tungen nicht beigewohnt haben, sonst hätte er nicht so baltlose und unbegründete Vorwürfe gegen die Kommissionsmajo rität ausgesprochen. Ich frage Herrn v. Boetticher: wenn Sie folche Eile hatten, warum haben Sie uns erst am 25. November berufen? Glauben Sie, daß es uns mit der Wehrkraft des Landes nicht ebenso Ernst ist wie Jbnen?( Rufe rechts: Ja! Große Unruhe links; Rufe: Pfui!) Das ist eine unerhörte Verleumdung und Ueberhebung.
Präsident v. Wedell- Piesdorf: Die eben gebrauchte Wendung ist unparlamentarisch, und ich würde den Redner zur Ordnung rufen, wenn sie gegen eine bestimmte Person gerichtet gewesen wäre.
Abg. Rickert( fortfahrend): Ich bitte um Entschuldigung, aber meine Worte sind verzeihlich, wenn einem Manne hier vorgeworfen wird, daß ihm nicht soviel an der Wehrkraft des Baterlandes liegt wie Anderen...
Präfident v. Wedell- Piesdorf: Hätte ich diesen Vor wurf von Jemandem gehört, so würde ich den Betreffenden zur Ordnung gerufen haben.( Rufe links: mehrere!)
Abg. Rickert( fortfahrend): Es ist in der That kein er hebendes Beispiel nach außen, daß in dieser Weise Vertreter ber Majorität des deutschen Voltes behandelt werden. Wenn Sie unseren Patriotismus zu bezweifeln wagen und unseren Ernst die Wehrhaftigkeit des Vaterlandes zu befördern, so ist das die beste Kritik, die Sie sich selbst damit ausstellen. Jeden Mann und Groschen konnten Sie haben, wenn Sie nur dem Antrage Windthorst zustimmten, allerdings für ein Jahr( oh! rechts). Genügt Ihnen das nicht? ( Rufe rechts: nein!) Die konservative Partei erklärte sich allerdings gegen den Antrag, noch ehe der Kriegsminister aufe stand. Wir können es nicht übers Herz bringen, einer solchen dauernden Forderung eins, zwei mit einem einfachen Hurrah zuzustimmen.( Beifall links.)
Abg. Windthorst: Ich habe die Ueberzeugung, daß wir die Berathungen der Kommission aufs rascheste zum Abschluß bringen werden, und wenn hier angedeutet ist, daß wir noch eher als am 7. Januar wieder zusammen treten könnten, so habe ich da gegen nichts einzuwenden. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß der Berichterstatter nicht vor dem 7. Januar fertig sein fann. Herrn v. Boetticher gegenüber hebe ich dann noch hervor, daß mir es nicht sind, welche zur Auflösung drängen. Wir erwarten fie aber mit der Ruhe und Sicherheit des Sieges. Reine Bartei sollte die Prätention erheben, patriotischer zu sein als die andere. Wir stehen alle auf gleichem Boden, find Söhne deffelben Vaterlandes und bereit, für dasselbe das Aeußerste zu thun, aber mit Bedacht. Mit ruhigem Schritte haben unsere Bataillone ihre Siege erfochten.( Beifall im Zentrum und links.)
Abg. v. Helldorff: Ich habe keiner Partei den Vorwurf gemacht, weniger patriotisch zu sein; wenn Herr Windthorst aber meint, wir müßten ruhig vorwärts gehen, so ist das gewissermaßen ein Vorwurf, als ob wir die Sache übereilt hätten. Der Abg. Richter hat sich ein großes Verdienst da durch erworben, daß er durch er durch seine Details in der Kommission eine flare Einsicht dem Lande darüber verschafft hat, daß eine so sachverständige Kritik nicht im mindesten den Erfolg gehabt hat, das Vertrauen zu der gründ lichen Arbeit der Heeresleitung zu erschüttern; sie bat es viel mehr im höchsten Maße befestigt.
Abg. Dr. Haarmann: Es ist vorhin vom Redner der nationalliberalen Partei gesagt, alle meine Freunde würden gegen den Antrag v. Köller stimmen. Nun wird aber hoffent lich Herr Dr. Marquardsen mich auch ferner noch zu seinen politischen Freunden zählen, auch wenn ich für den Antrag von Köller stimme.( Bravo ! rechts.) Ob der Antrag v. Köller die Sache beschleunigen wird, weiß ich nicht( Lachen links), aber trotzdem stimme ich dafür, auch wenn er nur die Bedeutung einer Demonstration hat( hört! links. Aha!).
