N» 71.Freitag, de« 23. Marz 1888.S. Jahrg.SerlmrWksM.Krgan für die Interessen der Arbeiter.Da«„Berliner Volksblatt"«scheint täglich Morgen? außer nach Sonn« und Festtagen. Abonnementsprei» für Berlin freitn's Hau? vierteljährlich 4 Mark, monatlich 1,35 Man, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement4 Mint. Einzelne Numm« 5 Pf. Sonntags-Nummer mit dem„Sonntags-Blatt" 10 Pf.(Eingetragen in der Postzeitungsvreisliste für 1888 unter Nr. 849.)Jnsertionsaebührbeträgt für die 4 gespaltete Petitzeile od« d«en Raum 25 Pf. Arbeitsmarkt 10 Pf. Beigrößeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate w«den biS 4 Uhr Nachmittag«rn der Expedition, Berlin SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen-Bureaux, ohneErhöhung deS Preises, angenommen.Redaktion: Keuthstraße 2.— Erpedition: Zimmerstraße 44.Die Ktadwerordnetenmahlen.3« den Blättern aller Parteischattirungen wird dieResolution, die kürzlich in ein« Kommunalwähler-Versamm-lung m„Sanssouci" gefaßt wurde, und in welcher mansich gegen eine Betheiliqung bei den Kommunalwahlen aussprach, auf das lebhafteste besprochen, und es werden natürlich weitgehende politische Erörterungen an dieselbe ge-knüpft. Es kann selbstverständlich nicht unsere Aufgabe sein,uns im Einzelnen mit allen jenen Auslassungen zu befassen,wir wollen hier vorläufig nur die Thatsache konstatiren, daßdie in jener Versammlung gefaßte Resolution und d« darau-erfolgte Austritt zwei« sozialdemokratischer Stadtverordnetenaus der städtischen Vertretung den Ultra-Reaktionären Veranlassung gegeben hat, energisch weitere Maßregelungenund neue Bedrückungen der Arbeiterpartei zu fordern.Wir wissen sehr wohl, daß ein Theil der BerlinerParteigenossen von der Hoffnung beseelt ist, daß, je schärf«und schroffer die Unterdrückung der Arbeiter als Klasse aus-geübt wird, um so eher auf eine entschlossene Erhebung deSProletariats zu rechnen ist. Jede neue Maßregelung, dievon Seiten d« besitzenden Klassen zur Niederhaltung derarbeitenden Bevölkerung erdacht und ausgestihrt wird, trägtindirekt zum Durchbruch eines gewaltsamen Äufstandes bei,weil durch Maßregelungen naturgemäß in den unterdrücktenMassen ein Gefühl tiefer Erbitterung, welches in seinerletzten Instanz zu gewaltsamem Ausbruch drängt, erzeugtwird. Wäre die Sozialdemokratie eine revolutionäre Parteiin dem Sinne, daß es ihr lediglich darauf ankäme, die„Revolution" nur möglichst schleunig und unter allenUmständen herbeizuführen, so könnte man im Großenund Ganzen vielleicht mit jener Ansicht einverstanden sein.Es kann aber keinem Sozialdemokraten«nstlich einfallenin der großen Masse die Absicht des„Alles muß Ruinirtw«denS" großzuziehen; nicht durch Erbitterung, nichtdurch blinde Wuth und Haß werden wir zum Ziele ge-langen, sondern einzig und allein durch Aufklärung,Belehrung und Bildung. Nicht die erregten Volksmassenfind es, die im Taumel deS Augenblicks sich vielleicht zueinem heldenhaften Ansturm gegen ihre Unterdrücker auf-raffen, um mit blutigen Köpfen in den Staub geworfen zuwerden, welche von der modernen kapitalistischen Gesell-schaft gefürchtet weiden; nein, die heutige Gesellschaft zittertnur vor den ruhigen, gebildeten, felsenfest überzeugten unddeshalb unversöhnlichen Arbeitern. Und sich solche heran»zubilden, die Vorhandenen um ihr Banner zu schaaren, dasist, unter welchen Verhältnissen immer, heute und für dienächsten Zeiten die vornehmste Aufgabe der wahrhaft zielbewußten Sozialdemokratie.Man würde sich die eigenen Lebensadern unterbindenAeuMetcm.Der Crve.