Beilage zum Berliner Voltsblatt.

Nr. 75.

Amtlicher Bericht

des fchweizerifchen Bundesrathes

an die Bundesversammlung betreffend das Gesuch um einen Nachtragskredit zum 3wede einer besseren Organisation der politischen Polizei.

( Vom 12. März 1888.) ( Fortsetzung.)

Nachdem in Chicago   ein Streit ausgebrochen war, dem fich eine sehr große Anzahl von Arbeitern angeschloffen hatte, veranstalteten die Führer der dortigen Anarchistenpartei am 4. Mai 1886 auf dem Heumarkt zu Chicago   eine Volksversamm­lung, um in ihrer Weise das Verhältniß der Arbeiter zu den Arbeitgebern und die gefeßlichen und sozialen Bustände zu be sprechen. Während dieser Verhandlung wurde aus der Menge eine Dynamitbombe dicht vor die zur Aufrechthaltung der Drd­nung anwesende Polizeimannschaft geworfen. Es wurden fieben Polizisten und mehrere Privatpersonen getödtet und außerdem noch Viele verwundet. Am 20. August 1886 erklärte die Jury acht Individuen des Mordes und der Aufreizung für schuldig; fieben derselben wurden zum Tode durch den Strang und eines zu 15 Jahren Zuchthaus verurtheilt.

Dieses Urtheil erregte unter den näher und ferner stehen den Anhängern des Anarchismus in der ganzen Welt großes Aufsehen. Sie protestirten gegen die Vollziehung desselben in zahlreichen Schriftstücken, Pamphleten und Proklamationen und Versammlungen. Zwei derselben fanden in verschiedenen Versammlungen. 3wei derselben fanden in der Schweiz   statt, die eine in Bern  , die andere in Zürich  .

Die Versammlung in Bern   wurde am 15. Oktober im Cafe Rütli" abgehalten. Sie war von annähernd dreihundert Personen besucht, worunter einige russische Studentinnen fich befanden. Die maßgebenden Persönlichkeiten waren zum größten Theile Ausländer. Tagespräfident war der erst kürzlich nach Bern   gekommene Buchbinder Christian Johann Michelsen aus Mecklenburg- Schwerin  . Als Hauptreferent figurirte der erst seit lettem Frühjahr zu Bern   in Arbeit stehende Schriftseger Franz Martin   aus Luxemburg  . Als Redner folgte ihm der auch nur seit Mai 1887 in Bern   wohnende Schneider Karl Friedrich Auguſt Joler aus Preußen und der Schweizerbürger Schriftseter Kachelhofer. Jdler ist aus Berlin   und Umgebung ausgewiesen worden und soll sich auch in Dresden   durch revo­lutionäre Reden bemerkbar gemacht haben.

Die Versammlung in Zürich   wurde am 30. Oktober im Schüßenhaus" abgehalten. Das Referat hatte der schweizer  Buchdrucker Conzett übernommen. Um den Charakter seiner Rede zu kennzeichnen, genügt es, folgendes daraus zu entheben: Wenn diese fieben Männer wirklich gehängt werden sollen, so ist es Pflicht jedes Genoffen, dieselben zu rächen. Es dürfte bann hier und da einer der Mörder( Gericht und Polizei) einen Laternenpfahl zieren." In ähnlicher Weise sprach ferner der bekannte Agitator Richard Fischer aus Bayern  , während ein angeblicher Amerikaner über die in der öffentlichen Verwaltung der Vereinigten Staaten   herrschende Korruption sich hören ließ.

Eine Volksversammlung, welche schon am 8. Oktober Abends, ebenfalls im ,, Schüßenhaus" in Zürich  , veranstaltet worden war und in welcher der oben genannte Schriftseter N. Fischer über den Parteitag in Bruggen referirte, berühren wir hier nicht weiter. Wir erwähnen nur, daß bei diesem Anlaß auch ein zweiundzwanzigjähriger Jtaliener, Namens Gaetano Minunni aus Brindisi  , Student der Chemie in Zürich  , fich gedrängt fühlte, seine theoretischen Ansichten über Kommunismus und Anarchismus vorzutragen.

