tr. 229.
Freitag, den 1. Oktober 1886.
M. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
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Die Zersplitterung des Grundbesitzes.
Das Projekt des ehemaligen Abgeordneten Sombart , bas angekaufte Rittergut Stresow in einzelne Bauernhöfe zu zertheilen und dieselben zu verkaufen, hat die ganze Frage der Bersplitterung des Grundbefizes wieder aufs Tapet gebracht, die auch auf der kürzlich in Frankfurt a. M. stattgehabten Generalversammlung des sogenannten„ Verein für Sozialpolitik" erörtert wurbe.
„ Berliner Volksblatt" Frage der Bersplitterung des Grundbefiges wieder aufs
neb ft der wöchentlich erscheinenden Gratisbellage Illustrirtes Sonntagsblatt"
einzulaben.
Der Standpunt unseres Blattes ist bekannt. Es steht auf dem Boden des unbeugsamen Rechts. Die Erforschung und Darlegung der Wahrheit auf allen Gebieten des öffent lichen Lebens ift seine einzige Aufgabe. I treuer Berather und Streiter für die Aufhebung und Ausgleichung der Klaffen. gegensäge ist das Berliner Volksblatt" ein entschiebener Gegner jeder Politit, die ihre Endziele in der Bevorzugung einzelner beute( chon begünfligter Gesellschaftsklassen findet, und berjenigen Bolitiker, denen nur die Wahrung ihrer persönlichen Intereffen als Leitftern ihrer Handlungsweise gilt.
Das Berliner Volksblatt" sucht seine fich geftellte Aufgabe durch fachliche Behandlung der großen sozialpolitischen als auch der Tagesfragen zu erfüllen. Die gleichen Grundsäge Telten uns bei der Besprechung unserer städtischen Angelegen
betten.
Thue Jedermann, der fich mit unseren Bielen in Ueber einstimmung befindet, an seinem Blaze seine Schuldigkeit. Der Eine durch Zuwendung seiner Mitarbeiterschaft, der Andere badurch, daß er dem„ Berliner Volksblatt" in immer weiteren Kreisen Eingang verschafft.
Das„ Berliner Volksblatt" darf nicht nur allein der Freund des Volkes bleiben, sondern das Bolt muß auch ber Freund des Berliner Volksblatt" sein. Die Neußerung und Bethätigung dieser wechselseitigen Freundschaft ift in Wahrheit bie Erreichung und Verwirklichung des uns vorgeftedten Bieles.
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Radbrud verboten.
Die Redaktion und Erpedition
des ,, Berliner Volksblatt".
Feuilleton.
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Ein Brillantenhalsband.
Rriminalnovelle von Ferdinand Herrmann.
Es war nicht leicht, die rasende Megäre in das Gefängniß zu transportiren, und die Absicht des Untersuchungsrichters, bei der Verhaftung alles unnöthige Aufsehen zu vermeiden, erwies fich als unausführbar. Das Schreien und Toben im Rüdiger'schen Hause hatten draußen auf der Straße eine beträchtliche Menschenmenge angelodt, und wie im Lauf feuer verbreitete fich in der ganzen Stadt die feufationelle Neuigkeit, daß der bis dahin nnter dem Verdacht des Mordes verhaftete Bernhard von Römer unschuldig sei, und daß man in dem Rüdiger'schen Ehepaar die wirklichen Mörder des alten Fräuleins verhaftet habe.
Was dort die Herren Sombart und Professor Schmoller, welche warm für die 3ertheilung der großen Güter ein traten, gesprochen haben, intereffirt uns wenig. Es find die alten Gründe, welche tausendmal für das Parzellensystem schon angegeben worden find.