[69(«•«ktrf MtotaDRoman vo» Friedrich Gerstäcker.Der Staatsanwalt richtete sich empor; er war in demMoment der Aufregung todtenbleich geworden.„Dem alten Salomon!— Also wirklich?"„Ich habe sie selber in seinem Laden gesehen."„Verwahren Sie den Menschen gut!" rief Witte, ausdem Loch herausspringend.„Lassen Sie ihn um Himmel«willen nicht fort!"„Dn ist gut genug verwahrt," sagte der Kommissar,„und keine Gefahr, daß« uns entspringt."„Und die Frau?"„Auf die w«den wir noch besonders Acht geben. HabenSie keine Angst; das Pärchen ist sicher."„Schön," sagte Witte;„dann haben S,e die Güteund schicken die beiden Leute vor allen Dingen in Gewahr-sam, damit sie Ihnen hi« nicht mehr im Wege sind, undpacken dann den Waarenvorrath zusammen und lassen ihnauf da« Kriminalamt schaffen, damit er dort geordnet undregistrirt wird. Haben Sie Leute genug?"„Ich denke, wir werden mit der Gesellschaft fertig««den," sagte der Kommissar.„He« Staatsanwalt ichglaube, wir haben heut Abend einen guten Fang gemacht."„Ich denke es auch. He« Kommissar; aber kommt danicht Jemand?",.,..„ES fiel, allem Anschein nach, irgend wer d,e etwasdunkle Treppe herauf, denn es polterte furchtbar, und manhörte ein paar halbverbissene Flüche; dann wurden wiederSchritte hörbar, und zuletzt zeigte sich m dem Lichte dervon dem einen Polizeidiener emporgehaltenen Laterne erneMenschliche Gestalt.......Halt! Werda?" rief sie d« Mann militärisch an."Gut Freund— ich bin's," antwortete eine fremdeStimme Ist He« Staatsanwalt Witte hier?"wenn man auf irgend eine Gelegenheit verzichten würde,wo man unter den heutigen Verhältnissen für die sozialistische Idee Propaganda machen kann. Die Reaktion, dieauf politischem Gebiet in der letzten Zeit ungeahnte Triumphegefeiert hat, erblickt darin, daß sie von dem„wahlmüden"Volk sorgsam die Auftegungen der Wahlkämpfe fernhält,daß sie also v«hindert, daß Uebelstände in der weitestenOeffentlichkeit besprochen werden, sogar eine ihrer Haupt-stützen, eines ihr« ausgezeichnetsten Machtmittel— sie ver-längerte die Legislaturperioden von drei auf fünf Jahre—,und die Sozialdemokratie, gegen welche sich jen« Schlagdoch hauptsächlich richten soll, will freiwillig ein Recht preis-geben, welches, wie beschränkt und untergeordnet eS beioberflächlicher Prüfung auch«scheinen mag, bei richtig«Handhabung ein schätzcnswerther Faktor auch in unserempolitischen öeben sein und noch mehr werden kann?Wir glauben kaum, daß man die Konsequenzen, die sichaus dieser Anregung fast von selbst ergeben, genau durch-dacht hatte, als man in der SanSsouci-Bersammlung gegenBetheiligung an den Kommunalwahlen resolvirte. Es istbedauerlich, daß an den klaren Beschlüssen des St. Gallen«Parteitages in jeder Weise herumged-mtelt wird; amWenigsten konnte man annehmen, daß die Be-schlüsse schon nach verhältnißmäßig kurzer Zeit in ihrdirektes Gegentheil verwandelt würden. Es ist ein sehr ge-fährlicheS Spiel, die Politik der Resignation, d. h. die Po-litik der Entsagung. Das Bedürfniß, sich am politischenLeben zu betheiligen, ist in den Massen entschieden vor-Händen; lenkt man dasselbe künstlich ab, verstopft man dieQuellen, aus denen das Leben strömt, so verliert man all-zuleicht die Fühlung mit dem Volke, und eS kann passiren,daß man bei anderen Gelegenheiten, wo man auf eineMassenbetheiligung rechnen muß, zu seiner Uebenaschungisolirt dasteht. Außerdem ab« kann durch diese falscheTaktik ein Konventikrl- und V«schwör«wesen gezüchtet wer-den, welches das natürliche Hindrängen zur sozialistischenUmformung der Gesellschaft für unabsehbare Zeiten in derschwersten Weise