In mehreren Eingaben hat uns während des verfloffenen Jahres der Schuhfabrikant Jordan in Winterthur   gewisse Aus­länder bezeichnet, deren agitatorische Thätigkeit geeignet erscheine, Den Frieden in den Arbeiterkreisen Winterthurs zu beeinträchtigen. Das eidg. Justiz- und Polizeidepartement glaubte, auch über Diese Verhältniffe fich näher orientiren zu sollen. Allein die durch die kantonalen Behörden während zwei Monaten geführte Untersuchung hat in feiner Richtung erschöpfendes Material zu Tage gefördert. Ein weiteres Einschreiten unsererseits war auch nicht geboten, indem vorzugsweise Privatstreitigkeiten in Frage lagen, die bereits bei den zürcherischen Gerichten anhängig waren und dort ihren gefeßlichen Abschluß finden mußten.

Fast ununterbrochen hat eine Anzahl in Zürich   wohnender Eusländer in der Presse und dann vor den zürcherischen Ge­richten fich herumgeftritten und durch die Beimischung politischer Fragen die ufmerksamkeit der Behörden auf fich gezogen. Aus den gegenseitigen injuriösen Anschuldigungen find mehr und mehr die Charakterzüge der einzelnen und deren Ante­zedentien, sowie auch deren Thätigkeit in neuester Zeit hervor getreten. Die Mittheilungen, welche über mehrere dieser Frem­den unserem Polizeidepartement zugekommen sind, haben längst Deffen Aufmerksamkeit auf einzelne derselben hingelenkt. Doch erst gegegen Ende des Jahres waren festere Anhaltspunkte ge­funden, welche das Departement veranlassen fonnten, durch die zürcherische Polizeidirektion eine nähere Untersuchung anzu ordnen.

Es kann sich an dieser Stelle nicht darum handeln, über die von den zürcherischen Behörden geführte Untersuchung eingebendere Mittheilungen zu machen. Wir beschränken uns darauf, die Thätigkeit einzelner, auch in der Preffe speziell ge­nannter Bersönlichkeiten zu besprechen.

Bunächst tritt uns Alfred v. Ehrenberg, preußischer General Stabs- Hauptmann a. D., geboren 16. September 1846, entgegen. Nach seinem Dienstaustritt publi- irte er eine polemische Schrift über den preußischen Militarismus, ein Vorgehen, das ihm eine breimonatliche Festungshaft in Wesel   zuzog. Nach Erstehung dieser Strafe widmete er sich industriellen Unternehmungen, ver lor aber hiebei sein Vermögen. Defonomisch ruinirt und mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden, warf er fich dem Sozialismus in die Arme. Um in Deutschland   einer Unter fuchung wegen politischer Umtriebe zu entgehen, flüchtete er sich Anfangs 1883 nach Zürich  .

Sofort knüpfte er mit den Führern der sozialdemokratischen Bartei in Zürich   Beziehungen an, als ehrgeiziger Charakter offenbar von der Absicht geleitet, in dieser Partei eine hervor ragende Rolle zu spielen. Er gerieth jedoch bald mit seinen Benoffen in Konflift. Ohne Zögern schloß er sich den revolu tionären Elementen an, welche zu jener Beit von der sozial­demokratischen Bartei fich loslöften und als internationale Arbeiterafoziation" -die spätere Anarchistengruppe Zürich  - cine besondere Vereinigung bildeten unter der Leitung von Kaufmann und Stellmacher. Die Prinzipien dieser Gruppe sind genügend bekannt geworden. Es ist zwar aller dings nicht erwiesen, daß Hauptmann v. Ehrenberg die Thaten Don Stellmacher und Kammerer gefördert oder auch nur ge­billigt.te, aber so viel scheint die Untersuchung festzustellen, daß er vermöge seiner höheren Bildung und feiner Energie edenfalls einen großen Einfluß auf die leitenden Persönlich

Mittwoch, den 28. März 1888.

feiten in dieser Gruppe ausgeübt hat. Mit einem anderen her vorragenden Mitgliede der genannten anarchistischen Vereinigung, Ignaz Megler, von Aschbach( Bayern  ), stand er in sehr in timem Verkehr.

