Mr. 159
Sonntag, den 11. Juli 1886.
III. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Poftabonnement 4.Bart. Einzelne Nummer 5 Bf. Sonntags- Nummer mit der illuftrirten Beilage 10 Bf. ( Eingetragen in der Boftzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)
Redaktion: Beuthstraße 2.
Ein offiziöser Vorwurf gegen die Regierung.
Das fortwährende Thema der Besprechung in fast allen Beitungen bilden in diesem Sommer die wirthschaft. lichen Fragen. Die Nothlage in fozialer Richtung wird jest fast überall anerkannt, wobei man sich nicht irre führen laffen darf, daß die Industriellen die Lage ber In buftrie, die Agrarier die Lage der Landwirthschaft mit den schwärzesten Farben malen, während sie um gefehrt auf Landwirthschaft und Industrie einen weißen Pinselstrich vor. zeichnen. Daß muß man der speziellen Interessenpolitit zeichnen. Daß muß man der speziellen Interessenpolitik zu Gute rechnen.
Aber Alles in Allem genommen, slehts schlecht in der Welt und im engeren Vaterlande. 3u den Klagen ber Jaduftrie und der Landwirthschaft gesellen fich die des Handels und des Handwerks. Die Noth unter den Ar beitern aber ist notorisch.
Wenn bei solchen Verhältnissen sich in der gegen wärtigen ruhigen Beit das Augenmerk darauf richtet, was eigentlich seitens der Allgemeinheit und insbesondere seitens der gesetzgebenden Faktoren im Reiche geschehen sei, um solchen Buständen vorzubeugen, ober Abhilfe zu schaffen, so ist das ungemein natürlich und lobens werth. So tommt auch die Norbb. Allg. 3tg." in einem ihrer legten Artikel: Rüdblide", auf die Thätig feit des Reichstags in Bezug auf die Sozialreform und die Arbeiterschutzgesetzgebung zu sprechen.
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Insertionsgebühr
beträgt für die 4 gespaltete Betitzeile oder deren Haum 40 Bf. Arbeitsmarkt 10 Pfennige. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 lbs Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Bimmerftraße 44, sowie von allen Annoncen Bureaux , ohne Erhöhung des Preises, angenommen.
Expedition: Zimmerstraße 44.
hat auf ihrem sozial- reformatorischen Wege. Während näm lich das Kanzlerblatt die einzelnen Parteien im Reichstag und diesen selbst antlagt, fruchtlose Initiativanträge zu einer Arbeiterschutzgesetzgebung eingebracht und verhandelt zu haben, hat sie kein Wort des Tabels darüber, daß die Ne gierung ihre fruchtbare sozial- reformatorische Gesez gebung jah unterbrochen hat, so daß von einem Alterver forgungsgeseh kaum mehr die Rede ist. Das kann doch nimermehr der Regierung zum Ruhme gereichen!
Und wenn nun gar das Regierungsblatt von einem tunft im Reichstage spricht, weil die Ablehnung der vorge▪ ellatanten Schiffbruch der sozialdemokratischen Gesetzgebungslagenen Arbeitsorganisationen gefchah, wenn ferner bas Blatt sein Bebauern darüber ausspricht, daß die Kommission nicht auch alle übrigen Vorschläge vor das Plenum des Reichstags habe bringen können, um die Ablehnung berselben vor dem Plenum zu fonftatiren, fo fragen wir einfach, weshalb hat die Regierung solchen Berathungen nicht ein Ende gemacht dadurch, daß sie das längst versprochene Invaliden penfions- und Alterversorgungsgefeß für Arbeiter dem Reichstage vorlegte? Es ist ja selbstverständlich, daß, wenn die Regierung die Initiative ergreift, derartige Gesetze formell beffer ausgearbeitet werden, als wenn sie von den einzelnen Parteien eingebracht werden. Das ist aber wahrlich auch fein Runftstüd, da der Regierung die nöthigen Hilfsmittel und die nöthigen Gelber zur Ausarbeitung genügend zur Verfügung stehen.