schädigen muß.Es wäre eine Thorheit, wollte man fich der tiefgehenden Verstimmung, die heute gerade unt« oen besten, über-zeugtesten und treuesten Anhängern der Sozialdemokratiehe«scht, irgendwie verschließen. Der Pessimismus hat seineverstänlichen Ursachen in unseren widernatürlichen Zuständen,er darf jedoch nicht soweit gehen, daß man sich zu Aktender Verzweiflung hinreißen läßt. Gewiß, wer die sozialpolitische Entwickelung d« letzten Jahre mit einigermaßengeübtem und aufmerksamem Auge betrachtet hat, dem w«densich nur wenige Lichtpunkte zeigen, aber g«ade deswegenwerden es auch weite Kreise der sozialdemokratischen Be-völkerung für eine That der Verzweiflung hal-„Hier bin ich. Wer ist da?"„Mein lieber Staatsanwalt," sagte Rath Frühbach—denn als solcher stellte sich d« späte Besuch heraus—, in-dem er die letzten Stufen emporklomm,„nehmen Sie mirdas nicht übel; ich habe Ihnen die Betreibung der Angelegen-heit überlassen, aber doch nicht zu dem Zweck, um mich inTeufels Küche zu bringen. Ich protcstire gegen jedes weitereVerfahren, insofern es die brave Heßberger'sche Familie be-trifft, und überlasse Ihnen alle und jede Verantwortung fürdas Geschehene."„Ab« bester Rath!" lachte Witte.„Bitte," sagte Rath Frühbach,„das ist kein Spaß;ich lag schon im Bett und im ersten Schweiß, als meineFrau nach Haufe kam und mir mittheilte, daß Sie hier imHeßberger'schen Familienkreise auf meine Veranlassung mitPolizei wirthschafteten und Haussuchung hielten. Ichsage Ihnen, wie ich war, fuhr ich aus dem Bette und inmeine Kleid«, und ich kann den Tod davon haben,denn nichts auf der Welt ist schlimmer als eine unter-brochene Transpiration..."„Und Sie protestiren wirklich. He« Rath?"„Allerdings, soweit es den Ihnen gegebenen Auftragbrtrifft. Ich ziehe meine Klage vollständig zurück."„Dann bedauere ich, daß Sie zu spät kommen,"lachte Witte,„denn wir haben das ganze Nest schon aus-gehoben und einen wahren Schatz von gestohlenen Sachengefunden."„Von gestohlenen Sachen?" rief Frühbach erstaunt.„Ueberzeugen Sie sich selber— genug Silber, um einefürstliche Tafel auszustatten."„Nun, sehen Sie wohl, daß ich Recht hatte?" bemerkteRath Frühbach, indem er auf die oberste Stufe trat unddas T«rain mit seinen Blicken üb«flog(der gebundeneHchberger stand dicht neben ihm).„Habe ich es Ihnennicht immer gesagt, daß derHeßberger ein ganz durchtriebe-ner Bursche ist? Aber Sie wollten eS mir nie glauben!Und was wird jetzt?"„Jetzt schaffen wir die Gefangenen auf die Polizei,"agte der Konimissar,„und morgen ftüh«suche ich Sie,mit Ihr« Frau Gemahlin auf das Amt zu kommen, um-fiihne d« Reaktion dasSozialdemokratie einge-ten, wenn heute vor d« wehendenstolze und unbefleckte Banuer derzogen wird.Mit der Resolution gegen die Betheiligung bei de»Kommunalwahlen hat die Berlin« Partei— das ist unsereunumstößliche Ueberzeugung— den ersten Schritt auf einesehr abschüssigen Bahn gethan. Wir wissen nicht und wolleneS nicht wissen, auf welche Einflüsse in letzter Linie d«unselige Beschluß zurückzuführen ist, aber wir hoffen derAllgemeinheit einen Dienst zu erweisen, wenn wir auf eingewisses dunkles Getriebe hinweisen. Als wir vor unge--fähr einem halben Jahre die Behauptung aufstellten, daßvon Seiten der chriftlich-sozialen Partei christlich-soziale Ar-beiter bei den sozialdemokratischen eingeschmuggeltwären, die den Auftrag hatten, die B«linerSozialdemokratie zu gewissen Schritten zu v«leiten,da schloß uns das Sozialistengesetz den Mund; He« Stöckerschimpfte in seinen Parteiversammlungen weidlich auf unSund nannte unsere Ausführungen