Abg. Nichter: Solche Nationalliberalen wie Herrn Haar mann müßten wir wählen, wenn sie nicht schon da wären. ( Heiterkeit.) Endlich ist es vor dem Lande heraus, es ist eine Demonstration! Wir akzeptiren das, wir haben es längst er fannt und nun find Sie naiv genug, das vor aller Welt zu fagen!( Sehr gut! links.) Das Land wird daraus erkennen, wie zweifelhaft die Sache an sich ist und wie wenig fie fich datum dazu eignet, als Fundament für Demonstrationen zu dienen. Wenn gesprochen ist von der Hoffnung des Monarchen auf die Haltung der Abgeordneten( Unruhe rechts), so kann ich dem nur gegenüberstellen, daß ich selbstständig verantwortlich bin für diese Vorlage, und fein Hinweis auf einen noch so hochstehenden Faktor unferes Staatslebens kann mich dieser Verantwortlichkeit überheben. Wir würden pflichtwidrig handeln, wenn wir uns irgendwie bestimmen ließen, eine größere Beschleunigung eintreten zu laffen als die Sache erfordert und unsere gewiffens hafte Prüfung zuläßt.( Beifall links.)
Abg. Windthorst: Einer Behauptung des Abg. v. Helldorff muß ich entgegentreten, damit nicht daraus Rapital gegen uns geschlagen wird. Er behauptet, daß wir die Bewilligung von Bataillonen auf ein Jahr nur darum vorschlagen, um mehr parlamentarische Rechte für uns zu gewinnen. Das bestreite ich entschieden. Meinen Freunden und mir hat ein solcher Ge danke bbsolut fern gelegen.
Abg. Buhl: Gestern sind meine Freunde in der Kommission bafür einaztreten, daß die Arbeitern derselben vor der Vertagung zum Abschluß fämen. Wir waren und find der Ansicht, daß Durch eine derartige Förderung die ganze Erledigung des Gefeß entwurfs eine frühere hätte sein können; nachdem wir aber mit diesen Bemühungen unterlegen find, kann ich nicht glauben, daß durch den Weg, den Herr v. Röller vorschlägt, die Sache beschleunigt wird.
Abg. v. Köller: Herr Richter sagt, ich hätte mit meinem Antrag nur eine Demonstration gewollt. Dieser Aeußerung aegenüber will ich nochmals erkiären, daß meine Freunde und ich bereit sind, unter Aufgebung unserer Weihnachtspause hier zu bleiben und in der Kommission zu arbeiten. Nun reben Sie nichts mehr von Demonstrationen!( Lachen Tints.)
Abg. v. Helldorff: Der Abg. Windthorst sagt, er habe feine Erweiterung der parlamentarischen Rechte gewollt. Ich habe diese Aeußerung gethan auf Grund einer Aeußerung des Abg. Windthorft in der Kommission, daß selbst eine dreijährige Beriode nur ein Uebergang sein könne zur jährlichen normalen Bewilligung.
Abg. Richter: Herr v. Köller fagt mit einer gewiffen Emphase: Wir sind bereit, die Weihnachtsfeiertage hier zu bleiben. Warum find denn so viele von Ihnen schon abgereist? ( Heiterkeit.) Provoziren Sie doch keine Feststellung, daß mehr als die Hälfte von Ihnen bereits abgereift ist. Db wir am 3. oder 7. Januar zusammenkommen, ist mir gleichgiltig, eine VerSchleppung bedeutet das nicht.
Abg. Windthorst: Ich bestreite, daß unsere Anträge Die Verfassung verlegen oder ändern. Es handelt sich lediglich nun die Zweckmäßigkeitsfrage, worüber wir nächstens verhandeln
werden.
Abg. v. Stauffenberg: Seit 20 Jahren gehöre ich dem Saufe an, aber eine derartige Debatte ist noch nicht da gewesen. Die Bertagung der Kommission ist nicht im Sinne einer Verzögerung erfolgt, sondern gerade um eine Verständigung zu erzielen. Unser Brichterstatter hat sich bereit erklärt, den Bericht während der Feien so weit als möglich fertig zu ftellen. In der Mehrheit Der Kommission, welche wesentlich bestand aus Konservativen, Nationalliberalen und Zentrum, ist ganz zweifellos gewesen, daß, wie Herr Windthorst fagte, jeder Mann und jeder Groschen bewilligt werden sollte; ein Bwrifel war nur wegen der Beitdauer der Bewilligung. Die Vertagung der Kommission erichwert aber eine Verständigung nicht, verzögert fie auch nicht, sondern ist für deren Anbahnung nur förderlich.
