for
Nr. 69.
nd
e
Dei
en
be
50,
31.
Mittwoch, den 21. März 1888.
5. Jahre.
Berliner Volksblatt.
Organ für die Intereffen der Arbeiter.
Das„ Berliner Volksblatt"
ericheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Bf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 f. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1888 unter Nr. 849.)
Insertionsgebühr
beträgt für die 4 gespaltete Petitzeile oder deren Raum 25 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bf. Bel größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.
Expedition: Bimmerstraße 44.
Redaktion: Beuthstraße 2. Expedition:
Der Boulanger- Rummel.
Daß das Vorgehen der französischen Regierung gegen ben General Boulanger Demonstrationen und Bewegungen hervorrufen würde, war vorauszusehen. Die Leute, die schon seit Jahren den chauvinistischen Lärm machen, haben die Gelegenheit zu einer Straßendemonstration benutzt und man hat richtig dem Paradehelden seine Pferde ausgespannt. Wer weiß, wer fie gewesen sind, welche die Pferde ausges Spannt haben! Dazu finden sich immer Leute. 3öge heute ein fiegreicher Napoleon in Paris ein, so würden sich ficherlich auch Leute finden, die ihm die Pferde ausspannten, und würde dieser Napoleon wieder vertrieben, so würden bie Pferdeausspanner vielleicht seine heftigsten Verfolger sein.
Wir können also dem ziemlich knabenhaften Aft des Pferdeausspannens feine sonderliche Bedeutung beilegen. Dem Chauvinismus stehen wir fern und betrachten ihn als eine höchst überflüssige Ausartung eines erhitzten Patriotismus. Daß sich die Regierung in Frankreich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, den General Boulanger abzuseßen, finden wir begreiflich. Dieser Mann ist ein Demagoge vom reinsten Wasser und als Kriegsminister der Republik und ihrer Zufunft insofern gefährlich, als sein bramarbasirendes Auftreten die friedlichen Beziehungen der Republik zu auswärtigen Mächten stört. Boulanger wird dann als Popanz benutzt, wie wir in Deutschland am 21. Februar vorigen Jahres gesehen und verspürt haben. Insofern hat die Regierung der Republik sich ihrer Haut gewehrt; sie kann die Republit nicht auf's Spiel segen um eines ehrgeizigen und eitlen Menschen willen, der weder ein bestimmtes politisches Programm aufzuweisen hat, noch für seine militärische Tüchtigkeit einen Beweis fann. beibringen Daß Dennoch Leute giebt, welche diesen diesen Helden des Parademarsches heute schon als einen Helden der Schlacht darstellen, beweist nur, wie groß noch die Dummheit ist.
es
Aber, fragen wir, wie kommt es denn, daß ein Mann wie Boulanger überhaupt in Frankreich eine solche Rolle Spielen fann? Der Franzose sieht sich doch sonst so gerne in seiner Geschichte um; wer für militärische Erscheinungen wie Hoche, Kleber, Bonaparte, Carnot, Ney und Massena schwärmt, müßte sich doch eigentlich mit einem mitleidigen Lächeln von dem General Boulanger abwenden. Wo sind feine Schlachten, feine Belagerungen, seine Wunden und Strapazen? Daß trotz alledem sich ein starker Anhang für biesen General findet, liegt in den dermaligen politischen Buständen Frankreichs .
Frankreich ist eine parlamentarisch regierte Republik; bas Land hat auf den Parlamentarismus voll Vertrauen geblickt und von ihm eine Umgestaltung der Verhältnisse
Feuilleton.
Nete serichten.
Der Grbe.
( Rechred verboten.)
Roman von Friedrich Gerstäder.
[ 67
Er mochte etwa bei dem sechsten angekommen sein, und der Junge saß noch immer still weinend bei seiner Ar beit und wischte sich nur manchmal die dicken Thränen mit dem Aermel von Augen und Nase ab, als es draußen anpochte. Der eine Junge öffnete, um zu sehen, wer da sei. Es waren zwei Damen die eine dicht verschleiert, die nach der Frau Heßberger fragten, und da das zu häufig Dorkam, um nur die geringste Aufmerksamkeit zu erregen, so wieś sie der Bursche, indem er einfach mit der Hand nach der Thür der Wohnstube deutete, dort hinüber zu gehen, und setzte sich augenblicklich wieder auf seinen Schemel nieder. Die Jungen hatten strenge Ordre, nicht einmal den Ropf nach einem solchen Besuch zu wenden, und Heßberger selber that gar nicht, als ob er eristire. Er unterbrach Seinen Vers nicht einmal und schrie so ruhig fort, als ob er draußen auf einer Haide und meilenweit von irgend einer menschlichen Wohnung geseffen hätte.
