Nr. 75.

Mittwoch, den 28. März 1888.

5. Jahrg.

Berliner Volksblatt

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Bostabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 f. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1888 unter Nr. 849.)

Redaktion: Beuthstraße 2.

Abonnements- Einladung.

Bum bevorstehenden Quartalswechsel erlauben wir uns zum Abonnement auf das

Berliner Volksblatt"

nebst dem wöchentlich erscheinenden Sonntagsblatt einzu

laden.

Der Standpunkt unseres Blattes ist bekannt. Es steht auf dem Boden des unbeugsamen Rechts. Die Erforschung und Darlegung der Wahrheit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ist seine einzige Aufgabe. Als treuer Berather und Streiter für die Aufhebung und Ausgleichung der Klaffen­gegensäße ist das Berliner Volksblatt" ein entschiedener Gegner jeder Politit, die ihre Endziele in der Bevorzugung einzelner, heute schon mehr berechtigter Gesellschaftsklassen findet.

Das Berliner Volksblatt" sucht seine Aufgabe durch

fachliche Behandlung der politischen als auch der Tagesfragen zu erfüllen. Die gleichen Grundsäße leiten uns bei Besprechung unserer städtischen Angelegenheiten.

Der Abonnementspreis beträgt frei ins Haus für das ganze Vierteljahr 4 Mark, monatlich 1 Mark 35 Pf., wöchentlich 35 Pf. Bei Selbstabholung aus der Expedition, Bimmerstraße 44,

1 Mark pro Monat.

Die Redaktion und Expedition

des Berliner Volksblatt".

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Kartellbrüderliche Leistungen. Die Kölnische Zeitung " meinte dieser Tage, bie nationalliberale Partei fönne mit ganz beson berer Befriedigung" auf die verflossene Reichs­tagsfeffion zurückblicken, denn man habe die nationale Wehrkraft gegen alle Stürme wetterfest gemacht".

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Insertionsgebühr

beträgt für die 4 gespaltete Petitzeile oder deren Raum 25 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bf. Bel größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittaga in der Expedition, Berlin SW., Bimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaur, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

fich dieselben auch mit weniger Kosten herstellen ließen, ohne daß die Kriegstüchtigkeit darunter zu leiden hätte.

Seit dem Jahre 1877 find für Militärzwecke 894 Mill. Mark vom Reiche durch Anleihen aufgebracht worden. Nicht lange mehr und die Schulden des Reichs, die ihm aus Militärzwecken erwachsen, werden sich auf eine Milliarde belaufen. Dazu möglichst viel beigetragen zu haben gereicht unseren Nationalliberalen zu hoher Befriedigung.

Man bedenke, was das heißt, wenn in zehn Jahren sich eine solche Schuldenlast aufhäuft, trotzdem wir schon einen so gewaltigen Heeresetat haben. Man finnt auf so gewaltigen neue Steuern und sucht sich alle nur denkbaren Einnahme quellen zu erschließen. Das alles reicht aber nicht aus und man wird immer weiter gehen müssen. Wenn sich die Rüstungen weiter so steigern, so ist gar fein Ende abzu­sehen. Und sie werden sich steigern, gleichviel ob wir Frieden oder Krieg haben werden. Im Frieden bewaffnet man sich, denn die heute allgemein befolgte Marime lautet ja: Wer Frieden haben will, muß zum Kriege gerüstet sein! Wenn aber ein Krieg ausbrechen sollte, so fragt es sich, wer Sieger bleibt. Der Unterliegende muß dann die Kosten für den Sieger bezahlen. Es kann aber auch leicht sein, daß der Sieger so zugerichtet ist, daß es ihm dabei geht, wie so manchem Bauern es schon gegangen ist, den ein gewonnener Prozeß ruinirt hat.