Präsident v. Wedell- Piesdorf: Ich glaube, es wird nüz.
lich sein, wenn ich wiederum erinnere, um was es fich handelt. ( Heiterkeit.) Ich glaube daran festhalten zu müssen, daß es zur Förderung der Geschäfte nichts nüßen würde, wenn wir Montag noch eine Sigung haben. Ich werde daher bei dem Vorschlage bleiben, heute die Vertagung eintreten zu laffen. Dagegen ist von vielen Seiten die Bereitwilligkeit ausgesprochen worden, schon früher nach Neujahr wieder zusammenzutreten. Der Abg. Buhl hat den 3. Januar vorgeschlagen. Wegen der vorangehenden katholischen Feiertage möchte ich den 4. vorschlagen.
Abg. Windthorft: Man kann kaum annehmen, daß am
4. Januar das Haus beschlußfähig sein wird. nnehmen, daß am
Präsident v. Wedell- Piesdorf: Ueber diese Frage werden wir uns am Schluffe der Situng schlüffig zu machen haben.
Damit erreicht diese Geschäftsordnungsdebatte ihren Abschluß und das Haus tritt in die Erledigung der Tagesordnung ein. po
Bunächst muß die gestern unerledigt gebliebene Abstimmung über die Mehrforderung von 100 000 m. für die Förderung der Hochseefischerei wiederholt werden. Mit schwacher Mehrheit, die fich aus den Deutschkonservativen, der Reichspartei, den Nationalliberalen und Sozialdemokraten zusammengesett, wird die höhere Summe entgegen dem Kommissionsbeschluß heute bewilligt.
Nachdem noch der Referent Abg. Witte über die in den Rapiteln Statistisches Amt" und„ Gesundheitsamt" enthaltenen Mehrforderungen berichtet und die Genehmigung empfohlen hat, wird ein vom Abg. Dirichlet gestellter Vertagungsantrag angenommen.
Abg. b. Köller( zur Geschäftsordnung): Ich glaube nicht, daß das Haus noch in der Lage ist, einen Beschluß zu faffen. ( Unruhe.) Ich bezweifle hiermit die Beschlußfähigkeit und bitte den Herrn Präsidenten, das nöthige zu veranlassen.
Präsident: Ich werde den Namensaufruf vornehmen laffen, wenn sich die Nothwendigkeit einer Abstimmung laffen, wenn sich die Nothwendigkeit einer Abstimmung herausstellt.
Abg. Windthorst: Ich bin erstaunt, daß jetzt die Beschlußfähigkeit beweifelt wird, nachdem wichtige Abstimmungen vorgenommen find.( Rufe: Mehrausgabe von 100 000 m.!)
Abg. v. Köller: Nach allem, was ich in diesem hohen Hause schon erlebt habe, bin ich über nichts mehr erstaunt. ( Unruhe.)
Abg. v. Helldorff: Herrn Windthorst möchte ich bemerken, daß wir geradezu zur Auszählung gezwungen sind durch Richter's Hinweis auf die leeren Pläge rechts.
Abg. Kayser: Wenn wir solche Anträge stellen, behauptet Herr von Köller und seine Freunde, wir stören die Geschäfte des Hauses.
Abg. v. Köller: Das ist auch ganz etwas anderes. ( Stürmische Heiterkeit.)
Abg. Kayser: Diese Aeußerung ergänzt jene erste, daß man fich im Reichstage über nichts mehr wundern dürfe. ( Seiterkeit.)
Um dem Zweifel des Abg. v. Röller bezüglich der Beschlußfähigkeit gerecht zu werden, läßt der Präsident den Namensaufruf vollziehen, der die Anwesenheit von nur 163 Mitgliedern ergiebt. Das Haus ist also nicht beschlußfähig und der Präsident beraumt nunmehr aus eigener Machtvollkommenheit die nächste Sigung auf Dienstag, den 4. Januar 1887, Nachmittags 2 Uhr, an. Togesordung: Fort feßung der Etatsberathung. Schluß 3 Uhr.
Lokales.
