt von seinen Vers bündeten alle nur möglichen Rüdsichten, es selbst nimmt aber feine solchen. Diese Politik ist sehr einfach, aber ge wöhnlich von Erfolg. Man kann auch unschwer die Beob achtung machen, daß Rußlands Verbündete ebensoviel Nüd. fichtnahme sich auferlegen, als Rußland selbst sich Rücksichts. losigkeit gestattet.
Wenn nur einmal ein Staatsmann erstände, ber eine wahrhaft europäische Politik zu treiben ver. möchte. Seine große Aufgabe müßte darin bestehen, einen großen westlichen Staatenbund zu begründen, der sich nicht gegen das russische Bolt, wohl aber gegen den russischen Militärbespotismus und gegen die russische Orientpolitik zu richten hätte. Ein solcher Westbund würde die russische richten hätte. Ein solcher Westbund würde die ruffische Orientpolitt! sofort lahm legen und die stete Bedrohung des europäischen Friedens burch die russische Diplomatie wäre ausgeschlossen. Dann ert fönnte Europa aufathmen. Dann wäre es auch möglich, daß die in einen Westbund vereinigten Staaten untereinander Verträge abschlössen, die eine nunmehr voltsthümliche und weniger loftspielige Wehr verfassung zur Grundlage hätten. Diese Staaten hätten dann nicht nöthig fich durch große und kostspielige Heere gegenseitig mit einem wirthschaftlichen Ruin zu bebrohen; fte hätten nur gegen den einen Feind im Osten gewappnet zu fein und das würde den gegenwärtigen Apparat nicht erfordern.
Man wird von Seiten der Herren am grünen Tisch biesen Bebanken als eine Träumerei verlachen; das wissen wir. Nun, die Herren am grünen Tisch dürfen sich auch nicht rühmen, für den europäischen Frieben besonders viel ge than zu haben. Mit dem europäischen Frieben wären, bie grünen Tische freilich so ziemlich überflüssig, und welch' ein Unglück, wenn wir eine grünen Tische und keine Diplo maten mehr hätten! So etwas wagt sich ein guter Bürger kaum zu denken.
Politische Uebersicht.
im Broseffe Christensen- Berndt, finden wir jest in den ver Gegen den Tischler Berndt, den einen der Berurtheilten schiedensten Beitungen Reußerungen, welche es als eine ausgemachte Sache binstellen, daß Berndt der Polizei Spionen bienfte geleistet habe. Demgegenüber möchten wir darauf bin weisen, daß sich nach unseren Jaformationen Berndt in allen
flieg augenscheinlich in seiner Achtung; Strohwisch rauchte nichtswürdige Bigarren.
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und
Der fleine Jeremias aber war ein praktischer Geschäftsmann und fühlte, baß jest bie beiden würbigen Leute viel beffer mit einander zu Stande kommen würden, wenn er nicht dabei wäre. Seine Gegenwart störte mehr, als baß fie half. Er stand auf und sagte: Ach, lieber Herr Peters, Sie entschuldigen mich wohl; ich habe noch in der Nachbar schaft etwas zu thun und hole Sie in einer Viertelstunde wieber ab, berichtet ist Alles habe die Ehre" babei brückte bem er Theaterdiener noch einen Behngulbenschein in die Hand, aber so, daß Herr Walther Beuge der Bewegung sein mußte. Dann einen leinen Spaziergang, und zwar machte er eine volle Biertelstunde. Als er aber wieber in die Schente zurückkehrte, fand er Peters allein vor, der mit freudestrahlendem Geficht hinter einem frischen Rruge Bier faß.
Nun?"
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Alles in Ordnung," lachte biefer,„ Sie alter Men. fchentenner Sie- tapital gemacht- ausgeßeugnet. Mit Ihnen möchte ich öfter zu thun haben. Donnerwetter, wenn ich ba bebenke, wie zäh unser Alter ift!"
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Und er wird nicht pfeifen?" sagte Jeremias. Das Unmögliche dürfen wir nicht verlangen," et. widerte achselzuckend Peters, aber er läßt sich' rausJa, schmeißen, und damit haben wir alles gewonnen. Sie lachen, fuhr Peters halb beleidigt fort, aber glauben Sie etwa, daß das eine Kleinigkeit if? Wenn der Stand halten will, bringen ihn zwölf Menschen nicht hinaus, und zu großen Stanbal müssen wir vermeiden, sonst mischt sich boch die Polizei hinein. So aber ist Alles in Ordnung. Pfeifen muß er, das sieht ein Rind ein; er hat das Gelb bafür genommen, aber er bleibt nahe der Thür stehen,
bann fuhrwerken wir ihn wie der Wind hinaus, und damit ist der ganzen Oppofition die Spitze abge brochen." Und das kostet?" „ Ein Heidengeld
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fünfzehn Gulben; er wollte es
Arbeiterkreisen Berlins noch des alten, unerschütterten Ver frauens erfreut, daß also die Arbeiter weder dem Beugniß des bring. Mahlow , noch dem Urtheil des Gerichtsvorsitzenden in diesem Falle suftimmen. Unternehmerpatriotismus. Die ,, Republique francaise " druckt mit großem Aufwand von Entrüftung ein geschäftliches Rundschreiben ab, das eine deutsche ( die Bonner ) Fahnenfabrit an Bariser Fahnenhandlungen gerichtet hat, um den selben dreifarbige( franzöfifche) Fabnen für das Natio nalfeft anzubieten. Das Blatt hat also teine Abnung bavon gehabt, daß seit der Einführung dieses Festes alljährlich viele Millionen blaumetsrother Fahnen und Laternen zum 14. Juli aus Deutschland nach Frankreich vers schickt worden find. Das hindert natürlich nicht, daß die deut schen Unternehmer fich über dieselben chauvinistischen National fefte der Franzosen ereifern, welche fte mit ihren Fahnen schmüden.