Desto förmlicher wurde der Besuch dagegen drinnen bei ber Frau Heßberger selber empfangen, die, als die Damen bas Bimmer betraten, bei einer sehr hübschen Lampe an ihrem Tisch saß und in einer aufgeschlagenen Bibel las.
" Frau Räthin," sagte sie mit einer nicht ungeschickten Berneigung, es ist mir eine große Ehre, Sie bei mir zu sehen. Wollen Sie nicht ablegen, und dürfte ich die fremde Dame nicht vielleicht ebenfalls bitten, Platz zu nehmen? aber Es geht bei mir freilich ein wenig eng zu wir haben in unserer beschränkten Wohnung nicht viel Raum, und die Miethen sind in den letzten Jahren so gesteigert, daß man gar nicht daran denken fann, eine größere
zu nehmen!"
-
Frau Staatsanwalt Witte fühlte sich anfangs unter ihrem Schleier etwas unbehaglich; da aber die Schusters
-
erwartet, die einer Umgestaltung wahrlich bedürftig genug waren und sind. Allein obschon der französische Parlamentarismus stark genug wäre, eine solche Aufgabe zu ,, Es giebt," sagt ein bewirken, hat er es doch unterlassen. gut demokratisches schweizer Blatt, in Frankreich keine großen organisirten Parteien, sondern nur Fraktionen und Der Premierminister ist in den meisten Persönlichkeiten. Fällen nicht das Haupt einer Fraktion, sondern ein von mehreren Fraktionen vorgeschobener Strohmann, der, je nach Einmal gedem es beliebt, unterstützt oder gestürzt wird. stürzt, wird er sich in der Opposition selten mehr bemerk bar machen und von Fühlungsuchen mit dem Volte ist vollends keine Rede. Er bleibt unthätig und stumm. Das Fazit dieser Verhältnisse ist der ewige Ministerwechsel, das fruchtlose Debattiren und Interpelliren in der Kammer. Positives wird wenig oder nichts zu Stande gebracht. Nicht einmal die Budgetvorlage fann zur rechten Zeit erledigt werden. Es darf daher nicht verwundern, wenn viele Franzosen sich nach Mitteln und Persönlichkeiten umsehen, die solch unerquicklichen Zuständen ein Ende zu bereiten im Stande wären.
Im Boulangismus findet man die Wirkung derartiger Verstimmungen und die Monarchisten und Bonapartisten schüren diese Bewegung eifrig, um der Republik eine Falle zu legen. Bei den republikanischen Anhängern Boulangers find für ihre Haltung verschiedene Gründe maßgebend. Die Chauvinisten erblicken in dem rührigen General den Mann, der geeignet wäre, in dem bevorstehenden deutsch - französis schen Kriege die Hauptrolle zu spielen. Andere Republifaner benügen Boulanger als Mittel zum 3weck. Da sie auf legalem Wege nicht zur ersehnten Gewalt kommen fönnen, so unterstützen sie den General in seinen Bestrebun gen, um ihn dann, wenn sie ihre Absichten erreicht, bei Seite zu schieben. Cb ihnen das nachher aber gelingen wird, ist eine andere Frage. Wiederum andere wünschen überhaupt eine Veränderung der Dinge oder treiben mit Boulanger ihren oppofitionellen Spaß. mente an und für sich betrachtet, würden noch keine Beunruhigung hervorrufen. In letzter Zeit hat man aber die Erfahrung gemacht, daß die verschiedenartigen boulan gistischen Elemente mit einander in Verbindung zu treten versuchen."
Alle diese Mo
Das ist ganz richtig. Die Bonapartisten haben sich der Person Boulanger's bemächtigt und haben ihn als den Mann des Plebiszits bezeichnet. Wer weiß, was sich hinter diesem sonderbaren Soldaten alles versteckt!
