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Rukland.

Ueber den Geisteszustand des Baren geben der Wiener Deutschen Beitung" aus einer durchaus verläßlichen" Quelle folgende Mittheilungen zu: Immer bedenklicher ent­wickelt sich der Krankheitsstoff in dem Gemüthe des ruffischen Herrschers. Man kann den Baren nicht als vollständig geistes­frant bezeichnen, denn seine geistigen Fähigkeiten arbeiten oft ganz regelmäßig. Der Fall ähnelt vielfach dem Unglüde, von welchem König Ludwig von Bayern betroffen wurde. Dazwischen aber kommen

in Folge von Verfolgungsvorstellungen Beiten einer tiefen geistigen Depression, welche mit unzähmbaren Wuthaus fällen abwechseln. Es ist jetzt sichergestellt, daß er seinen Adju tanten, v. Reutern, wirklich erschossen hat; ja, vor einiger Zeit richtete fich einer feiner Angriffe gegen seine Gemahlin, welche er in einem Anfalle von Wuth am Halse würgte. Daher der Wunsch der Zarewna, nach Nizza   zu reisen; daher die fich widersprechenden Meldungen von ihrer Reise und von ihrem Berbleiben in Gatschina. Herr v. Giers wird oft wochenlang nicht empfangen; es kommt deshalb vor, daß die russische   Po­litif in ganz widerspruchsvollem Sinne geleitet wird. Man erfieht das auch aus den Meldungen der Politischen   Corresp." Der Petersburger Korrespondent derselben erhält seine Infor mationen direkt von der Regierung und er meldet einmal, Kaulbars sei frostig empfangen worden; am nächsten Tage aber offenbar auf höheren Auftrag zu lesen, er habe am Vortage irrig berichtet, da Kaulbars von dem Baren warm be grüßt wurde. Die Verwirrung steigt immer höher und es ist in jedem Augenblide eine Ratastrophe zu fürchten. Denn einerseits ist möglich, daß, wenn der Bar weiter regiert, er bei ſeinem unberechenbaren Zustand das Furchtbarste, selbst einen finnlosen Krieg, unternimmt; anderer feits aber ist ein Thronwechsel im Bereiche der Möglichkeit, und dann steht man mitten in einer inneren Krise des Barenreiches vor etwas unberechenbarem, Ungewiffem. Die europäische Lage an fich ist nicht berunuhigend; aber sie ist ver worren, weil ein gemüthstranter Herrscher die traurigsten Stö rungen hervorrufen kann."

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Holland  .

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Der Marineminister hat seine Demission gegeben, nachdem die zweite Rammer mit 30 gegen 26 Stimmen auf Antrag eines liberalen Deputirten den Kredit für Erbauung dreier Torpedoboote verworfen hat.

Großbritannien  .

Die Sozialisten in England planen eine neue Demons stration. Es werden sich nämlich unter ihren Auspizien mehrere Tausend Arbeitslose mit ihren Frauen und Kindern am Neu­jahrstage nach den verschiedenen Armenhäusern der Metropole begeben und dort Aufnahme verlangen. Die Sozialisten glauben, dieser Schritt werde zeigen, welcher Nothstand im Lande herrsche, er werde ferner die Erhöhung der Armensteuer zur Folge haben, und in dieser Weise darthun, daß die Sozialisten nicht über­trieben. Db die Rundgebung erlaubt werden wird, ist freilich noch sehr die Frage.

Die Handelskammer von Cardiff   beschloß, die Regierung aufzufordern, unverzüglich die geeigneten Schritte zur Gründung von Nothhäfen zu thun. Bei dem letzten Sturme seien allein im Kanal von Bristol   300 Menschen umgekommen, und sollte deshalb sofort eine Kommission eingesetzt werden, um den für einen Nothhafen geeignetsten Punkt ausfindig zu machen.

