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Konflikt zwischen beiden Großmächten um den Einfluß in Bul­ garien ; die russische Regierung hat ihre Macht und Sympathie durch eigene Schuld, durch den maßlosen Mißbrauch ihrer Auto­rität, durch den unerträglichen Hochmuth ihrer nach Bulgarien delegirten Offiziere und Beamten fast ganz eingebüßt. Das fann der stolze, an bedingungslose Erfüllung seines Willens ge­wöhnte Bar nicht vertragen, und er wendet sich in verlegter Eitelkeit gegen jene, welche von dem Niedergange des russischen Einflusses den größten Vortheil haben vor allem richtet sich sein Born gegen Desterreich- Ungarn , obwohl deffen Regierung an Burückhattung das Mögliche geleistet hat. Nun erwachen aber auch die nie völlig eingeschlummerten pansla vistischen Agitationen und Utopien, die sich unmittelbar gegen Desterreichs Bestand richten, da dieser Staat einen lebendigen Protest gegen die Ansprüche der Panslavisten bildet. Sobald Rußland fich von Desterreich in der Befriedigung seines uner­fättlichen Länderhungerns gehemmt sieht, schickt es seine pan­flavistischen Agitatoren wie Heghunde aus und verwandelt jede fleine Streitfrage in einen Kampf um Desterreichs staatliche Existenz.

Man kann sich auch jetzt leicht davon überzeugen. Ueberall hörte man in den lezten Wochen die erstaunte Frage: was denn für ein Grund zu einem Kriege zwischen Rußland und Desterreich sei; niemand fonnte einen solchen ent= becken. Denn in Bezug auf Bulgarien , welches das einzig fichtbare Streitobjekt bilden fonnte, hatte Rußland sich die ganze Zeit über in dunkles Stillschweigen gehüllt und keine Forderungen aufgestellt, zu denen Desterreich hätte Stellung nehmen können. Aber ist auch kein konkreter Grund zu einem Kriege Rußlands gegen Desterreich vorhanden, so find dennoch die Vorbereitungen Rußlands unzweideutig genug, um keine Täuschung über deffen Absichten gegen Desterreich aufkommen zu laffen. Der Grund zu einem solchen Kriege liegt eben nicht in irgend einer Handlung der österreichischen Diplomatie, auch nicht in militärischen Vorbereitungen in Galizien , von denen der russische Invalide" heuchlerisch schrieb, sondern in der traditio­nellen russischen Regierungspolitik, deren Ziele mit der Groß­machtstellung Desterreich- Ungarns unvereinbar find, und in den inneren Zuständen des russischen Reiches, die den Baren und deffen Berather auf eine zeitgemäße Ableitung der Volksleiden schaften bedacht sein lassen. Das zuletzt genannte Moment wird durch die jüngsten Studentendemonstrationen und durch die Entdeckung einer neuen Verschwörung genügend flargestellt, die Tradition der äußern Regierungspolitik aber und das Festhalten an ihr tritt neuerdings besonders augenscheinlich in gewissen Vorgängen in Serbien hervor.

Zwei Reden, die vor kurzem König Milan an Deputationen der Stupschtina hielt, haben im Auslande großes Aufsehen her­vorgebracht; der autokratische Ton, in dem sie gehalten wurden, der Gegensatz zwischen den Gesinnungen der Stupschtinamehr­heit und denen des Königs, der hierin in aller Schärfe zum Ausdruck fam, mußten sehr befremden. Aber diese Reden haben noch eine weitragendere Bedeutung, die wohl nur in ein geweihten Kreisen sofort erfaßt und gewürdigt wurde. Es waren Warn- und Mahnsignale an jene, welche daran intereffirt find, daß der russische Einfluß nicht von neuem in Serbien seinen Druc unheilvollen Schon ausübe. beim Regierungsantrit Ristics machten wir auf die Gefahren aufmerksam, welche daraus für die Selbst­ständigkeit Serbiens und für Desterreich- Ungarn erwachsen, deffen gefährlichster Nachbar Rußland ist. Die Früchte jener Saat wachsen bereits hervor, so sehr Ristic fich bemüht, sie zu ver­bergen und gegen Desterreich Freundschaft zu heucheln. Die Mehrheit der unter seiner Leitung gewählten Sfupschtina denn in Serbien macht die jeweilige Regierung die Parlaments­mehrheit ähnlich wie in Spanien besteht aus Russen­freunden und panslavistisch gesinnten Serben. Der erste Ent­wurf zur Adresse an den König, der eine Stelle enthielt, wo es hieß, daß Serbien mit Rußland nicht nur durch die Bande der Religion, des Blutes und der hundertjährigen geschichtlichen Tradition, sondern auch durch die Gemeinsamkeit und Gleich­artigkeit der beiden Staaten bevorstehenden Zukunft enge ver­knüpft sei, wurde nur infolge der Drohung des Königs, daß er im Falle der Ueberreichung einer solchen Adresse die Stupschtina auflösen werde, zurückgezogen. Der Ermetropolit Michael, der Gunsten wegen seiner landesverrätherischen Haltung zu

