2. Beilage zum„Borwiirts" Berliner Bolksblatt.f as Sommerfest der SerlinerArveiter-Hildmtgsschule.Die Arbeiter- Vildungsschule feierte am Montag in Keller'syvfjäcjer ihr erstes größeres Fest, und der Vorstand hatte umfang-reiche' Maßnahmen getroffen, um das Fest für die Theilnehmer,wohl meistens Mitglieder der Schule, genußreich zu gestalten.Liebknecht war die Aufgabe des Festredners übertragenttjord�n, und weil die Errichtung der Arbeiterschule für die-oerliner Arbeiterbewegung einen bedeuiungsvollen Marksteinbildet, so wird ein etwas ausführlicheres Referat von Liebknecht'sSchilderung des Nutzens und der Pflicht der Bildung?-bestrebungen gerade für die Arbeiter, welche die Richtigkeit desWortes„Wissen ist Macht, Macht ist Wissen" längst erkannthaben, am Platze sein. Liebknecht führte ungefähr folgendes aus:Genossinnen und Genossen!. Ich komme mitten aus der Arbeit, und wenn ich nichtNZüßte, daß Sie von mir keine kunstvoll ausgearbeitete Redeverlangen, sondern Worte, die von Herzen kommen undZu Herzen gehend; wenn es sich nicht um diesen Verein gehandeltund mich das Herz nicht hergetrieben hätte, dann würde ich,uberlastet und abgearbeitet wie ich augenblicklich bin, jetzt nichth>er stehen.— Als vor einem halben Jahre die Arbeiter-Bildungs-schule begründet wurde, da sahen wir aufs Neue, daß die Brustdes Arbeiters jene Ideale birgt, die in der Brust der Be-sitzenden längst erstarrt sind. Die Bourgeoisie macht uns den■jjainpf mit geistigen Waffen sehr leicht, da sie das Streben nach�eredelung, nach geistiger Bildung längst verlernt hat, währendder Arbeiter weiß, daß er Wissen haben muß, um zur Macht zugelangen. Ter Arbeiter weiß, daß er Nichts weiß, und daßdie Gesellschaft, die ihm die Bildung vorenthielt, schwer an ihmgesündigt hat; aber durch eigene Kraft sucht er die in derKindheit ihm vorenthaltene Bildung— sei es auch ingereiften Jahren— zu erringen. Der Arbeiter weiß, daß es diephysische, die mechanische Kraft, so nölhig sie ist, allein nichtihut. sondern daß sie durch das Wissen beherrscht und geleitetwerden muß. Er weiß, daß Niemand das Ziel erreichen kann,der das Ziel nicht kennt.� Unsere Gegner haben zum Glück diesen Wissensdurst nicht.« i e wissen nicht, daß sie nichts wissen— und das ist sehr gutflir uns. Ich habe noch niemals von einer Kapitalisten- oderUnternehmerschule gehört. Und uusere Gegner hätten es doch soböthig, zu lernen, aber sie vertrauen auf ihre materiellen Macht-Wittel: sie haben die Millionen, und sie haben die Kanonen.Die Arbeiter haben nur die Zahl und die Elementar-kraft— und ihre gute Sache. Allein die gute Sachesiegt nicht von selbst. Und trotz der Zahl nützt die Elementar-»rast nichts, wenn die Kraft nicht durchgeistigt, nicht geschult ist.Tie Arbeiter-Bildungsschule ist während der kurzen Zeitthres Bestehens vielfach angegriffen worden. Von befreundeterSeite hat man ihr zum Vorwurf gemacht, daß sie kein politischerVerein sein wolle. Und von anderer Seite hat man uns denentgegengesetzten Vorwurf gemacht, daß wir blos Politik treiben.Beides mit Unrecht. Ein politischer Verein konnte die Schulenicht sein, weil die wissenschaftliche Bildung, die durch die Schuleverbreitet wird, auch den Frauen zu Gute kommen soll, dieAesetze aber die Betheiligung der Frauen an politische»Vereinen verbieten. Ein politischer Verein wollte undsollte die Arbeiter-Bildungsschule aber auch gar nicht sei».Vor Jahren sagte einmal der alte Windthorst einem nationalliberalenAbgeordneten und sogen. Geschichtsschreiber, der von nationalerWilsenschaft gesprochen hatte: Es giebt leine nationale Wissen-schaft. Das ist