Der Handel mit Neujahrstarten ist zur Zeit im vollsten Gange. Die eigenartige Neujahrstarten- Industrie hat sich in Deutschland sehr gehoben; während früher die feineren Muster aus Paris bezogen wurden, haben jest namentlich Berlin und München einen starken Export von Neujahrstarten, besonders nach England. München pflegt vorzugsweise das komische Genre, das wieder ganz besonders in Berlin viele Abnehmer findet. Der Wiz auf diesen Karten ist häufig recht platter Natur, ge rade aber solche Karten finden die meisten Käufer. So werden in Berlin , wie ein Fachmann berichtet, jährlich viele tausende von Karten mit der Inschrift: Eintrittstarte in die Gummizelle nach Dalldorf " umgesetzt. Da mag man denn freilich mit Goethes Faust ausrufen: Wie fich die platten Bursche freu'n!"
Ein eigenartiger Weihnachtsverkaufsartikel sind die zu fleinen Bündeln vereinigten kahlen Birkenruthen, die während der Weihnachtszeit auf den Märkten feilgeboten werden und deren Androhung, sowie nöthigenfalls schwungvolle Anwendung vielen Hausfrauen gerade in der Zeit vor Weihnachten sehr nöthig scheinen muß, denn zahlreich verschwinden die kleinen Ruthenbündel in den Einkaufförben zwischen Alepfel und Nüffen, um zu Hause die kleinen Sünder für die Gaben des Weih nachtsmannes würdig vorzubereiten. Ohne Ruthe geht's bet mir nicht," seufzt die Hausfrau in Erinnerung an ihren zahlreichen Nachwuchs. Nun, wenn die Ruthe nur keinen Schaden anrichtet!
Denunziation. Vorgestern Morgen 4 Uhr wurde die Wittwe C., Grenadierstraße 3 part. wohnhaft, durch heftiges Klingeln der Glocke aus dem Schlafe geweckt. Dieselbe hatte auf die Empfehlung eines Bekannten eine aus Ungarn kommende Familie, bestehend aus Mann, Frau und zwei Kindern, welche nach Amerika auswandern wollten, bei sich aufgenommen. Zu obenbesagter Stunde erschienen nun zwei Schußleute und holten die betreffende Familie aus den Betten, um die Erschrockenen nach der Wache( 16. Revier) zu führen; hier warteten fie angst. erfüllt bis 8 Uhr früh, um dann im grünen Wagen nach dem Moltenmarkte gebracht zu werden. Nach längerem Harren und nach Prüfung ihrer richtigen" Papiere, wurden die Ungarn alsdann entlassen. Auf Grund einer Denunziation, vermuthlich eines Hausbewohners ist Frau C. diese Unannehmlichkeit widerfahren. Gestern Nachmittag mußte Frau E., welche zum Jahrmarkt nach Nauen , wo fie ihren Verkaufsstand schon bes zahlt hatte, fahren wollte, nach dem Polizeirevier kommen, um in obiger Angelegenheit vernommen zu werden. Die Ungarn aber haben sofort Berlin verlaffen und find nach Bremen abs gereift.
Wegen einer groben Verunreinigung der Spree ist gegen den Schiffer Wilhelm Göbel das öffentliche Strafver fahren eingeleitet worden. Dem p. G. wird zur Last gelegt, am 8. Oftober d. J. Nachts zwischen 11 und 12 Uhr am rechten Ufer der Spree , oberhalb Rummelsburg , dem Eierhäuschen gegenüber, eine halbe, aus einer Gasanstalt herstammende, Kahnladung Schutt über Bord in die Spree geworfen resp. werfen lassen, und dadurch die Spree bedeutend verunreinigt zu haben( Uebertretung gegen§§ 25 und 30 der Schifffahrts polizeiverordnung vom 11. Mai 1852.) Derartige uners hörte Handlungen müßten mit der größten Schärfe geahndet werden.
Im Moabiter Untersuchungsgefängniß befinden sich, dem Berl. Tagebl." zufolge, seit einigen Tagen drei Schaffner der Hamburger Eisenbahn, die dringend verdächtig find, Unterschleife mit jogenannten Rundreisebillets verübt zu haben. Diese Unterschleife müssen in großem Maßstabe vorgekommen sein, denn die Verdächtigen find in Untersuchungshaft genommen worden, um einer Verdunkelung der Sache vorzu beugen.