Viel interessanter ist es, daß die Ronfervative Rorrespondenz" aus politischen, fonservativen Motiven Rorrespondenz" aus politischen, tonservativen Motiven Auf gegen die Bertheilung der Güter fich wendet. ber einen Seite hört man nämlich, baß, die kleinen Bauern, wie in Frankreich und in Westdeutschland, die Haupträger des tonservativen Gebankens seien, von der anderen Seite aber wird erwidert, daß wenn der große Grundbesitz in dem östlichen Theile der preußischen Monarchie zerstückelt würde, die liberale Sintfluth bort hereinbrechen werde.
So stellt sich Behauptung gegen Behauptung, und beide Behauptungen haben ihre scheinbare Berechtigung.
Wir aber glauben, daß es bei dieser Frage viel weniger auf politische Erwägungen ankommt, als auf wirthschaftlich
foziale.
Was in wafferreichen, fruchtbaren und hügeligen Gegen ben möglich unb zwedentsprechend erscheint, bas dürfte in sonstigen, weniger frugtbaren und weit- ebenen Gegenden äußerst bebentlich sein. In Frankreich und am Rhein findet man wirklich große Rittergüter nur in den größeren Ebenen, während bas Hügelland förmlich von der Natur schon parzellirt von den Bewohnern übernommen worden ist.
Hier kann auch noch der Fleiß, die Umsicht des Einzelnen mit primitiveren Arbeitsinftrumenten dem Boden zur Noth noch soviel abgewinnen, daß er bei geringem Grundbefit ich noch wohl fühlt, obgleich burch die Großkonkurrenz in ben lezten Jahren schon unzählige selbstständige Befißer den Güterschlächtern" anheimgefallen find.
Aber diese Erscheinung täme in dem Often Deutsch lands noch häufiger vor, wenn dort das Parzellensystem eingerichtet wurde.
Der schlechtere Boben unb bazu noch die völlig unmittelbare Ronkurrenz der mit Maschinen arbeitenden Großproduktion würden den kleineren Parzellenbauern bald schon ben Garaus machen.
Somit halten wir in den großen, weniger fruchtbaren
Much ihre Thätigkeit war ja burch diese Aufsehen erregende Angelegenheit nach sehr verschiebenen Richtungen hin bean [ 13 Sprucht worden, und wenigstens in einem Punkte hatte sie zu einem Erfolge geführt, mit welchem man im Interesse ber Gerechtigkeit und ber öffentlichen Ordnung sehr wohl zu frieben sein konnte. Den umsichtigen Recherchen und dem fehr energischen Vorgehen jenes Kriminalfommissars, ber den Pfandleiher Julius Wendeland schon seit Langem start be argwöhnt hatte, war es nämlich gelungen, diesen Ehrenmann and feinen Helfershelfer, einen ebenbürtigen Neffen, voll ständig zu entlarven. Der tüchtige und geschichte Beamte hatte, wenn auch unter vielen Schwierigkeiten, jene Gaft wirthschaft ausfindig gemacht, in welche damals Bernhard durch den rothhaarigen Unbekannten gelodt worden war, und der Befiger dieser Schänke war an Herrn Julius Wenbeland zum Verräther geworben. Stat bie erwartete Belohnung zu erhalten, war der Pfandleiher plößlich durch eine Haussuchung überrascht worden, die mit ganz unver mutheter und unnachfichtiger Gründlichkeit begonnen und durchgeführt wurde. Da hatte man zunächst die ganze Masterabe des gelebrigen Neffen, feine Perrüde, feinen falschen Bart, und was sonst noch zu der Metamorphose gehörte, zu Tage geförbert, enblich aber war anm nicht geringen hörte, zu Tage gefördert, endlich aber war anm nicht geringen Entfehen des Herrn Wendeland in einem Versteck, das er für unauffindbar gehalten hatte, und das wohl auch un auffindbar gewesen wäre, wenn man ihm nur ein wenig 3eit gelassen hätte, sich auf den unwillkommenen Besuch vorzubereiten, nicht nur eine Anzahl von Brillanten, bie