Die demokratischen Politiker aber haben nun auch mit einem Male die Gefahr der Boulanger - Spielerei für die Republik eingesehen. Herr Clemenceau , der früher unbesonnen genug war, den Boulanger. Rummel mit
frau nicht die geringste Notiz von ihr zu nehmen schien, ja fie wohl absichtlich kaum flüchtig ansah, so faßte sie nach und nach mehr Muth, nahm den angebotenen Stuhl an und be schloß nun, fest vermummt wie sie außerdem war, nur den stillen Beobachter zu machen. Die 3wischenzeit aber, in der sich die Räthin noch mit der Frau unterhielt, benußte fie, um sich das Simmer selber ein wenig genauer anzusehen neugierig war fie lange genug darauf gewesen.
-
Hatte sie übrigens irgend etwas Absonderliches darin erwartet, so fand sie sich getäuscht. Das Bimmer glich tausend anderen Wohnungen des Handwerkerstandes auf ein tausend anderen Wohnungen des Handwerkerstandes auf ein Haar und war, wenn auch sehr sauber und nett gehalten, doch einfach mit Erlenholzmöbeln ausgestattet. Nur ein paar hochlehnige und lebergepolsterte Stühle aus geschnitztem bunkelbraunen Wallnußholz schienen nicht hinein zu gehören dunkelbraunen Wallnußholz schienen nicht hinein zu gehören und auch wirklich nur für ,, vornehmen Besuch" bestimmt zu sein. An der Wand hingen in schwarzen Holzrahmen ein paar schreckliche Delgemälde, jedenfalls Familienbilder, die aber nicht die entfernteſte Aehnlichkeit mit irgend einem be fannten Gesicht zeigten, dann noch ein paar Silhouetten, und auf der Kommode standen einige Tassen mit Goldrand, die wohl je kaum im Gebrauch gewesen, ein paar blaue Glasvasen mit Schilfblüthen und einige kleine, buntbemalte Gypsfiguren; aber schneeweiße Gardinen hingen vor den Fenstern, und die beiden ebenfalls im 3immer stehenden Betten des Chepaares waren mit reinlichen Ueberhängseln von buntem
Kattun verhüllt.
Frau Heßberger brauchte keine lange Beit zu ihren Vorbereitungen. Sie wußte genau, was Damen, die sie zu dieser Zeit besuchten, von ihr wollten, und versäumte nie, ihnen zu Willen zu sein. Fand sie ja doch auch ihren reich lichen Nutzen dabei, da sie für ihre Bemühungen nie unter einem Thaler bekam, sich aber auch wohl einzelner Fälle erinnerte, wo ihr beim Abschied deren fünf in die Hand ges brückt wurden, und wahrlich mit leichter Mühe, wenn auch nicht ganz ohne Scharfsinn, war das Geld verdient!
Sie ging jetzt zu einem kleinen Seitenschrank, um von dort ihre Karten vorzuholen. Hatte sie aber vorher, als sie sich beobachtet wußte, bie verschleierte Dame kaum angesehen, so haftete ihr Blick jetzt, hinter dem Rücken des Besuches,
| zumachen, hat sich nunmehr entschieden davon losgesagt. Er bekennt, daß er eine Enttäuschung erfahren habe. So werden es hoffentlich auch noch andere machen.
Als General war Boulanger gefährlich für den für den Frieden; als abgesetzter General wird er Frieden nicht mehr gefährlich sein, gefährlich sein, als etwa Herr Derouldde. Wenn auch noch viel Geschrei gemacht wird, so weiß man ja, was davon zu halten ist. Die Lenker der Republik aber sollten sich die abermalige Mahnung, die in dem Boulanger- Rummel liegt, nicht entgehen lassen. Das Land verlangt noch Reformen und die Kammer hat ihm nicht viel mehr geboten als Parteizustände. Wenn das Verlangen des Landes nach Reformen nicht befriedigt wird, so ist es dem ersten besten Abenteurer und Demagogen a la Boulanger leicht, die Massen zu ver wirren und die Republik in eine Krisis zu stürzen. Die Regierung ist nun gewarnt. Boulanger ist nicht der Grund des Uebels; er ist nur eine Wirkung desselben.