dumm und geistlos, dievon uns aufgestellte Behauptung erwähnte er jedoch niitkeinem Worte und widersprach derselben natürlich auch nicht.Der Rücktritt der beiden sozialdemokratischen Stadt-verordneten wird nun in dem Leitartikel der Nr. 69 der„Kreuz-Zeitung" vom 21. März ausschließlich auf das Be-treiben der„inneren Organisation" der Berliner Sozial-demokratie zurückgeführt, und im Anschluß daran fordertdas Organ der Herren von Hammerstein und Stöcker ehrbehördliches rigoroses Vorgehen gegen die„innere Organisation".Wir meinen nun, daß die einfache Darstellung dieserthatsächlichen Verhältnisse genügen wird, um einen Blickhinter die Koulissen werfen zu lassen. Natürlich und selbst-redend trifft die Arbeiter selbst nicht die geringste Schuld,wir unsererseits halten es jedoch für uns«e unabweis-bare Pflicht, ohne Rücksicht auf irgend welche An-feindunaen die Sachen so wied«zugeben, wie sie sich wirk-lich verhalten.„Die Berliner Arbeiter," sagten wir,„haben den erstenSchritt auf eine sehr abschüssige Bahn gethan"— wirhätten sagen sollen, sie sind auf eine sehr abschüssige Bahngeleitet worden. Gleichviel— was wird man aber meinen,wenn sich dasselbe Spiel bei den nächsten Reichstagswahlenwiederholt? Hi« ist die Resolution aus der Kommunal-wähler-Versammlung noch einmal:„In Erwägung, daß bei einer Bettzeiligung anden Kommunalwahlen der Aufwand an intellektuellenund mat«iellen Kräften zu den möglicherweise er-wachsenen Vortheilen in keinem VerhälMiß steht, inferner« Erwägung, daß durch die Erfahrung hin-länglich erwiesen ist, daß die Eroberung einig« Sitzedie aufgefundenen Gegenstände in Augenschein zu nehme«und zu erklären, ob etwas darunter Ihr Eigenthum ist.Auf Ihre Veranlassung wurde die Haussuchung vorgenom-men, und es versteht sich von selbst, daß Sie zuerst überdie Gegenstände, die wir Ihnen vorlegen müssen, ver-nommen werden."„Und haben Sie das Hosenzeug gefunden?"„Das allerdings noch nicht, aber es kann noch Manchesin dem untern sehr geschickt angebrachten Versteck liegen.Also versäumen Sie Ihre Zeit nicht— morgen etwa zwischenzehn und elf Uhr, wenn ich bitten darf."Das Verhör.Das Versteck der gestohlenen Sachen war wirklichauß«ordentlich schlau angelegt und die Klappe so genaugearbeitet, daß sie, noch dazu mit dem Kohlenstaub über-zogen, nur bei einer vollkommen gründlichen Untersuchungentdeckt werden konnte. Selbst das Blitzen des Eisens imLichte schien Heßberger vorgesehen und abgewendet zuhaben, denn dasselbe war mit schwarzer Farbe überstrichen,diese ab« durch den mehrfachen Gebrauch des zum Hebenbenutzten HakenS an einigen Stellen abgescheuert worden, waSdenn-einzig und allein zur Entdeckung führte.„Heßberger, der zuerst einen verzweifelten Versuch ge-macht hatte, zu entkommen, saß jetzt wie völlig ineinandergebrochen am Boden; er hatte nicht mehr Kraft genug inden Knieen, um aufrecht zu stehen. Seine Frau dagegenbehauptete nach wie vor ihre starre Ruhe und Unschuld.Finster blickte sie auf die vor ihr ausgebreiteten Maarenund Kostbarkeiten, die nach und nach aus dem Gefach her-ausgearbeitet wurden und von denen einzelne Stücke schonsehr lange dort unten gelegen haben mußten, denn siewaren mit einer Staubkruste überzogen; aber sie leugnete,auch nur das Geringste davon zu wissen. Sie sei, wie siebehauptete, eine ehrliche Frau, die sich mit ihrer„Kunst",mit ihrer Arbeit nähre, aber noch nie daran gedacht habe,zu einem unehrlichen Erwerb zu greifen. Sei das wirklichvon ihrem Manne geschehen, so wisse sie nichts davon, odere hätte es nie geduldet; er müsse es heimlich gethan