Die Vorsteher des Armenhauses von New Ross   in Ir I and, welche für ausgewiesene Bächter eine Ehrenabtheilung" eingerichtet haben, sollen nun wirklich abgesetzt werden. United Freland" schreibt darüber:" Der rechtsmäßig erwählte Armen­vorstand wird diese fürchterliche Unverschämtheit nicht mit Hand­schuhen zurückweisen, und der Beifall des Landes ist ihm gewiß. Er wird den Abgesandten des Lokalregierungsamtes einfach den Eintritt in sein Armenhaus verweigern. Ein Armenhaus ist eine herrliche Festung, und bezahlte Schergen werden mit Ar­tillerie das Hauptthor sprengen müssen, ehe sie Besitz von dem Eigenthum der Steuerzahler, welches von deren Vertretern ver­waltet wird, ergreifen können. Sind dann bezahlte Armen­pfleger mit Hilfe von Roß und Reifigen eingefeßt, so were den sie jedenfalls in der Nähe eine Nothstation errichten müssen, um etwas für sich und ihr Armenhaus zu essen zu haben." Balkan   länder.

Ein Bester Journal meldet, die Kandidatur des Prinzen von Koburg für den bulgarischen Thron sei eine Er­findung Andrassy's. Das ist aber kaum glaublich, da Andraffy mit der bulgarischen Deputation in feinen Kontraft getreten ist. Unter allen Umständen aber ist es sicher, daß diese Kandidatur weder vom österreichischen Hofe, noch von der Regierung ange regt worden. Lettere hat sich in dieser Sache von Anfang an äußerst reservirt gehalten. Nach reueren Mittheilungen wäre die Kandidatur des Roburgers als vollständig aussichtslos zu betrachten.

Amerika.

An der New- Yorker Börse   ist auf die Spekulations orgien über Nacht ein schlimmer Kazenjammer gefolgt. Be sonders die Eisenbahnspekulation stand dort in vollster Blüthe. Vor vierzehn Tagen trat der Höhepunkt dieser Bewegung ein. Am legten November wurden an der Effektenbörse nicht weniger als 908 350 Aftien umgefegt, und da gleichzeitig an der Petroleumbörse 284 370 Titres gekauft und veräußert worden find, so ergiebt sich ein Gesammtumsat an diesem einen Tage von ungefähr 1 Millionen Titres. Die Reading Eisenbahnattien fliegen in wenigen Minuten um 14 pct. im Preise, und die Bewegung umfaßte nahezu alle Eisenbahnwerle. Die Bantiers wurden mit Aufträgen des Publikums überschüttet. Charakteristisch für die ganze Be wegung ist der Umstand, daß gerade die Aktien der Reading Eisenbahn diesen Enthusiasmus hervorriefen, während der Ge­schäftsbericht für das Jahr 1885 bei dieser Gesellschaft ein Defizit(!) von nicht weniger als 4,5 Millionen Dollars fon statirt und das Defizit für das Jahr 1886 auf 3,7 Millionen Dollars geschätzt wird! Die Aftien der Richmond- Eisenbahn wurden im August laufenden Sabres mit 29 pCt. notirt, und Der Preis erhöhte fich Ende November bis auf 76 pCt. In Der gleichen Beit hob sich der Kurs der Richmond- und Dunville- Eisenbahn von 140 auf 200 pet. Die Ueber Spekulation in den Vereinigten Staaten   war so groß, daß ein Rückschlag eintreten mußte. Derselbe wurde befördert durch eine geradezu wahnsinnige Agiotage, die in San Frangisto und Bittsburg stattgefunden hat. Das Geld vertheuerte sich und Der Binsfuß stellte sich im Laufe dieser Woche auf nicht weniger als 25 Prozent. Um einen zu starten Gelbabfluß nach Amerifa zu verhüten, müssen natürlich auch die europäischen   Banken ihren Binsfuß erhöhen, so daß auch der europäischen   Geschäfts­welt die Krifis jenseits des Ozeans fühlbar wird. Uns fann es ja am Ende gleichgiltig sein, wie fich die befizenden Klaffen unter einander das Einkommen wieder abjagen, das fte erst den Arbeitern entzogen haben aber lehrreich ist und bleibt das Börsentreiben, besonders für diejenigen, welche glauben, daß man nur durch saure Arbeit etwas verdienen könne. Dann find bie New- Dorter Spekulanten die angeftrengtesten Geschöpfe von dieser Welt.

