Der Rechtsanwälte zu löschen, erregte selbstverständlich damals um so größeres Aufsehen, als derselbe in geregelten Verhält niffen lebte und sonst ein Grund dieses sonderbaren Verhaltens nicht erfindlich wurde. Aus einer Korrespondenz des Rechtsanwalts D. mit einem hier wohnenden Freunde wird jetzt dieses Dunkel völlig gelüftet. Bereits im Jahre 1881 hatte D. nach absolvirtem Staatsexamen einen einjährigen Urlaub zu einer Reise nach Nordamerika erhalten, wohin sein Vater schon vor einer Reihe von Jahren ausgewandert ist und dort, seinem Drange nach Vervollständigung seiner wissenschaftlichen Bildung folgend, die ganze Urlaubszeit zum Studium der Medizin ver wendet. Nach seiner Rückkehr ließ er sich als Rechtsanwalt einschreiben und hatte als solcher auch eine reichliche Beschäftigung gefunden. Diese genügte ihm aber nicht und er nahm Privatunterricht in der italienischen und spanischen Sprache. Schließlich hat ihn aber seine Vorliebe für die Medizin von hier fortgetrieben und den bisher unbegreiflich erschienenen Schritt thun laffen. Gestern erhielt sein Freund von ihm die erfreuliche Nachricht, daß es seiner Ausdauer und seinem Fleiße gelungen ist, das medizinische Doktoreramen glücklich zu beſtehen.
Die verschiedenen Formen, unter welchen ein Gerichtsvollzieher in Thätigkeit tritt, find vorgestern Abend um eine neue Variante bereichert worden. Auf dem Blücherplaze stand am Freitag Abend um 7 Uhr ein Gerichtsvollzieher hinter einem Brunnen gedeckt, anscheinend harmlos auf jemanden wartend. Wer das Biel seines Harrens war, wurde bald flar. Aus dem Hause Nr. 1 fam ein junger, elegant gekleideter Herr hoch zu Roß, um einen angenehmen Spazierritt nach dem Thier garten zu machen. Kaum hatte das Thier die Straße betreten, als zwei Herren, die vor dem Hause gewartet hatten, dem Reiter in die Bügel fielen und ihn zum Halten nöthigten. Der Ge richtsvollzieher trat hinzu und ersuchte den flotten Reiter fraft feines Amtes, abzufteigen. Derfelbe folgte der Aufforderung und begab sich schleunigst in das Haus zurück, als der Gerichtsvoll zieher auf das Pferd Beschlag legte und es in amtlichen Ge wahrsam bringen ließ.
Das Gewitter am Donnerstag hat wieder eine an der Unterspree und Unterhavel häufig nach Gewittern beobachtete Erscheinung gezeitigt. Tausende von Fischleichen, meist fleiner und mitterer Größe, bedecken die Oberfläche des Waffers und treiben mit ihren weißen Bäuchen nach oben gekehrt auf dem Waffer; noch lebende Fische streben in Schaaren den Ufern zu, um fich dort in dem seichten Waffer aufzuhalten, wo sie leicht eine Beute alter und junger Raubfischer werden, die schon Morgens früh namentlich in der Gegend von Moabit eifrigst bei der Arbei waren. Mit Hamen, Käschern, Müßen und Hüten, ja in einem Falle sogar mit einem Waschforb war man auf der Jagd hinter den sonst so behenden Wafferbewohnern, Die jetzt so matt waren, daß sie sich oft mit den Händen fangen ließen. Ueber den Grund dieser Erscheinung ist man noch nicht im Klaren. Die Beobachtungen des Schreibers dieser Beilen haben ihm die Ueberzeugung verschafft, daß die durch die großen Wafferzuströmungen nach Gewittern der Spree und Havel zugeführten starken Verunreinigungen die Ursache bilden; wenigstens weist der Umstand darauf hin, daß z. B. das Waffer an der Leffingbrüde, wo es jest recht flar ist, am Donnerstag früh ganz trübe war wie braunes Lehmwaffer, hauptsächlich im Strom, während die seichteren Uferränder flar waren. Und gerade die Beobachtung, daß die Fische diesem flaren Waffer zustrebten, läßt die Annahme der Tödtung der Fische durch die plöglich das Waffer verpestenden Unreinigkeiten als gerechtfertigt erscheinen.