Bestellungen werden von sämmtlichen Zeitungsspediteuren, fowie von der Expedition unseres Blattes, Bimmerstraße 44, Wir haben schon öfter ausgeführt, daß man für den unbe­entgegengenommen. haglichen und verderblichen Zustand, in welchen der be­Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Bewaffnete Friede Europa versetzt hat, weder eine Regierung waffnete Friede Europa versezt hat, weder eine Regierung ftellungen an. noch einen Staat noch eine Person verantwortlich machen Der Militarismus und die immerwährende Kriegs­fann. bereitschaft sind nur die logische Konsequenz der historischen Entwicklung Europas . Man zwang seinerzeit die fran­ zösische Revolution, die sich von ganz Europa angegriffen fah, eine Massenbewaffnung anzuordnen, wie man sie bis­her nie gesehen hatte. Der siebenjährige Krieg war be­fanntlich noch mit geworbenen Truppen geführt worden. In den Revolutionskriegen sah man mit Erstaunen, Massen man auf die Beine bringen welche fönne, wenn man ein ganzes Volt in die Waffen rufe. Die Regierungen machten sich zu Nußen, was sie in den Re­volutionskriegen gesehen. Sie verschmolzen die Einrichtung des stehenden Heeres mit der Wehrpflicht, wodurch man nach und nach zu dem heutigen System tam. Die moderne Bewaffnung beschleunigte die Durchführung dieses Systems, denn der moderne Krieg läßt die Entscheidung des Kampfes nicht mehr von dem Muth und der Tüchtigkeit Einzelner abhängen. Heute gilt es, schnell große Massen zu konzen­triren und durch Uebermacht den Gegner zu erdrücken. Dies sich steigernde Ronkurrenz unter den führt die herbei. Man fann sagen, daß Militärstaaten

Nun, es mag sein, daß ein nationalliberales Gemüth eine besondere Genugthuung empfindet über die Dinge, die hinter uns liegen. Die Herren Nationalliberalen glauben bewiesen zu haben, daß sie ,, regierungsfähig" sind, und des halb schwillt ihren Staatsmännchen der Kamm. Aber doch wohl umsonst.

Daß Deutschland eine starke Wehrkraft habe, das ist wohl Jedermanns Wunsch. Die Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage beziffern sich nur auf die Art der Heeres­einrichtungen, und da sind wir eben der Anschauung, daß

Heuilleton.

este sarbeljakten.)

Der Grbe.

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Cabrad verboten.)

Roman von Friedrich Gerstäder. Fräulein von Wendelsheim faßte fast trampfhaft die Lehne des Stuhls, neben dem sie stand, und Witte täuschte sich wohl nicht, wenn er zu bemerken glaubte, daß sie er­bleichte, als ihr Blick dem fest auf sie geheftenten Auge des Juristen begegnete. Aber Fräulein von Wendelsheim hatte keine schwachen Nerven, und während schon im nächsten Moment ein trogiges, verächtliches Lächeln um ihre Lippen spielte, sagte sie scharf: Sie haben eine merkwürdige Art und Weise, sich bei einer Dame ein­zuführen; da fie aber einmal da sind und mein Bruder in der That nicht wohl ist, so reden Sie. Doch muß ich Sie bitten, sich furz zu fassen,

ist es?"

Luft noch 3eit zu einer langen Unterredung. Also was Bitte machte eine leise Verbeugung, und während sie sich selbst auf das ihm gegenüber stehende Sopha fette, jagte er: Ich werde mich sehr kurz fassen. Die Sache bes barf auch keiner weiteren Vorrede. Sie wissen, daß heute über vierzehn Tage die Erbschaft für den männlichen Leibes­erben der Familie Wendelsheim fällig ist und an dem Eage mit den zu dem Kapital geschlagenen 3insen, einige unbedeutende Verwaltungskosten abgerechnet, ausgezahlt

werben wird."

Sind Sie deshalb gekommen, um mir das zu sagen?" fragte das gnädige Fräulein kalt.

" Ich sage, Sie wissen das," fuhr Witte ruhig fort; aber der eigenthümliche Fall besteht dabei, daß Sie nicht wissen, wer der wirkliche Erbe des Wendelsheim 'schen Ver­

mögens ist."

Mein Herr!" fuhr die Dame von ihrem Siz empor. Bitte, behalten Sie Play, mein gnädiges Fräulein,"

fagte Witte trocken; ich bin noch lange nicht fertig, und

Sie mögen Ihr Erstaunen für einen späteren Punkt meiner Relation aufsparen."