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Gerichts- Beitung.

Die Vorstandsdamen des Arbeiterinnenvereins für den Norden Berlins   wegen Verlegung des Vereins- Gesetzes

vor Gericht.

3weiter Tag der Verhandlung. Bormittags wiederum die Sigung und ertheilt das Wort zur Präfident Landgerichtsdirektor Lüty eröffnet gegen 9% Uhr Bertheidigung der Angeklagten Cantius: Hoher Gerichtshof!

Ich schließe mich vollständig den Ausführungen unserer Herren Vertheidiger an. Ich war entfernt, in dem Verein Politik zu treiben, im Gegentheil, ich bin stets bemüht gewesen, jede poli tische Diskussion zu verhüten. Wir haben den Verein blos ges gründet, um unseren Mitschwestern zu helfen, um dieselben auf einen höheren geistigen Standpunkt zu bringen und es ihnen durch gemeinsames Vorgehen zu ermöglichen, eine Befferung durch gemeinsames Vorgehen zu ermöglichen, eine Befferung ihrer materiellen Lage zu erzielen. Wir haben lediglich soziale Mißstände, ganz besonders die Prostitution bekämpfen wollen. Ich bitte deshalb um unsere Freisprechung und im Namen der vielen Tausende von nothleidenden Arbeiterfrauen um Frei­gabe des Vereins.

Die Angeklagten Grothmann, Steinecke, Blechschmidt und Walter schließen sich der Angeklagten Cantius an. Sie seien lediglich bestrebt gewesen, die Löhne der Arbeiterinnen lediglich bestrebt gewesen, aufzubeffern.

Frau Steinecke bemerkt:

Sie könne es nicht begreifen,

daß sie strafbar sein solle, weil sie fich in einem gesetzlich er­laubten Vereine als Schriftführerin habe wählen laffen.

Frau Walter bittet ganz besonders um Freigabe des Vere eins, da in der jegigen fraurigen Zeit die Arbeiterinnen um so dringender einer Vereinigang bedürfen.

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Angell. Pötting: Hoher Gerichtshof: Unsere Herren Ver theidiger haben wohl in eingehender Weise den§ 8 des Ver­einsgefezes beleuchtet, ich gehe jedoch noch etwas weiter, indem ich behaupte, der§ 8 des Vereinsgefeßes kann auf Frauenver­eine gar keine Anwendung finden. Der§ 8 des Vereinsge ſezes, der uns Frauen eigenthümlicher Weise mit Schulbuben auf eine Stufe stellt, spricht nur von Männers, nicht aber von Frauenvereinen. Der Gesetzgeber hat bei Abfaffung dieses Pa­ragraphen jedenfalls nicht bedacht, daß wir Frauen die Schul­buben erziehen und zunächst berufen find, für deren geistiges und leibliches Wohl Sorge zu tragen. Andererseits kann der Gesetzgeber aber nur Männervereine bei Abfaffung des§ 8 im Auge gehabt haben. Dafür spricht doch die Fassung: Wenn auf Auffor Dern des beaufsichtigenden Polizeibeamten Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge nicht entfernt werden, so ist der Polizeibeamte berechtigt, die Versammlung aufzulösen." Diese Fassung kann fich doch blos auf Männervereine beziehen; der Gesezgeber tann doch nicht verlangen, daß in Frauenvereinen alle anwe­senden Frauen, einschließlich der Vorsitzenden, entfernt werden. Andererseits ist den Frauen nirgends verboten, Politik zu trei­ben. Daß wir in unseren Vereinsversammlungen Politik ge­trieben haben, ist in feiner Weise bewiesen worden. Welches Verbrechen haben wir also begangen? Wir find bemüht gewesen, uns und unseren Mitschwestern eine menschen­würdigere Existenz zu verschaffen, dafür zu sorgen, daß wir und unsere Kinder auskömmlichere Löhne erhalten. Einer der Herren Belastungszeugen hat allerdings bekundet, unsere Vereins- und öffentlichen Versammlungen seien identisch gewesen, den näheren Nachweis hierfür ist er aber schuldig geblieben. Unsere Vereins­versammlungen waren gewöhnlich von nur 150, unsere öffent verfammlungen waren gewöhnlich von nur 150, unsere öffent­lichen Versammlungen dagegen von 600-800 Personen besucht. Während die Vereinsversammlungen stets ruhig verliefen, waren unsere öffentlichen Versammlungen häufig so stürmisch, daß fie der beaufsichtigende Polizeibeamte auflösen wollte. Daß man in den öffentlichen Versammlungen vielfach dieselben Ge­fichter fah, wie in den Vereinsversammlungen, fann doch nicht die Identität beweisen. Der Herr Staatsanwalt ist ebenfalls einen näheren Nachweis hierfür schuldig geblieben. Für den

