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Nr. 268.

Dienstag, den 16. November 1886.

3. Jahrg.

Berliner Volksblatt

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit der illustrirten Beilage 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

Das deutsche Zivil- Gesetzbuch.

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Insertionsgebühr

beträgt für die 4 gespaltete Petitzeile oder deren Raum 40 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pf. Bei größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Simmerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

vier berühmten Juristen bestehende Kommission zu­fammen und diese arbeitete binnen vier Mo­naten den ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetz­

Von Zeit zu Zeit dringen Mittheilungen in die Deffent­lichkeit über die Vorarbeiten an einem bürgerlichen Gesetz- buchs aus. Dieser Entwurf hatte viele Abänderungen zu buch für das Deutsche Reich. Wie es heißt, sind die Herren Juristen, die über diese Arbeit sißen, nun bis zum legten Theil, zum Erbrecht, vorgedrungen. Das Erb­recht gilt aber gerade für den verwickeltsten Theil und man wird noch Jahre brauchen, bis man an die Einführung des bürgerlichen Gesetzbuches denken kann.

Nicht als ob wir eine besondere Sehnsucht nach der Einführung des neuen bürgerlichen Gesetzbuches hätten. 3war ist ein einheitliches bürgerliches Recht an sich immer besser, als ein zersplittertes, und das ist sicher, daß unsere Rechtszustände einer Menge von Neuerungen und Verbesserungen dringend bedürftig sind. Allein unsere Juristen sind ihrer großen Mehrzahl nach leine Neuerer im guten Sinne des Wortes und die meisten Mitglieder dieser großen Körperschaft leiden an jener erblichen Verknöcherung der Begriffe, die im Rechts­leben schon so viel Unheil angerichtet hat. Wir sind über­zeugt, daß das Gute, was die Partikulargeſeggebungen haben, vielfach wegfallen, dagegen mancher Uebelstand, den sie enthalten, sich auf die neue bürgerliche Gesetzgebung ver­erben wird.

erfahren und trat deshalb erst am 21. März 1804 in's Leben. Wenn aber die französischen Juristen so langsam gearbeitet hätten, wie heute die deutschen , so würden sie bis zur Schlacht von Waterloo wohl noch nicht mit einem Ent­wurfe fertig geworden sein. Sie fanden aber keinen Grund, sich ängstlich an das Alte anzuklammern, sondern sie schufen neue Grundlagen, auf denen sie ein neues Gebäude errichteten. Aus den Andeutungen aber, die wir ab und zu erhaschen, geht hervor, daß unsere Juristen ängstlich besorgt sind, das Eindringen eines neuen Geistes in die neue bürgerliche Rechts­ordnung zu verhüten. Sie werfen all den alten Kram, der bisher in gesonderten Schichten aufgehäuft war, zu einem großen Haufen zusammen, geben dem Ganzen einen neuen Namen und haben dann ihre Arbeit gemacht. Es ist, als hätten sie die Aufgabe, das bekannte Goethe'sche Wort zu illustriren:

Es erben fich Gesetz und Rechte Wie eine ewige Krankheit fort."

Wer die Wahrheit dieses Wortes bisher noch nicht be­griffen hat, der wird sie nun wohl begreifen.

Ueberhaupt will es uns bedünken, als ob die Herren Und doch wäre hier gerade die Gelegenheit gewesen, Juristen mit etwas gar zu großer Gründlichkeit arbeiteten. friedliche und heilsame Neuerungen einzuführen. Aber die Man spricht davon, daß die verwickelte Partikulargesez- Herren Juristen, welche es thun sollen, sind ja im Allge: gebung daran schuld sei. Wir haben immer geglaubt, die meinen dieselben, die ins Strafgesetzbuch die Todesstrafe Herren Juristen seien beisammen, um mit der Partikular- wieder eingefügt, aus der Strafprozeßordnung aber eine gefeggebung aufzuräumen; das scheint ihnen aber sehr sauer Entschädigung der unschuldig Verurtheilten ausgeschlossen zu werden. Die Herren sollen doch Neues schaffen und haben. Es war ja vor 1000 Jahren so; warum sollte es nicht an der alten Partikulargeſetzgebung fleben bleiben. heute anders sein? Darum dürfen wir uns auch nicht wun­dern, daß einer der besten und fruchtbringendsten juristischen Gedanken der Neuzeit, die immer mehr auszudehnende Ein­führung des Schiedsrichterthums in unser Rechts­