Ein entsetzlicher Bahnunfall, der den sofortigen Tod eines Menschen zur Folge hatte, ereignete sich, wie eine Lokalforrespondenz meldet, gestern früh 5 Uhr 10 Miruten auf der Station Lichtenberg der Niederschlesisch Märkischen Eisenbahn. Als der nach dem Schlesischen Bahnhof abgehende Lokalzug fich um die genannte Zeit in Bewegung seßte, versuchte der Rangirmeister Kuhnert, das Geleise unmittelbar hinter dem
Buge zu überschreiten. In demselben Moment drückte die Ma schine den Zug rückwärts, K. wurde zu Boden gestoßen, worauf ihm die Räder des legten Wagens über die Brust gingen. Der Tod trat sofort ein. Der Verstorbene, ein Mann von etwa 40 Jahren, ist verheirathet und Vater von vier Kindern, während die Geburt eines fünften Kindes nahe bevorsteht. Bet feinen Rollegen erfreute fich R. größter Beliebtheit. Die Leiche wurde zunächst nach dem Rangirschuppen geschafft und dann die Staatsanwaltschaft von dem Unglücksfall in Kenntniß gefeßt.
Gerichts- Zeitung.
Die Vorstandsdamen des Arbeiterinnenvereins für den Norden Berlins wegen Verletzung des Vereins- Gesezes vor Gericht.
Vor dem Forum der zweiten Straffammer des königlichen Landgerichts Berlin I hatten sich gestern wiederum einige Führerinnen der Berliner Arbeiterinnenbewegung wegen Verlegung des Vereinsgefeßes zu verantworten. Es find dies: 1. die Posamentierwaarenhändlerin und Näherin verehelichte Florentine Cantius, geb. Lange, am 16. August 1848 zu Hammer bei Landsberg a. W. geboren, Diffidentin und bestraft: am 21. Februar 1879 wegen öffentlicher, mittelst einer in einer Ver sammlung gehaltenenen Rede begangenen Beleidigung mit 6 Wochen Gefängniß, 2. die verehelichte Alma Grothmann, geb. Sobiechowski, am 18. Oftober 1859 zu Schweg geboren, evangelischer Konfession, 3. die verehelichte Margarethe Blech schmidt, geb. Meyer, am 16. Mai 1854 zu Schwarzenbach in Bayern geboren, evangelischer Konfeffion, 4 die verehelichte Bigarrenmacher Antonie Steinecke, geb. Arndt, am 20. März 1854 zu Derschau bei Landsberg a. M. geboren, evangelischer Konfeffion, 5. die verwittwete Schneiderin Marie Walter, geborene Walter, am 11. März 1846 zu Himmelstädt, Kreis Landsberg a. M., geboren, evangelischer Konfession und 6. die verehelichte Schneiderin Anna Pötting, geb. Pötting, am 7. Juni 1855 zu Flothom, Kreis Minden , geboren, evangelischer Konfession. Die 5 legten Angeklagten find sämmtlich unbestraft. Nachdem der Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen Berlins ", der sogenannte Mutterverein, dessen Vorstandsmit glieder sich vor 8 Tagen wegen Verlegung des Vereinsgesetzes zu verantworten hatten, etwa ein halbes Jahr bestand, machte fich das Bedürfniß geltend, auch im Norden Berlins einen Arbeiterinnenverein zu fonstituiren. Am 7. September 1885 wurde dieser Gedanke in einer im Salon zum deutschen Kaiser" ( Lothringerstraße 37) stattgehabten Arbeiterinnen- Versammlung zur Ausführung gebracht. Es wurde, vollständig unabhängig von dem sogenannten Mutterverein, ein ,, Verein der Arbeiterinnen Berlins " begründet, der laut Statuten bezwecken sollte: a) die hebung der geistigen und materiellen Interessen der Arbeiterinnen, b) die Gleichstellung der Frau mit dem Manne in wirthschaftlicher Beziehung." Am 28. Mai d. J. wurde dieser Verein auf Grund des§ 8 des Vereinsgefeßes polizeilich geschlossen, da die Behörde der Meinung war, der Verein habe sich nicht streng an seine Statuten gehalten, sondern in seinen Versamm Jungen politische und zwar speziell sozialdemokratische Agitation betrieben. Anläßlich deffen find die Eingangs bezeichneten Vorstandsmitglieder dieses Vereins angeklagt, als Vorsteher 2c. eines Vereins, welcher bezweckt, politische Gegenstände in Vers sammlungen zu erörtern, Frauenspersonen als Mitglieder aufgenommen zu haben".
