Mr. 263.

10.19

Mittwoch, den 10. November 1886.

3. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

dim bubdiud

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Bf. Sonntags- Nummer mit der illustrirten Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

Zur Handhabung des Sozialistengesetzes

wird uns weiter noch geschrieben:

Früher war es eine Seltenheit, jetzt kommt es ab und zu vor, daß die Reichstom mission irgend eine Be­schwerde in Bezug auf die Handhabung des Sozialisten gefeges für begründet erachtet und das betreffende Verbot aufhebt.

-

Insertionsgebühr

beträgt für die 4 gespaltete Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pf. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., 3immerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

polizeibehörde löft denselben auf Grund des Sozialistenge­setzes auf, so hat eine Beschwerde schon deshalb keinen 3wed, weil bei dem oft sehr langsamen Verfahren die be­wenn die wären, treffenden Wahlen längst vorüber Aufhebung des Verbots seitens der Reichskommission er­folgte.

Einige Preßstimmen wollen darin eine Wandlung zur Milde erkennen, welche in den oberen, maßgebenden Kreisen eingetreten sei; andere meinen, daß man dort dem Sprüch- schriften, die Zeitungen, übrig. wort Rechnung trage: ,, Allzu scharf macht schartig."

Wir aber glauben, daß beides nicht zutrifft, daß die Sache vielmehr folgendermaßen liegt: Solange die Unter­behörden bei ihren Verboten an den Wortlaut des Gesetzes halten, so lange die äußere Form bei den Verboten gewahrt wird, solange werden sie immer die Zustimmung der Reichskommission finden. Entweder ist dieselbe bei Verboten von Zeitungen und 3eitschriften, wenn eine Be­schwerde vorlag, gar nicht in die Materie selbst eingedrungen förmlich schablonenhaft fand meist die Bestätigung der Verbote statt oder wo die Reichskommission, wenn die Beschwerde triftig begründet war, mit der Materie selbst sich beschäftigen mußte, so fand die Kommission, wenn sie auch die Gründe der ersten Instanz verwarf, immer noch neue Anhaltspunkte in der betreffenden Druckschrift, welche das Verbot rechtfertigten.

Dies ist häufig vorgekommen.

Ganz lakonisch hieß es: Wenn auch die von Ihnen angezogenen, in der Buschrift der Landesbehörde angegebenen Artikel das Verbot an sich nicht rechtfertigen, so befindet sich doch in Nr. X der verbotenen Zeitschrift ein Artikel, der im 3usammenhange mit den von der Landesbehörde angeführten, die in§ 11 des Gesetzes vom 21. Oftober 1878 der Beschwerdeführer abzuweisen. angedeuteten Bestrebungen zu Tage treten läßt. Deshalb ist

Im Reichstag haben wiederholt die Vertreter der So­zialdemokratie erklärt, daß sie nach den gemachten Erfah­rungen keine Beschwerde an die Reichskommission mehr richten würden. Und nicht allein deshalb, weil sie keine Hoffnung hätten, daß die Reichskommission einmal gegen ein Verbot der Landesbehörde entscheiden würde, sondern hauptsächlich auch deshalb, weil, im Falle die Kommission eine Beschwerde für begründet erachte, materiell dadurch dem Beschwerdeführer nicht geholfen werde.

Wirkung.

Die Beschwerde hat nämlich keine aufschiebende nämlich keine aufschiebende Wird ein Verein zu einem bestimmten 3wede, z. B. ein Wahlverein gegründet und die Landes­

[ Nachbruck verboten.]

Feuilleton.

Im Hause des Verderbens.

Kriminalroman.

Von Reinhold Ortmann.

XVI.

