Nr. 158
Sonnabend, den 10. Juli 1886.
III. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
erscheint täglich Rorgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin fret in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntage- Nummer mit der illuftritten Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Boftzeitungspreislifte für 1886 unter Nr. 769.)
Redaktion: Beuthstraße 2.
Wir führten unlängst aus, daß wir jede Abmachung im europäischen Ronzert, von der Rußland nicht ausgefchloffen ist, als einen Mißerfolg der westlichen Mächte be trachten. Wenn dies Manchem zu weitgehend erschienen sein mag, jo haben wir inzwischen für unsere Anschauung die Rußland
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beträgt für die 4 gespaltete Petitzeile oder deren Haum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bfennige. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Whe Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Bimmerstraße 44, sowie von allen Annoncens Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.
Expedition: Zimmerstraße 44.
maßender werden, wenn sie im Westen einen solchen Stla venfinn findet. Dann giebt es bei uns immer noch Leute, welche ernsthaft an die ruffische Freundschaft glauben, ob schon diese Freundschaft" sich schon im Jahre 1814 bas
burch bokumentirie, daß die Ruffen die Festung Danzis
behalten wollten.
vollgiltigften Bestätigungen gefunden. Stulanb hat fpondens, eine neue große Rrifts im Orient bevor. Er
den Berliner Vertrag zerrissen. Im Berliner Bertrag war bestimmt, daß Batum ein Freihafen bleiben folle und nun hat Rußland ganz plöglich erklärt, daß es biese Klausel nicht mehr anerkennen wolle.
Nach diesem Vorgehen hat der ganze Berliner Vertrag feine Bedeutung mehr, denn wenn Rußland ihn nicht hält, so werden ihn auch Andere nicht halten wollen. Das größte diplomatische Meisterstück des Jahrhunderts" existirt also nur noch auf dem Papier.
Man sollte meinen, dies müßte eine ernste Mahnung für alle anderen Mächte sein, sich künftighin gegen die Doppelzüngigkeit und Wortbrüchigkeit der russischen Diplo matie genügend vorzusehen. Die russische Doppelzüngigkeit fann bald sprichwörtlich werden. In diesem Moment ver öffentlicht die bekannte Politische Rorrespon benz" einen offigiösen Artikel aus Petersburg , in welchem bie Biele der ruffisen Orientpolitik deutlich genug angege ben werden. Es wird offen mit einem Angriff auf die Pforte und auf Bulgarien gedroht. Raßland läßt fich aber dabei als Hüter des Friedens hinstellen, während es doch wahrlich nicht Rußlands Verdienst war, baß es jüngst zwischen Griechen und Türfen nicht zum Schlagen fam. Richtig ist, daß Fürst Alexander von Bulgarien durch seinen Staatsstreich den Berliner Vertrag zuerst gebrochen hat und es war leicht vor herzusehen, daß jener Staatsstreich unheilvolle Folgen haben nürbe. Nun find fie im Begriff, einzutreten; Rußland nußt bas Vorgehen Alexanders in seiner Weise aus und droht mit einem Angriff gegen ihn und die Türkei .
Merkwürdig ist die Art und Weise, wie dies Vorgehen Rußlands von einzelnen deutschen Blättern aufgenommen wird. Da lesen wir in einem ziemlich einflußreichen Blatte ben guten Rath, die Mächte möchten boch Rußland die Auf hebung des Freihafens von Batum gestatten, damit es viel leicht seine Drohungen mit einem friegerischen Vorgehen am Balkan nicht wahr mache. Wenn diese Sorte von Preffe notabene von deutscher Presse!- im Solde Rußlands flände, könnte sie auch nicht anders schreis ben. Wir glauben kaum, daß ber Rubel noch auf Reisen geht; allein in solchen Fällen wird ja freiwillig ge leiftet, was sonst nur gegen Bezahlung geschah. Die ohnehin so anmaßende russische Diplomatie wird immer an
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brud rboten.]
Feuilleton.
Eine Mutter.
Roman von Friedrich Gerstädjes. ( Fortsehung.) Freundlicher hatten sich indessen die Verhältnisse in der Pfeffer'schen Familie gestaltet.