Das Wetter übt auch auf den Bigarrenverbrauch einen Einfluß aus. In den jüngsten heißen Tagen ging der Verkauf fühlbar schwächer. Auch der Tabak hat übrigens seine Moden. Der Zigarettenverbrauch nimmt gewaltig zu, und die Bahl der Läden, in denen es nur Zigaretten giebt, mehrt sich rasch. Die ältesten Berliner Tabaksfirmen find durch die Fabritation von Schnupftabat groß geworden, Douffin speziell durch die von Neffing, Ulrici durch die Carotten. Der Schnupftabatteller von Schiersmann war früher so lang, wie das ganze Haus, heute genügt ein Edchen desselben. Die Schnupfer Sterben aus, ebenso die Pfeifenraucher. Und die junge Generation hat auch schon die Bigarre ad acta gelegt; fie fennt nur noch die Zigarette.
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Vom Wetter. Die Depression, welche am Sonntag, den 25. Juni, im Biscaischen Meere erschienen war, bewegte fich nach Nordost und brachte Gewitter und Regenschauer. Das Depressionsgebiet hat sich wie aus Hamburg geschrieben wird noch vertieft und es beherrscht iezt ganz Europa , den äußersten Süden ausgenommen. Ueberall ist Gewitterregen ges fallen, zumal im Nordwesten Deutschlands . Jm Rücken der Depression ist der Luftdruck noch nicht gestiegen; die Windrichtung ist infolge deffen noch eine südwestliche bis westliche und die Abkühlung ist mäßig start; es wird jedoch zeitweise bei Wendung des Windes nach Nordwest noch weitere Temperatur erniedrigung erwartet. Die Wetterlage ist als eine unsichere und unbeständige zu bezeichnen.
Verdächtiger Rauch, der von dem Kleide einer Dame aufstieg, erregte am Freitagabend die Aufmerksamkeit Vorüber gehender an der Oranien- und Manteuffelstraßen- Ecke. Bei näherer Nachforschung fand man, daß sich in dem stoffreichen hinteren Theil des Kleides ein brennender Bigarrenstummel bes fand, und es wurde auch ermittelt, daß derselbe aus einem Fenster der vierten Etage des leßen Hauses der Naunynstraße herabgeworfen war. Die angesammelten Leute stritten einige Zeit darüber, ob in diesem Falle die Eigenartigkeit unserer Damentracht vortheilhaft oder nachtheilig gewesen sei.
Der Börsen Courier schreibt: Wie wir hören, hat fich unlängst beim Umbau des Birkus Renz ein Unfall ereignet, Der zwar an den Gerüsteinsturz im föniglichen Schauspielhause erinnert, glücklicherweise aber weniger unheilvolle Folgen hatte. Ein großes Montagegerüst neigte sich nämlich unter der Last eines zu wuchtigen Pfeilers plöglich bedenklich zur Seite. Menschen find hierbei jedoch nicht verunglückt.
Durch den Radbruch eines Flaschenbierwagens wurde vorgestern Nachmittag der in der Hochstraße wohnhafte Arbeiter August N. recht erheblich verlegt. N. saß auf dem Bocke des Gefährtes und bog von der Klopstockstraße in die Händelstraße ein. Als hier durch den Nadbruch der Wagen nach der Seite .. tippte, verlor N. das Gleichgewicht und stürzte herunter, blieb aber am Wagen hängen und wurde, da ihm die Bügel ent glitten waren, eine Strede lang mitgeschleift. Paffanten hielten Die Pferde endlich an und transportirten den durch starke Quetschungen übel zugerichteten N. nach einem Arantenhause.