wahr. Und so wenig wie eine nationalegiebt es auch eine Parteiwissenschaft. Es giebt nur eineWissenschaft, wie es nur eine Wahrheit giebt: die Wissen-Aber wenn es keine P artei Wissenschaft giebt, also auchkeine sozialdemokratische Wissenschaft, so giebt es dochvur eine Partei, welche die Wissenschaft will, d. h. die freie,Unverfälschte, den Sondcrinteressen der Klaffen und Parteien nichtdienstbar gemachte Wissenschaft. Und diese Partei ist dieSozialdemokratie. Weit entfernt, Tendenzwissenschaftweiden, die Wissenschast sozialdemokratisch färben und beugen zuwollen, wollen wir umgekehrt die Wissenschaft von der Tendenz?sfreien. Und weil wir die einzige Partei sind, welche°?e Wissenschaft will, sind wir auch die einzige Partei, welchev'e Tendenzwissenschaft verwirst und bekämpft., Im heutigen Klassenstaat ist die Wissenschaft den Klassen-'Nteressen unterthan.Di- Weltgeschichte ist gefälscht im Interesse der herrschendenKlaffe».Die Nationalökonomie ist gefälscht im Interesse der Herr-Ichinden Klaffen.. Und die Naturgeschichte wird gefälscht im Interesse derDiese gefälschte, diese Tendenzwissenschaft dulden wirallerdings nicht in der Arbeiter-Bildungsschule. welche wesentlichden Zweck hat, daß die Arbeiter von dem Gifte der Tendenz-Wissenschaft, welches die heutige Gesellschaft ihnen schon mit derMuttermilch einflößte, befreit und gereinigt werden.Wir wollen keine sozialdemokratische Nationalökonomie, aberauch nicht jene, die im Interesse der Kapitalistenklasse in einSystem gebracht ist. Wir wollen die wahre Geschichte undnicht die durch die Soldschreiber der herrschenden Klassen ge-fälschte und verdorbene. Wir wollen keine sozialdemokratischeNaturwissenschaft, aber auch keine vom Aberglauben getrübte.Es sollen aber nicht nur diese Wissenschäften in unsererSchule gelehrt werden, sondern auch die Elementarfächer; dennman kann das Dach nicht baue», ehe nicht das Haus steht, und derHausbau kann erst begonnen werden, wenn das Fundament gelegt ist.Nicht Gelehrte wollen wir erziehen. Auch wenn wir könnten— Gelehrte wollen wir aber nicht. Die Wissenschaft solllebendig, die Kenntnisse, die unsere Schule bietet, sollen für dasLeben sein— für das Leben der Arbeit und das Leben desKampfes.Bei Gründung unserer Schule dachte so Mancher, sie werdeeine Agitationsschule werden— und Nationalökonomie und Ge-schichte würden die Hauptdisziplinen sein. Es ist anders ge-kommen. Und die Praxis hat auch hier wieder einmal die Theoriekorrigirt.Ein Hausbau beginnt nicht mit dem Dach. Ein festesFundament muß da sein— und das Fundament des Wissens istdie Kenntniß der Muttersprache, also für uns der deutschenSprache— d. h. der Sprache, die wir Alle kennen, in denenwir Alle unsere Gedanken ausdrücken und die uns Alle denkenlehrt. Das ist nicht chauvinistische Selbstüberhebung. DasGleiche gilt auch von Frankreich, England und anderen Ländern,nur daß dort die Muttersprache eine andere ist.Genug, die Praxis hat jedem von uns, der es nicht schonvorher wußte, gelehrt, daß der deutsche Unterricht in erster Liniegepflegt werden muß, weil er die Grundlage des Wissensfür den deutschen Arbeiter bildet. Was nützt es ein paar Schlag-wörter bei der Hand und im Mund zu haben? Ohne die nöthigeSachkenntniß sind es tönende Schellen. Und ein großer Jrrthumwäre es, zu glauben, daß der deutsche Sprachunterricht für denArbeiter etwas Nebensächliches sei. Form und Inhalt sind nichtvon einander zu trennen. Zuin korrekten Ausdruck gehörtkorrektes Denken, und ganz abgesehen davon, daß der deutscheUnterricht— beim Aussatz und bei der Lektüre— Anlaß giebt,alle politischen und