Nr. 232.
Dienstag, den 5. Oktober 1886.
III. Jahrg.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
Das Berliner Volksblatt"
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit der illustrirten Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)
Redaktion: Beuthstraße 2.
Unsere Fabrik- Inspektoren.
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Ja ben forben erschienen amtlichen Mittheilungen aus ben Berichten der Fabriken- Inspektoren, auf die wir noch eingebenb zu sprechen lommen werden, intereffirt uns be sonders der Abschnitt, der von ben wirthschaft lichen und sittlichen 3uständen der Arbeis terbevolerung" handelt. Uns scheint, baß manchen Fabriken Inspektoren, wenn fie auf diesen Punkt zu sprechen tommen, es sehr schwer wird, sich von der althergebrachten Spießbürgerlichen Anschauung loszureißen, nach welcher man es bei den Arbeitern als unstatthaft betrachtet, wenn sie ins Wirthshaus gehen, während man bei den Herren" und Bürgern" babei nichts zu tabela finbet. Die Fabrikens Inspektoren lagen vielfach über den Berfall der Sitten" bei den Arbeitern. Wir wollen die Stelle wörtlich anführen; fie lautet: Die unverheiratheten männ Lichen Arbeiter, beren Arbeitsverdienst ihnen meistens ein gutes uskommen() gewährt, werden nament lich in größeren Städten häufig burch die mangelhaften Wohnungsverhältnisse, wenn fie fich nur mit einer Schlaf. ftelle begnügen müssen, an frühen( 3) Wirthshausbefuch ge. wöhnt; unter den Arbeiterinnen nehmen Puß- und Vergnü gungssucht über hand, der Sinn für Sparsamkeit geht dabei verloren. Der häufige Besuch öffentlicher Tanzmusiken, bie an manchen Diten im Uebermaß geboten werden, giebt Anlaß zu allerlei Abwegen. Frühe Heirathen bessern nichts baran, zumal den Fabritarbeiterinnen bei ihrem Eintritt in die Ehe häufig jegliche Erfahrung für den häuslichen Beruf abgeht".
Das ist recht viel auf einmal, was da die Herren Fabriken Inspektoren bem Arbeiterftande vorzuwerfen haben. Sehen wir uns die Dinge etwas näher an.
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Die Fabriken Inspektoren geben an, daß die Löhne im Ganzen und Großen auf ihrer bisherigen Höhe( beffer fagte man Niebrigkeit) erhalten haben; in einzelnen Fällen feten fie fogar(!) geftiegen". Dabei wird aber hinzu gefügt, daß fpezielle Mittheilungen über die Höhe der gezahlten Löhne fich uur in sehr wenigen Berichten vorfinden. Das Wenige, was angegeben ist, zeigt, daß die Löhne in den meisten Branchen erschredend niebrig find. Wie tommt man dazu, den Arbeiter noch Sparfamleitan zuempfehlen? Aus Leipzig hat man 16 Haushaltungsbudgets von Arbeitern eingesandt, bie als„ ordentliche Leute" bezeichnet werden, und nur in 4 Fällen übersteigt bas Verdienst die Ausgaben, und war sehr gering. Wo foll denn da gespart werben? Uebrigens hat ja die fächsische Regierung in der letzten furzen Seffion des Reichstags durch einen ihrer Vertreter erklären laffen, bie Einlagen in den Spar laffen hätten sich vermehrt; da mögen fich also die Herren
Radbrud verboten,
Feuilleton.
Die weinende Sultanin.
Novelle von Maurus Jókai . ( Uebersetzung von L. Wechsler, Budapest .) ( Schluß.)
Die obwaltenben Umstände waren ber Ausführung fehr günftig; Don Lamberto tam gang à propos in Marotto an, ba man den zwanzigsten Sternbeuter gerade bei lebendigem Leibe braten ließ, der die Uhr ber Sultanin repariren ge wollt und fie nur noch mehr verborben hatte. Er eilte, fi beim Sultan zu melden.
