un so mancher indistrete Blick in die Zukunft wird unter An­wendung von allerlei Hokuspokus aus Scherz oder Aberglauben gethan. Allgemein ist die Sitte des Fischeffens am Sylvester­abend, um sich im neuen Jahre das nöthige Kleingeld zu fichern. Der beliebteste Fisch ist der Karpfen. Weniger beliebt, der aber dennoch nothgedrungen in großen Maffen verzehrt wird, ist der Hering. Beide werden auch wohl durch süße Mohnpielen ersetzt. Durch Bleigießen, Pantoffelnwerfen, aus Nüffen, Kaffeegrund, durch Dratel, Miratel und sonstigen Spektakeln sucht man die Zufunft zu ergründen. Dies alles verleiht dem Sylvesterabend einen ebenso lustigen, wie närrischen Charakter. Dazu kommt wohl noch in vielen Fällen ein ge­wiffer Galgenhumor, welcher den legten Abend eines verdrieß­lichen Jahres wenigstens in Heiterkeit entschwinden macht. Sylvester, dem Jahre giebt den Rest er, und aus welcher Ver­anlaffung auch immer, gefeiert wird auf alle Fälle Sylvefter!

Arbeitseinstellung. Die Dreher der Kettner'schen Instrumentenfabrit, Neuenburgerstraße 29, liegen seit dem 27. d. M. im Streif wegen Differenzen mit dem Prinzipal. Der Sachverhalt ist folgender: Die Arbeiter sollten eine Fabrik­ordnung unterschreiben, die besagt, daß für ein einziges Mal Bufpätkommen 50 Pf. Strafe bezahlt werden sollen. Wer vier Mal zu spät tommt, soll sogar 70 Pfg. Strafe zahlen. Die Arbeiter weigerten fich natürlich, derartige Bestimmungen zu unterschreiben. Sie wählten eine Kommission von Drehern und Gürtlern, die dem Fabrikanten das Unannehmbare seiner Forde­rungen vorstellen sollte. Als der Fabrikant nun sah, daß seine Arbeiter durchaus einig und entschlossen waren, ihr Recht zu wahren, gab er klein bei, ermäßigte die Strafe" für Buspät tommen wieder auf 10 Bf., behielt fich jedoch ,, weitere Schritte" vor. Diese weiteren Schritte" bestanden nun darin, daß ein Arbeiter, welcher schon 6 Jahre in der dortigen Fabrik beschäf tigt war, und der dem Fabrikanten die Sachlage flar gelegt hatte, plößlich entlassen wurde. Nun traten die Arbeiter ein­müthig für ihren gemaßregelten Kollegen ein und legten die Arbeit nieder, da Herr Kettner nicht dazu zu bewegen war, die Entlaffung des Arbeiters zurückzunehmen. Man ersieht aus dieser Darstellung, auf weffen Seite Recht und wo Unrecht ist. Die Arbeiter werden ja wiffen, was sie zu thun haben.

Unter dem Namen ,, Warners Safe Cure" wird seit einiger Zeit eine braune Flüssigkeit in flachen Flaschen von etwa 500 Gramm Inhalt gegen Nierenleiden angepriesen und für den Preis von 4 M. verkauft. Die amtlich veranlaßte chemische Untersuchung und die Angabe eines hiesigen Apo­thefers, welcher das Mittel führt, haben ergeben, daß das Mittel im wesentlichen aus amerikanischem Wintergrün her geftellt wird und daß die Flasche höchstens einen Werth von 2 M. hat.

Jm Moabiter Kriminal- Gerichtsgebäude ist am Diens tag ein überaus frecher Diebstahl ausgeführt worden. Ein ge= wandter Spiẞbube benuste die fich ihm darbietende Gelegenheit, aus dem unbewachten Zimmer der Rechtsanwälte den funkel­nagelneuen Ueberzieher eines Referendars zu stehlen und spur los zu verduften, während der Bestohlene in Ausübung seiner Praris zur Vertheidigung eines Erzspizbuben nach einem der fernab gelegenen Sigungssäle abberufen worden war. Der­artige Vorkommnisse sind übrigens nichts neues, denn erst vor furzem ist an derfelben Stelle einem der Vertheidiger die Robe gestohlen worden; die Gelegenheit ist aber auch zu günstig für die zahlreich in dem Gerichtsgebäude quasi als Zuhörer ver tehrenden Kriminalstudenten und Zunftgenoffen der eingelochten Verbrecher. Um dem vorzubeugen, werden die Herren Rechts­anwälte wohl oder übel sich zur Anstellung eines aufsichts­führenden Beamten für das von ihnen benutte Zimmer über furz oder lang entschließen müssen.