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Rebe's Erfolg am hiesigen Theater fonnte als gesichert betrachtet werden, denn nach der Aufführung des Fiesto wagte sich keine Opposition mehr heraus- ober wurde viel mehr nicht mehr bezahlt und fiel beshalb von selbst weg. Strohwisch hatte Haßburg verlassen, und Rebe bekam daburch freien Raum und ehrliches Spiel, sich seine Stellung am Haßburger Theater zu ertämpfen, was er ehrenvoll that. Nach einander, aber von dem vorsichtigen Direktor immer nur von Monat zu Monat engagirt, trat er in ben be beutenbften und schwierigsten Rollen auf und zeigte fich bald als ein so talent- und geiftvoller Schauspieler, baß ihn das Publikum immer lieber gewann und ihm jetzt allabend lich die deutlichsten und lebhaftesten Beichen seines Bei falls gab.
Aber trotzdem veränderte er seine Lebensart nicht. Seine Sage war schon jetzt eine sehr anständige, und er hätte mit Leichtigkeit ein besseres Quartier nehmen und besser leben tönnen. Das Gerechtigkeitsgefühl aber, das ihn bisher geleitet, führte ihn auch weiter, und wenn er schon offen und ehrlich um Henriettens Hand bei den Eltern an gehalten und ihre freudige Einwilligung erlangt hatte, weigerte er fich doch, Henriette früher heimzuführen, als er fich selber so viel Geld erfpart habe, um seiner Frau eine freundliche und angemessene Heimath gründen zu
fönnen.
Jeremias erbot fich allerdings augenblicklich, ihm jebe verlangte und nöthige Summe vorzuftreden, aber Rebe wies Alles, wenn auch freundlich und bankenb, doch entschieden zurück. Er wollte sich selber und aus sich selber heraus
fie haben nur eine etwas mehr moderne Form angenommen. Was wird Europa wohl noch eroulsen müssen, bevor dieser Bustand ein Ende nimmt!
Dir amerikanische Volkswirthschaft und die amerikanischen Arbeiterorganisationen.
V.
( Vergl. Nr. 150, 151, 155, 157.)
Die Mächte werden zunächst wieder versuchen, einer friegerischen Altion vorzubeugen. Dies wird nach der bisher gebräuchlichen Praxis nur dadurch möglich sein, daß man Rußland neue Ronzeffionen auf Rosten der Pforte, vielleicht auch auf Kosten des Fürsten Alexander macht. Diese neuen Ronzeffionen werden Rußland ermuthigen, noch und wohl mindestens auf 300 000, wahrscheinlich auf mehr als mehr zu verlangen.
Rommt es aber zum Rampfe, so wird die Türkei unterliegen müssen, denn dann wird man auch Griechen und Serben im Felde sehen. Ob England, Desterreich und andere Westmächte in den Rampf verwickelt werden, hängt von den Umständen ab.
Man sieht, Rußland läßt die Drientfrage nicht zur Ruhe tommen. Troßig und entschlossen steuert es seinem Biel , der Vernichtung der Türkei , zu. Es beschwört fast alljährlich die Gefahr eines europäischen Rrieges herauf, indem es sich darauf verläßt, daß die europäische Diplomatie immer wieder nachgeben wird, um eben dieser Gefahr auszuweichen. Wir begreifen die schwierige Lage einzelner Regierungen gegenüber der russischen Orientpolitik. Nur begreifen wir nicht, daß man mit dieser Macht immer wieber Verträge schließt, mit dieser Macht immer wieber Verträge schließt, während man doch nun wissen kann, daß die Herren zu St. Petersburg biese Verträge nur mit dem Vorbehalt schließen, fie zu brechen und neue Berwidelungen herbet zu führen.
Das bedeutet eine trübe 3ukunft. Wer sind denn eigentlich biese Männer, die unaufhörlich Europa mit Drohungen beunruhigen? Sie sind nicht einmal im Stande, ihrem eigenen Lande auch nur die geringsten Reformen zu geben; bort waltet ein aftatischer Despotismus von Polizei und Bureaukratie, eine asiatische Rorruption, und dazu kommt ein soziales Elend, bas aller Beschreibung spottet. Wie müssen die Staatsmänner be schaffen sein, welche solche inneren Bustände ihres Vater schaffen sein, welche solche inneren Zustände ihres Vaters landes ruhig mit ansehen oder gar noch fördern und die das ganze Biel ihres Strebens in der Annektion von Ländern erbliden, die gegenwärtig in anderem Be fige find.