,, Wenn ich erstaunt bin," sagte Fräulein von Wendels­heim mit einer Stimme, die genau so flang, wie der grollende Donner vor Ausbruch eines Sturmes, so war es nur über Ihre Unverschämtheit!"

Bitte, mein gnädiges Fräulein," sagte Witte, foll ich Sie vielleicht daran erinnern, daß das Kind der Baronin von Wendelsheim unmittelbar nach der Geburt mit einem andern vertauscht wurde?"

Die Dame stand dem Staatsanwalt gegenüber; ihre ganze Gestalt zitterte, ob vor Aufregung und Schreck, oder verhaltener Wuth, ließ sich freilich kaum bestimmen; aber verhaltener Wuth, ließ sich freilich kaum bestimmen; aber gewaltsam faßte sie sich fie mußte erst hören, was der Mann noch zu sagen hatte und nur mit vor 3orn beben­der Stimme zischte sie: Das faule Märchen, das damals im Mund des Volts war, aber als erbärmliche Lüge vers stummen mußte!"

"

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Man hatte keine Beweise," sagte Witte, und die Sache schlief die langen Jahre. Das Wunderbare aber dabei ist, daß selbst Sie den wahren Thatbestand nicht kannten. Ja, mein gnädiges Fräulein, wenn Sie auch noch so höhnisch lächeln, ich beſtehe doch auf meiner Behauptung.

Sie glaubten nämlich damals, daß die Baronin von

Wendelsheim eine Tochter geboren habe, die wenige Tage oder wenige Wochen später gestorben sei; die Thatsache aber ist, daß sie einen Sohn geboren hat, der bis zu dieser Stunde noch lebt und wohl und gesund ist, und jenes nichtswürdige Weib, die Heßberger, nur den Tausch voll­brachte und Ihnen einen anderen Knaben unterschob, um sich den reichen, in Aussicht gestellten Gewinn nicht entgehen zu laffen."

Die Wirkung, welche diese Worte auf das Fräulein von Wendelsheim machten, war merkwürdig. Ihr Gesicht nahm eine fast erdfahle Färbung an, die Augen traten ihr aus den Höhlen, ihre Lippen öffneten sich, und den magern rechten Arm, der wie in Fieberfrost hin und wieder flog, vorstreckend, stand sie so für einen Augenblick dem Staats­anwalt gegenüber. Endlich stammelte fie: Eine Lüge eine schändliche- teuflisch erfundene Lüge!"

seit der französischen Revolution nie mehr eigentlich abgerüstet worden ist. Der Umfang, den die Rüstungen angenommen haben, hat sich aber dermaßen gesteigert und wird sich noch steigern, daß dem Zuschauer dabei unheimlich zu Muthe werden kann.

Wir würden es verstehen, wenn ein Politiker sagen würde: Ich bin mir über die Gefährlichkeit eines Systems, das uns so schnell eine so große Schuldenlast gebracht hat, flar, aber ich bewillige, weil ich keinen anderen Ausweg sehe!"- Aber über die Thatsache, daß wir unsere Schulden nun wieder bedeutend vermehrt haben, noch eine besondere Befriedigung zu empfinden, das kann nur ein national liberales Molluskengemüth fertig bringen.

Wer diesen Standpunkt der Herren Nationalliberalen nicht theilt, der wird vielleicht dahin kommen, von ihnen des Mangels an Patriotismus beschuldigt zu werden. Nun, man kann das insofern ertragen, als man

den Nationalliberalen ja nicht das Vorrecht zuzugestehen braucht, zu bestimmen, was Patriotismus ist. Leider leben wir in einer so verdrehten Welt, daß kassubische, wendische und obotritische Junker und Junkergenossen uns darüber belehren zu müssen glauben, was deutsches Vaterland ist. Wir verstehen unter Patriotismus nicht, wie die National liberalen, die blinde Unterordnung unter die jeweilige Re­gierung, sondern das warme Interesse für die Wohlfahrt des Landes, dem man angehört. Und da sagen wir uns, daß die Steuerkraft unseres Volkes geschont werden muß, weil wir wissen, wie schlecht es mit den ökonomischen Verhält nissen und der Lebenshaltung der Massen aussieht.