Doch die Nordd. Allg. 3tg.", die bis jetzt nur indis rekte, selbstverständlich ganz unbeabsichtigte Vorwürfe gegen bie Regierung erhoben hat, wird immer deutlicher, indem fie schreibt:
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Daß genanntes Blatt von dem Segen der erfleren überzeugt ist, kann man sich denken, da die bis jetzt nach es hätte der Reichstag , falls er glaubte, biefer Richtung hin geschaffenen Gefeße, das Krankenkassen. daß derartige Fragen auf Initiativanträge hin gelöst wer und das Unfallgeseh, der Initiative der Regierung ihre Ents ben können, wie er durch Ueberweisung derselben an eine fiehung verdanken. Wir wollen mit dem Ranzlerblatt heute Rommiffion angedeutet, nicht zögern dürfen, dann auch nicht darüber streiten, ob diese Gesetze für das arbeitende feine Meinung zur Sache in Beschlüssen zu formuliren. Bolt von besonderem Nußen find oder nicht wir haben Wenn bas nicht geschehen ist, und wenn auch die ,, Ergebnisse" uns darüber schon oft genug geäußert; aber in einem geben der Rommissionsarbeit wohl weber die Antragsteller noch wir dem Blatte recht, daß diese Geseze in der kurzen Beit Andere befriedigen möchten, so glauben wir von Neuem bem thres Bestehens noch feinen thatsächlichen Anhalt zu einem 3weifel Ausdrud geben zu sollen, ob denn eine ficheren Urtheil abgeben können. Deshalb muß man zu Initiativgefeßgebung überhaupt in der einer Beurtheilung auf Grund der Wirkung der Gefeße nochage fein kann, diese einen vollen Ueber einige 3eit Gebulb haben. Eine theoretische Berurtheilung haben wir, wie gesagt, denselben schon mehrfach angedeihen laffen und auch die Vertreter der Arbeiterpartei haben be Tanntlich gegen diese Geseze gestimmt.
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Doch nehmen wir einmal an, die Nord. Allg. 3tg." habe recht die Gefeße würden sich binnen einiger 3eit schon als eine Wohlthat für das arbeitende Bolt zeigen, dann verstehen wir nicht, weshalb die Regierung so plötzlich halt gemacht
Risbrud vrbeten.]
Feuilleton.
Eine Mutter.
Noman von Friedrich Gerstäder. ( Fortsetzung.)
Er fand den jungen Grafen Rottad schon seiner harrend, und dieser fam auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und rief: Mein lieber Jeremias, ich bin Ihnen unendlich bankbar für Ihre Freundlichkeit. Wir haben Sie fehafüchtig erwartet!"
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Mein befter Herr Graf !" Rommen Sie herein Helene ist auch brin und will Sie fprechen wir müssen zusammen berathen, was zu thun ift."
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Helene begrüßte ben alten Freund in der That auf bas herzlichste aber wie bleich und leibend sah sie aus -wo war das Feuer und Leben geblieben, bas sonst aus ihren guten Augen fprühte wie wehmüthig lächelnb reichte sie ihm die Hand, und wie ängstlich brängte fie banach, bie Sache erlebigt zu sehen, bie jetzt ihre ganze Seele in Anspruch nahm: das Schicksal der armen Paula.
blid über die Bedürfnisse des prattisen Lebens bebingenden Fragen in praktisch brauchbaren 2ösungen zu formuliren.
Es ist hier natürlich die Initiative des Reichs tags resp. der einzelnen Parteien nach einem alten par lamentarischen Sprachgebrach gemeint. So spricht man von Initiativanträgen" aus der Mitte des Reichstags, während man von Regierungsvorlagen" rebet.
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schreibung jener Person, die er bei sich hatte, paßt boch wahrlich nicht auf Paula."
Hatte er Jemanden bei fich?" sagte Jeremias. " Allerdings," nickte Felix, dieser Boslaw soll mit einem Frauenzimmer gereift sein, das er für seine Frau ausgab eine Kleine, bide Person, anscheinend eine Böhmin aber Gott weiß, was ba vorgegangen ist!" Es ist nicht möglich!" rief Helene unter vorquellen den Thränen.