Rußlands abgesetzt wurde, hat die von Serbien ihm ausgesetzte Benfion ausgeschlagen, weil ihm nur unter dieser Bedingung vom slavischen Komitee in Rußland , wo er derzeit lebt, eine Penfion von 5000 Rubeln ausgezahlt wird; und derselbe Mann genießt bei der Stupschtina- Mehrheit große Verehrung, fie ver­langte, allerdings vergeblich, dessen Wiedereinsetzung. Russische Beamte, die dem sogenannten asiatischen Departement im Petersburger Ministerium des Aeußeren angehören und daher in ibrem Berufe mit Serbien nichts zu thun haben, reisen jetzt in Serbien als außerordentliche Kouriere herum. Ein russischer Agent, Herr Wlassow, vertrauter Freund des berüchtigten Hitrowo, hat Geld unter die bulgarischen Emigran

tent in Serbien vertheilt. Ebenso ist der russische Militär Attaché in Bukarest Oberst Jebotic, in Belgrad als Gast. Wenn man ferner noch berücksichtigt, daß in Bukarest

Gleichen finden. Ja, war es denn nöthig, mußte er sich wieder andererseits fragen, daß man seinen Bewerbungen Gehör schenkte? Warum diese Liebesheuchelei, es lag ja lein 3wang vor, die Täuschung war unnöthig, war ein Verbrechen. Mußte sie ihn deshalb betrügen? Mußte sie deshalb ein pflichtvergessenes Weib werden? Und dann, warum hatte sie das Kind aus dem Hause gestoßen? Warum? Lächerliche Frage das; um sich desto freier be­wegen zu können, um aufsichtslos ihre Stelldichein einhalten zu können. Das erwachsene Mädchen im Hause hätte offene Augen gehabt, hätte alles gesehen und dem Vater ver­rathen, dem mußte vorgebeugt werden, darum mußte das arme, unschuldige Kind aus dem Hause. Und wie fein dieser Plan ersonnen und durchgeführt wurde. Im Inter­effe des ehelichen Friedens", so hieß es, sei es geboten, das Kind zu entfernen; des ehelichen Friedens, ein schöner Friede das!

Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten ihn, so lange er allein war. Zu Hause angelangt, unterließ er es, feiner Frau den üblichen Kuß zu geben, er erwiderte ihre freundliche Begrüßung nicht und zog sich sofort in sein Arbeitszimmer zurück. Dahin folgte ihm die besorgte Gattin.

"

Was ist Dir, was hast Du heute, bist Du unwohl, lieber Karl, hattest Du im Geschäft Verdruß?"

Alle diese Fragen blieben unbeantwortet, Karl blickte nicht auf, er fonnte der Ungetreuen nicht ins Gesicht sehen. Desto stürmischer wurden nun die Fragen ihrerseits, desto zärtlicher und liebevoller. Sie schlang ihren Arm um seinen

Naden.

Ich bitt' Dich, lieber Karl, was hast Du, Du wirst doch mir, Deinem Weibe, Deinen Kummer nicht vorenthalten, Du machst mich besorgt; tiefbesorgt durch Dein anhaltendes Schweigen."

Er wehrte die zärtliche Umarmung ab:

Ich bitt' Dich, laß' mich gehen."

" Ich gehe nicht eher, als bis ich erfahren, was Du hast, was Dir ist und was Dich drückt."

,, Oh, diese falsche Bärtlichkeit."