Alter Schwindel, der immer neu bleibt. Der von der Staatsanwaltschaft zu Breslau   wegen Betruges und Urkunden­fälschung verfolgte Barbier Otto Gaertner aus Guhrau   ist gestern hier festgenommen worden. Gaertner   hat, wie er zu­gesteht, in einem Briefe, welchen er mit dem Namen von Bielom unterschrieb, einen Gutsbesitzer in der Nähe von Glogau   er­sucht, fich zum Ankauf von Vieh in Breslau   einzufinden. Nach dem G. die Ankunft des S. erfahren hatte, richtete er im Namen des letteren an die Ehefrau desselben das telegraphische Ersuchen, sofort 300 Mart nach Breslau   einzusenden. Das Geld wurde abgeschickt, von G. in Empfang genommen und verbraucht. Gaertner  , welcher sich auch die Namen Krosche, Eiselt, Seibt und von Zilow beigelegt hat, steht außerdem im Verdacht, ein Heirathsschwindler zu sein.

In Bezug auf die Haussuchung, von der wir in Nr. 304 Mittheilung machten, ist zu berichtigen, daß der Name des einen. Gebaussuchten" nicht Berger sondern Bergner" ist.

Ein ,, Geschäftstniff. In den Kneipen, die durch ihr Aushängeschild Wein und echte Biere" gekennzeichnet und in einen gewissen übeln Ruf gerathen sind, wird bei den bedienen­den Kellnerinnen häufig die Beobachtung gemacht, daß fie, um fich über die Geldverhältnisse der Besucher( namentlich der Pro­vinzialen) zu vergewissern, sich folgenden, sehr einfachen und doch wirksamen Kunstgriffs bedienen. Sie gehen mit einem von dem Wirth erhaltenen 50- Markschein oder 20- Markstück an den fremden Besucher mit der Bitte heran, den Schein oder das Goldstück zu wechseln. Indeß sich der Fremde liebenswürdig beeilt, der Bittenden das Geld umzuwechseln, hat diese mit Kennerblick den Inhalt seiner Geldbörse gemustert und richtet darnach den Grad ihrer mehr oder weniger auf Bauernfang berechneten Liebenswürdigkeit ein.

Eine Reihe von merkwürdigen Lithographien fesselt jezt die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden an das Schau­fenster des Mai'schen Kunst- Antiquariats in der Mauerstraße. Es sind Steindrucke des Erfinders dieser Kunst, Senefelder  , feltsame Karrikaturen der Künste und Handwerke. Aus den Werkzeugen der Tischler, Böttcher, Friseure u. f. w. hat der Zeichner höchst groteste Röpfe fonstruirt, ein Scherz, der uns heute nicht mehr anmuthet. Aber als erste Broben dieser Kunst, welche bei ihrer Erfindung so großes Aufsehen erregte, sind die Blätter merkwürdig.

Kunstbutter muß unter allen Umständen als solche be zeichnet werden. Ein Kaufmann E. hatte einem hiesigen Bäcker Kunstbutter als Backbutter verkauft. Die Sache wurde der Staatsanwaltschaft angezeigt und der Kaufmann in zwei Jn­ftanzen zu 100 M. Strafe verurtheilt.

Umzugstermin für Dienstboten. Mit Rücksicht auf den Neujahrstag und den Umstand, daß der 2. Januar diesmal auf einen Sonntag fällt, ist beim bevorstehenden Quartalswechsel der Umzugstermin für die Dienstboten in Berlin   auf Freitag, den 31. Dezember, festgesetzt worden.