oder alterirt. Mit anderen Worten: der Gerichshof ist der Meinung, Politit ist, wenn bezweckt wird, Einrichtungen und Gefeße des Staates oder der Staatsverwaltung abzuändern oder zu beseitigen. In den öffentlichen Versammlungen, zum Theil aber auch in den Vereinsversammlungen, ist über den Normalarbeitstag diskutirt worden, es hat eine Petition an den Reichstag zu Gunsten des sozialdemokratischen Arbeiterschut gefeß- Entwurfs ausgelegen, das erwähnte Bebel'sche Programm ist erörtert worden, es ist die Forderung aufgestellt worden, den Frauen das politische attive und paffive Wahrecht zu vers leihen und eine Anzahl politischer Gegenstände mehr, und wenn man erwägt, daß diese Erörterung geschah unter der Aegide bekannter fozialdemokratischer Schriftsteller und Agitatoren, so wird der Geritshof nicht fehl gehen, wenn er der Ansicht ist, daß bezweckt wurde, politische Gegenstände in den Vereinsver sammlungen zu erörtern. Es tönnte zunächst paradox erscheinen, daß man Frauen deshalb für strafbar erachtet, weil fie als Vorstandsmitglieder eines Frauenvereins welcher bezweckte, politische Gegenstände in seinen Versamme lungen zu erörtern, Frauen als Mitglieder aufgenommen haben. Allein dieser scheinbare juristische Nonsens schwindet, wenn man den§ 8 des Vereinsgefeßes näher in's Auge faßt. Es ist zweifellos, daß der Gefeßgeber damit bezweckt hat, Frauen überhaupt von politischen Versammlungen auszuschließen und ihnen die Bildung solcher Vereine zu verbieten. Die Reichs Gewerbeordnung steht dieser Bestimmung des preußischen Vereinsgefeßrs nicht entgegen. Wenn beide nur in den gehöri gen Schranken gehalten werden, so können sehr wohl beide neben einander bestehen. Was nun das Strafmaß anlangt, so hat der Gerichtshof die Pötting als die Seele des Ganzen angesehen, in zweiter Linie kommt die Cantius in Betracht, während die anderen Angeklagten nur eine untergeordnete Thätigkeit ents falteten. Bezüglich der Blechschmidt ist der Gerichtshof zu einem Non liquet gelangt. Was nun die Schließung des Vereins anlangt, so war einmal der tumultuarische Charakter der meisten öffentlichen Versammlungen, Wo durch die öffentliche Ruhe und Ordnung gefährdet war, zu berücksichtigen, ferner war zu erwägen, daß die Vorstands mitglieder das Bestreben hatten, die Aufsichtsbehörde über ihre wahren Bestrebungen zu täuschen und daß in einer Stadt wie Berlin   die Sicherheitsorgane in nüßlicherer Weise verwendet werden können, als zur Üeberwachung tumultuarischer Versamms lungen. Wenn einer der Herren Vertheidiger anführte, mit Rücksicht auf das bevorstehende Weihnachtsfest solle von der Schließung des Vereins Abstand genommen werden, so ist der Gerichtshof der Meinung, daß den Berliner   Arbeiterfrauen beffer gedient ist, wenn sie zum Weihnachtsfest der Ruhe und dem Frieden wiedergegeben werden. Auf Grund all dieser Erwägungen hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß mit Ausnahme der Blechschmidt, die kostenlos freizusprechen war, die 5 anderen Angeklagten sich der Verlegung des Vereinsge feges schuldig gemacht haben und daß deshalb unter Zurlast­legung des Verfahrens zu bestrafen seien: die Pötting mit 30 M., die Cantius mit 25 M., die Grothmann und Walter mit je 20 M., die Steinecke mit 15 M. Geldstrafe und daß im Ünvermögensfalle für je 5 M. 1 Tag Gefängniß zu substi tuiren ist. Außerdem hat der Gerichtshof auf Schließung des Vereins erkannt.