sozialen Fragen zu behandeln, ist die Uebungim Lesen und Schreiben die beste Uebung im Denken.Die Arbeiter haben das auch begriffen, wie der Zudrang zudem deutschen Unterricht zeigt. Sie haben begriffen, daß dieMuttersprache der Schlüssel der Wissens für sie ist, und daß, werzur Wissenschaft zu gelangen will, auch die Stufen, welche zu ihrhinaufführen, selbst gehen muß.Es ist mir stets ein rührender und zu gleicher Zeit erheben-der Anblick, wenn ich Arbeiter in schon gereiftem Alter sehe, diesich auf die Schulbank, auf der eigentlich nur Kinder sitze» sollten,hingesetzt haben, um die Lücken ihrer Bildung zu ergänzen. Dasmacht denen Ehre, die es thun, und gereicht zur Schande jenen,die dem Arbeiter die Bildung vorenthalten haben!(LebhafterBeifall.)Ohne Wissen und Bildung kann das Proletariat jene geistigeund politische Reife nicht erlangen, die es befähigt, die doppelteAufgabe zu erfüllen, ivelche ihnen obliegt, seitdem die Bourgeoisienicht mehr iin Stande ist, in gedeihlicher Weise die Angelegen-heilen des Staats und der Gesellschaft zu leiten.Und wahrlich, leicht ist die Aufgabe nicht, welche dem Pro-letariat, namentlich der deutschen Arbeiterklasse zugefallen ist.Wie ich schon auf dem Hallc'schen Kongreß andeutete: diedeutschen Arbeiter haben nicht blos die soziale Emanzipationzu erwirken— sie haben auch die politische nachzuholen.Unser deutsches Bürgerthum hat sich unfähig gezeigt, sein bürger-lich-liberales oder demokratisches Programm zu verwirklichen,wie das die französische Bourgeoisie vor Ivo, die englischevor 20l) und 250 Jahren gethan hat. Mit einem Wort, inDeutschland fällt die soziale mit der politischen Emanzipationzusammen und die deutsche Arbeiterklasse hat neben der prolcta-rischen auch noch die bürgerliche Revolution durchzuführe». Undzu dieser Aufgabe hat das deutsche Proletariat sich durch tüchtigeSchulung vorzubereiten. Es muß seine Kraft steigern.Und da wäre ich mitten in der Politik, obgleich wir einnicht politischer Verein sind. Die Arbciterbestrebungen ohneAusnahine, und seien sie an sich der Politik noch so fern, führenauf das Gebiet der Politik, führen i» die Politik. Die geiverk-schastliche Bewegung, und wird sie von der Politik noch so freigehalten, ist Klassenkampf und drängt zum politischen Kampf.Und das Wissen, welches der Arbeiter sich erwirbt, sei es an sichder Politik noch so fern, es wird in seinem Hirn zu einer geistigenWaffe für den großen Befreiungskampf der Arbeiterklasse.Es ist also— dies sei den Genossen gesagt, die statt der Ar-beiterschule einen sozialdemokratischen Agitationsklub wollten—es ist also gar nicht nöthig, daß wir die Politik in unsere Schulehineintrage»— jeder klassenbewußte Arbeiter ist von selbst undals solcher Politiker und politischer Kämpfer, und alle Kenntnisse,die er sich erwirbt, verwerthet er für den politischen Kampf.Die Stärke des Menschen— das was ihn zum mächtigstender Thiers gemacht und ihm die Herrschaft über die Natur ver-liehen hat, ist nicht die physische Kraft, sondern die geistige—nicht die Fällst, sondern das Hirn, welches die Kraft seiner Faustvertausendfacht. Ich sagte es schon früher einmal: der schwächsteOchse ist stärker als der stärkste Mensch, wenn die physische Kraftallein ins Spiel kommt. Anderseits, wenn die geistige Kraft insSpiel kommt, ist der schwächste Mensch dem stärksten Ochsen weitüberlegen und überwindet ihn ohne Mühe. Mit dem Kopf durchdie Wand rennen wollen, gilt mit Recht als die höchste Thorheit.Der dickste, härteste Schädel zerschellt an der dünnsten, schwächstenMauer. Der Mensch aber, der statt mit dem Kopf durchdie