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" Frau Gräfin," sagte Jeremias, es ist alles möglich auf der Welt, besonders bas; denn daß sich eine anständige Dame nicht lange mit diesem Lump glücklich fühlen fonnte, war vorauszusehen. Aber was wollen Sie jetzt thua gi Sie sollen uns helfen, Jeremias!" rief Graf " Ich?- Aber wie?"
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Rottad.
Sie haben hier eine Menge von Leuten lennen gelernt, und Sie find mit den Verhältnissen am Theater bekannt. fönnen dort rasch neue Bekanntschaften anknüpfen. Ich würbe selber reifen, aber ich darf jett meine arme Selene nicht allein lassen; so thun Sie uns die Liebe und machen Sie den Versuch, ob Sie nicht an Ort und Stelle etwas Näheres erfahren tönnen. Daß Sie praktisch find, weiß ich Sie werben nichts versäumen, und an Gelb steht Ihnen zu Gebot, was Sie brauchen.
Rottad unterstützte fie darin. Die Nachricht, die Sie Mein lieber Herr Graf," sagte Jeremias verlegen, uns neulich gaben, Jeremias," rief er aus, bat Bebas ist eine ganz eigenthümliche Sache, und ob ich gerade ftätigung erhalten. Ich habe augenblicklich nach Prag an zu so etwas paffe, weiß ich wahrhaftig nicht. Wirklich den einen Freund geschrieben und heute Morgen tam bie Ant Fall gefeßt, daß ich sie finde, was kann ich thun? Wenn die wort. Ein Schauspieler, der sich dort Boslaw nannte und junge Gräfin bei ihrem jezigen Manne bleiben will, wie in Prag auftrat, scheint allerdings diefer unglüdselige tann ich als ein vollkommen fremder Mensch fie daran hin Hanbor zu sein, der jene Gegend jetzt unter einem falschen bern, und ihr Mann würde mich erst recht ansehen, wollte Namen bereift, möglicher Weise, um seinen Gläubigern feine ich fie nur banach fragen. Ich glaube, ich geriethe ba in eine Spur feines Aufenthalts zu geben. Das Gerücht nannte höchft unglüdliche Situation, und müßte jedenfalls wieder bort wenigftens jenen Namen." unverrichteter Sache abziehen."
Und wo stedt er jetzt? Ift er noch in Prag ?" " Das weiß Gott ,"" seufzte felir von Prag scheint er fort zu sein."
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„ Er fann es nicht gewesen sein," rief Helene, die Be
Sie sollen nichts thun, Jeremias," rief Helene bittend, als ben Thatbestand erforschen-nur uns Gewisses über bort berichten, denn wir fennen feinen Menschen, auf den wir uns fofeft verlassen könnten, als auf Sie."
Wenn es nun aber richtig ist, was wir allerdings noch sehr bezweifeln, daß eine Initiativgesetzgebung nichts Ordentliches zu Stande bringen kann, bann hat doch die Regierung die doppelte Pflicht, derartige Fragen in die Hand zu nehmen und sie zu Regierungsvorlagen zu ge stalten. Alle Welt redet von Sozialreform und Arbeiter schutz und die ärgfte Ruferin im Streite ist das Rangler blatt seit Jahren gewesen. Alle Welt anerkennt den Noth ftand im Bolte und besonders im Arbeiterstande; und fast alle diejenigen, welche die Repression der Sozialdemokratie", hoher Genugthuung spricht, billigen, erklären, baß zu von der die Nordd. Allg. 3tg." in demselben Artikel mit gleicher Seit der Arbeiterklasse geholfen werden müsse, ba die Repreffion ohne gleichzeitige Hilfe keinen Werth babe.
Bedenken wir dies, bringen wir uns alle die Ver sprechungen, welche der Arbeiterklaffe von den Organen der Regierung bislang gemacht worden sind, in Erinnerung, so finden wir den allerdings indirekten Vorwurf, den die Norbd. Allg. 3tg." macht, vollständig gerechtfertigt.
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Die Repression wird immer schärfer, die Noth wächst, bie Sozial- Reform ftodt, an eine Arbeiterschutzgesetzgebung wird nicht gebacht wird nicht gebacht das ist ein Zustand, der selbst ben glühendften Regierungsanhänger nicht zufriedenstellen kann, geschweige denn das arbeitende Boll.
