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Nr. 262.

Dienstag, den 9. November 1886.

3. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mark, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Bostabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit der illustrirten Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

In Sachen des Gesindes ".

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Insertionsgebühr

beträgt für die 4 gespaltete Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pf. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaur, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

Herren Kardorff und Genossen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Konservativen können überfließen von Wir können das Wort Gesinde" nicht leiden, denn es demagogischen und arbeiterfreundlichen Redensarten, wenn stammt offenbar aus einer Zeit, da man von der dienenden es sich um die industriellen städtischen Arbeiter handelt. Klasse noch einen sehr niedrigen Begriff hatte, wie der Wort­Das wird anders, wenn vom ländlichen Proletariat die Rede laut andeutet. Man sah die Dienenden nicht für vollgiltige ist, und zwar nicht nur in Worten, sondern auch in Thaten. Menschen an. Es giebt auch heute noch Leute, die solche Die Konservativen und Ultramontanen haben den Anschauungen haben und man findet sie besonders zahlreich städtischen Arbeitern die obligatorische Unfallver­bei den konservativen Parteien. Die Herren Ritterguts- ficherung nicht Die Herren Ritterguts- ficherung nicht laut genug anpreisen können; für laut genug anpreisen können; für befizer rühmen zwar häufig das schöne patriarchalische Ver- die ländlichen Arbeiter haben sie die Versicherung vorläufig hältniß", in dem sich der Gutsherr der guten alten Zeit zu nur fakultativ angelegt. Das ist deutlich genug. feinen Dienstboten befunden haben soll; sie haben aber keine Luft, heute selbst in ein solches Verhältniß zu treten. Nun tommt aber die freikonservative Partei, die Herren Kardorff und Genossen und kündigen einen Antrag an, der bewirken soll, daß der böswillige Kontrakt bruch" beim Gesinde bestraft wird.

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Selbst wenn nachgewiesen würde, daß vom Gesinde vielfach der Kontraft böswillig gebrochen würde, so müßten wir uns doch gegen den Antrag er= flären. Wir beharren dabei auf dem Standpunkt, den wir in der Dienstbotenfrage immer eingenommen haben; wir wünschen die Dienstboten den industriellen und gewerb lichen Arbeitern gleich und unter die Gewerbeordnung gestellt. Die verschiedenen Gesindeordnungen, die in Deutsch land noch bestehen, beruhen fast alle auf ganz veralteten Anschauungen und viele davon widersprechen sehr stark den modernen Begriffen von Menschenwürde durch die Vorrechte, die sie dem Dienstherrn einräumen. Diese Gefindeordnungen find sämmtlich abzuschaffen, nicht aber zu verschärfen, wie bie Freikonservativen es wollen.

Die Freikonservativen werden bei der Berathung ihres Antrags jedenfalls den Nachweis geliefert bekommen, daß

und Arbeiter in behaglichen Verhältnissen befinden und das dürfte ihnen schwer fallen.

Man wird sich noch an das Kontrattbruchsgesetz er­innern, das in Form einer Novelle zur Gewerbeordnung vor etwa 10 Jahren im Reichstag eingebracht und abge­lehnt wurde. Die Gründe, die seine Ablehnung herbei­führten, bestehen heute noch und werden den Herren Kar­dorff und Genossen im Wege stehen. Allerdings ist die reaktionäre Strömung heute stärker als damals.

Wir wollen indessen hoffen, daß man in der Dienstbotenfrage vorwärts reformirt und nicht rück­wärts, wie es die Herren Kardorff und Genossen wollen.

die schlechten Arbeits- und Lohnverhältnisse es find, die dem Bur Handhabung des Sozialistengeleges.

