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Nr. 235.

Freitag, den 8. Oktober 1886.

. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Drgan für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin fret in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit der illustrirten Beilage 10 Pẞf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)

Das Septennat.

Insertionsgebühr

beträgt für die 4 gespaltete Petitzeile oder deren Naum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 f Bet größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Bimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaug, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Redaktion: Beuthstraße 2. Expedition: Zimmerstraße 44.

Bezüglich der bem Reichstage zugehenden Militärvor­Tagen melbet eine halb, vielleicht auch ganz offistöse Nottz: Daß die Regierung nicht ein Septennat, sondern eine un­begrenzte Präfensstärke verlangen wird, gilt als felbstverständlich."

So! Das gilt als felbstverständlich! Es ist bekannt, mit welch leichtem Herzen die Ofiziösen solch große Worte in bie Welt hinaus zu schleudern pflegen. Troß allebem fehen wir noch keinen Grund ein, warum die Forderung einer unbegrenzten Präsensstärke gerade etwas Selbstver ständliches ift.

Bekanntlich wurde die Präsenzstärke des Reichsheeres bis zum Jahre 1874 vom Reichstage alljährlich festgestellt. In jenem Jabre aber erschien die Regierung mit dem Ber­langen, die Präsensßätte auf sieben Jahre festzustellen. Diefes sogenannte Septennat war für die fonftitutionellen Rechte der Vollvertretung von einschneidendster Bebeu tung; es nahm bem Reichstag auf sieben Jahre bas Recht, bie Stärke des Reichsheeres zu bestimmen, die Diskussion über diese wichtige Sache war auf sieben Jahre ausges schlossen. Außerdem erleichterte das Septennat bie Stel lung der Regierung bezüglich ber jährlichen Gelbforberungen für Militärausgaben ganz außerordentlich. Die Regierung Tonnte bann sagen: So und so viel Mann habt Jbr uns bewilligt, nun bewilligt uns auch die entsprechenden Mittel zu ihrer Verpflegung und Bewaffaung!"

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Die Forderung einer dauernden Feststellung der Prä fengitärte war schon 1867 im Norddeutschen Reichstage für das Heer des Norddeutschen Bundes gestellt worden. Da mals hatte biefes Anfinnen bei den Liberalen, die noch etwas beffer tonftitutionell waren als heute unb eben den Ronflikt mit der preußischen Regierung durchgekämpft hatten, einen wahren Sturm erregt. Herr von Forden­bed brudte biefen Sturm in Worten aus, in bem er das Anfinnen als die Vernichtung bes Bubgetrechts" bezeichnete.

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1874 tam bas Anfinnen wieber und Herr v. Forden bed, ber nun von Ministersesseln träumte, sprach nicht mehr von Vernichtung des Budgetrechts". Er half feinem Freunde v. Bennigsen bas Meisterstück seiner Rom promißfunft machen und das Septennat in dem fich noch fträubenden Reichstage durchfeßen. Jetzt ist Herr v. Forden bed wieder auf Seiten jener Opposition, die sich vergebens bemüht, die breite Bahn wieber zu verrammeln, bie Forden bed und Genossen der reaktionären Bewegung eröffnet haben.

Die Regierung ist also nicht damit zufrieden, daß der Reichstag nur alle fieben Jahre über die Friedenspräsenz

Ragbrud verboten.

Feuilleton. Ludmilla.

Rovelle von Polevvi. ( Aus dem Russischen übersetzt von Dr. Carl Pinn.) " Pauline", entgegnete ich, hat Ihnen demnach ein Geständniß gemacht?"

Hat Sie Ihnen eins gemacht?"

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Stärke des Reichsheeres zu berathen hat; diese Präfenzftärke| bings jene Prophezeiung erfüllen, daß der Parlamentaris foll ein für alle mal festgestellt werden. Diese Forderung mus durch den Parlamentarismus selbst ausgetrieben" ist die Konsequenz des Septennats und es wurde seiner Beit werben wird. vorhergefagt, daß fie tommen würde. Dadurch haben sich die Bennigfen, Fordenbed und Genossen natürlich nicht in ihrem Eifer für das Septennat beeinträchtigen lassen. Man ift ja fo gern gefällig, wenn man in der Ferne ein Mi­nißierportefeuille erblickt. Daß dies Portefeuille zu einer Fata Morgana wurde, war nur eine gerechte Strafe.