Die Gewürzmüller Deutschlands beanspruchen bas Recht, den armen Leuten ftatt Pfeffer ein Gemisch von Pfeffer und Sand und Staub bieten zu dürfen. Sie haben nämlich an den Reichslangler eine Petition gerichtet, dahingehend. daß an Stelle der gegenwärtig von den meisten chemischen Unters suchungsämtern vereinbarten höchften Grenze des zulässigen Aschengehaltes des gemahlenen schwarzen Pfeffers von 6%, pet. eine solche von 12 pet. eingeführt werde. Die Betenten füh ten aus, daß der Pfeffer durch Trodnung auf der Erde mit Erdllümpchen verunreinigt werde, welche nur mit großen Kosten herausgelesen werden könnten, daß der auf dem Transport fich bildende fefferstaub in geradezu untrennbarer Weise oft 10-20 pt. Sandpartitelchen enthalte und bei seinem Werthe( von Betenten in der Jahreseinfuhr auf 740 000. berechnet) doch nicht fortgeworfen werden könne, daß der Pfeffer als Zugusgenußmittel ben minder bemittelten Klaſſen gänzlich entzogen würde, wenn nur befte Waare an den Markt ge laffen werde.- Für die Armen scheint den Gewürzmüllern alles gut genug.
Wirthschaftliche Krähwinkeleien. In dem 1885er Jahresbericht der Handels. und Gewerbekammer für Mittel franten wird darauf aufmerksam gemacht, wie allgemach in Bayern der Protektionismus auch anfange, nach Schus gegen preußische Konkurrenz zu rufen. So fchen B. bayrische Meblintereffenten die bayerische Regierung zu
bestimmen, der Konkurrens schletscher Meble durch Erhöhung
Der Eisenbahntarife entgegen zu treten. Die handelslammer
läßt einen Vertreter dieser Bestrebungen in ihrem Bericht direkt zu Wort fommen und dieser äußert sich in folgender Weise: In Roggenmehl beherrschten Norddeutschland und Schleften trop ber guten neuen Ernte faft vollständig den Markt. Gegen Ende des Jahres tamen abermals, Frachtermäßigungen und Außnabmetarife für Meblsendungen aus den öftlichen und nördlichen Provinzen Preußens und Bayerns , die welche bayerische Industrie abermals aufs schwerfte schädigten. Gegen die Un erträglichkeit und Ungerechtigkeit solcher fyftematischen Be aünftigung der preußischen Müllerei und Schädigung, ja Ber nichtung der bayerischen Mülleret muß fich solche mit allen Mitteln wehren. Die norddeutschen Großmühlen find ohnedies
aber nicht einen Kreuzer billiger thun. auf dem Spiel."
Gut, lachte Jeremias vergnügt; an, und für die Uebrigen stehen Sie?"
Seine Ehre stände
kommt nicht darauf
" Jegt habe ich keine Sorge weiter," rief Peters, nun muß ich aber fort. Donnerwetter, es ist schon ein Uhr vorbei, und ich kann nur die Beine unter bie Arme nehmen!"
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Haben Sie noch etwas getrunken?" " Nur noch vier Glas bas geht jetzt mit auf bie große Rechnung- also adieu, Herr Stelzhammer, bei Pompeji sehen wir uns wieder." Und mit einer eleganten Verbeugung schoß er aus dem Zimmer. " Fiesto oder die Verschwörung zu Genua . Fiesco, Herr Rebe" stand mit groß gebruck Graf von Lavagna ten Buchstaben auf den feuerrothen Betteln, die überall in der Stadt angeklebt waren und die Augen auf sich lenken mußten. Bugleich hatte sich aber wer weiß denn durch wen bas Gerücht verbreitet, folche Sachen bekannt werden Stebe würde heute Abend ausgegischt werden, und wer nicht aus Theilnahme für das Stüd und die Darsteller hineinging, fuchte sich ein Billet zu verschaffen, um den Standal mit anzusehen, so daß schon um vier Uhr an der Raffe fämmtliche Pläge vergriffen waren.
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In sofern hatte ber Direktor also ganz richtig spekulirt. Er bekam ein ausverkauftes Haus, sogar das Orchester mußte geräumt werden, und im Uebrigen war er nach feiner Seite hin gebunden; er konnte das Resultat ruhig mit ansehen.
Rebe felber erfuhr von allen ben gegen und für ihn gespielten Intriguen natürlich nichts, denn er hielt sich den ganzen Tag in seinem Zimmer verschlossen, um seine Rolle noch einmal fleißig durchzugehen. Ein paarmal hörte er Schritte auf der Treppe, und es klopfte bei ihm an, aber er gab teine Antwort; benn nur dem Theaterbiener batte er ein bestimmtes Anpochen gelehrt, wie er sich bemerklich machen sollte, wenn er vielleicht irgend etwas von der Dis rektion zu bestellen hätte. Aber dieser kam nicht, und allen Anderen blieb bie Thür verschlossen.