Arbeiter manchmal unerträglich werden und ihn zum Ron­traktbruch treiben. trattbruch treiben. Das liegt sehr nahe und man muß sich wundern, daß so viele Leute es nicht begreifen wollen. So flagt z. B. der Fabrikinspektor für 3wickau über Mangel an Dienstboten und beschwert sich, die jungen Mädchen ver­zichteten auf hohe Löhne, gute Verpflegung und theure Geschenke", die ihnen als Dienstboten in Aussicht ständen und gingen lieber in die Fabrik. Das erscheint dem Herrn Fabrifinspektor unbegreiflich. Da liegt aber doch die Ver­muthung sehr nahe, daß den Dienstboten jene Vortheile in Wirklichkeit nicht geboten werden, denn warum sollten sie sonst dieselben ausschlagen? Sie werden aber in den Fabriken mehr verdienen, trotzdem gerade in der sächsischen Industrie die Lohnverhältnisse der Arbeiterinnen besonders traurige sind. So wird es auch anderwärts sein. Giebt es nicht Herrschaften" genug, die einem Dienstmäd­

chen zumuthen, für jährlich 60-70 Mark, für die Kost und Wenn die Herren Kardorff und Genossen ihren Antrag ein Geschenk zu dienen? Und die Verpflegung ist oft sehr motiviren, so werden sie auch Aufschlüsse über die Verhält- mangelhaft. Man bedente nur, was für Räumlichkeiten oft niffe der Dienstboten, Tagelöhner u. s. w. vom Lande geben müssen. Sie werden da freilich versuchen, Schönfärberei zu in ganz guten Häusern den Dienstboten als Schlafstätten werden. Von der Behandlung und Arbeitslast treiben. Allein man wird ihnen von anderer Seite jeden gar nicht zu reden.

In vielen Gegenden zieht man auf dem Lande fremde ländliche Proletariat sich in keineswegs beneidenswerther Lage Arbeiter heran; Polen , Russen, Schweden , Italiener und befindet. Es ist schon bezeichnend genug, daß für den Ungarn famen immer in Masse zu uns herein. Sie ar Proletarier vom Lande seine dreijährige Militärzeit die beiten alle billiger als die Deutschen und da werden diesen schönste Episode seines Lebens bildet. Wer sich in nur einiger- die Löhne dermaßen gedrückt, daß sie nicht mehr bestehen maßen behaglichen bürgerlichen Verhältnissen befindet, für können, und in den städtischen Industriebezirken oder sonst

Wenn sie dabei Kontrakte allein man kann es verstehen, wenn ein Mann, dessen Familie dar­ben muß, eine sich Gelegenheit sich darbietende zu Das ist noch nicht ohne Weiteres Böswilligkeit". Die Herren Kardorff und Ge­nossen werden, um diese Böswilligkeit" zu begründen, erst

Gemeiner gewiß kein Vergnügen. Tausende und aber Tau- brechen, so ist das nicht recht, fende von ländlichen Tagelöhnern haben, wenn sie zur Ka­ferne kommen, bessere Kleidung, bessere Nahrung und ein besseres Bett als draußen auf dem Lande; ihre Arbeit ist draußen besserem Verdienst benutzt. härter als der Militärdienst und auch der gröbste Unter­offizier ist nicht so grob, wie mancher Aufseher oder Guts­

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bauer. Das ist, dächten wir, schon hinreichend, um den nachweisen müssen, daß sich die ländlichen Dienstboten

[ Rachbruck verboten.]

Feuilleton.

Im Hause des Verderbens.

Kriminalroman.

Von Reinhold Ortmann.

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verbundenen Schwierigkeiten vor der Hand in einem der Inächsten Dörfer zu bleiben und erst nach einigen Tagen [ 21 nachzufolgen beschlossen.

Auf

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schwer werden, das glückliche Ende ist ja nicht mehr fern, und wer weiß, ob wir nicht schneller wieder zusammen­

Die Reichskommission, welche über Beschwerden gegen die auf Grund des Sozialistengefeßes erfolgten Entscheidungen der Landespolizeibehörden endgiltig zu entscheiden hat, hat bekannt­lich die Verbote des Offenbacher Lokalanzeiger" und Abendblatt ", sowie eines in Braunschweig er schienenen Flugblattes aufgehoben.