Andererseits muß man aber auch sagen, daß das französische Volk mit Fug und Recht ungeduldig werden muß. Denn seit langen Jahren haben alle die vielen auf einander folgenden Regierungen Reformen versprochen, aber teine hat solche geschaffen. Alle haben sich durch Parteiintriguen in ihrer Stellung zu befestigen gesucht, statt mit fester Hand und scharfem Blick die Schäden in der Staats verwaltung, die Mängel in der Gesetzgebung zu erfassen und an deren Heilung zu gehen. Ist's denn da ein Wunder, wenn die Franzosen unruhig werden und wenn ein Reklameheld à la Boulanger im Trüben zu fischen vermag? Die Regierung hat nach der einen Seite Energie ge= Möge man nun aber auch in der Frage zeigt. der Reformen Energie zeigen, sonst wird alles nichts nüßen.
Der Boulangismus.
Der Voff. 3tg." geht folgende Schilderung zu, die eine treffliche Illustration des oben Gesagten bildet. Herr Boulanger wird daselbst in folgender Weise charakterifirt:
Dem Fernstehenden muß die Boulanger Bewegung, an deren Beginn wir eigentlich erst stehen, sehr befremdlich, wenn nicht ganz unverständlich erscheinen. Sie ist in der That nicht zu begreifen, so lange man nur den General Boulanger selbst ins Auge faßt, ihn von allen Seiten betrachtet und sich fragt: Was ist an diesem Kleinen Mann mit dem banalen Gefichte und dem sorgsam geglätteten Kopf- und Barthaare, was ihn zum Abgott weiter Bevölkerungsfreise, zu einem Schrecken der Regierung und Volksvertretung, zu einer Gefahr für die Re publik macht? Welche Großthaten hat er bereits vollbracht? Was berechtigt überhaupt, solche von ihm zu erwarten?" Die
"
um so viel forschender auf der Verhüllten, und nichts an deren Anzug, nicht das kleinste, unbedeutendste Band entging ihr. Ein spöttisches Lächeln zuckte auch um ihre Lippen, als sie den Schrank endlich öffnete; hatte sie die Fremde etwa doch erkannt? Aber es war nichts davon zu bemerken, als sie wieder zum Tisch trat und jetzt vor allen Dingen die Bibel und dann auch ebenso die Lampe entfernte. Sie legte die Karten nur bei dem Schein von Lichtern, von denen sie zwei entzündete und auf den Tisch stellte. Dann nahm sie selber auf einem hohen Rohrsessel ohne Lehne Play, und das Spiel geschäftsmäßig mischend, sagte sie freundlich:
ab
-
,, Nun, Frau Räthin bitte, heben Sie erst einmal sonun sagen Sie mir gefälligst, mit was ich Ihnen dienen kann und was Sie zu wissen münschen."
Die Frau Räthin überlegte sich die Sache erst einen Augenblick; dann erzählte sie der Frau von dem abhanden gekommenen Stück Hosenzeug, beschrieb genau, wo es gelegen hatte und wie es ausgesehen habe und bat sie dann, bie Karten einmal zu fragen, wer es mitgenommen und ob und wie man es wohl wiederbekommen könne.
Die Frau hatte bei der Erzählung wieder langsam ge= mischt und ließ noch einmal abheben. Dann legte sie die Karten aus und betrachtete sich nun, den gebogenen Beigefinger an den Lippen, die bunten Blätter, wie in tiefem Nachdenken. Endlich sagte sie sinnend:" Ja, meine liebe Frau Räthin, das Beug ist wirklich gestohlen, so viel ist richtig, und nicht etwa verlegt oder in eine falsche Schublade gefommenda läuft der Bursche noch, der es mitgenommen hat der Karobube zwischen zwei Dreien ein hagerer,
aufgeschossener junger Mensch. Er hat es auch nicht aus Armuth genommen, denn die über ihm liegende 3ehn bedeutet Geld; aber wo er jetzt ist, wird schwer heraus zu bekommen sein. Warten Sie einmal, da geht Ihr Mann hinter dem Treff- Buben er hat auf irgend Jemanden einen falschen
-
-
-