unzweifelhaft von jenem Rollier herrührten, sondern ein heimlisches Waarenlager von Roftbarkeiten gefunden worden, über deren Erwerb der Pfandleiher fich nicht in genügender Art auszuweisen vermochte und die fich balb als burchweg aus Diebstählen herrührend erwiesen. Die unmittelbare Entbedung war die Verhaftung der beiden raffinirten und gefährlichen Behler, die es angeblich mit dem Zeugnen ver fuchten und fich in all' ihren mit übergroßer Schlaubeit ers fonnenen Ausflüchten nur in ein Neß von Widersprüchen verwidelten, aus dem es kein Entrinnen mehr für fie gab. Wenn auch aus der Anklage, welche später gegen fie er hoben wurde, die Affaire mit dem Brillantenhalsband aus
All der Abscheu und Haß, welchen man bis dahin is allen Rreifen der Bevölkerung gegen den jungen Raufmann empfunden hatte, verwandelte sich nun urplöglich in bas Gegentheil, und die öffentliche Meinung, welche bekanntlich außerordentlich wanbelbar ist, richtete fich nun mit einem Mal gegen die Behörben, bie angeblich bei der Verfolgung der falschen Spar und bei der Festnahme des zuerst Vers bächtigten nicht mit ber erforderlichen Sorgfalt und Ümsicht zu Werte gegangen feien. Mit fiberhafter Spannung fab man bem weiteren Verlauf des aufregenden Dramas ents gegen, und ber Herr Stadtverordnete Hofferichter wurde von allen Seiten mit förmlichen Glückwünschen über diese unerwartete Wendung der Dinge überschüttet, welchen Neußerungen der Antheilnahme er allerdings ebenso finfere Mienen und ebenso barsche Worte entgegensetzte, als früher den Ausdrücken des Bebauerns über sein beklagenswerthes Schidial, an denen es seine Freunde und Bekannten gleich falls nicht hatten fehlen laffen.
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Auch die Polizeibeamten der Hafenstadt, welche seiner Seit die Verhaftung des flüchtigen jungen Paares vorge nommen hatten, nahmen die überraschende Neuigkeit mit großem Interesse und mit nicht geringem Erstaunen auf.
Gegenden bes Oftens unferes Baterlandes den Groß betrieb beim Aderbau für unbedingt nothwendig, ba sonst unsere Konkurrenzfähigkeit Rußland , Nordamerika und Indien gegenüber immer geringer werden würde.
Mit dieser unserer Bemerkung ist aber durchaus nicht gelagt, baß wir nunmehr auch mit dem Befiße der großen Boberflächen in einigen wenigen Händen einverstanden wären. Im Gegentheil! Wir wünschen die Verstaatlichung, ober beffer gefagt die Vergemeinschaftlichung des Grund und Bodens.
Wenn Herr Sombart bas von ihm angekaufte große Rittergut nicht an einzelne Personen parzellir verkauft haben würde, welche jebe einzelne nicht konkurrenzfähig ist, sondern wenn er eine Produktiv- Assoziation errichtet und biefer das Gut zu einer gemeinschaftlichen Bewirth schaftung überlassen haben würde, so wäre die Mög lichkeit auch ber bes Bebeihens Einzelnen handen, ba die Bewirthschaftung des Gesammtguts durch die Assoziation mit den größten mechanischen Hilfsmitteln erfolgen tönnte, während jetzt die einzelnen für fich wirthschaftenden Parzellenbauern der Großkonkurrenz bie Spike zu bieten nicht vermögen.
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Wir glauben also, daß die 3erftüdelung des großen Grundbefizes in Sombart 'scher Manier fein wirthschaftlicher Fortschritt ist. Dieser Ansicht scheinen auch die praktischen Geschäftsleute, die Gelbbarone zu sein, welche ben Handel mit größeren Rittergütern treiben, ohne bis jetzt, wenigstens im Often Deutschlands , auf den Gedanken gekommen zu fein, biefelben zu parzelliren.