Gräßlich verbrüht wurde vorgestern Abend der Koch Voigt des Zenner'schen Restaurants in Treptom nach dem Krankenhause Bethanien geschafft. Derselbe, vor einem Reffel mit siedendem Wasser stehend, war gervde beschäftigt, ale zu schlachten. Hierbet entschlüpfte ihm einer derselben auf den Fußboden und um ihn zu fangen, trat V. mit dem linken Fuß auf das Thier. Hierbei glitt jedoch der Koch aus, versuchte sich an dem Rande des Steffels festzuhalten, der letztere schlug um und übergoß den V. mit seinem siedenden Jehalt. Hierbei erlitt der Unglückliche schreckliche Brandwunden am ganzen Körper und einen Bruch des rechten Armes durch den Fall, so daß die sofortige Ueberführung des V. nach einem Krankenhause nöthig war.
Das Gerücht, daß ein Hotel- Inhaber einen seiner Haus Diener mit einem Hammer erschlagen habe, war dieser Tage im Westen der Stadt verbreitet. Das Gerücht ist die Uebertreibung eines Vorfalles, der allerdings immer noch bedauerlich genug ist. Der eine der Pächter eines am Potsdamer Platz neu errichteten Hotels hat sich es geschah dies bereits vor acht Tagen einem seiner Hausdiener gegenüber soweit vergeffen, daß er ihn im Jähzorn schlug und dem Angegriffenen eine nicht unbedenkliche Verlegung der Wirbelsäule zufügte.-
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Müßte einem solchen Patron nicht sofort Gleiches mit Gleichem vergolten werden?
Vom rigenen Fuhrwerk überfahren wurde vorgestern Mittag auf dem Neuen Badhof der Kutscher Wilhelm M. aus der Oberberger Straße, welcher beim Aufladen von Frachtgut beschäftigt war. Die Pferde des Wagens wurden plößlich freu und zogen an; M. wurde umgestoßen, überfahren und noch eine Strede weit fortgeschleift. Recht erhebliche Verlegungen machten die Ueberführung des Kutschers nach einem Krankenhaus nothwendig.
Zu der gerichtlichen Obduktion der Leiche des er mordeten Kutschers Noad aus Schöneberg sei nachträglich noch bemerkt, daß die Verlegungen so schwere und die Zertrümmerung des Schädels so furchtbar war, daß eine Beschreibung derselben im Obduktionsbericht den Geschworenen feinen klaren Begriff von der furchtbaren Gewalt, mit der die Schläge beigebracht, und von dem entsetzlichen Zustand, in dem der Schädel sich be finget, gegeben haben würde. Der ganze Schädel ist deshalb der Leiche entnommen und wird nun präparirt, um später bei der Gerichtsverhandlung den Geschworenen vorgelegt zu werden. Mit den Nachforschungen nach den Mördern ist der Kriminaltommiffarius Maaß betraut, dem seitens der Schöneberger Amts polizei der Amtsdiener Fürstenhaupt beigegeben ist. Ob den Beamten die Ermittelung der Mörder bei dem Fehlen jeden Verdachtsmomentes gelingen wird, bleibt leider sehr zweifelhaft. Noad ist am Donnerstag von dem Pfeifenklub, deffen Mitglied er war, feierlich beerdigt worden.
Unfall in der Neuen Synagoge. Die Gemeinde der Neuen Synagoge( Oranienburgerstraße) wurde gestern Vor mittag plößlich während der Andacht durch ein donnerähnliches Geräusch aufgeschreckt. Es hatte sich nämlich unterhalb des rechts belegenen Seitenballons ein etwa 20 Pfund schweres Stüd Gefims abgelöst, das in die erste Stuhlreihe des Mittelschiffes hinabfiel. Glücklicherweise war diese Reihe unbesetzt.
Einen gefährlichen Hufschlag vor die Brust ver sette vorgestern Nachmittag in einer Schmiede am Schiffbauerdamm ein Pferd dem beim Beschlagen behilflichen SchmiedeP. brach sofort begesellen Karl P. aus der Brunnenstraße. wußtlos zusammen und wurde mit anscheinend schwerer Verlegung des Brustkastens und der Lunge in ein Krankenhaus transportirt.
