Mr. 280.

Dienstag, den 30 November 1886.

3. Jahrg.

Berliner   Volksblatt

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

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erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit der illustrirten Beilage 10 f. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1886 unter Nr. 769.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

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Expedition: Zimmerstraße 44.

Die erste Berathung des Etats| Phraſe zu thun, welche man nicht ernſt zu nehmen braucht.

im Reichstage

scheint doch interessanter und vielleicht auch etwas stürmi­fcher zu werden, als man erwartet hatte.

Wenngleich keine gemeinsame Berathung des Etats und des neuen Militärgesetzes gewünscht wird, so ist es doch un­möglich, bei der Etatberathung das Militärgesetz ganz aus­zuscheiden. Dasselbe wird in seiner politischen Bedeutung wohl schon am Dienstag und Mittwoch besprochen werden, während die mehr rein militärischen Gesichtspunkte und die in dem Gesetz enthaltenen 3iffern einer speziellen Be­rathung, welche am nächsten Freitag stattfinden soll, vorbe­halten werden.

Die Motive des Militärgesetzes zeigen uns die Heeres­verhältnisse der Nachbarstaaten und suchen aus denselben nachzuweisen, daß die Armee des Deutschen Reiches   erheb­lich vermehrt werden müsse, um im Falle der Gefahr sieg­reich auftreten zu können."

Seit dem legten deutsch  - französischen Kriege ist in Deutschland   schon einmal eine derartige Forderung gestellt worden; die Erhöhung der Präsenzziffer der Armee betrug im Jahre 1881 sechsundzwanzigtausend Mann und nun wird vom Reichstage zum zweiten Male die Vermehrung des Heeres um jährlich zirka 41 000 Mann und zwar auf die Dauer von 7 Jahren gefordert.

Dabei behauptet man aber in jenen Kreisen, welche für eine derartige Vermehrung des Heeres eintreten, daß Dank der weisen Politik des deutschen   Reichskanzlers eine Kriegs­gefahr im weiten Felde liege, daß die Gelegenheit günstig fei für die Nationen, die Künste des Friedens zu pflegen und sich in wirthschaftlicher Beziehung weiter zu entwickeln. Und doch 41 000 Mann Heereserhöhung mitten im Frieden and unter lauter Friedensversprechungen!

Auch die Thronrede betont die guten Verhältnisse wischen den einzelnen Staaten.

Sind die Friedensversicherungen aufrichtig gemeint, so And neue Rüstungen doch in der That überflüssig; sie widersprechen ja den Friedensversicherungen direkt.

Rann man sich aber auf die Friedensversicherungen nicht verlassen, brohen in der That schwarze Wetter­wollen am politischen Himmel, dann ist die deutsche aus­wärtige Politit nicht so weise geführt worden, wie immer ausposaunt wird zur höheren Ehre des Fürsten Bismard.

Also find dir Widersprüche nicht wegzudiskutiren. Benn dabei verschiedene Blätter von der Pflicht der Volks­bertretung sprechen, durch strikte Bewilligung der geforderten Summen zur Vermehrung des Heeres das Vaterland zu fügen, so hat man es hier doch nur mit einer patriotischen

Ragbrud verboten.]

hin

Feuilleton.

Ein Sprung.

Novelle von Curt Baake  .

[ 4

Als Ernst und Anna an einer dieser Bänke vorüber­

Schritten, blickten sie unwillkürlich beide zugleich und fie sahen, wie die 3wei, die dort faßen, sich innig umarmten, und sie hörten, wie sie sich Kußten.

Anna wurde verwirrt, und wie um einer Empfindung ju entfliehen, die sich in ihr regte, zog sie Ernst rasch nach Der anderen Seite des Weges hinüber.

Auch ihre Unterhaltung war verstummt, bis Anna mit einem plöglichen Entschluß das Heft hervorzog, welches ihr Ernst vor einigen Tagen gegeben hatte und von seinen Gedichten zu sprechen begann.

