Nr. 218. misja

Sonnabend, den 18. September 1886.

red nfl do

111. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Intereffen der Arbeiter.

Das Berliner Bolteblatt"

beint tiglie Morgens außer Bad Sonn- und Fefitagen. AbonnementByreis für Berlin frei In's Gaus vierteljaheli 4 Marl, monatli 1,85 art, wöchentlich 86 Bf. Boftabonnement 4 Stact. Einzelne Nummer 5 B. Sonntags Summer mit der illuftristen Bellage 10 Bf. ( Eingetragen in der Boftzeltungspreisliste für 1886 unter Rs. 789.)

Der Kirchenftant.

Redaktion:

Beuthstraße 2.

Herr Windthorst und die Seinen träumen nicht nur von einer Wiederherstellung des Kirchenstaats, fie betrachten dieselbe fogar als eine Art prafischer Forderung, als bas politische Stel der Partet. Herr Windihorft hat fich auf dem Breslauer Ratholitentag unmisverständlich in biefem Sinne geäußert und das ist für uns Grund genng, auf die Sache näher einzugehen. Wenn die römisch- kotho. lische Gerstlichkeit als solche die Wiederherstellung des Ricchen flaats anstrebt, so fiaben wir dabei nichts Auffallendes; hinter den Führern der 3entrumspartei stehen aber viele Hunderttaufende van beutschen Bürgern, Arbeitern unb Bauern und alle diese Leute haben boch ficherlich fein Interesse an der Wiederherstellung bes Kirchenstaats. Herr Windthorst sagt: Rom gehört der ganzen tatholischen Welt". Nun, bas historische Recht des Papfihums auf die Stadt Rom ist doch wohl nicht so leicht nachzuweisen und selbst wenn dies der Fall wäre, 10 ginge baraus noch lange nicht die Berechtigung eines Kirchenflaats hervor. Der Papft hat ungefähr dasselbe Recht auf Rom , wie die Engländer auf das Gebiet der Vereinigten Staaten von Nordamerila oder Desterreich auf Meg to. Wir find Wir find weber Bewunderer der farbinischen Dynastie noch bes modernen italienischen Staates; aber wenn auch in diesem Staate sehr Bieles faul if, fo lana boch Niemand wünschen, daß deshalb ber noch viel faulere Rirchen staat wieber hergestellt werden sollte. Diefer Kirchenstaat war eine der widerwärtigften politischen Erscheinungen der Letzten Jahrhunderte. Er zerschnitt Italien in zwei Hälften und schuf badurch eine 3ersplitterung, die unendlichen Shaben angerichtet hat. Raum hat es einen Staat ge geben, der schlechter regiert und verwaltet worden in, als ber sogenannte Kirchenstaat. Die Justiz und die Verwal fung in diesem Staate waren nur eine Karrikatur von dem, was fie sein sollten. Die Inquisition hat in diesem Kirchen ftaat ihre Orgien gefeiert, und wenn die Wände ber alten Paläste, ber Gefängnisse und der anderen öffentlichen Ge baube reben tönnten, sie würden uns bie Haut fchaubern machen. Der Kirchenftaat war felbft bet ben wenig energischen Römern fo in ber Achtung

er

gesunken, daß nur durch burch frembe Hilfe noch bis in unsere Seit hinein aufrecht erhalten wer ben fonnte. Schon 1849 mußten die Franzosen dem ver triebenen Papfte zu Hilfe tommen und Rom tonnte erst nach langer und tapferer Vertheidigung durch Garibaldi von den Franzosen eingenommen werben, worauf ber milde" und gütige" Papst Pius IX. , der fich einmal als liberalen Bapft" aufspielen wollte, eine grauenvolle Nache an den Römern nahm, die am Aufstande betheiligt waren und in

Redbrud verboten.

Feuilleton.

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feine Hände fielen. 3ahlreiche Hinrichtungen und Eins fe ferungen folgten der Wieberherstellung des Kirchen­staates, und den Römern mochte wohl für alle Seiten das bas Märchen vom liberalen bie Luft vergehen, wieber zu glauben. Papft" jemals wieber Der Kirchen ftaat bestand nur noch durch die Grade Napoleons, III., benn biefer Staatsstreichmann glaubte sich in dem durchweg farholischen Frankreich beliebt zu machen, wenn er bas Da sein des Kirchenstaats garantirte, und es waren ja auch französische Truppen, welche 1867 ben Angriff Garibaldi's französische Truppen, welche 1867 den Angriff Garibaldi's auf Rom bet Mentana zurüdichlugen. Mit dem Fall Na poleon's III. fiel auch der Kirchenstaat , was von feinem Menschen bedauert wurde, bessen Anschauungen dem neun­zehnten Jahrhundert angepaßt find.