Falsch, ich falsch?"

der offizielle Vertreter Rußlands sich nicht scheut, mit den Ver schwörern den freundschaftlichsten Verkehr zu pflegen, so kann man wohl nicht daran zweifeln, daß die russische Politik noch immer die alten Wege wandelt, Mittel und Ziele derselben die gleichen geblieben sind. Die russische Regierung betrachtet die Länder der ehemaligen europäischen Türkei als ihr unterthan und jeden, der fie an der Verfolgung dieses Bieles hindert, als ihren Feind, den sie mit allen Mitteln zu bekämpfen keine Scheu trägt.

Politische Uebersicht.

wuchs, sondern dürfen auch hoffen, dem bösen sozias listischen Geist entgegenzuarbeiten, welcher uns jetzt auf allen Wegen begegnet, dürfen erwarten, das Vertrauen unserer Arbeiter wieder zu gewinnen. Und das ist ein Ziel, würdig großer Arbeit und Mühe."- Wenn man sich in eine rührselige Stimmung hineingeredet hat, plaudert man manches aus, was man sonst sorgfältig verschweigt. So ist es Herrn Felisch ge= gangen. Würde er sonst so offenherzig als Ziel der Innungen die treue Ueberwachung der Arbeit"( lies Arbeiter") profla miren? Man wird unwillkürlich an das Quittungsbuch" in der Altersversorgungsvorlage erinnert, wenn man diese Offen­herzigkeiten lieft.

H

Die gefälschten Depeschen" der Kölnerin" find nun endlich ans Tageslicht gekommen. Der Reichsanz." ver öffentlicht in seiner Sylvesternummer vier in französischer Sprache verfaßte Aktenstücke, deren Uebersetzung wir uns und unsern Lesern schenken. Folgender furzer Auszug wird genügen:

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an die Gräfin von Flandern vom 27. August, sagt ersterer, er würde sich nicht nach Sofia begeben haben, wenn er nicht von Berlin die befriedigensten Mittheilungen erhalten hätte; dies ergebe fich aus einer authentischen, vollständig von der Hand des Botschafters Prinzen Reuß geschriebenen Note über sekrete Ansichten des Reichskanzleramts, die er beilege; zugleich bittet der Prinz von Koburg die Gräfin von Flandern , ihren Bruder, den König von Rumänien , zu veranlaffen, daß er seinen Einfluß in Petersburg zu seinen Gunsten geltend mache. Das zweite Aftenstück ist ein dem Prinzen von Koburg vom Botschafter Prinzen Reuß zugegangenes Schreiben, worin es heißt, die Befißnahme des bulgarischen Thrones sei eine Frage persönlicher Initiative, welcher die deutsche Regierung augen­blicklich noch keine offizielle Unterstüßung gewähren könne; daraus folge aber nicht, daß die deutsche Regierung im Inter effe des europäischen Friedens und der deutschen Politik zu solchem Unternehmen nicht offiziös ermuthigen fönne. So un günstig oder feindselig die Akte der deutschen Regierung augen­blicklich auch erscheinen möchten, so fönnten doch die Senti ments", welche dieselbe insgeheim hege, eines Tages flar zu Tage treten. Das dritte Aftenstück ist ein Brief des Prinzen von Koburg an die Gräfin von Flandern vom 16. September, worin er sagt, ungeachtet des offenen Krieges, den Deutschland gegen ihn führe, vergingen nicht vier oder fünf Tage, ohne daß ein deutscher Agent ihm versichere, daß die deutsche Politik in günstiger Weise und ganz unerwartet sich ändern könne; Deutschlands Haltung hänge von der Lösung der ernsten Fragen ab, die zwischen Deutschland und Rußland schwebten. Im vierten Aftenstück theilt der Prinz von Koburg der Gräfin von Flandern mit, nach einer ihm aus Berlin zugegangenen direkten Mittheilung sei das Schicksal Bulgariens bei den Zusammen­fünften Bismard's mit Kalnoky und Crispi eingehend geprüft. Es sei sicher, daß die Zentralmächte günstigere Dispofitionen für Bulgarien hegten; dieselben hätten neuerlich wiederholt die Hoffnung ausgesprochen, Bulgarien werde feinen Anlaß zu einer Aenderung dieser Haltung der Mächte geben, welche man als definitive angesehen zu wissen wünsche." Wir kommen auf die Angelegenheit noch zurück.