Selbstmord eines Studenten. Im Gebüsch bei Plößensee wurde vorgestern die Leiche eines jungen Mannes mit einer Schußwunde im Kopf aufgefunden. Wie aus den bei dem Todten gefundenen Papieren hervorgeht, ist der Selbstmörder der Student der Medizin R., deffen Eltern auswärts wohnen. Wie mitgetheilt wird, hat R schon längere Zeit Medizin studirt; da ihm jedoch dieses Studium nicht mehr zusagte, wollte er eine andere Karriere einschlagen. Der Zweifel über die unfichere Bukunft, die Angst, was wohl die Eltern zu seinem Entschluß sagen würden, haben den jungen Mann, welcher in letter Beit ein auffallend niedergeschlagenes Wesen zur Schau trug, die entsegliche That begehen laffen. Die Leiche des Unglücklichen wurde nach der Leichenhalle in Plößensee geschafft.
Nach Mit heilungen des Statistischen Amts der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 17. Juni bis einschl. 23. Juni cr. zur Anmeldung gekommen: 199 Eheschließungen, 890 Lebendgeborene, 27 Todt geborene und 557 Sterbefälle.
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Polizeibericht. Am 29. v. M. früh wurde die Leiche eines Mädchens am Maybachufer aus dem Wasser gezogen und nach dem Leichenschauhause gebracht. Zu derselben Zeit wurde am rechten Spreeufer, in der Nähe des Lehrter Güterbahnhofs, die Leiche eines neugeborenen Kindes, welche am Kopf und Leib Verlegungen trug, aus dem Wasser gezogen und nach dem Leichenschauhause gebracht. Als am 29. v. M. Nachmittags der Kutscher Ducat mit seinem Flaschenbierwagen die Klopstockstraße paffirte, löfte sich während der Fahrt ein Hinterrad ab, infolge deffen der den Wagen begleitende Neigel herabstürzte, eine furze Strede geschleift wurde und eine Quetschung des Oberschenkels erlitt. Am 30. v. M. Vormittags wurde in de Holzzubereitungsanstalt Schmidstraße 25 dem Arbeiter Schulz von der im Betriebe befindlichen Kreissäge ein Brett mit solcher Gewalt gegen den Leib geschleudert, daß er bedeutende innerliche Verlegungen erlitt und im Krankenhause Bethanien, woAm 29. v. M. hin er gebracht worden war, alsbald verstarb. fanden Wallstraße 76, Alte Schönhauserstraße 41, Friedrichs straße 217, Feldstraße 1 und Neue Königsstraße 17 unbedeutende Feuer statt.
Vergnügungs- Chronik.
Weimann's Volksgarten. Die bereits signalifirte Original Japaneſentruppe Goda you hat ihre umfassenden Vorbereitungen beendet und wird heute zum ersten Male vor das Berliner Publikum treten, das nun in der Lage sein wird, fich selbst ein Urtheil über die einzig in der Welt daftebenden Leistungen der originellen Truppe zu bilden. Auch die schöne Miß Victorina Dare ist eingetroffen und wird mit ihrem Partner Mr. Angelo Gerting das Publikum durch ihre graziösen, mit großer Kühnheit gepaarten Produktionen entzüden und in Bewunderung verseßen. Wir kommen später noch auf die Leistungen der einzelnen Künstler zurück.
Gerichts- Zeitung.
Eine Anklage wegen versuchten Mordes kam gestern vor dem Schwurgericht hiesigen Landgerichts i zur Verhand lung. Dem Angeklagten, Agenten Jaques Barasch, wird zur Last gelegt, am 3. Mai d. J. einen mörderischen Angriff auf feine eigene Ehefrau vollführt und dieselbe mehrfach verwundet zu haben. Der Angeklagte, welcher ein abenteuerndes Leben hinter sich hat, ist erst 30 Jahre alt. Er stammt aus Jaffy in Rumänien und hatte früher als Advokat in Bukarest gelebt. Er ist seit dem Jahre 1872 mit der achtundzwanzigjährigen Er nestine Mendelowitsch aus Ruſtuchum in Rumänien verhei rathet. Die Ehe, welcher zwei Kinder entsproffen find, scheint aber von Anfang an teine sehr glückliche gewesen zu sein; ste wurde noch unglücklicher, als Nahrungssorgen hinzukamen. Der Angellagte gab nämlich gegen Ende des Jahres 1886 seinen Beruf als Advokat auf, verließ Bukarest und ging ziemlich zwed und ziellos nach Konstantinopel , Marseille , Paris , Die beiden Kinder waren Brüffel und schließlich nach Berlin .