Die Entfernung der Schneemassen von den Dächern ist eine dringende Nothwendigkeit; täglich, und namentlich um die Mittagszeit, wenn die Temperatur den Schnee zum Schmelzen bringt, kann man in den Straßen diese Lawinen­ftürze beobachten, die hier mehr Menschenleben gefährden, als rie allerdings großartigeren Naturschauspiele in den Gebirgen. Nicht bloß im Intereffe des Straßenverkehrs, sondern auch im eigenditen Intereffe der Hausbesißer und Hausverwalter empfiehlt sich die Befreiung der Dächer von den Schneemaffen, denn für die Folgen eines Unfalles, den solche niederstürzenden Schneemaffen anrichten würden, dürften die Hausbesiger resp. Verwalter zivilrechtlich im vollen Umfange verantwortlich ge­macht werden können.

Ausgerechnet! Wie viel Nadelstiche sind zur Fertige stellung eines Winterrocks erforderlich? Diese interessante Frage wurde, dem Berl. Tabl." zufolge, dieser Tage in Wien   ge legentlich einer Wette entschieden, welche der Schneidermeister Alois B. proponirt hatte, nachdem er behauptet, daß mehr als 40 000 nöthig wären. Ein Schneidergeselle wurde mit der An fertigung des Kleidungsstückes betraut und eine Kommission. von Sachverständigen hatte mit Genauigkeit die Etiche zu zählen und darüber zu wachen, daß keine unnüßen Etiche ge

macht wurden. Das Ergebniß war folgendes: Vorder, Hinter­und Seitentheile zusammennähen 4780 Stiche, Kragen 8063, Kragen annähen 1763, Knopflöcher 2520, Aermel nebst Fütterung derselben 980, Taschen 924, Absteppen des Seiden­futters und der Watte, sowie Einnähen derselben 17 863, unterer Saum 2726 in Summa 39 619 Nadelftiche.

Eine abscheuliche Rohheit begingen in verfloffener Nacht ein halb Dugend verwilderte Burschen, welche der Buhälter Bunft" angehören, in einem Lokal der Hirtenstraße an dem Barbier Hermann Bl. aus der Straußbergerstraße. Bl. war ahnungslos in das Lokal gekommen und hatte sich ein Glas ahnungslos in das Lokal gekommen und hatte sich ein Glas Bier bestellt. Die in dem Lokal befindlichen Rowdies, welche schon gehörig gezecht hatten, fielen nach kurzer Zeit ohne jede Veranlassung über Bl. her und schlugen mit allen möglichen Instrumenten so lange auf ihn ein, bis er bewußtlos zusammen­brach. Alsdann machten sich dieselben aus dem Staube. Der Schwerverlegte begab sich in Begleitung zweier mitleidiger Menschen, welche auf den Standal herbeigeeilt waren, zur fönigl. Charitee, woselbst er Aufnahme fand. Das Gesicht des Bedauernswerthen war von Stochieben so verschwollen, daß Bl. taum im Stande war, die zur Aufnahme nöthigen An­gaben zu machen. Die Kriminalpolizei hat schon Schritte be­hufs Festnahme der Unholde gethan. Der 2c. Bl. soll an dem Streit völlig unschuldig sein.

Von Geburtswehen überrascht brach vorgestern Nach mittag gegen 5 Uhr auf dem Alexanderplatz   eine junge, an­ständig gekleidete Frauensperson laut jammernd zusammen, welcher Vorgang selbstverständlich auf dem start frequentirten Plaße eine größere Menschenansammlung zur Folge hatte. Ein Schußmann nahm sich der Aermſten an und bewirkte ihre Ueber. führung mittelst einer Droschte nach der Charitee. Dort wurde die Patientin als die bei ihren Eltern in Tempelhof   wohnhafte Arbeiterin Anna P. refognoszirt.