Wenn das Budgetrecht des Reichstages unter dem Sep tennat nur noch sehr wenig zu bedeuten hatte, dann noch weniger, wenn die dauernde Präsensstätte eingeführt ist. Ein Parlament ohne vollständiges Budgetrecht mag den Staatsmännern der herrschenden Richtung vielleicht als eine angenehme Verzierung am Reichsgebäude erscheinen. Wir und auch noch andere aber sehen mehr auf den Inhalt als auf die äußere Form. Und da fommen wir zu dem Schluffe, bag ein Parlament ohne Bubgetrecht, und zwar ohne völliges Budgetrecht feine eigentliche konstitutionelle Institution mehr ist. Es ist nur ein Schatten von einem wiflichen Parlament, etwa to wie jene gefeßgebenden Körperschaften, die sich der erste Napoleon eingerichtet hatte. Er hatte die gefeßgebende Ge walt in ihre Theile zerlegt; eine Körperschaft hatte zu bes antragen, eine andere zu berathen und eine britte zu be schließen. So waren alle ohne Bedeutung. Ganz läßt fich der Reichstag auch mit einem beschnittenen Budgetrecht ba mit nicht in eine Linie ftellen, denn der Reichstag bleibt immer noch eine einheitliche Körperschaft, aber wir wollen von diesem Beispiel nur zeigen, wie die Schmälerung der Rechte einer Boltsvertretung auch am Einzelnen für bas Ganze empfindlich ist.

Ob der Reichstag feine 3ustimmung zu einer solchen außerordentlichen Beschränkung seiner Rechte und feiner Be bentung geben wird? Das läßt sich heute noch nicht fagen und hängt von Herrn Windthorst und seiner schwarzen Gefolg schaft ab. Man erinnert sich in diesem Fall an bas geheimnißoolle Wort ber Norbbeutschen Alge­ber Norbbeutfchen Alge­meinen Beitung", die für die Seit des Ablaufs des Sep tennas ein Einfrieren ber Reichsmaschine" in Aussicht gestellt hat. Was mit diesem Einfrieren" gemeint war, ist bunkel geblieben; war aber barunter ein heftiger Konflikt des Parlaments mit der Regierung und die damit verbundenen Folgen verstanden, so geht daraus hervor, daß die Regierung fich damals auf eine heftige Oppofition gegen bie Berlängerung des Septennats überhaupt gefaßt gemacht hatte. Inzwischen aber hat die Versöhnung mit Rom statt­gefunden-1

Es wird also wohl nichts einfrieren"; die große Fraktion Drehscheibe" mit dem berühmten Maschinenmeister Windthorft wird schon dafür sorgen. So taun fich aller­

ben zu besuchen oder zu mir einzuladen. Was liegt mir augenbliditch an Titeln, die ich erwerben lönnte? 13 Was sollte ich in Moskau und was in Petersburg treiben? Ein sonderbares Ereigneiß ist mir begegnet. Ich habe einen guten Greis aufsuchen müssen, der meine Familie ge fannt hatte. Ich hatte ihm nichts von meinen veränderten Verhältnissen gefagt und er begann voll 3uneigung von meinem Vater und meiner Mutter zu sprechen. Während wir uns noch wie zwei alte Freunde unterhielten, trat ein wir uns noch wie zwei alte Freunde unterhielten, trat ein Mann ein, der durch sein Aussehn, seine Haltung seine Kleibung mir balb als ein Original erschien. Er näherte fich meinem Wirth in zutraulicher Weise, ergriff seine Hand und sagte zu ihm: Ich wünsche Ihnen zum zwanzigften Male Glüd. Werde ich Sie noch ein Mal beglüdwünschen? Gott weiß es!" Bei diesen Worten rollten Thränen über seine Wangen. Welche Thorheit!" fügte er hinzu, indem er feine Augenlider trocknete. Auf Wiedersehen heute Abend. Ich werde mit den Meinigen kommen."