Den Gerichtshof bilden: Landgerichtsdirektor Lüty( Präfts dent) und die Landgerichtsräthe Markstein, v. Matomasti, Landrichter Graf v. Strachwiß und Amtsrichter Dr. Fritschen ( Beisitzende). Die königl. Staatsanwaltschaft vertritt Staatsanwalt Wagner, die Vertheidigung führen die Rechtsanwälte Mundel, Wreschner und Arthur Stadthagen . Das königliche Polizeipräsidium bat den Polizeisekretär Lührs behufs stenogra phischer Niederschrift der Verhandlungen entsandt. Das Audi torium, in dem man die bekannten Führerinnen der Berliner Arbeiterinnenbewegung, Frau Dr. Hoffmann und Frau Stagemann bemerkt, ist überfüllt. Unter den Entlastungszeugen bes finden fich: Profeffor Dr. Adolf Wagner, Missions- Superin tendent Merensky, Abg. Singer, Fräulein Ofiander u. A. m.
Auf Befragen des Präsidenten bemerkt die Angell. Cantius: Sie liege mit ihrem Manne in Scheidung. Frau Pötting bemerkt: Sie fei nicht eine geborene Pötting, sondern eine ge borene Toßler, ihr Mann sei aus Berlin ausgewiesen, befinde fich aber augenblicklich auf Urlaub in Berlin .
Frau Cantius bemerkt hierauf auf Befragen des Präfte denten: Der Verein habe lediglich bezweckt, die geistige und wirthschaftliche Lage der Frauen zu heben, es seien deshalb über die verschiedensten Gegenstände Vorträge gehalten worden, es habe jedoch dem Verein fern gelegen, irgendwie Politik au freiben. Die öffentlichen Versammlungen seien nicht von ihr, sondern von einzelnen Vereinsmitgliedern privatim einberufen
worden.
Präs. In den öffentlichen Versammlungen find aber poli tische Gegenstände erörtert worden? Cantius: Das ist mir nicht bekannt, wenn die Politik einmal gestreift wurde, dann geschah dies blos zur Belehrung.
Präs.: Nun, es sollen in Jhren Versammlungen verschiedene Vorträge politischen Inhalts gehalten worden sein. Gleich in der ersten Versammlnng soll ein Redner geäußert haben: Der Verein muß fich auf den Boden der sozialdemokratischen Partei stellen". Diese Bemerkung wurde mit großem Beifall aufgenommen. Ein anderer Redner bemerkte: Die Frauen müssen die Erlangung des Wahlrechts erstreben. Das heißt man doch Politit treiben?- Cantius: Für die Aeußerungen eines jeden Redners können wir nicht einstehen.
Frau Grothmann schließt sich im Wesentlichen der Frau Cantius an.
Auch Frau Blechschmidt tritt den Auslaffungen der Frau Cantius bei. Sie sei eigentlich in Ihrer Eigenschaft als Bei fizerin niemals in Funktion getreten; fie sei am 12. Januar dieses Jahres gewählt worden, einige Monate darauf sei der Verein polizeilich geschlossen worden.
arbeiter.
Präs. Was ist denn Ihr Mann?- Angell.: Bigarrens Präs. Arbeiten Sie auch, oder find fie blos in der Wirthschaft thätig? Angell. Ich bin nur in der Wirthschaft
thätig.
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Präs. Wäre es alsdann nicht beffer, wenn Sie fich um Jhre Häuslichkeit fümmerten, anstatt Versammlungen zu besuchen? Angell. Wenn ich des Abends in Ver sammlungen gebe, dann vernachläffige ich meine Häuslichkeit nicht. Präs. Sie find doch aber keine eigentliche Arbeiterin, Ans die Lage der Arbeiterinnen geht Sie daher nichts an? gefl.: Doch, ich kann ja jeden Tag in die Lage kommen, ars beiten zu müffen.
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Die Angeklagten Steinede und Walter schließen sich eben falls im Wesentlichen den Auslaffungen der Cantius an, im Uebrigen feien sie auch als Vorstandsmitglieder fast gar nicht in Funktion getreten.
Frau Pötting: Ich behaupte ebenfalls, daß in Vereinsvers sammlungen teine Politit vorgekommen ist, die öffentlichen Versammlungen find stets von privater Seite einberufen
worden.
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Bräs. Sie führten aber in all' diesen Versammlungen den Vorfig? Pötting: Ich wurde eben in allen Versammlungen zur Vorfizenden gewählt, da ich das Vertrauen der Arbeiterin nen genoß.
Präs.: Ueber die in den öffentlichen Versammlungen ge sammelten Gelder legten Sie in den Vereinsversammlungen Rechenschaft? Bötting: Das that ich blos ein einziges Mal, da ich von Frau Reichardt bezüglich der Verwendung dieser Gelder angegriffen wurde.
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