Aufruf der Frau Cantius bin ich nicht verantwortlich. Der Soziales und Arbeiterbewegung.

Herr Staatsanwalt sagte: ich wäre höher zu bestrafen, als die anderen Angeklagten, da ich ein flar denkender Kopf bin, Wenn mir der Herr Staatsanwalt ein solches Kompliment macht, dann muß er mir auch zutrauen, daß ich im Stande bin, öffentliche und Vereinsversammlungen auseinander zu halten. Die Entlastungszeugen haben befundet, daß ich gerade bemüht war, alle Politik von unseren Versammlungen fernzu­halten. Wenn der Herr Staatsanwalt troßdem gegen mich eine höhere Strafe für nothwendig hält, so muß ich sagen: Derfläre mir, Graf Derindur, nicht diesen Zwiespalt der Natur, sondern den 3wiespalt der Worte des Herrn Staatsanwalts. Ich überlasse es nun dem hohen Gerichtshof, zu erwägen, ob wir strafbar gehandelt haben. Ich bitte, den hohen Gerichts. hof zu berücksichtigen, daß die Schließung des Vereins tausende Don Arbeiterfrauen schwer schädigen würde und daß der Buttkamer'sche Erlaß eine hinreichende Garantie giebt, daß wir das uns gewährte Versammlungsrecht nicht mißbrauchen. Ich bitte deshalb um unsere Freisprechung und um Freigabe des Vereins. Der Gerichtshof zieht sich alsdann zur Berathung zurück.