[ 22

Noch gewissenhafter, als es Doktor Ramfeld zu er warten gewagt hatte, hielt Curt sein gestern gegebenes Ver­

fern

Eine

Bei einer nichtperiodischen Drudschrift wirkt ein Verbot kaum mehr ungünstig, da vor dem Ver­bot, wie man im Allgemeinen annimmt, der Vertrieb der­selben schon im Großen und Ganzen vollzogen ist. Beschwerde findet aus diesem Grunde selten statt, So blieben nur noch die periodischen Drud Man sollte meinen, daß ein aufgehobenes Verbot jedem Verleger hoch willkom men sein müßte und er sofort die verbotene 3eitung wieder erscheinen lassen würde. In einzelnen Fällen mag das zu­treffen, in sehr vielen nicht. Die Beschwerde hat auch hier, wie wir oben schon bemerkten, keine aufschiebende Wirkung. Die an Lektüre gewöhnten Leser eines verbotenen Blattes, dessen Verbot, auch wenn die Reichskommission es aufhebt, in der Regel zwei bis vier Monate lang dauert, schaffen sich in der Zwischenzeit eine neue Beitung Verleger der verbotenen Bei­an, so daß es dem Verleger tung, wenn er dieselbe nach Aufhebung des Verbots wieder erscheinen läßt, wohl niemals gelingt, den alten Abonnentenstand wieder zu erlangen.

Kommen wir nun auf den gestern bereits berührten Offenbacher Fall zurück! Es wurden, wie unsere Leser wissen, in Offenbuch hintereinander drei Blätter( Offen­bacher Tageblatt"," Lokalanzeiger", Abendblatt ") die bei demselben Verleger erschienen, verboten. Das Verbot der beiden letzten Blätter wurde durch die Reichskommission auf­gehoben. Der Verleger läßt nun erklären, daß er befonders durch das Verbot des Lokalanzeiger" so empfindlich ge­troffen sei, daß er seine Druckerei habe auf­geben müssen. Was nüßt demselben da die Freigabe des Blattes? Er will versuchen, auf dem Wege der Zivil­flage gegen den Amtmann Fuhr, der das Verbot erlassen hat, Entschädigung zu erhalten, weil derselbe bei seinem

Verbot den§ 6, Absatz 3 des Sozialistengesetzes, der nur

von Vereinen handelt, fälschlicherweise angezogen habe. Ob dieses Vorgehen dem Verleger Entschädigung bringen wird,

das ist wohl sehr zweifelhaft.

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Jeder unbefangene Leser wird aus der gestern mitge­theilten Verfügung ersehen haben, wie unbedacht, um einen sehr gelinden Ausdruck zu gebrauchen, die hessische Landes­polizeibehörde bei dem Verbot des Lokalanzeiger" Die betreffenden Paragraphen des gehandelt hatte. im Blatte Gesetzes wurden total falsch angewendet, noch von Demokratie, ſelbſt war weder von

Curt schüttelte den Kopf, ohne daß sich seine düstere Miene erhellt hatte.

Werde ich sie noch heute sprechen oder nicht? Alles, was ich von Dir wissen möchte."

Das ist

Gewiß sollst Du das! Aber Du begreifft, daß ich sie nicht hierher bescheiden konnte, ohne Aufsehen zu er regen."

Nun, so werde ich zu ihr gehen; wo wohnt dieselbe?" Ah! Es würde noch viel auffälliger sein, wenn Du dieser Frau ohne jede greifbare Ursache einen Besuch machtest! Nein, Ihr müßt an einem dritten Orte zusammenkommen, wo Thr vor jeder Ueberraschung sicher seid und ungestört

11

Wird sie sich dazu herbeilassen?"

von seinem Herrn, der sich unwohl fühlte, jede Störung zu halten und für Niemanden war der Gutsherr an diesem Tage sichtbar geworden. Uebrigens würde es wohl reden könnt." Reinen gegeben haben, der beim Anblick des Barons nicht an die Wahrheit seines Unwohlfeins geglaubt hätte. Eine" Ist schon Alles in Ordnung gebracht! Ich habe durch einen zuverlässigen Vermittler, der natürlich keine Ahnung so leichenhaft fahle Farbe, so weiße Lippen und so ein­hatte, um was es sich eigentlich handelte, bei ihr anfragen müſteſten ſeiner Gelage nicht gehabt und seinen zitternden lassen, und sie wird Dich heute Abend um acht Uhr bei den

Fingern wurde es sichtlich schwer, die Feder, welche er in

Buchenbäumen am Teiche erwarten, dort, wo Ihr Euch

der Hand hielt, in einigermaßen sicheren Schriftzügen zu gestern getroffen habt."

führen.