" I fte mit diesem Heirathsprojekt einverstanden?" Haben Sie ein Recht, darnach zu fragen?" " Hören Sie Prascova Iwanowna, ich liebe Pauline, ich bin mit ihr auferzogen worden; tönnte ich sie denn nicht Heirathen 8"

Pratcova Iwanowna beobachtete mich mit erstaunter Miene, verhielt fi einige Minuten still, bann sagte sie Wir hoffen, daß Sie Moskau recht bald verlassen

zu mir:

werden."

Rein", antwortete ich, auf Befehl meines Vorge fetten befinde ich mich in dieser Stadt und werde hier noch einen Monat bleiben."

In diesem Falle werden wir Sie bitten, uns mit ber Ehre Ihrer Gesellschaft verschonen zu wollen." Ich verbeugte mich und ging hinaus, ohne ein Wort gu entgegnen.

III.

Mein Herz hätte eigentlich zerrissen sein müffen, aber die Berachtung und der Unwille überirumpfien meine Liebe, beherrschten meinen Schmerz. Ich sah Pauline nicht wie ber, unb fie selbst machte auch feinen Verfuch, um mich wieber zu feßen. Leiber liebte sie mich ja nicht! Ich batte mich also über bie Natur ibrer Gefühle getäuscht. Die Liebe, welche ich bei ihr voraussetzte, war rur ein vorüber­gehender Einbrud, ein Kindheitstraum.

3 bin nicht trofilos, aber das Leben erschreckt mich. Welche Leere in meiner Seele? Welche Leere um mich herum! Ich begebe mich auf mein Befigihum, ohne jeman.

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" Ich rechne darauf, antwortete der Greis. Geburtstag ohne Rudolph wäre für den alten Emuisliesti gar kein Geburtstag. Doch wohin gehst Du so schnell? Bleibe doch."

Nein, ich kann nicht heute Abend," und er ging hinaus. Der Anblid meines alten Freundes hat Sie in Er. ftaunen versett?" sagte Emuiliesti zu mir.

Nein, gleichwohl bin ich neugierig zu wissen-" Diefer Rudolph, der beste Mensch von der Welt, ist nur dem Namen nach ein Deutscher. Er ist in Rußland geboren und auferzogen. Sein Vater, ber Arzt war, be Rimmte ihn für denselben Stand. Jedoch nachdem Rudolph mit Erfolg feine medizinischen Studien betrieben hatte, ver sichtete er auf diese Laufbahn und trat in den 3inilbient ein. Dann verließ er den Dienst und wohnt jest seit 20 Jahren in Mostau, wo er eine Handschuhfabrit errichtet hat. Er geht in seinem Befcäfte auf und wäre vollkommen glüdlich ohne die Laft, welche ihm eine zahlreiche Familie ausbürbet, ohne bas jugendliche Urgefüm, welches die Jahre in ihm nicht haben unterbrüden tönnen. Bet feinem gut. müthigen Charakter läßt er sich ungeftraft betrügen und be­

Eines der kuriosesten Verbote,

bie jemals gegen einen Berein ergangen find, rührt von dem Stadtrath zu Geyer in Sachsen ber. Daffelbe lautet:

,, Der am 1. August 1886 zu Geyer zur Förderung volls thümlicher Wahlen zusammengetretene Berein wird hiermit verboten. Gründe:

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Dieses Verbot, melches auf§ 1 des burch Reichs geset vom 20. April 1886 bis 30. September 1888 verlängerten Reichsgesetzes gegen die gemeingefährlichen Benrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Dltober 1878 fitch ftüst, findet in Folgendem seine Begründung: Gryer ift mindestens seit 1874, wenn n cht schon früher, für sozialdemokratische Bes ftrebungen der verschiedensten Art zugänglich gewesen und jwar in Folge verschiedener allgemeiner Uns glüdsfälle und allgemeiner Mistände, U: ber bandnahme der theils selbst verschuldeten, theils unverschuldeten Armuth, städtischer Miswirthschaft( ei, ei!), gesunkener Gilt. lichkeit, Burückgeben des Boiamenten gewerbes, Herunterlommen mancher Gewerbetreibenden und des Hinges Manber bet großer Vergnügungssucht, anstatt einträgliche und andauernde, wenn auch mübevolle Arbeit aufzusuchen, möglichst müheloser Beschäftigung ftb hinzugeben. Bergl. das Faszitel unter 20 III 74, die Abtheilung von Volls oersammlungen in Gryer betreffend, Bl. 1 Folgendes. Damals und bis in die neuere Bett berein hat man die Gründung von Vereinen versucht, welche offen oder nach Intrafttreten des oben angezogenen Gesezes vom 21. Dttober 1878- boch wenigftens die us breitung der Sozialdemokratie in Gayer bezweďte, 1. B. die Gründung eines Bosamentierfachvereins, Bl. 32. Man ver folgte babei die boppelte Abficht, einmal die für die Lebren Der Sozialdemokratie gewonnenen Berfonen dieser zu erhalten, bas andere Mal, die noch Schwankenden und Un bestimmten, Don Mismuth gegen bestehende Verhält niffe, namentlid gegen bie bamalige städtische Berwaltung Erfüllten zu sich herüber zu sichen und aus Geyer ein Bollwert bes Sozialismus machen. Unter Anlehnung an verschiedene, den städtischen Kollegien in ihrer damaligen Busammenfegung angehörende Berfonen brachte man denn auch die Bildung des sozialdemo fratischen Arbeitervereins, Bürgervereins und dergl. zu Stande. Die Sozialistenführer Liebknecht , Bebel und Andere, darunter ber später von der eigenen Battet als unsurednungs fäbig fallen gelaffene Buchbindergeselle und Anarchist Mo, waren die geistigen Urheber der ganzen Bewegung und fanden an verschiedenen bieftgen Einwohnern Scout und Unterfügung. bis im Jabre 1879 der Berein mit sosialdemokratischen Tendenzen aufgelöst wurde. Inzwischen hatten fich Einzelne zu Leitern der bieftgen sosialdemokratischen Bewegung herausgebildet, die im Stillen das Wet fortfesten

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stehlen; häuslicher Gram hat ihm seit Jahren die Stirn gefurcht.

Der Greis wollte mir die ganze Geschichte feines Freundes erzählen, da unterbrach ich the, um ihn zu fragen, was biefer zwanzigste Glüdwunsch, ben Rudolph an ihn ge richtet hätte, bebeute.

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Es find ist volle zwanzig Jahre," antwortete er mir, feitbem er mich mit ziemlicher Genauigkeit an jedem Ge burtstage besucht und den Abend bei mir zubringt. Hoffent lich gehören Sie heute Abend ebenfalls zu unseren Gästen.

Ich fürchte, Ihnen läßig an fallen." " Juwiefern denn? Sie und die jungen Leute Ihres Alters werben tanzen und wir alten Leute werden ansehen und uns von unsern Angelegenheiten unterhalten."

Die Aufnahme von Seiten des Greifes hatte mich für ihn gewonnen. Diese gutmüthige, rechtschaffene, von allen Ronveniensformen freie Natur bilbete für mich einen völlig neuen Anziehungspunkt. Ich glaubte, eine jener naiven Lafontaine'schen Roman figuren zu sehen.

Abends lehrte ich in dieses Haus zurück und betrat es in einer günftigen Stimmung, vielleicht weil ich ber eleganten Boudoirs und prähtigen Salons bereits überbrüffig war. Alles in dieser Wohnung trug einen fireng bürgerlichen Charakter; man sah dort zur Physiognomien und Toiletten, die einem Weltmanne auffallen mußten, und lachte herzlich über grobförnige Späße, die mir unver ständlich blieben. Gleichwohl schien mir nichts von dem, was fich jetzt meinen Bl den barbot, lächerlich: meber ber Anblid zweier in einem Winkel des Vorzimmers befindlicher Geigen, noch ber des Hausherrn, wie er feine Gäfte ber Reihe nach herzlich umarmte, noch b'e jungen Leute in ihren mit gewaltigen Rnöpfen gefchmüdten und geblümten Sammetmeften, noch die jungen Mädchen mit ihrem schwer fälligen Gange unb rostgen Wangen, noch die Mütter, bie vor ihren Töchtern in Reih und Glieb einherzogen, noch bie Greife, die abwechselnd hier durch ein Glas Punsch, bort durch eine Partie Boston fich angezogen füblten. Da alle Eingelabenen fich gegenseitig fannten, fo fonnte es nicht ausbleiben, daß die Anwesenheit eines Fremben in ihrer