Wenn nun die ultramontane Partei die Wieberher ftellung des Kirchenstaats als eine ihrer Hauptforderungen proflamirt, wie thöricht müssen die Arbeiter haubeln, die fich immer noch als Anhängsel biefer Partei gebrauchen laffen und die Wählermaffen dieser Partei bilden helfen. Man wirft der Arbeiterpartei mit Unrecht oft Utepifteret vor; aber fann es denn eine größere politische Utopifteret geben, als die Wiederherstellung des Ruchenstaats und fann ein deutscher Arbeiter gröber getäuscht werben, als wenn man ibm von der Wiederherstellung des Kirchenstaais irgend einen Nugen verspricht? Die Arbeiter in den ultramontanen Vereinen würden wahrlich weit beffer thun, fich endlich ein­mal den modernen Jbeen und Bestrebungen zuzuwenden, statt fich mit der Beschwörung mittelalterlicher Gefpenfter abzugeben. Für den Arbeiter handelt es sich um Befferung fener wirthschaftlichen Lage und um Gewährung von mehr Bildung; bamit hat aber der Kirchenstaat genau so viel zu thun, wie etwa das Reich des Königs Ratobau in Auftralien.

Herr Windthorst wird also wohl auf die Herstellung bes römischen Kirchenstaats verzichten müssen. Aber wir wollen ihm einen guten Rath geben. Vielleicht hat er im Buche von Busch:" Fürst Bismard und seine Leute" auch jene Stelle gelesen, wo der Reichskanzler sich ausläßt, es wäre gar nicht unmöglich, daß der Papst einmal in Deutsch land refidirte und man fönne fi eine Stadt in Mitteldeutsch land, etwa Fulba, ais feine Refibenz denken. Der fürwahr feine üble Ivee. Herr Windt Papst in Fulda- horst ist nun ein mächtiger Mann warum sollte er nicht versuchen, jene bee bes Reichstarglers aufzugreifen und zur Ausführung zu bringen? Wir haben so viel Wunderbares und Seltsames in Deutschland und der Papst in Fulda würde bazu uns gerabe noch fehlen. Niso an's Wert, verehrte Perle von Meppen !

Der junge Mann, welcher der Besitzer eines fofbaren Brillantschmuds war und welcher trobem behauptete, fich [ 2 in einer entseglichen Nothlage zu befinden, war offenbar ungem ß, wohin er feine Schritte eigentlich zu richten habe. Fast an jeber Straßenede ftaub er unentschlossen still, und wenn er dann nach fürzerem obar längerem Baubern mit mübem Gang feinen Weg fortsette, fo gefchab es jedes mal mit einem tiefen Auffeufzen schmerzlichter Resignation. Er hatte wohl nicht die unwahrheit gesprochen, wenn er dem Pfanbleiber gegenüber die Angabe gemacht hatte, daß er fich auf einer Reise befinde und daß er in der alten Hafenstadt fremb war, denn er ging fo unpraktisch freuz und quer burch bie Straßen, daß die Gebulb feines unet müdlichen Berfolgers wohl auf eine ziemlich hatte Probe geftellt werden mochte, und daß fie fich nach Berlauf einer halben Stunde taum wesentlich vom Ausgangspunkt ihrer rrfahrt entfernt hatten.

Ariminalnovelle von Ferdinand Herrmann. Wieder stöhnte und ächzte die alte, hinfällige Treppe unter feinem Schritt und ihr Rairschen und Kaarren lang ihm in's Ohr wie ein mitleidvolles Jammers. Wie viel Glenb und Herzeleid, wie viel hoffnungslose Verzweiflung mochte wohl auch über diese alten Stufen schon dahinge. schritten sein! Wie viel zerrüttetes Menfchenglüd und wie viel verlorene Existenzen mochte wohl bas niedrige schmutzige Romptoir des würdigen Herrn Julius Wendeland schon in feinen vier fahlen Wänden gesehen haben!