Code

Bergleichen wir mit diesem Schneckengang einmal den Napoléon, der bekanntlich die beste reformatorische

An

diesem Werke ist gewiß vieles zu tadeln und vieles heute leben, von den Juristen gar nicht oder nur fümmerlich an­

gegenüber den Zuständen des alten Regimes, und in den Ländern Deutschlands , wo der Cole Napoléon eingeführt Alles möglichst kostenmäßig eingerichtet haben.

liche Gerichte zu schaffen; die zünftigen Juristen aber wollen

Die fran­

war und ist, hat man ihn heute noch gern. zöfifchen Juristen hatten damals mit einem ganz anderen Schutt aufzuräumen, als heute die deutschen , und manches, was heute als selbstverständlich gilt, galt damals als ver­wegen, revolutionär. Dennoch arbeitetete man rasch. Na­ poleon befahl als Konsul gleich nach dem Staats­von 1799 bie Einführung eines neuen 3ivilgesetzbuchs. Am 18. Juni 1800 trat eine aus

Streich

( Radbrud verboten.]

Feuilleton.

Im Hause des Verderbens.

Rriminalroman.

Von Reinhold Ortmann.

Wir werden deshalb nicht gerade ungeduldig, wenn die Herren noch recht lange über dem bürgerlichen Gesetzbuch brüten. Wir kennen den alten Vers:

,, Das viele viele Sigen

Ist der Juristen Fluch,"

Die Rede kalnoky's

Der österreichisch- ungarische Minister des Aeußern, Graf Ralnoty, gab in der Sigung der ungarischen Delegation am Sonnabend folgende Ausführungen: Bei Behandlung der bulgarischen Frage müsse unterschieden werden zwischen bulgari­schen und europäischen Interessen. Die Intereffen Desterreich­Ungarns lägen in den Prinzipienfragen und in dem allgemei­nen Vertragsrechte. Wie die bulgarische Regierung in der inneren Politit vorgehe, sei gleichgiltig, so lange wesentliche Rechtsumfang des Berliner Vertrages unversehrt bleibe. Bul­Punkte nicht tangirt würden. Die Hauptsache sei, daß der garien sei als autonomes Fürstenthum und Vasallen­staat der Türkei kreirt worden, was die Verträge gewährleiste ten. Wenn auch keine Macht für die Durchführung eine Ga­rantie übernommen habe, so liege doch den Mächten und Dester­reich- Ungarn die schwere wichtige Pflicht ob, zu wachen, daß dieses Grundprinzip weder in Bulgarien noch sonstwo verlegt werde. Die schwierigste Auf­gabe der Regierung sei, ihre Attion nicht nach momentaner Er regung einzurichten. Die Mission Kaulbars sei nur eine Phrase, welche weit überschäßt werde. Thatsächlich sei durch deffen Auftreten nichts erreicht, was auf die definitive Gestal tung Bulgariens von entscheidendem Einflusse wäre. Ihm sei es wohl gelungen, auf Bulgarien die Einwirkung Rußlands in denkbar unangenehmster Art fühlbar zu machen, aber auch die europäische Mei­nung für das bulgarische Volk in nie gekannter Weise sympathisch zu stimmen. Es liege in den Interessen Desterreich- Ungarns , daß keine den Verträgen widerstrebende Schädigung Platz greife und daß die von Europa gewährleistete Selbstständigkeit unangetastet bleibe. Die Mission Kaulbars' sei eine bloß vorübergehende und werde keine tiefergehende Spuren zurücklaffen. Man müsse darauf gefaßt sein, daß große Schwierigkeiten zu bewältigen feien und daß eine lange schwierige Aufgabe in Aussicht stehe, deshalb erscheine es gerathen, den Gang der Ereignisse in Bulgarien mit steter Aufmerksamkeit, aber auch mit Geduld nnd Vorsicht zu verfolgen. Die allge= meinen Endziele der Politik Desterreich- Ungarns seien die be= fannten, vom Minister Tisza entwickelten, welcher flar und be­stimmt die Richtung bezeichnete; dieselben seien aber nicht auf die gegenwärtige Krifts allein berechnet, sondern beruhten auf den Prinzipien, auf denen die ganze Ordnung im Oriente aufs gebaut sei und würden daher lange Beit für die österreichisch­ungarische Politit im Drient maßgebend bleiben. So lange der Berliner Vertrag bestehe, seien die Interessen Desterreichs- Ungarns vollkommen gewahrt. Wenn Dester reich Ungarn in die Lage täme, für den Schut des Berliner Vertrages einzu treten, so sei ihm die Sympathie und Mit­europäische Verträge zu schüßen gewillt sind. Auf eine Anfrage über die weitere Entwickelung