Nach etwa 1 stündiger Berathung verkündet der Präfident, Landgerichtsdirektor Lüty, folgendes Erkenntniß: Es wäre dem Gerichtshof sehr erwünscht gewesen, wenn er in Folge der Be­weisaufnahme zu der Ueberzeugung gelangt wäre, daß die hier angeklagten Vorstandsmitglieder des Berliner   Arbeiterinnen­vereins streng ihre Statuten innegehalten haben. Der Gerichts­hof ist jedoch leider zu der Ueberzeugung gelangt, daß die An­geflagten nicht einmal die Abficht gehabt haben, den Wortlaut dieses Statuts innezuhalten. Der Gerichtshof ist zunächst der Meinung, daß die Behauptung der Angeklagten Pötting: fie sei die Verfasserin des sogenannten Bebel'schen Programms, eine bedingte Unwahrheit ist. Die ganze Fassung des Programms spricht unzweifelhaft dafür, daß hinter demselben eine erfahrene, gewandte männliche Hand gestanden hat. Es ist ja sehr er flärlich, daß von dieser männlichen Seite der Hebel an einer Stelle angefeßt wurde, wo er sich am wirksamsten erweist, denn es ist bekannt, daß die Frauen nicht blos den größten Einfluß auf die Männer, sondern auch auf die heranwachsende Jugend haben. Der Gerichtshof ist nun der Ueberzeugung, daß die öffentlichen mit den Vereinsversammlungen identisch waren. Dafür spricht 1) eine Anmeldung der Angeklagten Walter, in welcher dieselbe der Polizei anzeigt, daß eine öffentliche Ver­sammlung des Berliner   Arbeiterinnenvereins stattfinden werde, 2) der mehrfach erwähnte Aufruf der Angeklagten Cantius, in welchem allmonatlich 4 Versammlungen, 2 Vereins- und 2 öffentliche Versammlungen angekündigt werden. Der Einwand der Angeklagten Pötting, sie habe gegen diese beiden Schrift­stücke Einspruch erhoben, fann nur als scheinbar angefehen werden. Der Bötting war bekannt, daß dadurch das Vereins geset verlegt werden könnte, deshalb erhob sie diesen schein­baren Einwand. Allein durch noch mehrere andere Dinge hat der Gerichtshof die Ueberzeugung gewonnen, daß die öffentlichen mit den Vereinsversammlungen identisch waren. Der Gerichtshof fieht von den äußeren Eindrücken ab, da derartige Eindrücke immer etwas mißlich find. Dagegen spricht 1) die Thatsache dafür, daß in den öffentlichen Versammlungen fast aus nahmslos die Vorstandsmitglieder des Vereins ins Bureau gewählt wurden und 2) daß die in den öffentlichen Versamm­lungen vorgenommenen Tellersammlungen stets in die Kaffe des Vereins floffen. Wenn die Bötting einwendet, fie habe in den Vereinsversammlungen über diese Tellersammlungen blos Deshalb Rechenschaft abgelegt, da sie wegen der Verwendung dieser Gelder zur Rede gestellt worden sei, so ist doch zu er­widern, daß diese Rechtfertigung vor die öffentliche Versamm lung gehört hätte, in der die Gelder gefloffen find, aber nicht vor die Vereinsversammlung, die angeblich mit den öffentlichen Versammlungen nichts zu thun gehabt hat. Auch daß die Bötting die öffentlichen Versammlungen als private Unter nehmerin einberufen hat, war nur eine scheinbare Handlung. Ist sonach erwiesen, daß die öffentlichen Versammlungen mit den Vereinsversammlungen identisch waren, so ist zweifellos festgestellt, daß der Verein bezweckt, politische Gegenstände in seinen Versammlungen zu erörtern und auch erörtert hat. Ich gebe dem einen Herrn Vertheidiger zu, daß man mit einer dialektischen Gewandtheit jedes Thema als politisches bezeichnen fann, allein der Gerichtshof ist doch der Meinung, daß Politit alles bas ist, was die Organisation des Staates betrifft, fie betrifft