Die Verfügung betreffs der Offenbacher Blätter ist äußerst interessant und lautet wörtlich: Reichskommission. Berlin , den 29. Oktober 1886. Auf die Beschwerden des Ver­Anzeige- und Lofalausgabe des Offenbacher Sonntagsblatt" legers der periodischen Druckschrift: Offenbacher Lokalanzeiger". gegen den die Nummer 1 und das fernere Erscheinen der ge dachten Druckschrift verbietenden Beschluß des großherzoglich hessischen Kreisamtes zu Offenbach vom 3. August d. J. hat die Reichskommission in ihrer heutigen Sigung dahin entschieden: die Beschwerden für begründet zu erachten und demgemäß

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das angefochtene Verbot wieder aufzuheben. Das auf Grund des§ 11 des Gesezes vom 21. Oftober 1878 erlassene Verbot des großherzoglich hessischen Kreisamtes zu Offenbach ſtüßt fich lediglich auf die Annahme, daß der Offenbacher Lotalanzeiger nach Form und Inhalt als eine Fortseßung des auf Grund desselben Gefeßes Paragraphen ver botenen Offenbacher Tageblatt" zu betrachten sei. Diese Motivirung reicht jedoch zur Rechtfertigung des Verbots nicht aus. Die im§ 6 Abs. 3 des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 enthaltene Bestimmung, daß das Verbot eines unter den Gesichtspunkt des§ 1 dieses Gesezes fallenden Vereins auch jeden vorgeblich neuen Verein umfaffe, welcher sachlich als der alte sich darstellt, ist auf die im§ 11 loc. cit. charakterisirten Beitschriften nicht anwend= bar. Jede neue Zeitschrift ist auch als eine und selbstständige Erscheinung der Presse zu behandeln. Das Verbot einer solchen ihrer äußeren Form nach neuen Zeit­schrift kann deshalb nicht lediglich darauf ge= stüßt werden, daß sie sich fachlich als eine bloße Fortseßung einer bereits verbotenen Beitschrift darstelle. Der Offenbacher Lofalanzeiger" unterscheidet sich nun nach Form und Inhalt wesentlich von

neue

wußten sie doch Beide, daß diese stumme Umarmung ein Gelöbniß war, treu zu einander zu stehen und in allem Leid geduldig auszuharren bis an ein glücklicheres sonniges

In der Stadt hatte Holmfeld bald eine kleine Wohnung nach seinen Wünschen gefunden, und da er nicht gesonnen war, die Sorge um seine und Elsbeth's 3ukunft auch nur um eine einzige Stunde zu verschieben, so verging ihm der Abend und der folgende Vormittag sehr rasch unter der Abfassung von Briefen und Anzeigen, die er nach verschie= denen Richtungen zu versenden gedachte. Als er Mittags um 2 Uhr aus einem nahe gelegenen Speisehaus, in wel­chem er seine Mahlzeit zu sich genommen, in sein Stübchen zurückkehrte, sah er ein kleines viereckiges Billet auf dem Tische liegen, das weder eine Briefmarke noch einen Post­stempel trug und demnach in seiner Abwesenheit durch einen Boten gebracht sein mußte. Er nahm es in die Hand und erkannte sogleich Elsbeth's schlanke Schriftzüge, eine Ent­

Ende. Weine nicht, mein geliebtes Mädchen," sagte Holm­feld, als er die leise schluchzende Elsbeth endlich zum Ab­schied in seine Arme schloß. Nach alledem, was uns die legten Tage gebracht haben, fällt es mir wie ein Stein vom Herzen bei dem Gedanken, daß wir diesen unheimlichen, Als Holmfeld den seltsamen Auftrag des Inspektor unseligen Ort, dieses Haus des Verderbens verlassen! Windolf empfangen, hatte er zunächst in einer Aufwallung Mag uns auch die nächste Zukunft durch die Trennung heftigen Bornes den Gutsherrn zu sprechen verlangt. die Nachricht, daß der Baron im Park sei, war er in seine Wohnung zurückgekehrt und hatte sich ohne Besinnen daran geführt werden, als Du es ahnst!" gemacht, seine Sachen zu packen. In faum einer Stunde war er damit zu Ende; aber er ging noch nicht, denn es war sein fester Entschluß, Brandenstein nicht eher zu ver lassen, bis er dem Gutsherrn noch einmal Auge in Auge gegenüber geftanden habe. Abermals wurde ihm gesagt, Curt befände sich nicht im stand. dort einen vorläufigen Abschied zu nehmen. Er glaubte Deiner Ruhe willen verspreche ich Dir das! Vorbereitungen zu raschem Aufbruch bemerkte, die er selbst ich ihm nichts schuldig bleiben, nicht das Geringste! noch soeben getroffen. Mit Erstaunen und mit heißauf- ist gewiß!" flammender Entrüstung vernahm er aus dem Munde Elsbeth's,

von den Ereignissen des Nachmittags.