Es find dieselben Beunruhigungen, die unsere Alt vordern durch Hunnen und Avaren zu erfahren hatten;
seinen eigenen Herb gründen, und Henriette hatte ihn des halb nur um so lieber.
Darin stimmte er aber ganz mit Pfeffer überein, daß er jetzt bei Krüger auch auf einen bestimmten und längeren Rontratt bringen müsse, denn das Provisorium hatte lange genug gebauert. Rebe schrieb auch deshalb an Krüger, und heute war eine schriftliche Antwort eingelaufen, worin fich der Direktor in den schmeichelhaftesten Aus brüden erbot, einen fünfjährigen Kontraft mit Rebe als erstem Liebhaber und Helden einzugehen, und ihm ein Ronzept desselben unter sehr annehmbaren Bedingungen beilegte.
Rebe hatte augenblicklich zustimmen wollen, Pfeffer that aber Einspruch und behauptete, daß in einer fo wichtigen Angelegenheit auch nothwendiger Weise großer Kriegsrath gehalten werden müsse. Außerdem sei es nicht einmal gerathen, diesem Blutsauger", wie er seinen Direktor im vertraulichen Gespräch gewöhnlich nannte, zu zeigen, daß man augenblicklich zuschnappe, sobald er einen Broden aus hielt. Er müsse zappeln, er müffe eine 3eit lang in Un gewißheit gehalten werden, dann erst dürfe man hoffen, auf einen andauernd guten Fuß mit ihm zu tommen; sonst sete er feinen Schlachtopfern doch augenblicklich wieber ben Daumen auf's Auge.
Rebe wollte dagegen protestiren, aber es half ihm nichts; er wurde nicht überstimmt gerade, aber von Pfeffer überschrien, und willigte enblich lächelnd in einen großen Rath", der an diesem Nachmittag bei Pfeffer zusammenkommen und Rebe's Entschluß bestimmen folle.
Pfeffer's Schwefter, die sich merkwürdig in den letzten Monaten erholt hatte und schon tüchtig wieder im Hause wirthschaftete, arrangirte mit Jettchen einen großen Raffee, und selbst Fräulein Baffini war dazu eingeladen worden und erschien, eine halbe Stunde vor der Zeit, im höchsten Staat und Put, so daß Pfeffer augenblicklich in sein Bimmer fürzte, ben alten Schlafrock abwarf, ein weißes, allerdings etwas mitgenommenes" Halstuch umband und in seinen alten blauen Frad mit blanken Knöpfen hineinfuhr, dazu ein Paar schmutzige gelbe Glacéhandschuhe anzog, seinen
§ Bei den Rittern der Arbeit interefftet uns für unsere Bwede weniger ihr Programm, das die verschiedensten Seiten des industriellen und öffentlichen Lebens umfaßt. Auch Die Bahl der Mitglieder, die sehr verschieden angegeben wird eine halbe Million zu schäßen ist, fümmert uns hier weiter nicht. Um so wichtiger ist für uns die innere Drganisation dieses Drdens.