Eine gelungene Weihnachtsbetrachtung leſen wir unter der Ueberschrift: Ein Weihnachtstraum in der Fränk. Tagespost ". Sie lautet: Die Lichter am Weihnachtsbaum waren heruntergebrannt, der feine Duft der Tannennadeln er­füllte das Gemach. Draußen wehte ein rauher Nordost und rüttelte die Ziegel auf dem Dache. In dichten Flocken rieselten dem ersten Aktenstück, einem Briefe des Prinzen von Koburg der Schnee auf die kahle, kalte Erde. Der drinnen im Zimmer hörte nicht das Gebraus des Windes, er saß zurückgelehnt in dem altväterischen Lehnstuhl und schlief. Er schlief und träumte. Der Tannenbaum wuchs und wuchs und mit ihm reckte und streckte sich das Zimmer zu den gigantischen Formen eines Saales. Die Nüsse und das Konfekt verwandelten sich in Hinterlader, Bayonette, in Kriegsschiffe und Torpedos. Und neben dem Baum stand eine Gestalt in friegerischem Kleide, bis an die Zähne bewaffnet, und sprach: Kennst Du mich, Michel, träumender, gutmüthiger Michel? Ich bin der Weihnachts­mann, der Dir die Chriſtbescheerung bringt. Michel verbeugte fich, das Bücken war ihm anerzogen, es war ihm eine süße Ge­wohnheit. Und der Weihnachtsmann griff in einen Sack und stellte die Geschenke auf den Tisch. Er stellte sie sorgfältig neben einander, wie eine Kompagnie Soldaten. Der Weih­nachtsmann hatte militärische Disziplin. Zuerst ein Fäßchen mit Schnaps, Kartoffelschnaps, echten unverfälschten Fusel. Siebenzig Pfennig mehr für das Liter Branntwein stand auf der Etikette. Mit deutschen Buchstaben natürlich. Michel wurde unruhig, aber er verbeugte sich dankend. Mein Gott, das liegt so im Blut. Wieder ein Griff in den Sack, und es erschien als zweite Gabe ein Laib Brot. Wird Dir trefflich schmecken, schmunzelte der Weihnachtsmann. Brauchst eine Tonne Korn für Dich und die Deinen, und zahlst an indirekten Steuern in Gestalt des Kornzolles blos 50 M. das Jahr. Michel's Lage wurde sehr unbequem, er warf sich in seinem Sessel hin und her. Doch der Weihnachtsmann winkte gebieterisch, und Michel verbeugte sich, zwar schwerfällig, aber er verbeugte sich doch. Man wird nicht umsonst zur Devotion erzogen. Ich weiß, fuhr der Weihnachtsmann fort, Du liebst die Soldaten so sehr. Deinen Kindern schenkst Du Bleisoldaten, ich schenke Dir 40 000 lebendige Soldaten. Und das Septennat tam auf den Tisch. Michel murmelte etwas vom Kostenpunkt, schlechten Zeiten, wirthschaftlichem Rückgang und machte seine Reverenz. Weil Du brav bist, mein lieber Michel, sollst Du selbst recht lange der Armee angehören und gegen den Erb­feind ins Feld ziehen bis zu Deinem 45. Lebensjahr. Und die Weib und neue Wehrvorlage spazierte aus dem Sack. Kinder, ruinirte Eristenz, andere Heeresverfassung," stammelte Michel und wälzte sich hin und her, als ob ihn der Alp drückte. Aber der Spender drohte mit dem Finger und Michel verneigte sich. Michel, sprach der Weihnachtsmann, Du wirst manchmal un­ruhig, Du verfällst in Jugendeseleien, Michel. Sieh, ich habe ein Mittel dagegen. Und auf den Tisch kam das neue Sozialisten und Expatriirungsgesetz. Michel sprach in seinen Bart hinein etwas von gleichem Recht für Alle, Preßfreiheit, Koalitionsfreiheit und Arbeiterschutz. Da hast Du den Arbeiterschuß, erwiderte der Weihnachtsmann. Und in Juchtenleder gebunden flog auf den Tisch das Arbeits­buch und die Altersrente. Und Michel verbeugte sich. Michel, ich weiß, Du bist wahl müde, Du liebst die Aufregung Hier spende ich nicht, Du willst Deine Ruhe haben. Dir noch die fünfjährige Legislaturperiode. Das wird Dir sehr gut thun. Und Michel lag platt auf dem Bauch. An den Fenstern rüttelte der Sturm, in Nebel löste sich die Gestalt auf, der Christbaum schrumpfte zusammen, der Saal ward wieder zur Stube und frierend erwachte Michel. Es war Morgen geworden, der Morgen des ersten Feiertags. Mit dem grauen düstern Gewölk kämpfte am östlichen Himmel die Sonne. Troß Schnee und Sturm, durch die Finsterniß rang sich durch das belebende, befruchtende Licht, die Sonne, der Urquell des Daseins. Ihre Strahlen fielen in das Gemach. Durch Nacht zum Licht! Michel aber wandte sein Antlitz ab. Er schämte sich, der deutsche Michel.