Der barbarische Fürst hatte Mitleid mit bem jungen Chriften, denn wir müssen wissen, daß Don Lamberto ber Sohn bes Sultans hätte fein tönnen und er sagte ihm, er möge, bevor er sich dem gefährlichen Werte unterziehe, vor erst das Geficht seines Vorgängers betrachten und die Gri maffen studiren, bie jener schneidet, während er im fiebenden Peche liegt und erst wenn er meint, daß er eine gleiche Si tuation mit mehr Phlegma zu ertragen vermöchte, möge er ertlären, ob er es unternehmen wolle, der Nachfolger seines Borgängers zu fein.
Don Lamberto aber verließ fich auf seine Kunstfertig Teit und sagte, er scheere fich nicht um das Unglück Anderer; man möge ihm nur bas Uhrwert zeigen, welchem nicht ein mal ein heidnischer Uhrmacher Leben einzuflößen vermöge. Der Sultan befahl bem Uhrmacher, am nächsten Tage im Serail zu erscheinen, um sich dort mit eigenen Augen von der ganzen Pracht des Hofes und von der Trauer ber Sultanin zu überzeugen, welche das Antlig einer feis weinenben Sultanin auf diesen Glanz, auf diese Pracht wirft und bann möge er selbst beurtheilen, welch' furchtbarer Mebelthäter das ist, ber dieses traurige Gesicht noch verzagter machen will.
Am nächsten Tage erschien also Don Lambets bei Hofe; boch betrachtete er weber bie mit Perlen und Diamenten ge schmüdten vornehmen Herren, noch die geschminkten Odalis
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Expedition: Zimmerstraße 44.
Fabriken Inspektoren mit der sächsischen Regierung ausein auber setzen.
I es denn so etwas Entfegliches, wenn die Arbeiter Abends ausgehen, um sich bei einem Glas Bier mit ihren Freunden zu unterhalten? Wenn sie in eine Betstunde gingen, so würde jedenfalls nichts eingewendet werden. Wer elf, zwölf, dreizehn und mehr Stunden gearbeitet hat, der hat ein Bedürfniß, fich in Gesellschaft zu bewegen, und wenn er teine Familie hat, so tann er faft nur im Wirthshaus oder in Vereinen sich seine Gesellschaft, wie sie ihm paßt, suchen. Den Herren Fabriken- Inspektoren wird es genau fo gehen. Wenn sie den Tag über gearbeitet haben, ist es Abends für fie ein Genuß, im Kreise von Freunden unb Bekannten zu sein. Daß das den Arbeitern ebenso geht, follte boch eigentlich nichis Auffallendes sein.
Es giebt gewiffe Hausfrauen, die heute noch sich darüber ärgern, daß die Dienfimädchen es wagen, Hüte aufzu fetzen. Sie glauben, man lebe in einer verkehrten Welt, wenn die Dienstboten nicht auch Sonntags baarhäuptig und in möglichst dürftigem Anzug auf der Straße erscheinen. An diese Hausfrauen werden wir immer erinnert, wenn fich Jemand über bie Putz und Vergnügungssucht" ber Arbeiterinnen bellagt, wie es in ben Berichten der Fabriken Inspektoren auch wieder geschieht. Die Ar
sich von allen oder den meisten Vergnügungen fern zu halten und ein ganz eingezogenes Leben zu führen? Nun, es würden eine Menge von öffentlichen Lotalen eingehen, ihnen würden eine Menge von anderen Geschäften, die dann feinen genügenden Absah mehr hätten, nachfolgen und ber Rückschlag würbe im ganzen wirthschaftlichen Leben zu fpüren sein. Die Arbeiter selbst würden voch weit mehr mit dem Mangel an Beschäftigung zu fämpfen haben, als heute, wenn der Konsum auf die angegebene Weise ges schwächt würde.
Nein, gönnen wir dem arbeitenden Bolte seine gerin gen Erholungen und Vergnügungen für die schweren Lasten, bie es zu tragen hat, und bebauern wir im Gegentheil, daß bas arbeitende Volt fich so ungenügend und so wenig er bolen fann. Bei all unserer Bochachtung vor dem Inftitut ter Fabriken Inspektoren aber möchten wir ben Herren an empfehlen, das Moralpredigen bahinten zu laffen und die Berichte lieber mit ausgiebigem ftatistischem Material über Löhne u. f. w. zu versehen. Das wird auch den Beifall der Arbeiter finden.