Wie mit der Produktion überhaupt, wird es auch mit der landwirthschaftlichen Produktion auf die Dauer nicht besser werden, bis der Staat, also bie Gemeinsamkeit diese Produktion durch Assoziationen übernimmt. Dann fann nicht allein der Boben durch die mechanischen Hilfskräfte vollständig ausgenußt, sondern er tann auch immer in der nöthigen Leistungsfähigkeit erhalten werden.
Sollte aber zu dieser Erkenntniß erst die 3ersplitterung des Großgrundbefizes im Sombart 'jchen Sinne nothwendig fein, sollte man erst durch die wirthschaftliche Misere bes Parzellensystems hindurchgehen müssen, ehe man zu bem ftaatlich organisirten Affoziationsbetrieb greift, fo mag ja bie Bersplitterung ihre Entschuldigung haben; aber biefelbe zu empfehlen aus Gründen einer rationellen Landwirthschaft, ober aus Grünben, den einzelnen Kleinbefigern ein befferes Fortkommen zu ermöglichen, ist vollständig verfehlt, weil Beibes nicht zutrifft.
Politische Gründe aber können bei solchen Maßnahmen gar nicht ins Gewicht fallen, da der kleine Parzellen bauer genau so tonfervatio ist wie der ablige Grund befizer.
gefchieben werden mußte, ba fie dasselbe von dem recht. mäßigen Besitzer gekauft hatten, so hatte die Houssuchung doch noch anderweitiges Material in genügender Fülle er geben, um die Verurtheilung der beiden verschlagenen Inbividuen, deren ganzes verbrecherisches Treiben jest an's Licht kam, zu einer mehrjährigen Freiheitstrafe zu be wirken.
Bon all' diesen Vorgängen hatte Else Hofferichter nicht bas Mindeste erfahren. Tagelang hatte sie ja völlig bewußtlos auf ihrem Leidensbette gelegen, und die Aerzte hatten laum eine schwache Hoffnung gehabt, bas entfliehende Leben in bem zarten Körper zurückzuhalten. Aber sie hatten ihre ganze Runft aufgewendet, um diesmal dem Tode die Beute zu entreißen, bie ihm fast schon sicher zu sein schien, und nach hartem Rampfe war es ihnen wirklich gelungen, bas brohende Gespenst des Sensenmanns noch einmal in die Flucht zu schlagen.
Aber es wäre vollkommen gleichbebeutend mit einemt Todesurtheil gewesen, dem jungen Mädchen schon jetzt, wäh rend noch immer eine Wiederkehr nicht unbedenklicher Krisen gefürchtet werden mußte, eine Enthüllung oder auch nur eine Andeutung über jene fürchterlichen Dinge zu machen, von denen sie noch immer teine Ahnung hatte. Darum widersetzten fich die behandeluben Aerzte auf das Entschie benfte der Abficht des ehemaligen Schlächtermeisters, feine Tochter zu sehen und sie buldeten nicht, daß am Kranten bette ein Berhör angestellt wurde, wie es von der Unter fuchungsbehörde zu M. wiederholt beantraat worden war.
Wie bankenswerth diefe Vorsicht und Sorgfalt gewesen war erwies fich jetzt, wo Bernhard's Unschuld an dem ihm zur Laft gelegten schweren Verbrechen so plöglich erwiesen wurde, auf das Glänzende, denn die Aerzte durften fich ohne Ueberhebung das Verdienst zuschreiben, ihr dadurch, daß fie ihr bie Renntniß von dem Entfehlichen erspart hatten, bas Leben gerettet zu haben.
Affallend erschien es nur, baß Else auch jest, wo fie ihr Bewußtsein wieder erlangt hatte, und wo fie Kraft genug befaß, fic in furzen, abgebrochenen Worten und mit leifer Stimme mit ihrer Um gebung zu unterhalten, an Niemanden eine Frage nach dem