bei den Eltern zurückgelaffen worden, das Ehepaar Barasch traf am 3. Dezember 1887 in Berlin ein. Ihr ganzes Hab' und Gut bestand außer ihrer Kleidung in einer Baar fumme von 50 M., die natürlich sehr schnell verausgabt war. Da Frau Barasch sich in der Nothlage befand, sich und ihren Mann ernähren zu müffen, so wurde fte Kellnerin, ging in ein Bierlokal und da sie eine große Schönheit ist und im rumänischen Nationalkostüm ihre Gäste bediente, so machte sie gute Geschäfte, freilich nicht ausreichend, um die Bedürfnisse thres Ehemannes zu befriedigen. Dieser hatte sich dem Müssig gang ergeben und bezog von seiner Ehefrau sein Taschengeld. Entsprach letzteres nicht seinen Wünschen, so drohte er ihr, fte umzubringen. Es scheint, als ob auch eine immer stärker werdende Eifersucht dazu beigetragen hätte, das Verhältniß zwischen den Eheleuten immer mehr zu verschlimmern. Da die Ehefrau sab, daß ihr Geld immer knapper wurde und sie deffen wohl überdrüffig wurde, ihren Mann fortgesetzt zu erhalten, verließ fie am 2. Mai heimlich die gemeinschaftliche Wohnung und zog in Schlafstelle, ohne dem Angeklagten Mittheilung von ihrer neuen Wohnung zu machen. Der Angeklagte wußte fte aber doch zu finden. Am 3. Mai Morgens lauerte er ihr in der Seydelstraße auf, da er wußte, daß sie dieselbe passtren mußte, um in das Restaurant, wo sie bediente, zu gelangen. Als
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er sie auf der anderen Seite der Straße erblickte, winkte et ihr, fie tam auch zu ihm herüber, gab ihm die Hand und fragte, warum er nicht nach Leipzig gegangen sei, wo er eine Stellung annehmen wollte. Er erklärte, daß er das Reisegeld bis auf 4 Mart durchgebracht habe und als sie ihm ihr ziemlich le: res Portemonnaie zeigte, ersuchte er fte, mit ihm zu der Wäscherin Friedrich, Alte Fifobstraße 38, zu fommen, wo sich ihre Wäsche befand, die vielleicht versezt werden könnte. Beide begaben sich dorthin, da aber Frau Barasch nicht genug Geld hatte, um das Waschgeld zu bezahlen, so verließen fie unverrichteter Sache die Friedrich'sche Wohnung. Als Beide die Treppe hinabgingen, scheint es zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen zu sein, denn plöglich zog der Angeklagte ein spizes Kartoffelmeffer aus der Hosentasche, versetzte seiner Frau mehrere Stiche ins Geficht, warf sie zu Boden und brachte ihr noch mehrere Schnitte am Halse und Stiche in den Oberarm bei. Die Hilferufe der Frau, welche im Ganzen acht Verlegungen davongetragen bat, lockten Hausbewohner herbei, bei deren Annäherung der Angeklagte rasch entfloh. Als er aber vor dem Hause zwei Männer stehen sah, bat er dieselben, ibn verhaften zu laffen, da er soeben seine Frau ermordet habe." Er wurde denn auch zur Polizei gebracht, die Verlegte aber beförderte man zur Charitee, wo sie 16 Tage in Behandlung gewesen ist. Der Angeklagte stellt die Sache so dar, als ob er die Messerstiche nicht mit Ueberlegung ausgeführt habe, sondern nur als Abwehr gegen angebliche Angriffe seiner Frau; die Anklage behauptet dagegen, daß der Angeklagte durchaus planmäßig und mit der bestimmten Abficht gehandelt habe, seine Frau zu ermorden. Den Vorsitz des Gerichtshofes führt Landrichter Denso. Die Anflage vertritt Staatsanwalt Krobitsch, die Vertheidigung Rechtsanwalt