Wieder eine Geistestrante. Wegen gemeingefährlicher Geistes krankheit wurde gestern Nachmittag die in der Franz Geisteskrankheit straße 8 wohnende Schneidermittwe Jda Schöricke, geb. Unrein, straße 8 wohnende Schneiderwittwe Joa Schöricke, geb. Unrein, durch das 55. Polizeirevier der königlichen Charitee überwiesen. Die Sch. trug sich seit längerer Zeit mit der firen Idee, eine Tochter der Kaiserin zu sein und als solche erst kürzlich eine Unterredung mit der Kaiserin im Lustgarten gehabt zu haben. Sie sei von der Kaiserin als Tochter anerkannt worden und dergleichen. Vor einigen Tagen verfiel die Frau in Tobsucht, gefährdete wiederholt mittelst eines Messers das Leben ihrer 20jährigen Tochter, mit der Motivirung, daß fie derselben den Kopf abhacken müsse, und benahm sich überhaupt derartig, daß die Tochter wie die Nachbarn der Polizei Anzeige erstatteten, und die Ueberführung der Irrfinnigen in das vorgenannte Krankenhaus bewirkten.

Nach einer Mittheilung der kaiserlichen Oberpost­direktion in Breslau   ist am 24. d. M. ein in der Bahnpost 30 ( Rohlfurt Breslau) gefertigtes und für das Postamt in Glat bestimmtes Geldfahrpostpacket abbanden gekommen. In dem selben befanden sich ein Einschreibebrief Nr. 29 aus Buchau Der und ein Geldbrief aus Dresden   an Berger in Glaz  . Geldbrief enthielt zwei Reichsbanknoten Nr. 109 328 und Nr. 115 160 über je 500 M. und fünf Noten zu je 100 Mark der Preußischen oder Sächsischen Bank in Dresden  . Der Ver­luft soll in Dittersbach   bei Waldenburg   in Schlesien einge­treten sein.

Parfümirte Visitenkarten werden neuerdings, haupt­sächlich wohl in Bezug auf den Jahreswechsel in den Handel gebracht. Da die Visitenkarten beim Jahreswechsel, eine große Rolle spielen, so dürften sich die parfümirten" vornehmlich für solche Personen eignen, die in schlechtem Geruche stehen.

Drei schnell aufeinander folgende Revolverschüsse ver­setzten vorgestern Vormittag die Bewohner des Hauses Brüder straße 21 in erklärliche Aufregung. Die Detonation fam aus einer im zweiten Stock belegenen Wohnung, welche ein Herr Spig inne hat. Bei demselben wohnt seit geraumer Zeit ala Chambregarnist der Bahnassistent Bräunig, welch letterer sich in einem Anfall von Geistesgestörtheit drei Revolverschüsse in den Kopf beigebracht hatte. Blutüberströmt und ohnmächtig lag der Selbstmörder auf dem Fußboden seines Zimmers, den Revolver frampfhaft in der Rechten haltend. Obwohl man so­fort nach ärztlichem Beistand suchte, war solcher doch absolut nicht zu beschaffen, da um diese Zeit die Aerzte meiſtentheils Krantenbesuche machen. Es blieb demnach nichts weiter übrig, als telophonisch Hilfe bei der Charitee zu erbitten, welche denn auch bald eintraf. Mittelst Droschke wurde der Schwerverleßte nach der genannten Anstalt überführt. Wie wir erfahren, foll B. bereits seit längerer Zeit Zeichen von Geistesgestörtheit an den Tag gelegt haben, doch legte man denselben keine ernſtere Bedeutung bei. Bei der Anhalter Bahn, bei welcher B. ange stellt war, wurde ihm öfters frankheitshalber Urlaub bewilligt, auch jezt hatte er abermals fünf Wochen Urlaub erhalten. Die Verlegungen, welche sich der Unglückliche in der Nähe des Ohres beigebracht, sollen derartig schwere sein, daß an eine Wieder­herstellung nicht zu denken ist.

Polizei- Bericht. Am 29. d. M., früh, fuhr an der Ecke der Friedrichs- und Dorotheenstraße ein von dem Schlächter­meister Reiner, Rathenowerstraße Nr. 86 wohnhaft, geführter Geschäftswagen mit einem Poftpacketwagen derartig zusammen, daß ersterer umfiel. Reiner wurde dabei auf das Pflaster ge= schleudert und erlitt eine Verlegung des rechten Oberschenkels.