,, Und wer ist diese Frau?"

Eine Aben­Es herrscht einiges Dunkel darüber. teurerin, wie ich vermuthe. Nun, Du wirst ja selbst

Das aber versuchte er an dem heutigen Vormittag mit besonderer Beharrlichkeit und das Schriftstück, welches er schnell unter seinen übrigen Papieren verbarg, als Ramfeld sehen." um die Mittagsstunde an seine Thür klopfte, hatte bereits einen ganz ansehnlichen Umfang erreicht. Langfam öffnete drücklich.

Ja, ich werde sehen," sagte Curt langsam und nach­Und ich werde es auch durchschauen, wenn ich irgend einer werden foll!

ihm der Doktor zum Gruße entgegenstreckte, schien er nicht Ich werde es durchschauen, verlaß Dich darauf!"

zu sehen.

Ramfeld zuckte die Achseln.

Thue

Sein Freund befand sich indessen augenscheinlich in viel ,, Was hätte ich davon für einen Vortheil? zu guter Laune, als daß er das hätte bemerken sollen. Er Du was meine Maß­warf einen raschen prüfenden Blick in dem 3immer umher regeln schon noch rechtzeitig zu treffen wissen!" Du wirst mich heute Abend nicht an den Ort der Zu­sammenkunft begleiten," sagte der Baron nach einer Pause.

und ließ sich dann mit großer Gemüthsruhe auf dem Sopha

nieder.

"

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er. Die Person, die Dich gestern so erschreckt hat, scheint ,, Run, die Sachen lassen sich ja ganz gut an!" sagte Ich verlange das von Dir!" War auch gar nicht meine Absicht! Ich habe am ziemlich harmloser Natur zu fein etwas geistesgestört Nachmittag in dem kleinen Nest hier, das sie, wenn ich nicht jedenfalls durchaus nicht ge- irre, sogar eine Stadt nennen, etwas zu thun, und ich werde schon in zwei Stunden dahin fahren!"

oder so etwas Aehnliches-

fährlich."

Sozialismus die Rede u. f. w. Ein solches Verbot konnte schon aus formellen Gründen gar nicht aufrecht erhalten werden, da es von einer totalen Gesetzesunkunde der hessischen Landespolizeibehörde Zeugniß ablegt.

Aber auch in dem gleichfalls verbotenen Offenbacher Abendblatt" vermag die Reichskommission eine Spur gemeingefährlicher Bestrebungen der Sozial­demokratie zu finden."

Wenn die Landespolizeibehörden natürlich so unvor­fichtig sind, das Sozialistengesetz im Uebereifer selbst formell völlig unrichtig anzuwenden, so ist die Reichskommission es schon sich selbst schuldig, solche Verstöße zu forrigiren, wenn sie nicht gleichfalls in den Verdacht der Gesezesunkunde ge langen will.

Aber geradezu falsch wäre es, wenn man nach solchen Vorfällen die Reichskommission in den Verdacht bringen wollte, fie faßte nunmehr das Sozialistengeset milder auf als früher.

Richtig ist vielmehr, daß die Landespolizeibehörden das Gesetz jetzt noch viel schärfer als früher handhaben und bei dieser Handhabung vielfach über die Stränge schlagen.