Politische Uebersicht.
Da die deutsche Gewerbeausstellung in Berlin für das Jahr 1888 als gescheitert zu betrachten ist und awar Durch allerlei partikularistische und egoistische fabrilantliche Machinationen, fo wird es fich gerade für diese Partitularisten die deutsche Industrie stehe nicht auf der Höhe der Belt, die nunmehr empfehlen, um dem Gedanten nicht Raum zu geben, Weltausstellung au Paris im Jahre 1889 zu bea schiden. Geschieht dies nicht, so versezt fich die deutsche Induftrie auf dem Felde der Wettbewerbung felbft einen Schlag, von dem fie fich nicht so leicht erholen dürfte. Und die Hoff nung, daß die Pariser Weltausstellung teine allgemeine Be deutung baben werde, da fich die Monarchien der republi tanischen Tendenzen wegen, die vielleicht dort zur Schau getragen werden, zurüd leben würden, ist eine völlig verkehrte. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika und alle amerikanischen Schwefterrepublilen werden fich an der Welt
ausstellung betheiligen und ebenso Großbritannien mit ſeinen Rolonien. Das gilt fchon jest als ausgemacht. Die Schweiz , Holland , Belgien und die flandinavischen Länder haben feinen Grund, von Baris fern zu bleiben und ficherlich auch nicht die gleichfalls, wenn auch nur schwach betheiligen. Stalien fträubt Länder der Levante . Spanien und Bortugal werden fich fich noch, doch werden dort die Gründe für die Bethelligung fchließlich die gegentbelligen überwiegen. Bleiben die bret nordöstlichen Kaiserreiche ausgeschloffen! Für Rußland hat der industrielle Wettbewerb gar keine Bedeutung, für Desterreich eine
Hm, bas ließe sich schon eher hören," nidte Jeremias, ablommen könnte ich jetzt hier; was ich zu thun hatte, ift besorgt, und wenn ich wüßte, daß Ihnen damit ein Gefallen geschähe
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Ich würde Ihnen ewig dankbar dafür sein," rief Helene. " Topp! ich reise," fagte Jeremias entschlossen, Ihnen, Frau Gräfin , habe ich noch nie' was abschlagen fönnen, bas wissen Sie wohl von alten Seiten her A propos, nichts wieder von Santa Clara gehört?" Wir haben Briefe erhalten," sagte Felix, aber es steht nichts barin, was Sie intereffiren tönnte ausge nommen, daß die Rolonie unter Sarno's Führung blüht gebeiht und ja, doch das Eine- daß Baron Jeorjy plöglich verschwunden ist!"
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Durchgebrannt," lachte Jeremias, nur ein Wunder, baß er sich so lange gehalten hat."
Helene. Und Direktor Sarno hat sich verheirathet," sagte
Surrjeh!" rief Jeremias voller Erstaunen, indem er blisschnell herumfuhrob ich's ihm nicht immer prophe seit habe! Aber wen?"
Ein junges, braves Mädchen, die Tochter eines Rolonisten, die mit ihren Eltern einen der furchtbaren Parcerie Verträge im Norden durchgemacht hatte," sagte Felix.
Und es geht ihm gut?"
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" Vortrefflich aber jetzt, Jeremias, iẞt teine Seit mehr zu verfäumen. Wenn Sie uns wirklich die Liebe er zeigen wollen, so müssen Sie unverweilt aufbrechen. Sind Sie mit warmen Kleidern versehen?" Hinlänglich ich habe mich noch immer nicht wieder an die Rälte gewöhnen tönnen, und friere mordmäßig." Und bei Ihnen zu Hause geht Alles gut?" Dante, ja! Meine felige Frau ist wieder ganz auf bem Beug."
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Ihre felige Frau?" lachte, Helene.
Ach ja fo," fagte Jeremias erschreckt, weiß der liebe Gott, wie es fommt, aber das Wort fährt mir immer heraus. Es ist mir in Einem fort, als ob mir die Frau