Am Vormittag brachte sich ein Mann in seiner Wohnung in der Brüderstraße in selbstmörderischer Absicht mittelst eines Revolvers drei Schüsse in den Kopf bei. Er wurde schwer ver­legt, jedoch noch lebend, nach der Charitee gebracht.- Abends warf die im Hause Prinzenstraße 74 in Dienst stehende unvers ehelichte Fint in ihrer Schlaffammer eine brennende Petroleum­lampe um, so daß diese explodirte und ihre Kleider in Brand gesezt wurden. Sie erlitt dadurch lebensgefährliche Brand­munden am ganzen Körper und mußte nach dem Krankenhauſe Um dieselbe Zeit fand in der Bethanien gebracht werden. Brinzenstraße ein Zusammenstoß zwischen einem Pferdebahn­wagen und einem von dem Kutscher Voigt, Köpnickerstraße 96 wohnhaft, geführten Arbeitswagen, anscheinend durch die Schuld des legteren statt. Durch die zertrümmerten Scheiben des Pferdebahnwagens wurde ein in demselben sigender 5 Jahre alter Knabe leicht im Gesicht verlegt. Am 29. d. M. brannten in einer verschloffenen Wohnung des Hauses Waldemarstraße Nr. 56 einige Möbel. Die Feuerwehr war in Thätigkeit.

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Gerichts- Zeitung.

Nach Beendigung eines Folgen der Vergeßlichkeit. Jagdzuges in den wildreichen Waldungen bei Königswuster­baufen hatten der Zahntechniker Förster und der Möbelhändler Schmidt, zwei Jäger, am Sonntag, den 22. Auguft d. J., in der Nähe ihres rechtmäßigen Reviers auf grünem Rain ein Jagdfrühstück einzunehmen für nothwendig erachtet. Die Beute, welche sie gemacht, war reichlich und bestand in einer Anzahl Hühner, welchen ein glücklicher Treffer oder ein Jrrthum beides ist nach Lage der Sache nicht ausgeschloffen- noch außer dem ein Rehtalb beigefellt hatte, obwohl für die lettere Spezies noch das Interdikt der gefeßlichen Schonzeit bestand. Der An­blick der mit Beute vollgepfropften Jagdtasche versezte die beiden Jäger am Sonntag" denn Sonntagsjäger" fie leichthin zu nennen, verbietet der ihnen thatsächlich gewordene Erfolg- in eine angenehme Stimmung, welche sich in dem Grade steigerte, als der Jagdtrunk, der in wachsender Auflage spendirt Zuletzt waren wurde, ihnen mehr und mehr mundete.

Beide in eine derartig wohlige Weltanschauung gerathen, daß fie bei ihrer Entfernung von dem Rendezvous- Blaze jene ge­füllte Jagdtasche, die eigentliche Ursache ihrer glückseligen Stim­mung, im Grafe liegen ließen. Diese Vergeßlichkeit sollte fich aber furchtbar rächen; spielende Kinder fanden beim Blumen

pflücken die Jagdtasche mit der Beute. Eins der Kinder war dabei von Neugier getrieben auf den Einfall gekommen, den Inhalt der Tasche näher in Augenschein zu nehmen und mit dem Rufe: Wir haben ein Rehkälbchen!" stürmten die neus gierigen Rangen nach Hause. Nun fanden sich jedoch Neider, welche den beiden Jägern die Beute, besonders das Erlegen des Rehtalbes, von Herzen mißgönnten und zuletzt hatten fich Förster und Schmidt wegen Verlegung der Schonzeit vor dem Schöffengericht zu verantworten; sie wurden dieserhalb zu je 30 M. ev. 5 Tage Gefängniß verurtheilt und hatten gegen dieses Urtheil Berufung eingelegt, indem sie einwendeten, das Rehkalb sei, tein Rehtalb" gewesen, sondern ein Hase. Die Straf fammer des Landgerichts 1 erachtete indessen diesen Einwand für unerheblich in Anbetracht des Umstandes, daß, wie die in den Gerichtsaften erster Instanz protokollirten Beugenaussagen ergaben, die Beugen bestimmt das Vorhandensein eines Reh­kalbes, welches sie bei den Hinterläufen aus jener Jagdtasche gezogen hatten, bekundet hatten; einen Frrthum seitens der Beugen erachtete nach dieser Richtung hin der Gerichtshof für völlig ausgeschloffen, denn ein Rehtalb sei kein hase  " und ein Hase fein Rehtalb". Der Gerichtshof verwarf demgemäß bie Berufung und erkannte auf Bestätigung des schöffengericht lichen Urtheils.