und wir wissen, daß bei dem vielen Sizen oft sehr wenig wirtung aller fener Mächte gesichert, welche herauskommt.

,, Bis endlich jener Vorgang in Ihrem Zimmer er­folgte, welcher die plötzliche Entlassung Holmfeld's und [ 27 Ihres Bruders zur Folge hatte! Gut!- Erinnern Sie fich, daß der Inspektor Holmfeld bei seinem Weggehen brohende Aeußerungen gegen den Baron ausgestoßen habe?"

Der Baron von Brandenstein hat also Ihren Bruder mit seinem Stock ins Gesicht geschlagen und hatte sehr starke Ausbrüde gegen ihn gebraucht. Können Sie sich dessen er­

innern?"

" Ich glaube wohl, daß es so war!

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Aber ist es

benn wirklich unumgänglich nothwendig, mein Herr, daß ich Ihnen in diesem Augenblick antworten muß?"

Eine

Leider kann ich Sie nicht davon entbinden! Das Wine was Ihren Bruder angeht, die Auskunft zu verweigern. nur steht Ihnen frei, mir in Bezug auf das, Es ist das eine Vergünstigung, welche Ihnen von dem Gesetz gestattet wird. Wollen Sie davon Gebrauch machen?" tönnten ihm da meine Antworten schaden?" Aber, mein Gott, Nikolaus ist ja unschuldig! Was

,, Er wollte ihn zur Rede stehen; aber auf meine Bitte gab er mir das feste Versprechen, davon abzu­stehen." Und Sie hatten den Eindrud, daß es ihm Ernst da­mit sei, dies Versprechen zu halten?"

"

-

Gewiß! Er hält stets, was er zugesagt." Nun wohl! Und Sie schrieben ihm gestern einen Brief. Welchen Inhalt hatte derselbe?" Ich Einen Brief?

habe ihm nicht geschrieben!"

Das ist ein Irrthum. Ich

Bedenken Sie wohl, mein Fräulein, daß Ihre Ant­worten von höchster Bedeutung für das Schicksal der beiden Verdächtigen sein können, und geben Sie nicht etwa einer Regung des Schamgefühls nach, die jetzt wahrlich nicht am Plage wäre. Also noch einmal frage ich Sie: Haben Sie dem Inspektor Holmfeld geschrieben, und was haben Sie

Möglichkeiten einzugehen; aber ich will Ihnen in dieser ihm geschrieben?" Es steht mir nicht zu, auf die Abwägung solcher Hinsicht Zeit lassen zur Ueberlegung. Sprechen wir von

Holmfeld verlobt?"

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Elsbeth erröthete und schwieg. Lassen

Sie, bitte, jetzt jede falsche Rücksicht schweigen," mahnte der Untersuchungsrichter eindringlich. Sie selbst

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müssen ja das größte Interresse an der raschen Aufklärung

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Aber, mein Gott, nichts, nichts! Ich weiß von feinem Briefe! Es muß ein Mißverständniß vorliegen. Was hätte ich ihm denn schreiben sollen?"