Wand zu rennen, seinen Kopf, sein Hirn benutzt, wirftspielend die stärksten Mauern über den Haufen. Und nicht blosdie stärksten Mauern— die gewaltigsten Felsen legt er nieder,durchbohrt die Riesen der Alpen— denken Sie an den Gotthardt«Tunnel— kurz kein Hinderniß giebt es, das ihn aushaltenkönnte in seinem Siegeslauf— in dem Vormarsch zu immergrößerer Kulturhöhe.löxevll-ior! Höher, immer höher— die Losung dos ameri-kanischen Dichters, ist die Losung der Menschheit, ist die unsrige.Immer höher, imnier vorwärts! Nie zufrieden! Stets nachBesserem strebend!Unsere Feinde haben uns den Kampf mit geistigen Waffenangeboten! Wo sind ihre geistigen Waffen? Ihre Waffensind dieselben wie früher: Lüge, Verleumdung, Geschimpfe, Maß-regclung, brutale Gewalt. Wir wollen den geistigen Kampf.Wir haben eine gute Sache, und„gute Wehr und Waffen". Weruns„mit geistige» Waffen" ehrlich entgegentritt, ist uns will-komnien. Und so sicher er ehrlich ist und seine Waffen geistigesind, wird er ini Kanipfe gegen uns für uns gewonnen.Diese Schule nun soll geistige Waffen liefern und Kämpferfür den geinigen Streit heranbilden; sie soll aber kein Tummel-platz des Parteikampses sein. Wir wissen, daß die Arbeiter, diedem Arsenal des Wissens ihre geistigen Waffen entnommen haben,zur Sozialdemokratie kommen müssen, und deshalb genügt es uns,ihnen die Waffen zu bieten. Und die Arbeiter, welche die Schulebesuche», sie können überzeugt sein, daß diejenigen, die an derSpitze der Schule stehen, den Satz stets vor Augen haben:„Wiefür das lernende ftiild, so ist für den lernenden Arbeiter nurdas Beste gut genug."Unserem Ideal entspricht die Wirklichkeit ja noch keines«wegs.Wir— die Mitglieder des Vorstandes und des Lehraus«schusses— wir wissen besser, als sonst Jemand, wie viel nochsehlt, wie viel noch zu thun übrig ist, damit die Leistungenwenigstens einigermaßen der Höhe der Aufgabe entsprechen.Früher als wir es wünschten, sind wir durch den Bildungs«drang der Arbeiter zur Eröffnung der Schule veranlaßt worden,und da ist nicht Alles so ausgefallen, wie wir es gewünschthätten. Aber wir kennen die Mängel und sind bemüht, sie zubeseitigen, und nicht ohne Erfolg. So haben sich auf unser jüngstesAusschreiben nach neuen Lehrkräften viele hervorragend befähigteMänner gemeldet und schon im nächsten Semester werdenivir mit durchaus genügenden Lehrkräften und mit einem reiflichund sorgfältig ausgearbeiteten Lehrplan vor Sie hintreten, undallmälig werden wir unser Ideal,„eine Art Arbeiter»Universität zu begründen", verwirklichen können.Gelernt muß nun einmal werden, ohne Lernen können dieArbeiter das Ziel nicht erreichen. Die Bourgeoisie hat allephysischen und mechanischen Machtmittel—: sie pfeiftauf Bildung und Wissenschaft. Tie Arbeiter haben nurihre gute Sache, und sie müssen lernen, um siewürdig und siegreich vertreten zu können. Der bloße Zorn überdie Verhältnisse bringt keine Befreiung. Die Leidenschaft bedarfder Zügelung, der Leitung. Der g e i st i g e n Waffen bedürfe»wir zum Sieg.Man sagt:„Wir müssen w ollen, dann können wir!"Aber dem Wollen muß das Wissen und Erkennen vor«hergehen. Um das Rechte zu wollen, muß ich das Rechtekennen. Ohne Wissen kein Wollen, ohneWollen keine That, ohne That keine Be»freiung!—Drum wollen wir unsere Schule pflegen und die geistigenWaffen schmieden, die dazu dienen sollen, die Befreiung derarbeitenden Klasse zu erkämpfen. Die noch zu lernen haben,mögen die gebotene Gelegenheit ergreisen, und die lehrenkönnen, sie inögen ihre Kraft der Arbeiterklaffe zur Verfügungstellen!Ich schließe mit einem Hoch auf die Arbeiter-Bildungs«schule!