Dr. F. Friedmann. Der Angeklagte erklärt sich für nicht schuldig. Aus dem Verhöre geht hervor, daß der Angeklagte im Laufe der letzten Jahre mit einer ununterbrochenen Kette von Widerwärtigkeiten und Schicksalsschlägen zu kämpfen gehabt hat. Er giebt über seine persönlichen Verhältnisse an, daß er der Sohn eines jüdischen Kaufmanns aus Jahrg ist. Ein Gymnafium hat er nicht besucht, dagegen eine höhere Lehranstalt, die er Alademie" nennt. Ohne ein Examen gemacht zu haben, verließ er mit seinem 18. Jahre die Schule, um einen praktischen Kursus bei einem Advokaten durchzumachen. Nach einigen Jahren gründete er selbst ein Rechtsbureau in Bukarest und nannte sich Advokat". In diese Zeit fällt auch seine Verhei rathung, er will seine mittellose Frau aus Liebe geheirathet haben. Seine Neigung scheint nicht erwidert worden zu sein, denn drei Tage nach der Hochzeit verließ ihn seine Frau heimlich wieder, um bei ihren Eltern Unterkunft zu finden. Die erfolgte Einigung der Ehe ist nicht von langer Dauer gewefen, die Ehe war höchst unglücklich und die Fluchtversuche der Frau wieder holten sich noch häufig. Er will aus seinem Rechtsbureau eine m natliche Einnahme von gegen 400 M. erzielt haben. Als die judenfeindliche Strömung in Rumänien zum Ausbruch fam, wurde auch er dermaßen angefeindet und verfolgt, daß seine Stellung in Bukarest unhaltbar wurde. Dem Drängen seiner Ehefrau nachgebend, verkaufte er seine Wirthschaft und siedelte nach Paris über. Die Kinder wurden bei seinen Schwiegereltern untergebracht. Er will im Beftz von ca. 600 M. gewesen sein, als er Bukarest verließ. Das Ehepaar reiste über Konstantinopel und versuchte der Angeklagte hier Beschäftigung zu erhalten. Seine wochenlang fortgefeßten Bestrebungen waren erfolglos und der Aufenthalt des Ehepaares in Konstantinopel hatte die mitge brachten Mittel erschöpft. Von dieser Zeit an begann das Wanderleben. Durch Verwandte wurde ihnen ein Freibillet nach Marseille verschafft und als der Angeklagte auch hier keine Bes schäftigung fand, reisten sie nach Paris . Hier mußten sie diefelbe Erfahrung machen wie in anderen Städten, der Angeflagte will fich vergebens nach irgend einer Arbeit umgesehen baben. Sie fristeten nothdürftig das Leben durch die Unterstüßung von Verwandten. Schließlich wurde ihnen eine Freifarte erwirft, um nach Rumänien zurückkehren zu können. Sie sollten über Aachen , Berlin , Wien nach Bukarest reisen. In Aachen angekommen, wußte die Ehefrau des Angeklagten diesen zu bewegen, von der vorgeschriebenen Route abzuweichen und nach Brüssel zu fahren. Hier hat das Ehepaar fich über vier Monate aufgehalten und will der Angeklagte fich durch einen fleinen umbulanten Handel nothdürftig ernährt haben. Das Elend wurde aber immer größer, als seine Ehefrau zu kränkeln anfing, der Angeklagte sette nun seine ganze Hoffnung auf Berlin . Am 5. Dezember traf das Ehepaar hier ein, fast mittellos und die Frau so frant, daß ste sofort ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Ihre Genesung nahm mehrere Wochen in Anspruch, als fte das Krankenhaus verließ, wurde sie Kellnerin. Der Angeklagte behauptet, daß ihr Lebenswandel von dieser Beit an ein unmoralischer gewesen sei; von Eifersucht gequält, habe er ihr häufig Vorwürfe machen müssen und es sei