+ Nicht Kriminalbeamter, sondern Zuchthäusler. Am 23. November d. J. wollte Fräulein Elisabeth S., ein junges, achtzehnjähriges Mädchen, die Verkäuferin in einem Geschäft am Spittelmarkt ist, eine Freundin vom Stettiner Bahnhof abholen. Es war Abends gegen 8, als die Dame am Stets tiner Bahnhof anlangte und, um sich die Zeit des Wartens zu verkürzen, die Invalidenstraße auf und ab ging. Da trat ein Mann an sie heran und besaß die Frechheit, sie zu duzen und aufzufordern, mit ihm zu gehen. Das fouragirte Mädchen gab die passende Antwort, indem sie den Unverschämten fragte, ob er denn verrückt sei. Das Abenteuer, welches damit zunächst endete, benahm ihr aber doch die Lust, noch länger auf die Freundin zu warten, und sie trat den Heimweg an, der fie durch die Friedrichstraße führte. Sie war sehr erfreut, als der Bufall oder die Absicht ihren Bräutigam ihr entgegenführte, denn sie fühlte sich am Arme des jungen Mannes doch sicherer vor Anfechtungen und das umsomehr, als der Patron ihr beharrlich gefolgt war. So ging das Pärchen die Friedrichstraße entlang und fener Zwischenfall am Stettiner Bahnhof war beinahe ver­geffen. Da erhielt das junge Mädchen an der Ecke der Mohrenstraße von hinten plöglich eine starke Ohrfeige, und als fte fich sprachlos vor Schreckt umschaute, stand jener Mann vor Jede Auseinander­ihr, der sie vorhin angesprochen hatte. fegung, die der Bräutigam beginnen wollte, schnitt der Unbe tannte durch die Erklärung ab, er sei Kriminalbeamter und traft seines Amtes fordere er die beiden auf, ihm nach der nächsten Polizeiwache zu folgen. So selbstbewußt und ficher war sein Benehmen, daß der Bräutigam und seine Dame fich dupiren ließen, die naheliegende Frage an den Unbekannten nach der Legitimation vergaßen und um kein Aufsehen machen, willenlos dem angeblichen Beamten folgten. In der Nähe der Polizeiwache schienen plöslich mildere Gefühle in die strenge Bruft Des çi- devant Vertreters des Gesezes einzuziehen, denn er meinte, er wolle diesmal die Sache laufen" laffen und auf die Fest stellung der Personalien verzichten. Nun erst wurde das Pärchen gegen die Beamtenqualität des Unbekannten miß­trauisch, es befland darauf, daß er ihm nach dem Polizeibureau folge, und dort entpuppte fich das angebliche Mitglied der Sicherheitsbehörde als ein vielfach vorbestrafter, auch vom Buchthaus nicht verschonter Mensch, Namens Adolf Dieke. Die zweite Strafkammer, vor die er gestern gestellt war, glaubte die unerhörte Frechheit, die der Pseudokriminalbeamte sich heraus­genommen, energisch bestrafen zu müssen und erkannte auf eine Gefängnißstrafe von 9 Monaten gegen denselben. Der Staate anwalt hatte eine noch höhere Strafe, 1 Jahr 3 Monat Ges fängniß, beantragt.