Aus den Untersuchungen
beiterinnen follen fich nicht pußen und sollen keine ganz der belgischen Arbeiterenquetekommission.
mufiten besuchen, die Arbeiter sollen nicht in's Wirthshaus gehen. Nicht einmal füh heirathen" sollen die Arbei terinnen, denn sie verstehen angeblich nichts von der Hauss haltung.
Da fragt man sich erstaunt: Was sollen die Arbeiter und Arbeiterinnen denn eigentlich thun, wenn sie einen Ruhetag haben? Wenn fie ben Herren Fabriken- Inspektoren folgen wollten, fo bliebe ihnen nichts übrig, als zu Hause zu figen und Trübsal zu blafen.
Es ist uns unbegreiflich, wie man im 19. Jahrhundert auch nur noch entfernt baran benken kann, die geringen Vergnügungen, die der Arbeiter fich erlauben tann, anflökig und verderblich zu finden. Die Arbeitszeit ist meistens lang, bie Arbeit anstrengend und einförmig. Das würde ja ein Voll von lauter Sauertöpfen werden, bei dem der Grundfah in Kraft treten tönnte, daß Vergnügungen verberblich seien und daß der Wirthshausbesuch allein schon hinreiche, um einen Verfall der Sitten herbeizuführen.
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Uebrigens find die Fabriken- Inspektoren, die dieses Lamento anftimmen, auch gar feine besonders sharf finnigen Nationalökonomen. Sie müßten sonst be denken, daß man doch von allen Seiten sich über bie abnehmende Ronsumtionsfähigkeit der Massen beklagt. Was wäre dann bie unmittelbare Folge, wenn bie Arbeiter sämmtlich oder auch nur in ihrer Mehrzahl genöthigt wären,
ten, sondern suchte blos nach Albamira, bie er dann auch gar balb erblidte.
Die Sultanin saß ganz in Weiß gehüllt neben dem Sultan auf einem erhöhten Riffen, welches dort Thron ge nannt wurde.
Die weiße Farbe bebeutet, sofern bas Ronversations Legfon nicht ligt, bei den Marokkanern Trauer. Aldamira trauerte also. Don Lamberto meinte, um ihren Batten, der Sultan aber, daß sie ihre verdorbene Uhr betrauere.
In diesem weißen Gewande, mit diesem traurigen Blick aber erschien sie noch schöner, als jemals.
Als ber arme Don Lamberto seine Gattin neben bem Sultan fizen fab, warf er sich zur Erde und verbarg das Gesicht in den Teppichen. Nur wenig Gatten mögen es fobre. Es ist barum bei den Türken sehr gut eingerichtet, gern sehen, daß ihren Gattinnen eine so große Ehre wiederdaß der Mann in ähnlich gearteten Situationen sein Geficht mit der Erde verbeden tann.
Albamira aber that nicht so.
Als sie ihren einftigen Gatten erblidte, sprang fie von ihrem Size empor, füßte hinunter zu ihm und umarmte ihn dort vor allen Leuten, angesichts des Sultans und all' feiner Vezire; der arme Don Lamberto war zu Tode er Schroden, da er meinte, daß man ihm den Ropf auf der Stelle abschlagen werbe.
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Freilich war ber ganze Hof burch diesen Auftritt slanbaltfirt, ber Sultan war sprachlos vor Entfehen und jeber ber Anwesenden, der ein Schwert bet fich hatte, fuhr nach dem Griffe beffelben mit der feßen Absicht, von diesem, ben marollanischen Thron schänbenden Paare, ebenfalls ein Stüd zum Andenken mit nach Haus zu nehmen. Aldamira aber schritt mit freudestrahlendem Antlig zu dem Sultan hin und ben Ropf des fortwährend auf die Raie fallenben Don Lamberto unter den Arm nehmend, sprach fie mit einem begeißterten Lächeln:
Hier, mein Gebieter, hier ist ber einzige, ruhmreiche Mann,- ber meine Uhr verfertigte!" Don Lamberto reparirte bann auch bie Uhr.
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( Vergl. No. 227.) III.
Wir stellen nach der Frantf. 8tg." noch einige bemerkend werthe Ergebnisse der legten S Bungen zusammen.