Aber die Herren Kartellbrüder haben sich den Patriotiss mus nach ihrer Art zurecht gemacht. Die Schnaps- und Buckerbarone geben es ja auch für Patriotismus aus, wenn sie die Preise ihrer Produkte durch die Gesetzgebung in die Höhe treiben. Auch die Kornzölle haben unsere Agrarier nur aus Patriotismus hinaufgeschraubt.

Und es giebt Leute, die das glauben!

Politische Uebersicht.

Die blaffe Furcht vor Neuwahlen zum Reichstag, so

triumphiren begreiflicher Weiſe jest die freifinnigen Beitungen,

scheint angesichts des Ergebnisses in Greifenberg - Kammin in tons servativen Kreisen noch weit größer zu sein, als man bisher auf freifinniger Seite angenommen hat. Bekanntlich ist das Lands rathsamt für den Kreis Demmin erledigt, und es sollte durch den Kreistag, wie die ,, Kreuzztg." vor einigen Wochen mittheilte, der Reichstagsabgeordnete des Kreises, Freiherr von Malzahne Gülz als Landrath präsentirt werden. Durch die Ernennung zum Landrath würde aber das Reichstagsmandat des Genannten erloschen sein und hätte eine Neuwahl stattfinden müssen. Eine solche Neuwahl erscheint aber den dortigen Konservativen unter

Mein gnädiges Fräulein," sagte Witte ,,, ich bin nicht besonders empfindlich und verzeihe Ihnen in der jetzigen Aufregung gern ein hartes Wort, aber Sie werden auch einsehen, daß Sie dadurch Ihre Sache nur verschlechtern, nie verbessern können. Erlauben Sie mir deshalb, Ihnen einfach zu sagen, weshalb ich hergekommen bin, und seien Sie versichert, daß ich Ihnen nichts mittheile, was ich nicht durch lebende 3eugen beweisen kann. Ich verlange von Ihnen vor der Hand kein Eingeständniß des Geschehenen, und bitte Sie nur, die Thatsache im Gedächtnisse zu be halten, daß der Familie Wendelsheim ein wirklicher, leibs licher Erbe lebt und der bisherige Baron, Bruno von Wendelsheim genannt, ein untergeschobenes Kind ist. Ich tenne Sie als Fran von flarem, ruhigem und sehr scharfem Verstand, und bin einzig und allein deshalb hier herauss gefahren, um mit dem Baron und Ihnen oder unter ben jetzigen Umständen mit Ihnen allein zu überlegen, wie und auf welche Art der wirkliche Erbe am besten wieder in seine Rechte einzusetzen und der vermeintliche auf irgend eine zu arrangirende Art zu entschädigen sei, ohne dabei Ihren Namen zu kompromittiren. Ich muß Ihnen dabek gestehen, daß ich selber um einen Ausweg verlegen bin; aber ich möchte, wenn es irgend möglicher Weise umginge,

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den Eklat von ihrem Hause abwenden. Sie sehen dars

aus, daß ich nicht als Feind, sondern als Freund zu ihnen komme."

Witte hatte sich in der Frau vollständig verrechnet. Er war ihr mit der festen Ueberzeugung gegenüber getreten, daß er sie mit den nach einander aufgehäuften Thatsachen jeden= falls zerschmettern und augenblicklich zu einem Bekenntniß ihrer Schuld bringen würde, wenn er fie eben um gar nichts frage, sondern ihr im Gegentheil zeige, daß er schon Alles wisse. An wen Anders konnte sie sich dann nachher um Hilfe anflammern, wenn er selber ihr die Hand dazu bot Aber er hatte in seiner Berechnung einen Faktor zur Geltung gebracht, der in dem Nervensystem des gnädigen Fräuleins gar nicht eriftirte: das Gewissen und darum stimmte das Fazit nicht.

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In den Zügen des Fräuleins war schon, während er noch sprach, eine auffallende Veränderung vorgegangen; das erst