Sie stockte ein wenig, als sie dieselben lobte und sie fchöner fand, als alles, was sie bisher gelesen. Schließlich wollte fie ihm die Blätter zurückgeben.

Jurüd.

Ernst nahm sie nicht an, sondern schob ihre Hand sanft

Sie gelten Dir ja," sagte er einfach.

Sie wußte nichts darauf zu erwidern, sondern blickte nur zu ihm mit ihren schönen, tiefen Augen auf; fie sah nichts von seiner Häßlichkeit, nichts von den plumpen und unfertigen Bügen feines Gesichts mit den dicken und etwas wulstigen Lippen, die fast immer aufgesprungen waren, mit einer Nase, die zu breit, und einer Stirn, die zu niedrig war, nichts von den eckigen und ungeschickten Bewegungen feines Körpers; er war ihr der herrlichste, edelste und vor­trefflichste Mensch, ben es geben fonnte.

Beide tamen jetzt zu einem großen freisrunden Plah, der im vollen Mondschein balag. Auf dem gelben Ries ihren Inorrigen Stämmen und ihrem viel verzweigten Geäst zeichneten sich scharf die Schatten der Eichen ab, welche mit

Das Vaterland befindet sich eben nicht in Gefahr und wird auch in eine solche nicht kommen, wenn die Regierung nicht will.

Frankreich   ist nicht kriegsbedürftig und Rußland   kann durch eine kräftige auswärtige Politik im 3aume gehalten werden; nur darf das Deutsche Reich nicht auf die Seite Rußlands   treten, weil letteres dadurch angriffsfähiger wird, so daß sich später nach neuen russischen   Erfolgen im Orient die Spitze des Angriffs gegen Deutschland   richten Orient die Spitze des Angriffs gegen Deutschland   richten dürfte.

Aber auf alle Fälle ist das Deutsche Reich längst vertheidigungsfähig. Es besitzt unzweifelhaft die tüchtigste Armee in Europa   und mit Landsturm und Land­wehr auch eine der zahlreichsten. Das allerdings muß bei Feststellung, Organisation und Stärke der Armee ausge­schlossen werden, daß man zugleich gegen alle Groß­schlossen werden, daß man zugleich gegen alle Groß­staaten des Festlandes auftreten will.

Wodurch wurde denn eigentlich seitens des preußischen Staates die Gründung des Norddeutschen Bundes und bes Deutschen Reiches hauptsächlich motivirt? Preußen, hieß es, trüge eine viel zu schwere Rüstung; es müsse dies thun, um das übrige Deutschland   mit zu schützen. Würde aber ein fester Bund geschlossen, würde eine einheitliche Militär­organisation geschaffen, dann vertheilten sich die Lasten und die Soldatenrüstung sei dann auch für Preußen erträglich. Die gemeinsame Organisation ist jetzt vorhanden, die Militärrüstung aber ist für Preußen und das übrige Deutsch­ land   noch schwerer geworden. Und sie wird immer schwerer, so daß die Steuerzahler recht arg unter ihrem Drucke feufzen.

Also gerade das Gegentheil ist eingetreten von dem er­hofften Volkswohle, welches sich auf staatliche und milis tärische Vereinigung der verschiedenen deutschen   Stämme stützen sollte. Mehr Soldaten, mehr Abgaben und Steuern für die Bürger.

Wenn so die deutsche Einheitspolitik nach dieser Rich­tung keinen besonderen Werth für das deutsche   Volk ge­habt hat, so führt merkwürdiger Weise auch unsere deutsche Friedenspolitik gleichfalls zu immer größeren Ausgaben.