Die Kinderarbeit in Frankreich   bringt der in einer Nummer des Moniteur Officiel du Commerce" veröffentlichte Bericht für 1885 einer in Frankreich   mit der Ueberwachung der Kinderarbeit betrauten Kommiffion reichhaltiges Material. Nach ihm find im Berichtsjahre nicht weniger als 240 778 Kinder von 10 bis 15 Jahren, sowie minder iährige Frauen( gegen 200 375 im Vorjahre) in 60 810 französischen Fabriken beschäftigt gewesen. Diese Bunahme läßt fich nur zum Theil mit der seit 1884 vollzogenen Verbesserung der Aufsicht erklären, denn der letteren entgehen auch jezt noch die geistlichen(!) Fabriken und die Hausindustrie. Ueberdies werden neuerdings viele Kinder von den Eltern statt in der Industrie, in Hotels, bei der Post und den Telegraphen, in großen Magazinen u. f. w. untergebracht, und hier fehlt wiederum die staatliche Ueberwachung. Was will es da be­deuten, wenn der für Kinder ungebührlich lange Arbeitstag von zwölf Stunden wirklich nur selten" überschritten worden wäre, wie der Bericht meint. Wurden doch, namentlich in Glashütten, 10 bis 12 Jahre alte Kinder von früh halb 5 Uhr bis Abends 5 Uhr arbeitend gefunden! Für die Sonntags und Nachtarbeit der armen Kleinen bei Fischhändlern, Bäckern und anderen Unternehmern der Lebensmittelbranche legt die Kommission ordentlich ein gutes Wort ein! Ueber die Kinder­arbeit in den Bergwerfen kann sie nur die unbestimmte Vermuthung aussprechen, daß da nicht alles richtig zugehe. Von den 89 119 Kindern zwischen 12 und 15 Jahren der Berichtsperiode besaßen infolge deffen infolge deffen nur 56 634 ein regelrechtes Schulzeugniß, also nur 63 Prozent ganze 27 Prozent ermangelten des Unterrichtes. Das ist noch nicht Alles noch nicht Alles die Anzahl der Unglücksfälle, welche beschäftigte Kinder treffen, ist so groß, daß die Kommission die im Berichtsjahre gemeldete Zahl( 182) selbst für viel zu flein  erklärt. Die geschilderten Zustände erscheinen den Berichte erstattern so unhaltbar, daß sie eine Revifion der Gesetzes bestimmungen in Aussicht stellen, und ein bezüglicher Entwurf ist denn auch wirklich legter Tage vom Handelsminister bei der Kammer eingebracht worden. Wir erwähnten ihn schon furz. Derselbe faßt die Bestimmungen des Gesetzes vom 9. September 1848 über die Arbeitsdauer und die des Gesetzes vom 19. Mai 1874 über den Schuß der im Gewerbe verwendeten Kinder und Mädchen zu einem einheitlichen Geseze zusammen und verbessert fie etwas. Insbesondere wird der Schuß auch auf solche ge= werbliche Anlagen ausgedehnt, welche die Form von Fach- oder Industrieschulen oder Versorgungs-, Rettungs- oder sonst Wohl thätigkeitsanstalten haben und bisher der Aufsicht entzogen waren. Das Alter der Zulässigkeit der Kinder in Werkstätten, welche im Gefeße von 1874 auf 12 Jahre bestimmt und für gewiffe Industrien bei blos sechsstündiger Arbeit sogar auf 10 Jahre ermäßigt wurde, ist in der neuen Vorlage gleichförmig auf 13 Jahre festgelegt. Die Nachtarbeit ist nicht blos für Kinder und minderjährige Mädchen, wie im Gefeße von 1874, sondern für Frauenspersonen jeden Alters untersagt, unter Vorbehalt der Geftattung für Nothfälle durch eine Minister verfügung. Die Arbeitszeit ist für Arbeiterinnen jeden Alters auf 11 Stunden täglich begrenzt. Endlich bezweckt eine Reihe neuer Bestimmungen die Sicherung von Leben und Gesundheit in den Werkstätten aller Art.

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Weiße Sklaven. Das rapide Wachsthum der Reichss hauptstadt hat in den lezten Jahren die Verkehrsmittel- Spetus lation mächtig in die Höhe schnellen laffen. Von den verschies benen Unternehmungen dieser Art nennen wir nur vier: die Allgemeine Berliner Omnibus- Aktiengesellschaft", die Große Berliner Pferdeeisenbahn- Aktiengesellschaft", die Neue Berliner Pferdebahn- Gesellschaft" und die Omnibus- und Packetbeför derungs Gesellschaft". Eine jede von ihnen steht auf festen Füßen; die Dividenden fallen alljährlich überreich aus. Auc Grund genug, um annehmen zu können, daß die feinen" Go sellschaften auch ihre Angestellten entsprechend den gläns zenden Einnahmeresultaten entlohnen. Aber weit gefehlt. Ge ring befoldet, vom Morgengrauen bis in die Nacht thätig und allen Unbilden ausgefeßt, ist die Lage dieser niederen" Bee amten in der That nichts weniger als beneidenswerth Gründe liegen ja nahe. Wie das ganze Beamtenproletariat, find auch die Bediensteten" der Verkehrsanstalten unorganifirt und den Direktionen gegenüber vollkommen hilflos. Der Arbeiterstand ift fich seiner Macht und Zukunft bewußt; das nothleidende Beamtenthum ist davon noch weit entfernt.

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