Der Neujahrswunsch des Herrn Felisch. Die Bau­gewerksztg." schreibt in einer sentimentalen Neujahrsbetrachtung: " Den Bauinnungen fällt manche Aufgabe zu, welche Gesetz gebung und Pflichtgefühl ihnen auferlegen! Aber wir wollen nicht an die Arbeit, sondern an den Segen denken, der dadurch gestiftet wird. Indem wir für die Erziehung der Lehrlinge burch treue Ueberwachung der Arbeit, durch Fache schulen und andere Wohlfahrtseinrichtungen Sorge tragen, legen wir nicht nur den Grund für einen fachtüchtigen Nach­legen wir nicht nur den Grund für einen fachtüchtigen Nach

Nun machte sich sein 3orn in heftigen Ausdrücken geltend: Ja, Du bist es und Du warst es, von dem ersten Tage an, als Du mir Dein Jawort gegeben! Du hast mich belogen und betrogen, hast mein Vertrauen arg miß­braucht, oh, daß ich mich auch nur einen Augenblick habe täuschen lassen."

Erschrocken und erstarrt stand die Frau vor ihm. Eine fahle Blässe überzog ihr Gesicht, und mit aller Entrüstung, deren ein beleidigtes Weib fähig ist, rief sie ihm zu:

" Ich Dich betrogen, das ist schändlich, das ist nieder­trächtig! Mir so etwas zu sagen!"

,, So, wohin fährst Du jeden Tag? Mir sagtest Du, Du müßtest in den Prater in die frische Luft, weil Du leidend seiest, ich Thor bewilligte die Auslage aus purer Besorgniß für Deine Gesundheit, und wohin fährst Du, wohin, Gott weiß wohin."

Die tief gekränkte Frau schien bei diesem Vorwurf froh aufzuathmen.

Ist es das, nun so lies, lies diesen Brief; ich wollte ihn Dir erst morgen zeigen, lies ihn jetzt, vielleicht wirst Du anders von Deiner Frau denken."

Sie zog hierbei einen Brief aus ihrer Tasche und überreichte ihn ihrem Mann. Mit gierigen Blicken ver­schlang er den Inhalt. Schon bei den ersten 3eilen ent­färbte sich sein Gesicht. Die Eröffnungen, die ihm durch diesen Brief gemacht wurden, mußten schrecklicher, entsetz­licher Art gewesen sein. Ausrufe wie: Diese Schmach, diese Schande, unerhört", entrangen sich während des Lesens seiner Brust, und kaum in der Mitte des Briefes angelangt, ließ er ihn fallen und brach in einen Strom von Thränen aus.

,, Daß ich das erleben mußte von meinem Kinde, meinem einzigen Kinde, diese Schande!"

,, Tröste Dich, mein Karl, sei stark und kräftig, wie es einem Manne ziemt, ich habe mehr geduldet und gelitten als Du in diesem Augenblicke, ich habe erduldet, als herzlose Stiefmutter verschrien zu werden, die ihres eigenen Vor­theils wegen ein armes, unschuldiges Kind aus dem Hause stößt; ich habe geduldig die stillen Vorwürfe ertragen, die mir allüberall deshalb gemacht wurden; wenn auch nicht

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Wenn für die Geheimhaltung des Sozialisten­gesetzes der Grund maßgebend gewesen sein sollte, der vor­zeitigen Erörterung der Vorlage in der Presse das Feld zu ver­engen, so hat sich, wie ein Blick in die Zeitungen lehren kann, diese Rechnung als trügerisch erwiesen. Alle Blätter sind voll von Erörterungen über den Inhalt des kommenden Gesetzes, und danebenher hat sich zwischen der konservativen und der nationalliberalen Preffe noch ein Streit entsponnen, der von Tag zu Tag einen leidenschaftlicheren Charakter annimmt. Eine praktische Bedeutung ist demselben kaum beizumeffen. So lange nicht das Gesetz selbst vorliegt, kann es wenig verschlagen, die Erklärungen von Blättern zu hören, von denen jedes überdies versichert, daß es nicht im Namen der betreffenden Partei das Wort führe. Nur in einer anderen Richtung ist das Gezänk von Bedeutung, insofern, als es eine neue Jllustration zu der Vortrefflichkeit des Bündnisses liefert, in welchem sich Konser vative und Naiionalliberale zusammengefunden.