Deshalb müssen beide nicht so vortrefflich sein, wie sie immer von den Anhängern des leitenden deutschen   Staats­mannes dargestellt werden. Und dafür ist auch der Grund leicht zu finden leicht zu finden die deutsche Reichspolitik ist nicht ge= tragen von der Zustimmung des Voltes. Sie hat sich von Etappe zu Etappe entwickelt durch allerlei kleine Kompro misse, burch das fortwährende Handeln und Schachern zwischen den Parteien, durch das bekannte ,, do ut des- Spiel", welches sich früher zwischen der Regierung und den Liberalen

menade, und die Stelle lag einsam und verlassen. Ganz im Dunkeln stand eine leere Bank und er bat sie, hier sich ein wenig auszuruhen. Nun saßen sie auch wie die andern Liebespaare.

Ueber den Mond, der glänzend und voll am Himmel stand, flatterte langsam eine reine durchsichtige Wolfe und hüllte ihn in einen weißen Schleier ein, daß sein Licht ge­dämpfter wurde und noch verschwiegener und heimlicher.

Die Wolfe liebt den Mond".. sagte Anna fast unhörbar.

Da faßte Ernst ihre kleine Hand, die kalt wurde, weil ihr alles Blut zum Herzen schoß, und flüsterte mit einer Stimme, die fast tonlos war vor Erregung:

Anna, liebste, einzige Anna, ich habe Dich so lieb... so sehr lieb."

Er zog das zitternde und wortlose Mädchen an sich und füßte es heftig und Anna tüßte ihn wieder. In diesem Augenblick glaubte er sie wirklich zu lieben. Seine vorherige Stimmung tam ihm frankhaft vor, er gab sich ohne Selbst vorwürfe dem Augenblick hin und hatte nur den einen Ge­danken, daß er unendlich glücklich wäre und nur den einen Willen, nie von ihr zu lassen. Selbst seine Sinnlichkeit dämmte das jungfräuliche Wesen der Geliebten ein.

Durch die Laubgewinde der Bäume blickte der nächtliche Himmel flar und wolfenlos; aus dem tiefen Blau schim­merten die Sterne wie verstreute Diamanten an einem königlichen Gewande.

Ein schwacher Windhauch wehte füßen und starken Refedaduft aus dem Blumenbeete eines Gartens der Vor­stadt her, und dann spielte er in den Blättern der Eichen, und wie spielend riß er ein schon vertrockendes aus und ließ es allmälig und leise zur Erde gleiten.

In der Ferne verhallte der Schritt eines späten, eiligen Wanderers und dann war es ganz still.

III.

Leise wollte Anna den Hausthürschlüffel an seinen Platz

dieses Stüd Erde wie mit einem Walle vor der Außenwelt Klinke nieder, da flog die Thür aus ihrer Hand, ihre Augen

abspielte, dessen Erbschaft nunmehr mit der Regierung die fleritale Partei angetreten hat.

Und dieses ganze Spiel hat nur dazu beigetragen, daß die Regierung die Bügel allein in der Hand hat und auf militärischem und auswärtigem Felde macht, was sie will. So halten wir es auch für selbstverständlich, daß die Regie­rung in Bezug auf die Militärfragen wiederum einen Sieg erficht. Man ist im Reichstage so gewohnt, der Regierung entgegen zu kommen, daß dies auch jetzt geschehen wird. Außerdem haben die Ausschlag gebenden Parteien von jeher eine ungemeine Furcht vor der Auflösung gehabt, daß sie gern ihre Selbstständigkeit opfern, um jene fern zu halten. Auch fürchten sie sich vor dem Volke.

Wir glauben somit, daß das neue Septennat ange nommen wird, obgleich dem Reichstage dadurch wiederum auf fieben Jahren in den wichtigsten Etatfragen die Hände ge­bunden werden. Doch an solche Selbsttasteiung hat sich der Reichstag   längst gewöhnt.

Weshalb wir aber die Militärfrage hier bei der Etats­besprechung ganz in den Vordergrund drängen? Sie wird bei der ersten Berathung des Etats der Punkt sein, um den sich die Hauptdebatte dreht und sie drückt auch der ganzen gegenwärtigen Situation den Stempel auf.