In Huy wurden die Arbeiter der Cint Industrie vernommen. Sie sagten aus, daß fir, an den Defen beichäftigt, 25 Stunden hinter einander ohne Unter brechung, von 5 Uhr früb bis den andern Morgen früh 6 Uhr, an der Arbeit sein müffen. Dann haben fte 23 Stunden Rub. Sie verbienen für 25 Stunden 7 Fr., alio 3,50 r. per Tag. Aber fte müffen in 2 Wochen noch extra 2 bis 8 Tage feiern. Sie wohnen meiß nabe an den Werkstätten, also febr ungefund. tan awingt fte au dieser Arbeit durch ein Brämtensyftem, durch das fte 300 Fr. per Jahr über ihren Lohn verdienen. Nach 20 Jahren folcher Arbeit ist der Mann ruinirt, und ba es teine Benfionslaffen giebt, ist er auf die Straße geftellt. Die Arbeiter müssen ihr Werkzeug bezablen, wenn fie eintreten; wenn fie austreten, müffen fte das Werk zeug zurücklaffen,' bekommen aber ihr Gelb nicht beraus(!)- Der Borfigende meint, es banble fich um einen Mietbains, aber dies wi derlegen die Arbeiter, da ihnen auch die Ausbesserung ibres Wertzeugs bezahlen müffen, was fie monatlich auf burch schnittlich 7 Fr. zu stehen tommt. Die Unternehmer aus Dieser Branche find nicht da; nur eine Altiengesellschaft hat burch ihren Ingenieur erklären laffen, fie würde es gern sehen, wenn die Arbeiter Tommen und aussagen würden; fie würden aber schwerlich fommen, da fte sehr zufrieden feien. Außerdem erscheint noch der Direktor einer Bint. Gesellschaft, ber
Dies erweďte wieder große Freude in Marokko ; Aldas mira warb von neuem guter Dinge, belam wieder rofige Wangen und lachte; der Sultan war voll Seligkeit, er ließ bie Gefängnisse öffaen, viele Diebe wurden freigelassen, die Schattammer warb ebenfalls geöffnet und von einer an beren Art Dieben geplündert, die Emirs quälten das Boll nicht, das Boll ftritt nicht mit den Nachtbarn, innen und außen überfloß Berg und Thal von Seligkeit alles nur, weil die Uhr der Sultanin wieder ging, schlug und trähie.
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Für diese allgemeine Wendung zur erfreulichen Beffe rung verdiente Don Lamberto auch einen besonderen Dant; ber Sulian konnte sich vor Freude nicht laffen und er bot ihm die Stelle eines Großveziers,- Rapudanpafchas, Finanzministers, ober eines Obermufti an; die Wahl Amte er weniger verftand, sondern welches mit größeren blieb ihm freigestellt, nicht nach dem Maßstabe, von welchem Einfünften verbunden ist.
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Die Historiker find uneinig über die Grünbe, welche bie Sultanin Albamira dazu bewogen, Don Lamberto zu ver wehren, eines dieser hoben Aemter anzunehmen. Sicherlich that fie es in weiser Voraussicht ihres liebenden Herzens, wohl wissend, daß wenn Leute biefe glänzenden Stellungen ohne Gewiffen erreichen, fie dieselben fieis ohne Kopf vers laffen und darum schlug fie bem Sultan vor, ein neues unb gefahrloses Amt für den Don Lomberto zu schaffen. Dieses Amt war das des Wächters der Uhr."
Der Divan bewilligte ohne jede Gegenrebe bie Creirung dieses wichtigen Amtes, was übrigens ganz natürlich war, benn wenn solche Gegenstände, die ruhig stehen, ihre Wächter haben, wie follte ein solcher bei einem Gegenstande fehlen, welcher geht?
Don Lamberto fab fich am 3iele feiner Wünsche ange langt. Er mußte von Amtsmegen täglich in dem Simmer ber Sultanin erscheinen, in welchem die Uhr stand und dafür Sorge tragen, daß der Zeitmesser nicht stehen bleibe. Bei diesen Anlässen nannte er Albamira beim Namen, fie waren ja ganz ohne Zeugen und unbewacht sagt ihr, wie fehr er fie liebe, daß er ihr stets treu geblieben, schilderte ihr die Opfer, bie er dem Meere und dem Piraten gebracht
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