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Wir erwähnten bereits, daß der Drden alle Schichten der Lohnarbeiter gleichmäßig zu umfassen sucht, daß er also die enge Grundlage der Berufsgenossenschaft verläßt, weil er die legtere bei fortgeschrittener Arbeitstheilung nicht mehr für aus reichend hält. Der Drden gliedert sich nicht nach Berufen, sondern nach Drtschaften. Die Arbeiter desselben Drtes treten au Local Assemblies zusammen und über diesen stehen alsdann die Distrikts Versammlungen. Ihr Bereich fällt nicht etwa etwa mit mit politischen Abgrenzungen au sammen, fte werden vielmehr je nach Bedürfniß, ohne Ansehen Der Staats- und Grafschaftseintheilung gebildet, müssen aber wenigftens fünf lotale Vereine in fich zusammenfaffen. Die Totalen Vereine, Bellen dieses Drganismus, entsenden Delegirte, für 100 Mitglieder einen, zur Distriktversammlung. Aus den Distriktversammlungen werden wiederum Abgeordnete für die
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General Assembly entsandt, welche die höchfte und legte Jn. ftanz für alle auftauchenden Fragen und Streitigteiten bildet, und welche allein mit 3weldrittel Majorität die Grundtonfti tution abändern tann, während die unteren Verbände nur innerhalb gewiffer Grenzen Ausführungsbestimmungen der all gemeinen Regeln erlaffen tönnen. Sie stellt nach Walters bausen für die Mitglieder Reisekarten aus, durch welche der Uebertritt von einem Lokalverein in den anderen ermöglicht wird, fie giebt Verhaltungsmaßregeln und Erkennungszeichen Gründung neuer Lolalvereine, fie entfendet Agenten und Agi füe die Genoffen aus, fte ertheilt die Genehmigung zur tatoren. Bur Revifion der Kaffenbestände und zur Kontrole, ob die Zwecke des Drdens auch gehörig beachtet werden, ob die Statuten überall in Kraft find, ob das Präsidium ( Grand Master Workman) feine Pflicht erfüllt, ist ein Aufsichtstath( Exemtive Board) bestellt, der aus fünf Mitgliedern der Berbrüderung bestehen muß.
Troß seines mehr territorialen als berufsgenossenschaftlichen Aufbaues weiß der Orden den besonderen Busammenbalt, welchen die gleiche berufliche Thätigkeit ftets gewährt, recht wohl zu schäßen und für seine Swede zu verwenden. S0 existiren in großen Städten, in denen Leute gleicher Beschäfti
3ylinderhut auffezte und der Schwester nun, in der linken Hand die lange Pfeife und an den Füßen noch immer bie grüngestickten Schlapp.Pantoffeln, entgegen ging, um sie höchft förmlich zu begrüßen.
Pfeffer hielt denn auch, als Alle versammelt waren, in diesem Kostüm seinen Vortrag, und Jeremias saß dabei und lachte, fing aber an, mit dem Ropf zu schütteln als fein Schwager tebe aufzuheben begann, ben Rontrakt zurückzuweisen und höhere Bedingungen zu fordern. Die Gage war nämlich von Krüger felber so hoch geftellt, wie sie nur Haßburg mit seinen bescheidenen Verhältnissen zahlen tonnte, und Jeremias protestirte heftig gegen jede solche Ueberschrei tung des Möglichen. Pfeffer gab endlich nach.
But, Kinder," sagte er, während Fräulein Bassini daneben faß und an einem entfeßlich langen, brennend rothen Strumpf stricte, ich habe nichts dagegen, wenn Rebe denn für eine solche Lumpengage bleiben soll, wo er in Berlin und Wien das Doppelte bekommen könnte
Pfeffer
Wenn nicht bort alle Stellen besetzt wären, Herr
So habe ich auch nichts dagegen," fuhr Pfeffer fort, aber in Einer Sache müßt Ihr mir folgen Rebe muß ihm einen berben Brief schreiben, in dem er den Rontraft allerdings annimmt, aber diesem Blutegel, diesem Krüger, auch zu verstehen giebt, daß er ihn durchschaut und sich sei nes Werthes vollkommen bewußt ist."
Aber, befter Herr Pfeffer," sagte Rebe, ich bin nicht im Stande, einen Brief zu schreiben, in dem ich etwas An deres sagen soll, als ich wirklich benke."
"
Dann werde ich Ihnen diktiren," rief Pfeffer.
Aber, Fürchtegott", bat die Frau.
Mach' mich nicht böse," rief aber Pfeffer jest gereizt, feßen Sie sich dahin, Rebe, dort liegt ein Briefbogen und Feber und Dinte, und fangen Sie an!"
Aber willst Du das nicht lieber mir bittiren, Onkel hen," bat Henriette, Horatius kennt doch noch nicht so ges nau Deine Art und Weise?"
,, Ach was, Art und Weise-er muß sich hinein finden, und so viel Verstand wird er doch wohl haben! Schreiben Sie, Stebe!"