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+ Eine beständige Mahnung, öffentliche Findelhäuser endlich einmal in Berlin   einzurichten, find die zahlreichen Ver handlungen wegen Kindesaussetzung, die so häufig die Strafs fammern des hiesigen Landgerichts beschäftigen. Noch immer beobachtet man den tiefen Schäden der Gesellschaft gegenüber eine Vogel- Strauß- Politik", die offenkundige Uebel dadurch aus der Welt zu schaffen sich einbildet, daß sie ihr Dasein ver­leugnet. Aber bei jeder Verurtheilung, die wegen Kindes­ausseßung erfolgt, fann man den Gedanken nicht loswerden, daß die Verurtheilte ficherlich statt der Ausseßung es vorgezogen hätte, ihr Kind in einer öffentlichen Anstalt unterzubringen, wenn eine solche nur vorhanden wäre. Und von vielen Prozessen wegen Kindesmord gilt dasgleiche. Diese Verurtheilungen werden weniger von den einzelnen Personen als von dem Mangel einer Institution verschuldet. Wie troft und hoff­nungslos muß die Mutter daran sein, die sich entschließt, ihr Kind, ein Stück ihres eigenen Lebens, in hilfloser Lage auszuseßen und es dem Zufall zu überlassen, ob das Neu­geborene verhungert oder erfriert, Soder wirklich entdeckt oder gerettet wird. Eingehend müßte in jedem einzelnen Falle und besonders in solchen, wo die Mutter sofort nach der Entbindung ihr Kind ausgefeßt hat, geprüft werden, ob die Angeklagte bei Verübung der That zurechnungsfähig gewesen sei, so sehr wider­spricht oft genug der Thatbestand der Annahme, daß die Thäterin auch nur etwas Ueberlegung, Klugheit oder Berech nung besessen hätte. Interessant in dieser Hinsicht war eine Verhandlung, die gestern die zweite Straftammer des hiesigen Landgerichts beschäftigte. Wegen Ausseßung ihres neu­geborenen Kindes in hilfloser Lage wurde die Schneiderin Anna D., ein achtzehnjähriges Mädchen, zu einem Jahr Ge fängniß verurtheilt. Der Gerichtshof, der mit seinem Urtheil hinter dem Antrage des Staatsanwalts um ein halbes Jahr noch zurückblieb, erkannte auf diese hohe Strafe, weil nach seiner Auffassung die That der Angeklagten nahe an Kindesmoid ftreifte. Am 23. Oftober d. J. genaß die Angeklagte, die da mals in dem Hause Gerichtsstr. 63 wohnte, eines Kindes. Sie hatte vorher aus Scham stets in Abrede gestellt, sich in anderen Umständen zu befinden und kam nun ohne Hilfe und ohne daß fie fich verrieth, nieder. Sofort nach der Entbindung wickelte fie dem Neugeborenen einige Lappen um, fnotete ihm ein Ta­schentuch um den Hals, band ihm eine Schürze um den Kopf und trug ihn troß ihrer Schwäche in den Hof, wo sie ihn in den Aschenkorb niederlegte. Nach kurzer Zeit fam sie wieder, änderte ihren Entschluß und trug das Kind in die Müllgrube, wo fie es vollständig mit Kehricht, Kartoffelschaalen und Asche bedeckte. Sie bildete sich ein, erklärte fte vor Gericht, damit das Kind vor dem Erfrieren zu schüßen. Nur ein Füßchen und ein Händchen ragten aus der schmußigen Bedeckung hervor und fie im Verein mit dem Wimmern des halbbegrabenen Kindes lockten einige spielende Kinder herbei, welche zuerst ver­mutheten, ein neugeborenes Hündchen sei dorthin geworfen worden. Erst einige Frauen, die hinzukamen, zogen das kleine Wesen hervor, reinigten es und froßdem es halberstickt war, blieb es am Leben. Noch heute lebt das Kind. Die Ange flagte entschuldigte ihre That mit ihrer Noth und der Scham über die Schande, die ihr angehängt worden wäre. Thr Urtheil vernahm fie unter Thränen. Sie machte den Eindruck einer geistig zurückgebliebenen Person.

Kleine Mittheilungen.

Bamberg  , 25. Dezember. Ein trauriges Familienbrama spielte sich gestern Mittags auf dem hiesigen Friedhofe ab. Der Brivatgelehrte Dr. Pfannenstiel, welcher vor Jahresfrist duich den Tod seiner jungen Satiin in namenlose Betrübniß versetzt worden war, erschoß sich am Grabe seiner Frau, nachdem er zuvor seinem fünf Jahre alten Töchterchen durch einen Pistolen­