eine

erhellt

Berwirrt und faffungslos wie ein Eräumender trat ber junge Mann auf die Straße hinaus. Ein scharfer Windsteß, Vor dem glänzend erleuchteten Schaufenster eines ber eben heulend und schneidend um die Ede fuhr, brachte Juweliers blieb Bernhard Schmidt abermals fehen. Auf ihn erst wieder einigermaßen zur Besinnung, indem er ihm einem Schild neben der Ladenthür war zu lesen: Einkauf für einige Setunden völlig ben them benahm. Es war von lofen und gefaßten Edelsteinen und von Edelmetallen enge, häßliche und dunkle Gaffe, in welcher sich der in jeder Form." Seine Hand ruhte auf dem foßbaren Schat Abgewiesene ba befand. In den alten, verwitterten und in der Tasche seines Ueberrodes und er fämpfte offenbar boll melancholischer Lebensmüdigkeit feitwärts geneigten mit dem Entschluß, hier einzutreten und sein Heil noch Bäufern war laum hier und ba ein vereinzeltes Fenster einmal zu versuchen. Aber würde man hier nicht noch auf der Straße felbft aber war nirgends ein ftrengere Anforderungen an ihn Bellen, als in dem Komptoir menschliches Wesen zu erbliden. Jene lange männliche Ge bes verftedt wohnenden Pfandleihers, von dem man ihm Halt, beren Bagerfeit selbst durch den weiten Mantel nicht gefagt hatte, baß er gern einmal ein Auge zubrüde und es berbedt wurde, ben sie über die Schultern geworfen hatte nicht an' zu genau nehme mit der Herkunft der Dinge, die er belieb oder kaufte?- Mutblos zog Bernhard den Fuß brückt hatte, war ja offenbar von dem lebhaften Wunsche erfüllt, wieber zurück, ben er bereits auf die erste Stufe der Laden­nicht gefehen zu werden, und sie würde diesen 3wed auch wohi treppe gesetzt hatte, und eben wollte er sich zum Weiter bann erreicht haben, wenn der Fremde feiner Umgebung eine geben wenden, als er eine leichte Berührung an seiner größere Aufmerksamkeit geschenkt hätte, als er es in Wirklichkeit Schulter fühlte. Sein 3usammenzuden und die nervöse that. Sie lößte fich, als Tener einen Vorsprung von etwa aft, mit welcher er ben Ropf tüdwärts brehte, verriethen, breißig Schritten erreicht hatte, langsam aus dem Häuser baß er sich wohl in einem Zustande beständiger Furcht bes Schatten los, um ihm zu folgen, und sie hielt an dieser finden müsse, und es war ihm offenbar eine Erleichterung, Abficht mit großer Beharrlichkeit fest, die Spur des An als er in ein ganz unbekanntes, von einem dichten roth beren auch in bem lebbaften Menschenverfehr ber an blonden Vollbart umrahmtes und mit großen Sommer grenzenden, volfreicheren Verkehrsstraßen nicht verlierend. sprossen übersätes Gesicht schaute, das viel eher einen

Die Verlängerung des Belagerungs­zustandes in Leipzig .

§. Der gestern von uns mitgetheilte Rechenschaftsbericht bat insofern eine ganz besondere Bedeutung, als er mehr als jedes andere bisher veröffentlichte offi telle Schriftüüd die Stellung der Regierungen aur Fachvereins und Lobn bewegung enthüllt. Der Eindrud der hierauf bezüglichen Ausübungen läßt fich tura dabin zusammenfaffen, das Herr Don Butttamer mit seinem Stretterlag Schule gemacht hit und daß auch die verbündeten Regierungen, und in erster Vinte gerade die fächsischen Behörden, fib mit Freuden berett er. flären, Streits und Fachveretne in gleicher Weise zu behandeln, wie dies in Preußen feit langem geschieht.

Die Fachoereine Leipzigs haben zwar, wie man widere willig zugefteben muß, in thren Statuten alles vermieden, was weitergebende fojiale und politische Biele verrtetbe, aber ge legentliche Aeußerurgen und beiläufige Erfchel nungen unb Anzeichen" follen follen gezeigt haben, daß fte in Busammenbang mit Der fojialdemokratischen Battet" fteben. Und folange dieser 8- sammenhang da ift, Da ift, muß die Weiterentwideiung der Fachvereine als ein die öffentliche Sichere bett und Ordnung bedrohender Umstand angefeben werden."