Die Reaktion aber wird leider wiederum triumphiren.

Bajuvaria.

== Die Ergebnisse des Ersaßgeschäftes sind nicht allein für die Herren vom Generalstab von Intereffe, auch der Volkswirthschaftler hat dringende Veranlassung, sich mit diesem Gegenstande näher zu beschäftigen.

In das Heer wird die Blüthe der jungen Leute eingereiht, nur förperlich und geistig gefunde und leistungsfähige Männer finden Aufnahme.

Man kann deshalb die Giltigkeit des Sages nicht be­lese sind, je mehr der ärztlich untersuchten Wehrpflichtigen für streiten: Je günstiger die Resultate dieser friegerischen Aus­tauglich befunden werden, um so beffer steht es auch im Großen und Ganzen mit der wirthschaftlichen Lebenshaltung des Voltes, um so vortrefflicher ist auch der gesammte nationale Gesundheitszustand, die allgemeine Lebensfähigkeit und Lebens­tüchtigkeit.

Und ebenso fest steht es, daß der oben entwickelte Sag auch umgekehrt Geltung hat.

Vor uns liegt das zweite Heft der Beitschrift des königl. bayerischen statistischen Bureaus", Jahrgang 1886. In dem felben find auf Grund von Mittheilungen der Militär- Medi­

zinal- Abtheilung des tgl. Kriegsministeriums eine Reihe von Daten über das Ersatzgeschäft des Jahres 1885 in Bayern   mitgetheilt, welche ein helles Licht auf die Zustände im Lande der Leberknödl, der Reservatrechte, der Hofbräu, der

wurde am Arm gepackt, in das 3immer gerissen und ihr Vater schrie so zornig, daß seine Schimme sich über­schlug:

" 1

Du lüderliche Dirne, Du Herumtreiberin,... kommst Du endlich!" Die Wuth erstickte seine Worte. Er holte aus und schlug sie ins Gesicht, daß sie an die Wand taumelte und bas Bewußtsein verlierend zu Boden fiel.

Als sie wieder zu sich fam, lag fie auf dem Sopha und ihre Mutter stand im Nachthemde vor ihr und sprengte ihr Wasser aus einem Trinkglase ins Gesicht.

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Mechanisch faßte Anna nach der schmerzenden Stelle, die angeschwollen war und wie Feuer brannte. Dann richtete sie sich auf und sah noch ganz irre im 3immer umber.

Unterbessen fam Riemann mit einem geschmeidigen Rohrstock in der Hand auf sie zu und sagte, während er mit einem grausamen Lächeln seine Tochter betrachtete: Die Verstellungen helfen nichts; die kennen wir schon. Ich will Dir rasch auf die Beine helfen,... Du sollst noch

firre werden.

Und er bog den Rohrstock in der Hand

In diesem Augenblicke sah er schrecklich aus. Auf seiner rothen, eingedrückten Stirn traten die Adern als dice, blaue Stricke hervor, die Augen blickten starr und gläsern, wie trunken vor 3orn und Alkohol, und der wohlgepflegte, lange schwarze Bart verdeckte nicht das verzerrende Lächeln seiner Wuth, sondern ließ ihn noch mehr einem wilden, bos­haften Thiere ähnlich werden.

Seine Frau wagte einen Versuch, um ihre Tochter vor ihm zu retten. Schlag doch das Rind nicht noch in der Nacht; machst," sagte fie mit ihrer matten, schwindsüchtigen Stimme bie Leute im Hause laufen ja zusammen, wenn Du Lärm

und trat anf ihn zu. ,, Laß sie doch,... laß sie wenigstens heut Nacht in Rube; sie ist ganz weg vor Schrecken und zittert an allen Gliedern."

Halt's Maul," schrie er sie an, und pad' Dich.

schützen seen. Es war am äußersten Ende der Pro- blendete das Lampenlicht, das ihr grell entgegenströmte, fie Das geht Dich nichts an, was ich mit der" Hure ba