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Sie hatten doch den Wunsch, mit ihm zu sprechen, einem dritten Ort heimlich mit ihm zusammen zu kommen?"

an

Die Ueberraschung, mit welcher ihn Elsbeth auf diese der Angelegenheit nehmen, und dafür ist nichts zu unwesent- Frage ansah, konnte unmöglich eine erfünftelte sein. lich und zu unbedeutend." Ich weiß nicht, was Sie zu dieser Vermuthung ver= feld's Berlobte, wenn unser Berlöbniß auch kein öffentliches aber ich weiß, daß Sie sich in einem Irrthum befinden. " Nun wohl, ich betrachte mich als Herrn Holm- anlaßt, Herr Amtsrichter," sagte sie dann mit edlem Stolz, Noch einmal versichere ich, daß ich Herrn Holmfeld seit un­ferer Trennung weder eine einzige 3eile geschrieben habe, noch besaß ich irgend einen Grund, eine geheime Zusammen­funft mit ihm zu wünschen."

gewesen war."

von Brandenstein?" Bruder wußte darum und auch der Baron

Aber Ihr Ankunft durch eine Aeußerung seines Oheims erfahren." Herr von Brandenstein hatte es am Lage seiner Und der junge Baron ftellte Ihnen nach?" " Ich mußte seine Annäherung wiederholt zurück­

weisen."

lein!"

Ich lasse Ihre Aussage zu Protokoll nehmen, Fräu­

Es ist die Wahrheit, und es ist mir darum gleich, welchen Gebrauch Sie davon machen."

Gut!

"

//

Für jetzt habe ich Sie nichts weiter zu fragen. Wohin gedenken Sie sich jetzt zu begeben?" 3u meinem Bruder, wenn es mir gestattet ist!" " Sie werden doch wohl selbst begreifen, mein Fräu­lein, daß Ihnen eine solche Erlaubniß nicht gegeben werden tann. Ich rathe Ihnen auch freundschaftlichst an, jeden Versuch irgend eines Verkehrs_mit einem der beiden Unter­suchungsgefangenen zu unterlassen."

Aber ich werde sie doch wenigstens einmal sehen dürfen?"

Es ist unmöglich, so lange die Untersuchung im Gange ist. Da ich aber muthmaßlich in den nächsten Tagen wieder­holt genöthigt sein werde, Sie zu vernehmen, möchte ich Sie bitten, vorläufig das Dorf, in dem Sie sich zuletzt befanden, nicht zu verlassen!"

Elsbeth versprach es und da sie wohl einsah, daß es unmöglich sein würde, die Erlaubniß zu einem Be­suche ihres Bruders oder ihres Geliebten zu erlangen, fuhr sie in nahezu verzweifelnder Stimmung nach Neudorf zurück.

Gleich darauf ließ der Untersuchungsrichter Holmfeld noch einmal vorführen.

,, Sie haben jetzt 3eit genug gehabt, meine Auf­forderung von vorhin noch einmal zu bedenken," redete er ihn ernst und nachdrücklich an. ,, Sie werden mir darum jetzt der Wahrheit gemäß und ohne Ausflüchte antworten."

,, Das habe ich bereits gethan und kann Ihnen nichts Weiteres sagen."

Sie bestehen also noch immer darauf, von Fräulein Elsbeth Werner einen Brief erhalten zu haben, der Sie zu einem Rendezvous an der Stätte des Verbrechens auf­forberte?"

"

Gewiß, und ich glaube nicht, das irgend ein Grund vorhanden ist, der an der Wahrheit zweifeln ließe."

Der allertriftigste sogar!" sagte der Beamte mit er­höhter Stimme. Fräulein Werner selbst hat diese Be­hauptung als eine Lüge bezeichnet!"

Holmfeld schrak zusammen und sah den Untersuchungs­richter starr an.

,, Aber das ist ganz unmöglich," brachte er hervor. Ich fann es beschwören, daß es ihre Handschrift war."