Kein Tag ohne troftreiche Nachrichten für die be­drängte Landwirthschaft. Jetzt liegt eine solche in der ländlichen Wucherfrage vor. Nach offiziösen Mittheis lungen ist man einmüthig der Anschauung, daß gegen den Wucher auf dem Lande etwas geschehen müsse, und es ist des= halb und weil die Regierung fich nach anderweitigen Aeuße rungen bereits mit der Regelung dieser Frage befaßt, auch ge­gründete Hoffnung vorhanden, daß nunmehr bald etwas geschehen wird". Die Bewegung für gesetzgeberische Maßnahmen in dieser Richtung wird, wie man sich erinnert, in der That von vielen Seiten unterſtügt, wie denn der Verein für Sozialpolitik" einen eigenen Band Gutachten über die Frage veröffentlichte. Daß der kleine und mittlere Landwirth je länger ie mehr in Schulden geräth, steht auch außer allem Zweifel. Aber merk würdig ist erstens, wie schnell man immer mit gesetzgeberischen Maßnahmen gerade für die Landwirthschaft bei der Hand ist, während z. B. die Arbeiterschutzgesetzgebung aufs Gröbste ver nachlässigt wird. Und fraglich ist zweitens, ob man nicht einmal

ins Gesicht, so doch hinter meinen Rücken; oh, ich wußte von Allem, und ich hörte fast, wenn die Leute von mir sprachen; und wenn auch Du den Schmerz in Deinem Innern vergraben hattest, so wußte ich doch, daß Du Dich im Stillen grämtest, und das hat mir weh, sehr weh gethan. Ich mußte aber Alles ertragen, in Deinem Interesse wie in ihrem Interesse; ich kenne Dich, kenne Deine Leidenschaftlich­feit, hätte sich Dein Kind Dir gegenüber entdeckt, wie es das vertrauensvoll mir gegenüber gethan, Du hättest es un­erbittlich aus dem Hause gestoßen, und Schmach und Schande wären Dir nicht erspart geblieben, Dir nicht, und Deinem Kinde nicht. So war ich denn fest entschloffen, jede Schuld auf mich zu nehmen. Ich wollte lieber die herzlose Stiefmutter sein, die unbarmherzig ein armes Wesen aus dem Hause jagt, als Deinen ehrlichen Namen mit Schmach bedecken, und das Kind für ewige Beiten un glücklich machen. Es mußte deshalb aus dem Hause, um außerhalb desselben, fern von der Deffentlichkeit, Ereignisse vorübergehen zu lassen, deren Bekanntwerden für beide Theile, für Dich, wie fur das Kind, das Unglück noch ver­größert hätte. Ich mußte mich dem Verdacht der Putsucht aussetzen, um jene Summen zu beschaffen, welche die Wah­rung des Geheimnisses in Anspruch nahm. Und nun muß ich es erleben, daß mich nicht nur die Welt für gemein und herzlos hält, daß Du sogar den Vorwurf der Pflichtver gessenheit gegen Dein Weib erhebst, gegen Dein Weib, das Dir treu und liebevoll zur Seite stand. Das ist hart, bas drückt schwer, das habe ich nicht verdient."

Es trat eine Pause ein. Der Schmerz Beider hatte sich in Thränen Luft gemacht. Endlich unterbrach Rarl das Schweigen, ergriff die Hand seines Weibes und sagte: Kannst Du mir verzeihen?"

Ich verzeihe Dir Alles, wenn Du ihr verzeihst, und Du fannst ihr um so leichter verzeihen, als das Unglüc Deines Kindes wieder theilweise gut gemacht werden foll. Der Mann, der es verschuldet, ist bereit, morgen. bei Dir um die Hand unserer Tochter anzuhalten; Du darfst ohne Bedenken Deine Einwilligung geben, denn er ist ein Mann der sie ernähren kann, der sich die lange verweigerte Einwilligung seiner Eltern zu diesem Schritte mit männ