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Was speziell die anarchistische Thätigkeit des Hauptmanns v. Ehrenbrrg betrifft, so ist er höchst wahrscheinlich Verfasser der seinerzeit in Moft's" Freiheit" unter dem Pseudonym Tantalus  " erschienenen Artikel; ebenso sollen die während des Schlofferstreils in Zürich   verbreiteten aufregenden Flugblätter aus seiner Feder stammen. Erwiesen ist dagegen, daß die furz vor diesem Streit in der Arbeiterstimme" veröffentlichten, mit Vereingetorir" unterzeichneten Artikel über die Selbst­ständige Verwendung des Landsturmes zum Straßenkampfe in den von Feinden besetzten Städten" Ehrenberg's Machwert find. Endlich kennzeichnet er fich als Anarchist in dem Entwurf zu einem Aufruf: Die gefährlichsten Feinde der so­ zialistischen   Bewegung in Deutschland  ." als welche er die sos zialdemokratischen Abgeordneten hinstellt.

Ehrenberg hatte mit den theoretischen Sozialisten vollstän dig gebrochen. Sein Haupttrachten ging dahin, mit Gewalt eine soziale Revolution vorzubereiten. In dieser Richtung ver­folgte er großartige Pläne. Er dachte an die Ver wirklichung einer Weltrepublik" und wählte fich als geeignetes Versuchsfeld das Deutsche Reich aus. Sein nächstes Thun und Treiben war, wie die Untersuchung auch festgestellt hat, darauf gerichtet, für den Fall des Ausbruches eines Krieges zwischen Deutschland   und Frankreich  in seiner Heimath hinter dem Rücken der Armee eine Insurrektion zu.organisiren und die hiefür nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Er schrieb zu diesem Zwecke neben dem schon oben erwähnten Aufruf noch ein ähnliches Flug­blatt: Aufruf an alle muthigen Männer, welche ein befferes" Loos der ausgebeuteten Klaffen herbeiführen wollen", unterzeichnet: Das Insurrektionskomitee". Daneben hegte er den Plan, über ganz Deutschland   ein Nez von Vers schworenen auszubreiten. Um die zur Realifirung dieses Planes erforderlichen Retognitionen richtig vornehmen zu lassen, verfaßte er eine Instruktion", zufolge welcher die Stärke der einzelnen Garnisonen in den deutschen   Städten ermittelt und zweckdien­liche Notizen über Zeughäuser, Munitions- und Vorrathsdepots, Strafanstalten und öffentliche Kaffen gesammelt, sowie auch die Gesinnungen der verschiedenen Vereine ausgekundschaftet werden sollten u. s. w. Diese Instruktion ist aber nicht blos auf das Papier, sondern in Wirklichkeit auch zur praktischen Verwerthung gekommen. Ehrenberg hat nämlich in der Person des Emil Schopen aus Rheinbayern, damals Student der Medizin in Bern  , einen Emiffär nach Deutschland  geschickt, welcher genau nach der Instruktion Erhebungen veran ftaltet und hernach über seine Mission Bericht erstattet hat. Endlich heben wir noch als höchst bemerkenswerthe Thatsache hervor, daß unter den Papieren Ehrenbergs ein von seiner Hand entworfener Plan der Zitadelle von Wesel   sich vorgefunden hat, sowie ein ebenfalls von ihm herrührendes Manuskript, betitelt: Ueber die Möglichkeit der Ausführung eines Ueberfalles der Bitadelle in Wesel  ". Es ist in dieser Schrift ein Ueberfall durch französische   Truppen vorgesehen.

Zum Schlusse erwähnen wir noch, daß die Frage, ob von Ehrenberg in letter Beit im Dienste einer ausländischen Polizei­behörde gestanden, auf Grund der Untersuchung nicht mit abfoluter Sicherheit bejaht werden kann.

Ehrenberg ist am 31. Oftober 1887 in Saft gesetzt worden. Gegen Ende der Untersuchung hat er bekanntlich einen ihm gewährten furzen Aufenthalt in seiner Privatwohnung miß­braucht, um sich zu flüchten. Für einstweilen ist eine weitere ge­richtliche Verfolgung dieser Persönlichkeit überflüssig geworden, da sie nicht mehr in der Schweiz   sich befindet.

Näch während die Untersuchung gegen Ehrenberg im Gange mar, wurden in Zürich   zwei andere Individuen in Folge Denunziation ihrer eigenen Genoffen zur Haft gebracht, welche, durch ihr Verhalten als Anarchisten überwiesen, nun als wirt liche Spione entlarvt wurden.

Der eine dieser Beiden, Karl Schröder  , Möbelpolier, ge bürtig aus Deutschland  , naturalisirter Schweizer   und Bürger der Gemeinde Neftenbach  , Kts. Zürich, wohnhaft in Zürich  , wurde am 18. Dezember 1887 verhaftet. Die Haussuchung bei ihm förderte zu Tage: 1) eine Anzahl Kouverts von Briefen aus Berlin  , dem Aussehen nach von einer Behörde kommend. Mehrere Dieser Kouverts find halb zernichtet, indem Schröder, als die Polizei zu ihm fam, damit beschäftigt war, die ihn kompromittirenden Papiere zu verbrennen. Die Agenten fonnten gleichwohl noch einige Kouverts und einen unversehrten Brief dem Feuer entreißen; 2) ein Kistchen mit Dynamit, welches ursprünglich 8 Kil. enthalten haben muß, aber nur noch 6 Kil. und 300 Gr. enthielt.

In der Untersuchung gestand Schröder rundweg, daß er seit 1884 Agent der deutschen   Polizei sei; anfänglich habe er einen monatlichen Gehalt von 200 M. gehabt, seit Jahren beziehe er 250 Mark per Monat. Der Dynamit ſei ohne sein Wissen von den als Anarchisten bekannten Etter und Wübbeler bei ihm untergebracht worden. Einzelne Anhaltspunkte sprechen dafür, daß der Dynamit früher in St. Gallen   war und daß der Inhalt des Kitchens Schröder nicht unbekannt sein

konnte.

Schon seit längerer Zeit gehörte Schröder der anarchistischen Richtung an. Es hielt nicht schwer, festzustellen, daß er sich mit Kaufmann, Stellmacher, Neve und Genoffen von den Hottinger Sozialisten" getrennt und der Nichtung der Frei heit" von Most angeschloffen hatte. Im Jahre 1882 vereinbarte er namens eines fiebengliedrigen Komitees, worunter Kaufmann und Stellmacher, mit dem Buchdrucker Bührer die Herausgabe der Freiheit", welche damals während furzer Zeit in Burich er­schien. In einer Versammlung der Sozialisten machte er dem Hauptredakteur des Sozialdemokrat", Bernstein   den tadelnden Vorwurf: Er sei nicht radikal genug", und als seine Freunde Kaufmann, Neve und Hauser ausgewiesen wurden, fand er es angemessen, in den Dienst der deutschen   Polizei einzutreten. Er glaubt, daß er der deutschen   Polizei durch den bekannten Anarchisten Kaufmann, der, wie es scheint, auch ein Spion war, empfohlen worden sei.

Seither ist Schröder bei allen Streits und politischen Ver sammlungen aufgetreten und hat zu revolutionärer Thätigkeit angefpornt. Es sind in dieser Zeit bekanntlich in St. Gallen  , Lausanne   und Bern   Arbeitseinstellungen vorgekommen. Nach Aussagen der in der Untersuchung vernommenen Arbeiter hätte Schröder bei allen diesen Vorgängen die Rolle des Anstifters gespielt. Wenn wir auch nicht außer Acht laffen wollen, daß der Haß gegen den Spion leicht Uebertreibungen

hervorruft, so so bleibt immerhin so viel festgestellt, daß Schröder eine hervorragende Rolle als Aufwiegler ge­spielt hat, während er gleichzeitig der Berichterstatter der deut schen Polizei war.

( Fortsetzung folgt.)

Lokales.

5. Jahrg.

Der diesjährige April- Umzug, der heute bereits seine Schatten in das Straßenleben Berlins   wirft, ollzieht sich unter den denkbar schwierigsten Witterungsverhältnissen. Die Möbel­wagen, die sonst hart am Trottoir halten, trennt jezt davon eine dicke Schneemauer; die Möbel machen, bevor sie aufges laden werden, die Bekanntschaft mit dem in der Auflösung bes griffenen schmutzigen Schnee oder erhalten einen legten Scheldes gruß von den Dächern ihres bisherigen Heims nachgesandt- Abschiedsthränen, welche die alte Behausung ihnen nachweint. Glücklich derjenige, der nicht zu ziehen braucht, doppelt glück­lich, wer unter den obwaltenden Witterungsumständen davon verschont iſt.

Bur Warnung erläßt der Polizeipräsident folgende Bes. tanntmachung: Wie die Erfahrung auch in neuester Beit wieder mehrfach erwiesen hat, beherzigt das Publikum die Thatsache immer noch nicht genügend, diß selbst dann, wenn eine gut or= ganifirte und zuverlässige Fleischschau am Wohnort für alle ge Schlachteten Schweine besteht, doch theils aus Orten, in welchen die Fleischschau zwar eingeführt, aber nicht für alle geschlachteten Schweine vorgeschrieben ist, theils aus Orten ohne jede Fleisch­schau, theils endlich mit Umgehung der bestehenden Bes stimmungen, gar nicht oder mangelhaft untersuchtes Schweine fleisch in den Verkehr gelangen und große Gefahren für Leben und Gesundheit der Konsumenten herbeiführen fann. Es wird daher vor dem Genuß jeglichen rohen Schweinefleisches ernstlich gewarnt und ferner darauf hingewiesen, daß lediglich ein voll fommenes Garkochen( Durchbraten) der Fleischstücke wie sämmt licher Bubereitungen aus Schweinefleisch Fleisch, Blut, Leber würste, Klöße, Sülze u. f. w.) im Stande ist, die etwa vorhandenen Trichinen zu tödten und dadurch jede Gefahr Um das Gar einer Gesundheitsschädigung auszuschließen. tochen, Durchbraten größerer, dickerer Stücke( Schinken, Genic braten 2c.) zu ermöglichen, ist es nothwendig, tiefe, etwa acht Zentimeter von einander entfernte Einschnitte in die betreffenden Stücke zu machen, damit auf diesem Wege die Siedhite auch auf die tiefst gelegenen Fleischschichten hinreichend einzus wirken vermag.

Arbeiterloos! Wir lesen in der ,, Staatsbürger- Beitung": Fünfzig Jahre mühevollen Schaffens als Bürstenmacher legt in den ersten Tagen des fünftigen Monats der Bürstenmachers geselle Neumann in der Fabrik der Hoflieferanten Engeler und Sohn, Behrenstraße 36, zurück. Derselbe ist ein Greis von 72 Jahren; unverdroffen steht er seit 40 Jahren, emsig schaffend in der genannten Fabrik am Werktische. Dem braven Alten ist es trotz alledem nicht vergönnt, ohne Sorgen den legten Tagen feines Lebens entgegen zu sehen. In jüngeren Jahren vers brauchte seine Familie den Verdienst, jest vermag der greife Gefelle im günstigsten Falle nur 9 M. zu erwerben, da derselbe nicht ,, auf Lohn", sondern auf Stück" beschäftigt ist. Leider find auch die Kinder des Arbeiter- Veterans nicht in der Lage, ihrem Vater einen sorgenlosen Lebensabend zu bereiten." Von einem Blatte wie die Staatsbrgr.- 3tg." läßt sich ein besseres Verständniß für die Arbeiterfache nicht erwarten; das Blatt hat wenigstens t in Wort der Mißbilligung für eine derartige Aus beutung eines Greises. Aber sollte die 50jährige Thätigkeit des ergrauten Gesellen die Herren Hoflieferanten, die wahrscheinlich ein gutes Stück Entbehrungslohn" während des halben Jahr­hunderts in die Tasche gesteckt haben, nicht veranlassen, wenigs stens von einer öffentlichen Bettelei, auf die der obige Artikel doch abzielt, Abstand zu nehmen? Für den abgearbeiteten Greis sollten sie doch ein paar Thaler übrig haben.

Was koftete vor 60 Jahren die Besorgung eines Buches aus der königliche Bibliothek zu Berlin   bis nach Thüringen  ? Jahn giebt uns in einem Brief darauf Ants wort  . 1) Brief mit Nachfrage nach irgend einem Buch( nach Berlin  ) 0,50 M.; 2) Antwort mit Ja oder Nein 0,50 M.; 3) Gesuch beim Ministerium mit Stempel 1 M.; 4) Antwort vom Ministerium, wenn kein Stempel von 1 M. beliebt wurde, 0,50 M.; 5) Schreiben an irgend einen Geschäftsträger, fich das Buch geben zu laffen und es abzusenden 0,50 M.; 6) das Buch nach Freiberg   von Berlin   1 M.; 7) Burücksendung nach Berlin   1 M.; damit insgesammt mindestens 5 M.! Also, fügt Jahn dieser Berechnung hinzu, find die Bibliotheken nur für reiche Leute, arme thun beffer, Bücher zu kaufen.

Gewährt die Staatseisenbahn- Verwaltung Ent­schädigungen? Angesichts der bedeutenden Betriebsstörungen, welche gegenwärtig auf den Strecken deutscher   Eisenbahnen ein­getreten sind, dürfte es im Intereffe des Publikums am Blaze sein, auf einige wichtige Bestimmungen betreffs eventueller Ents schädigungen der verspätet angekommenen Reisenden hinzus weisen. Nach dem Betriebs- Reglement für die Eisenbahnen Deutschlands   begründen verspätete Abfahrt oder Ankunft keinen Anspruch gegen die Eisenbahnverwaltung. Eine ausgefallene oder unterbrochene Fahrt berechtigt nur zur Rückforderung des für die nicht durchfahrene Strecke gezahlten Fahrgeldes. Wird infolge einer nicht durch höhere Gewalt herbeigeführten Vers spätung der Ankunft eines Buges der Anschluß an einen an deren versäumt, so ist den mit durchgehenden Billets ver sebenen Reisenden nach erbrachtem Nachweise, daß sie mit dem nächsten zurückführenden Zuge bis zur Abgangsstation zurückgekehrt find, find, der bezahlte Preis für die Hinreise sowie der Preis der Rückreise zurück zu erstatten. Der Reisende ist verpflichtet, seinen Anspruch unter Vorlegung feines Fahrbillets sogleich nach Ankunft des verspäteten Buges dem Stationsvorsteher anzumelden. Letterer hat hierüber, der Stationsvorsteher der Abgangsstation über die Zeit der Rück funft eine Bescheinigung zu ertheilen. Wenn Elementar ereignisse oder andere Hindernisse die Fahrt auf einer Strecke unzulässig machen, so muß für die Weiterbeförderung bis zur fahrbaren Strecke mittelst anderer Fahrgelegenheiten nach Thun­lichkeit so lange gesorgt werden, bis für jeden einzelnen Fall eine besondere Anordnung getroffen sein wird. Die Reisenden fönnen jedoch nicht verlangen, daß die Weiterbeförderung mittelst anderer Fahrgelegenheiten um die für die Fahrt auf der Eisen­bahn erlegten Gebühren von letterer besorgt werde. Nach diesen Bestimmungen können also diejenigen Reisenden, welche bei Unterbrechung der eingetretenen Fahrt durch Schneefall oder sonstige Naturereignisse die beabsichtigte Reise nicht fortsetzen wollen, nur die Rückgabe des gezahltenn Fahrgeldes für die eventuell noch zu durchfahren gewesene Strecke, nicht aber auch Anspruch auf Ersatz der durch die Betriebsstörungen etwa ent ftandenen Geldverluste erheben.

Ein Nothschrei aus dem Norden. Eine eigenartige Ueberraschung wurde gestern den Bewohnern der Nebenstraßen des Nordens zu Theil. Nachdem man sich nun schon wochenlang durch den Schnee hindurchgearbeitet hatte und vor den Häusern durch die fußhohen Schneeberge Uebergänge gemacht waren, da man schon an der Wegschaffung des Schnees verzweifelt hatte, wurden gestern Morgen zum Erstaunen Aller die Schneemassen wieder auseinander gestreut und auf den Fahrdamm geschüttet, so daß nun Jeder, der den Fahrdamm überschreiten wollte, durch den füßhohen Schnee waten mußte. Daß dieses Verfahren unter