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Wie lange mag das wohl sein? Nun, gelegentliche Meußerungen", die den Behörden mißfallen, werden so lange in Arbeiterve: einen auftauchen, als es Sozialisten oder auch lung immer mebr Unzufriedenheit schafft, so befait die offisielle nur unzufriedene Arbeiter giebt, und da die heutige Entwide Begründung weiter nichts, als daß die Behörden für alle Beiten der Fachpereinsbewegung den Garaus machen wollen. Bet Strells machen fich Aeußerungen eine peffimiftlichen Geiftes" bemerkbai? Aber folange noch das cheine Lobngeles auf dem Arbeiterstand laftet, folange no­um mit dem von der Regierungspreffe so oft belobten Rod bertus zu reden der Antheil der befizer den Klaffen am Nationaleinkommen beständig steigt und steigt, während der Antheil der Enterbten ebento fändig fintt so lange wirb auch etne peffimistische Stimmung in Arbeiter tretjen berrschen, und wieder und wieder und gerade bei Streils, bei Kämpfen um einen höheren Antheil zum Auserud tommen. Will die Regierung lesteres um jeden Preis verbülten, so befagt das weiter nich 3, als daß fie teine Lohnbewegung mehr Du den will. Wir, und andere nitt uns, haben das nie be weifelt, um fo eber fonnte aber die Regierung eine ganz offene Sprache führen. Wou die vielen Wenn", ta man doch recht gut weiß, daß feines dieser Wenn" jemals eintriti?

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Umstand, daß die von uns berührten Ausführungen zur Be Was uns aber noch mehr in Verwunderung fest, ist der gründung, nicht der Nothwendigkeit des Sostalifter gefeges im Allgemeinen, sondern des Belagerungszustandes der einen Stadt Leipsia bienen sollen. Entweder fie reichen dazu bin: dann ist die Regierung zweifellos ih en Arbärg in gegene

unterwürfigen und demüthigen als einen drohenden Auf­brud hatte.

Ich bitte um Verzeihung, mein Herr," fagte ber Roth blonde, ber beim Sprechen sehr start mit der Bunge anfließ. Es ist ja möglich, daß ich mich täusche, aber es schien mir, als wenn Sie hier fremb seien und den Rath eines erfahrenen Einheimischen gebrauchen könnten! Ich würde mich Ihnen damit gern zur Verfügung gestellt haben."

Bernhard schüttelte ben Repf und lehnie bas zuvors fommende Anerbieten mit einigen höflichen Worten ab. Er fei hier allerdings fremb, aber is fet auch weder seine Ab ficht, bie Sehenswürdigkeiten der Stadt in Augens bein zu nehmen, noch habe er irgend einen andern bestimmten Wunsch, zu dessen Erfüllung ihm Jener behi flich sein tönne. Er war erstaunt, als der freundliche Mann fro diefer unzweideutigen Abweisung unbeirat an seiner Seite

blieb.

Sie fürchten vielleicht, mein Herr, baß ich Ihnen nach her burch unbescheidene Forderungen für meine Dunst Aber diese Besorgnis leistungen lästig fallen werde? wäre in ber that ganz grundles, benn wenn ich auch ein armer Familie vater bin, der den hungernden Seinigen gern einen redlich verdienten Groshen heimbringen möchte, so würde ich es boch ganz und gar Ihrem Ermeffen über laffen, ob und wie hoch Sie meine Dienste belohnen wollten. Irgend ein fleines Anliegen oder Bedürfniß hat boch am Ende jeber Frembe, und Sie werden in der ganzen Stabt nicht leicht Jemanden finden, der mit allen Verhält niffen so wohl vertraut ist und in allen Verlegenheiten so ficher Rath weiß als ich!"

Bernhard stutte and soh ben sonderbaren Unbekannten, ber ihm seine schweren Sorgen und seine bange Verzweif

lung gleichsam von der Stirne zu lesen schien, aufme tiamer an. Von dem Gesicht des Mannes war feines mächtigen Bartes und feines großen breuran bigen Filzbutes wegen nicht eben viel zu sehen; aber dieses Wenige war bei Weitem nicht so Vertrauen erwedenb, als bie bescheidenen unb verbindlichen Worte. Aber gleichviel! Wer dieser Mann auch immer fein mochte, Mann auch immer fein mochte, wenn er bie Wahrheit

gesprochen hatte, und wenn er einen Ausweg zu finden