,, Und Du versprichst mir noch einmal, dem Baron aus dem Wege zu gehen und ihn weder mit Worten noch mit Thaten zur Rede zu stellen?"

Die Stirn des jungen Mannes furchte sich, und er

warf einen Blick auf Nikolaus, der finster neben ihnen beckung, die ein Roth freudiger Ueberraschung auf seine

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" Ich will ihm aus dem Wege gehen, Elsbeth!- Um Aber wenn er mir noch einmal felbst entgegen treten sollte, so werde Das Elsbeth feufzte; aber sie wußte wohl, daß auf eine

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Wangen rief.

Erstauut aber hafteten seine Blicke, als er den Um­schlag gelöst hatte, auf den wenigen 3eilen, welche das Briefchen enthielt. Die Handschrift sowohl wie der unter­zeichnete Name ließen ihm keinen 3weifel, daß wirklich seine Braut die Urheberin der kurzen Mittheilung war, aber

weitere Nachgiebigkeit Georg's nicht zu hoffen war. Sie der Inhalt dieser letzteren klang ihm befremdlich genug. Er

schmiegte sich dann noch einmal fest an seine Brust und schaute ihm, als er davonschritt, so lange nach, bis auch der letzte Streifen seines Hutes hinter dem Gebüsch ver­

welchen es über den Geliebten besaß, aufbieten, um ihn von Das junge Mädchen mußte den ganzen Einfluß, dem sofortigen Aufsuchen und der Büchtigung des Barons schwunden war.

zurückzuhalten.

Ihren Bitten und Vorstellungen gelang es endlich, ihm das Versprechen abzunöthigen, daß er keinen Versuch machen ruhig in ihrer Arbeit fortzufahren, die heißen Thränen über

wolle, an dem Gutsherrn jest Rache zu üben, und daß er ohne Weiteres und ohne ihn noch einmal gesprochen zu haben, die Stätte seiner bisherigen Thätigkeit verlassen werde. In der gemeinschaftlichen Berathung wurde beschlossen, daß

,, Du wirst ihn ja wiedersehen", tröstete Nikolaus, als er sah, wie ihr trotz des Bemühens, gefaßt zu erscheinen und die Wangen liefen. Ihr habt ja die Hoffnung auf die Bukunft, und mit der läßt sich auch die härteste Gegenwart ertragen.

Der wehmüthige Ton seiner letzten Worte und das

Holmfeld vorläufig in dem nahe gelegenen Städtchen seinen rasche Abwenden seines Gefichts erinnerten Elsbeth an ihre Aufenthalt nehmen solle, während Nikolaus und seine schwesterlichen Pflichten. Sie schlang ihren Arm um seinen Schwester wegen der mit der Wegschaffung des Hausraths Hals, und obwohl Keiner von ihnen ein Wort weiter sprach,

Lautete:

,, Es ist dringend nothwendig, daß ich Dich noch am heutigen Abend spreche, mein Geliebter! Es ist etwas vorgefallen, von dem ich Dich in Kenntniß seßen muß, aber weder mein Bruder, noch sonst Jemand in der Welt darf etwas von unserer heutigen Zusammenkunft erfahren. Ich erwarte Dich wenige Minuten vor neun Uhr hinter der dichten Buchengruppe am Ufer des Teiches im Bran­densteiner Park. Du darfst weder früher noch später tommen und mußt Dich um meinetwillen hüten, von Jemanden auf dem Gute gesehen zu werden. Diesen Brief mußt Du unbedingt auf der Stelle ver­

brennen.

Es füßt Dich tausendmal Deine Elsbeth."