zwischen ihnen zu heftigen Szenen gekommen. Die weiteren Angaben des Angeklagten decken sich mit dem Inhalte der Anklage, als der Beschuldigte aber zur Schilderung des ihm zur Last gelegten Mordversuchs kommt, weicht er erheblich von seinen früheren Angaben ab und steht in striftem Widerspruch zu der Darstellung der Zeugen. Er behauptet nämlich, daß seine Ehefrau ihn, als fie gemeinschaftlich die Treppen von der Wohnung der Wäscherin hinabstiegen, plöglich unter der Drohung, ihn todt stechen zu wollen, mit dem Meffer überfiel, das sie aus der Kellnerinnen- Tasche zog. Buerst habe er einen Stich erhalten, der durch die Hutkrempe drang und ihm eine leichte Kopfverlegung zufügte. Seine Ehefrau habe dann noch mehrere Stiche gegen sein Geficht geführt, er habe aber in das Meffer hineingegriffen und dadurch noch mehrere Verlegungen an den Händen erhalten. Nun sei er in Wuth gerathen und was er dann gethan, das schwebe ihm nur so dunkel in der Erinnerung vor, daß er darüber nichts auszusagen vermöge. Seine Ehefrau habe ein äußerst heftiges Naturell und ihn schon früher mehrfach mit einem Meffer bedroht, er müsse dabei bleiben, daß er fich im Zustande der Nothwehr befunden habe. Der Ange flagte bittet, feinen Hut untersuchen zu wollen, derselbe müsse noch den Riß zeigen, den das Meffer hervorgebracht. In der That zeigt der Hut einen Schnitt, der zu der Spitze des in Frage fommenden Meffers paßt. Auf die Frage des Präfi denten, weshalb der Angeklagte im Laufe der Voruntersuchung fein Wort von dieser wichtigen Thatsache erwähnt hat, weiß der Angeklagte feine Erklärung zu geben. Auch behauptet er, daß der seinerseits gefallenen belastenden Aeußerung: Verhaften Sie mich, ich habe soeben meine Frau ermordet," die Bemerkung vorangegangen wäre:„ Meine Frau hat mich tootstechen wollen. - Hiermit ist die Bernehmung des Angeklagten beendet und es wird zur Beugenvernehmung geschritten.
Aus der Beugenververnehmung ist das Benchmen der Ehefrau des Angeklagten bemerkenswerth. Der Präsident macht fie darauf aufmerksam, daß ihr als Ehefrau des Beschuldigten das Recht zustehe, ihr Beugniß zu verweigern. Wider Erwarten er= flärt fte, von diesem Rechte Gebrauch machen zu wollen und bleibt dabei, daß fie nicht Schuld an der Bestrafung ihres Ehemannes sein will, obgleich der Präsident ihr vorhält, daß damit alle ihre früheren belastenden Aussagen zusammenfallen. Es muß somit von der Verneh mung dieser Hauptzeugin Abstand genommen werden. Der Staatsanwalt hielt die Anklage aufrecht, mogegen der Vertheidiger lettere als eine solche bezeichnet, die auf thönernen Füßen steht. Erwiesen sei nur alles, was der Angeklagte behauptet habe, vermuthet werde seitens der Staatsanwaltschaft nur alles dasjenige, worüber die Hauptzeugin fich ausgeschwiegen habe. Die Geschworenen schlossen sich den Anschauungen des Vertheidigers an und erklärten den Angeklagten für nichtschuldig; der Angeklagte wurde infolge deffen freigesprochen.
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Eine nette Probe von der List und Angemellen". Geistesgegenwart eines gewerbsmäßigen Spigbuben gelangte gestern zur Kenntniß der vierten Straffammer des Landgerichts 1. Als die Ehefrau des Kaufmanns Winter am Nachmittage des
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