Nr. 76.

Donnerstag, den 29. März 1888.

5. Jahrs.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin frei in's haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Postabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1888 unter Nr. 849.)

Redaktion: Beuthstraße 2. Beuthstraße 2.

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Expedition: Zimmerstraße 44.

Expedition:

Bum bevorstehenden Quartalswechsel erlauben wir uns zum manche Verwirrung anrichten. Aber die schweizerische Abonnement auf das

Berliner Volksblatt"

nebst dem wöchentlich erscheinenden Sonntagsblatt einzu laden.

Der Standpunkt unseres Blattes ist bekannt. Es steht auf

dem Boden des unbeugfamen Rechts. Die Erforschung und Darlegung der Wahrheit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ist seine einzige Aufgabe. Als treuer Berather und Streiter für die Aufhebung und Ausgleichung der Klaffen­gegenfäße ist das Berliner Volksblatt" ein entschiedener Gegner jeder Politit, die ihre Endziele in der Bevorzugung einzelner, heute schon mehr berechtigter Gesellschaftsklaffen findet. Das Berliner Volksblatt" sucht seine Aufgabe durch fachliche Behandlung der politischen als auch der Tagesfragen

zu erfüllen. Die gleichen Grundsäge leiten uns bei Besprechung

unserer städtischen Angelegenheiten.

Der Abonnementspreis beträgt frei ins Haus für das ganze Vierteljahr 4 Mark, monatlich 1 Mark 35 Pf., wöchentlich 35 Pf. Bei Selbstabholung aus der Expedition, Simmerstraße 44,

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liche Stimmung in der Schweiz eine durchaus deutsch­freundliche war. Es giebt freilich Leute bei uns, welche demokratisch mit deutschfeindlich verwechseln und dadurch Demokratie ist durchaus nicht deutschfeindlich. Dies hat man am besten gesehen bei der jüngsten Affäre in Basel , als dort ein deutschfeindliches Flugblatt verbreitet wurde. Gerade die demokratische Presse der Schweiz verurtheilte das

findische Machwerk am allerschärfsten und die Offiziösen in Berlin und anderwärts hätten ihren ganzen Aufwand an sittlicher Entrüstung sparen können.

Der Gedankengang eines Theils der schweizerischen Presse bewegt sich etwa um folgende Punkte: Deutschland , resp. die leitenden politischen Kreise des Deutschen Reichs, sind ver­stimmt wegen der bekannten Lockspißel- Angelegenheit. Daß dem Polizeihauptmann Fischer nicht zu Leibe gegangen wurde und daß man die schweizerische Fremdenpolizei neu organisirte, um etwaige fremde agents provocateurs besser überwachen lassen zu können, das ist, so sagen die schweizer Blätter, in Berlin übel vermerkt worden.

Wie dem auch sei, den Schweizern wird etwas un­heimlich, denn sie fühlen sich von Italien bedroht. Daß Herr Crispi die schönsten Friedensmelodien im italienischen Parlament abspielt, scheint den Schweizern gar nicht zu imponiren. Sie lassen sich einmal nicht ausreben, daß bei den Italienern starke Gelüste nach gewissen sübschweizerischen Gebietstheilen vorhanden sind. Ein ultramontanes schweizer Blatt brachte jüngst sogar die Mittheilung, daß in dem deutsch - österreichisch- italienischen Bündnißvertrag ein Punkt Die Redaktion und Expedition enthalten sei, der sich auf den Kanton Leſſin beziehe. Allein ein Beweis dafür ist nicht erbracht worden und das ultramontane Blatt hat wohl auch ein Interesse daran, die italienische Regierung als der Schweiz recht feindlich darzustellen.

Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Bes Bellungen an.

des Berliner Volksblatt".

Deutschland und die Schweiz .

Schweizerische Blätter beklagen sich, daß Deutschland gegenüber der Schweiz eine unfreundliche Haltung ange­nommen habe, die so fühlbar sei, daß sie sich nicht mehr vertuschen lasse. Man kann im allgemeinen nicht sagen, baß die schweizerische Presse empfindlich ist, denn sie hat fchon häufig gegenüber Angriffen von Außen eine Ralt­blütigkeit an den Tag gelegt, die wir nur der deutschen Presse wünschen möchten, damit diese nicht gleich eine europäische Kriegsgefahr wittert, wenn ein französischer Chauvinist oder ein Rosad einmal eine triegerische Rado­montade losläßt.

Wenn sich sonach die schweizerische Presse über Un­freundlichkeiten seitens des Deutschen Reichs beklagt, so als muß wohl etwas baran sein. Um so mehr, man weiß, daß in den letzten Jahren die öffent­

Feuilleton.

* Regie behalten.

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Der Grbe.

( Radbrud verboten.)

Roman von Friedrich Gerßäder. Rathlos und Rath Frühbach.

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In den lezten Tagen hatte ein so wunderliches Verhält niß im Baumann'schen Hause geherrscht, daß selbst der Gesell und die Lehrlinge darauf aufmerksam geworden waren und ben Ropf darüber schüttelten. Sonst war nichts als Friede und Freundlichkeit in der Familie, und wenn der alte Schlossermeister mit seinem jüngsten Rind, seinem kleinen Liebling, manchmal nach Feierabend spielte, lachte er oft so herzlich über dessen findischen Frohsinn, daß die Leute auf ber Straße stehen blieben und unwillkürlich mitlachen mußten, wenn sie auch keine Ahnung hatten, was da drinnen so Luftiges vorging. Jetzt war das anders, viel anders geworden. Der alte Baumann stand den ganzen Tag bis Abends spät am Amboß und hämmerte auf das Eisen ein ober feilte an seiner Arbeit; wenn er sich aber noch vor wenigen Tagen ein lustig Lied dazu gepfiffen oder gesungen, so verrichtete er jetzt sein Tagewerk stumm und mit düster zusammengezogenen Brauen, und kein Wort wurde in der Werkstätte gesprochen, das sich nicht auf die Arbeit bezog und nothwendig gesprochen werden mußte. Und welche Veränderung konnte erst mit der Meisterin vorgegangen sein? Sie war nicht frank, denn sie schaffte ben ganzen Tag in der Küche und vers wie zuvor; richtete alle ihre Besorgungen pünktlich, wie zuvor; aber sie tam gar nicht mehr vorn in die Stube, außer wenn sie Morgens rein machte und Mittags zum Essen, und selbst dann hatte sie einen andern Platz am Tische, als früher, nicht mehr neben dem Meister, sondern Frage that der Meister an fie, keine Silbe wurde überhaupt bei zwischen ihrer kleinen Else und dem Gesellen; und keine Lische gesprochen. Den Leuten war das natürlich unheimlich, aber keiner

Die Besorgniß des schweizerischen Volkes vor einem allenfallsigen italienischen Angriff ist durch andere Umstände noch verstärkt worden. Die Schweizer glauben zu wissen, daß die an Italien stoßende Oftgrenze Frankreichs mit einem so starken Gürtel von Befestigungen gedeckt ist, daß eine italienische Armee sich dort unmöglich durchwinden kann. Wenn es nun zwischen Deutschland - Italien einerseits und Frankreich andererseits zu einem Kriege käme, so würden die Italiener, glaubt man, sich auf die Schweiz stürzen, um sich dort einen Durchpaß zu erzwingen. Diese Anschauung hat noch eine neue Bestärkung dadurch erhalten, daß der schweizerische Bundesrath bekanntlich die Befestigung des Gotthard verlangt hat.

Die Schweizer glauben unter solchen Umständen sich vorsehen und für die nächste größere Katastrophe sich gefaßt machen zu müssen, daß sie mit in den Kampf hinein­von ihnen, selbst Karl nicht, der Sohn vom Hause, wagte nach der Ursache zu fragen. Meister und Meisterin mußten sich mitsammen gezankt haben, wenn das auch eigentllich nie vorfiel und Keiner von Allen etwas gehört haben wollte; das aber blieb die einzige Erklärung, die sie darüber wußten, und war das der Fall, dann versöhnten sie sich auch wieder und das alte Verhältniß wurde hergestellt daß es nur so viele Tage dauerte!

Das Essen war vorüber; der Meister stand wieder

draußen bei seiner Arbeit und die Frau wusch das Geschirr auf, als ein Polizeidiener in die Werkstätte kam und nach der Frau Baumann fragte.

Was soll sie?" sagte der Schlossermeister, der todten­

bleich geworden war, indem er den Hammer auf dem Amboß ruhen ließ.

" Ich habe hier eine Vorladung für sie auf heute Nach mittag vier Uhr." " Schön, legen Sie das Papier nur dahin, es soll ausgerichtet werden."

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Nein; ich muß es ihr selber geben."

Dann gehen Sie in die Küche," sagte der alte Mann düster, drehte sich ab und schob das Eisen in den Feuer­herd, dessen Gluth, durch den Blasebalg angefacht, empor­loverte.

Die Leute in der Werkstätte sahen ihm verwundert nach. Sie begriffen nicht, was die Meisterin mit der Polizei zu thun haben könne. Der Meister wußte es, aber er sagte kein Wort; er sah nicht auf, als der Polizei­beamte feine Pflicht erfüllt hatte und die Werkstätte wieder verließ; er ging nicht zu seiner Frau, um mit der zu sprechen. Er hätte sich nicht weniger darum bekümmern fönnen, wenn die Bestellung im Nachbarhause abgegeben worden wäre.

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gezogen werden. Was thun sie? Nun, sie thun, was alle anderen auch thun; sie bewaffnen sich möglichst vollständig und auf diesem Wege kann auch die Republik Schweiz noch dahin kommen, ein Militärstaat zu werden.

Wie weit diese Befürchtnngen der Schweizer begründet sein mögen, lassen wir dahingestellt. Sie erscheinen indessen begreiflich, wenn man erwägt, daß dies kleine Land zwischen lauter großen Mächten eingeschlossen ist. 3war bietet die

natürliche Beschaffenheit dieses Landes mit seinen mächtigen Gebirgszügen einen gewissen Schutz gegen feindliche Invasionen und es hat auch seit dem Jahre 1799 feine solche mehr gesehen. Allein immerhin ist es wenn die Schweizer Schweizer erregt sind über begreiflich, eine nun wirkliche oder vermeintliche Bedrohung von Seiten Italiens . Denn fie besorgen Don einer feindlichen Invasion, wenn sie übermächtig sein sollte, nicht nur eine Niederlage im Felde, sondern auch den Vers luft ihres kostbarsten Gutes, ihrer durch Jahrhunderte so sorgsam gehüteten politischen Freiheit und Selbstständigkeit.

Von allen europäischen Staaten hat die Schweiz gewiß die friedlichste Politik. Sie wird niemals Erobes rungszüge machen wollen und auch niemals machen können. Ihre Grenzen sind nach den alten Bundesverträgen festges stellt. Deutschland hat sonach als Ganzes keine Ursache, gegen die Schweiz irgendwie unfreundlich zu sein. Wenn die Schweizer ihre inneren Zustände neu ordnen, so können sie das halten wie fte wollen, und wenn bei einzelne darüber Personen verstimmt sind, so ist das für das für das gesammte Volt noch lange kein Grund, auch verstimmt zu sein. Man kann über

uns

die Lockspißelaffäre denken was man will, und man wird, wer man auch sei, immer zu dem Resultat kommen müssen, daß man der Schweiz in dieser Sache keine Vorwürfe machen kann.

Die Schweiz hat Niemandem etwas gethan und eben deshalb sollten auch alle anderen Mächte bemüht sein, daß die Neutralität dieses Landes für einen eventuellen Kriegs fall gesichert bleibt. Wir glauben an einen auf das Tessin bezüglichen Punkt im Allianztraktat zwischen Deutschland und Italien nicht eher, als bis wir diesen Punkt schwarz auf weiß gesehen haben. Aber was wir glauben, ist die Gier der italienischen Chauvinistenpartei nach neuen ,, An gliederungen". Dieser Partei wird man sagen müssen, daß es auch für den Begriff Italien " eine Grenze giebt; man fönnte ja sonst ein schönes Stück Erde für Italien reflas miren, weil es zur Zeit des alten Rom auch italienisch" war. Jener italienischen Partei haften alle Fehler der Chauvinisten an und vielleicht stärker als anderswo.

Hoffen wir, daß die Besorgnisse der Schweizer unbes

gründet sind und daß dieser kleinen friedlichen Macht das

Und das war jetzt ein Fragen und Jauchzen zwischen den jungen Leuten, daß der Friß wieder frei war und fein Verdacht der nichtswürdigen That mehr anf ibm lastete; und die Kleine hatte nur immer ihre Aermchen um seinen Nacken geschlagen und weinte und lachte: die bösen Männer dürften ihren Friß nun nicht wieder in's Gefängniß stecken, und er solle bei ihr bleiben und nie wieder von ihr forts gehen.

Auch der Vater hatte seine Arbeit bei Seite gelassen und ihm die Hand entgegengestreckt, die er derb schüttelte und brückte.

,, Aber wo ist die Mutter?" rief Friz. Weshalb tommt sie nicht? Geh hin, Elschen, und ruf sie; fag' ihr,

der Fritz sei wiedergekommen."

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,, Bleib, Elfe," sagte der Vater; sie ist in der Küche geh dann zu ihr."

Bruder. Karl machte ihm aber hinter dessen Rücken ein Friz sah den Vater verwundert an und dann den Beichen, das er zwar nicht verstand, aber doch daraus erfah, es müsse etwas vorgefallen sein, und er thäte besser, für Wie er aber den Augenblick nicht weiter nachzuforschen. nur in der Werkstätte dem Vater und den Uebrigen flüchtig erzählt hatte, wie es da oben gewesen und er heute Morgen freigelassen sei, ja, eigentlich schon vor drei Stun den hätte hier sein müssen und nur durch ein Versehen des albernen Schließers noch zurückgehalten wäre, da griff er sein Schwesterchen wieder auf und sprang hinüber in die Küche zur Mutter, um diese zu begrüßen.

Es dauerte lange, bis er wieder zurückkam, und jetzt ohne die kleine Else, und als er in die Werkstatt kam, ging er auf den Vater zu und sagte: Vater, was ist denn eigentlich hier im Hause vorgegangen? Ihr seht mir Alle so sonderbar aus, so fremd. Mir ist, als ob ich Jahre lang entfernt gewesen wäre und nicht nur kaum eine Woche oder etwas mehr. Was habt Ihr nur? Wie ich in die Küche kam, fiel mir die Mutter um den Hals und weinte, als ob ihr das Herz

Da warf Karl plötzlich seine Feile hin, rief:" Der Fritz!" und sprang der Thür zu, durch deren fleines, angelaufenes Glasfenster er den Bruber erkannt hatte. Und die kleine Glasfenster er den Bruder erkannt hatte. gefprungen, und wie er die Thür öffnete, klammerte sie sich brechen müßte, wollte sich auch gar nicht mehr beruhigen, Else hatte im 3immer den Ruf gehört und kam heraus­an ihn, ließ sich von ihm emporheben und herzte und füßte ihn.

und jetzt hat sie die kleine Else auf dem Schooß und küßt das Kind in einem fort und drückt es an sich."