Von Berrn Beinrich Oberwinder,

dem früheren österreichischen Arbeiterführer, erhalten wir aus Paris das folgende Schreiben 31 dem Artikel in Nr. 250 unseres Blattes:

In Ihrer Kritik meiner Broschüre Sozialismus und Sozialpolitit" laffen Sie mich erzählen, der Gründer der ,, Neuen Freien Vreffe" habe mir 10 000 Gulden gegeben, um mit Hilfe derselben den ,, Volkswille" in ein tägliches Blatt umzuwandeln. Dies ist unrichtig. Der Wahrheit gemäß habe ich vielmehr berichtet, Etienne sei durch seinen Associé Werthner verhindert worden, dem Tagblattfonds eine größere Summe zuzuwenden und habe mir erst später, als die Parteidruckerei vor einer Katastrophe stand, auf mein Drängen ein Darlehen von ich 10 000 Gulden bewilligt. Nicht ein Aft meines Lebens schloß mich, achtzehn Jahre alt, Lassalle an und habe seitdem nicht aufgehört für die Arbeiterfache zu wirken, berechtigt zu der Annahme, ich hätte die Arbeiter dem Börsenliberalismus dienst­bar machen wollen. Andererseits habe ich aktenmäßig nachgewiefen, daß die Taktik, welche ich als Parteimann den Liberalen und Feudalflerikalen gegenüber befolgte, den Arbeitern Desterreichs noch von Liebknecht und dem Allgemeinen deutschen Arbeiter­ verein empfohlen wurde.

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Die Arbeiterdemonstration vom 13. Dezember 1869 hat der Partei nicht nur nicht geschadet, sondern genüßt. Bis zum Jahre 1873 war die Arbeiterbewegung in Desterreich im steten Wachsen begriffen. Die Behauptung einer Kronzeugin, ich hätte die Arbeiterbemonstration vom Paradiesgärtchen aus angesehen, habe ich widerlegt.

Nur in zwei Fällen habe ich Arbeiterdeputationen zum Minister begleitet, ich selbst wurde schon als Aus=

"

Du willst Dich in Sicherheit bringen?" ,, Bah! Was sollte mir das nüßen, wo mich bei Deiner Unklugheit noch heute Abend alle Telegraphendrähte, wie ein Spinngewebe umschlingen könnten! Wenn ich das wollte, so würde ich schon längst davon sein! Mach' Dir barum nur keine Sorge!"

Mir wär's übrigens ganz gleichgiltig! Du entgehst Deinem Schicksal doch nicht, das weiß ich ganz gewiß! ,, Danke für die freundschaftliche Prophezeiung Uebrigens hast Du doch keine Dummheiten gemacht und schon irgend etwas aufgeschrieben, was uns kompromittiren tönnte?"

Wenn Du Dich noch daran erinnerst, was ich Dir gestern sagte, so würdest Du mich nicht erst fragen. Wenn unser Geheimniß schon einmal verrathen werden soll, so geschieht es durch keinen anderen als durch mich!"

Ramfeld fragte nicht weiter; er blickte auf seine Uhr und stand auf.

Also um ein Viertel auf Neun bei dem Buchenwäldchen! Bis dahin wirst Du nichts unternehmen?"

,, Nichts!"

"

Gut! Das Weitere wird sich finden. Adieu!" Diesmal gab er sich nicht erst die Mühe, ihm die Hand entgegenzustrecken, sondern ging ohne ferneren Gruß, die Lippen spöttisch verziehend, als er hörte, wie hastig Curt hinter ihm das Zimmer wieder verschloß.

,, Er geht in die Falle," sagte er vor sich hin ,,, und es ist seine Schuld, wenn er nicht unversehrt wieder heraus­tommt."

Mit dem gleichmüthigsten Gesicht von der Welt pro­menirte Ramfeld dann durch die Wirthschaftsgebäude, hier und da einem Knecht oder einem Tagelöhner eine Weisung ertheilend oder einen Tadel aussprechend, wo irgend etwas nicht nach der Ordnung gethan war. Auf einem der Felder traf er den jetzt als Oberinspektor fungirenden Windolf, der sich ihm mit großer Demuth näherte. Er tauschte ziemlich leutselig einige auf die Wirthschaft bezügliche Be­merkungen mit ihm aus und fragte dann, schon halb zum Weggehen gewendet, gleichsam nebenbei: