Nr. 232.

Mittwoch, den 3. Oktober 1888.

5. Jakes.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Volksblatt"

erfcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Boftabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 f. ( Eingetragen in der Boftzeitungspreisliste für 1888 unfer Nr. 849.)

Inlins Kräcker

Redaktion: Beuthstraße 2.

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Der Freudenbotschaft, die kürzlich der sozialdemokratis schen Partei durch den glänzenden Sieg Liebknecht's im 6. Berliner   Wahlfreise widerfuhr, folgt eine Trauerbotschaft aus Breslau   auf dem Fuße.

Julius Kräder, der Vertreter der Partei im Reichstag für den Westfreis Breslau  , ist nicht mehr, er ist den Folgen eines Nierenleidens verbunden mit Wassersucht und, wie es heißt, Magenkrebs, am Dienstag erlegen.

Die Partei hat in dem Personenstande ihrer Vertreter im letzten Jahre schwere Schläge erlitten. Dem Verluste Wilhelm Hasenclever's  , der unheilbarem Wahnsinn verfallen ift, folgte der Tod Kayser's, und diesem als Dritter im Bunde nunmehr Julius Kräcker  . Vor einem Jahre würde niemand geglaubt haben, daß die drei Freunde so rasch hintereinander dem Kreise ihrer Wirksamkeit als Vorfämpfer bes Proletariats entrissen würden. Durch den Tod Max Kayser's   und Julius Kräcker's   verliert speziell die Breslauer Sozialdemokratie ihre Kandidaten für fünftige Wahlen zum Reichstag; sie muß sich nach neuen Kräften umsehen.

Julius Kräder ist am 26. Juni 1839 in Breslau   ge= boren, er vollendete also vor wenig Monaten sein 49. Lebens­jahr. Sohn armer Eltern, besuchte er anfangs die Fabrik­oder sogenannte Abendschule zu Breslau  , dann die Elementar schule, bie er mit dem 14. Jahre verließ, um das Sattler­handwerk zu erlernen. Als ehrfamer Sattlergeselle bereifte er große Theile von Deutschland  , Desterreich, Ungarn   und Mußland und kehrte Mitte der sechziger Jahre nach seiner Baterstadt Breslau   zurüd. Im Jahre langen Handwerks. burschenleben hatte er des Arbeiters Freuden und Leiden fennen gelernt, und die letteren sollten ihm auch im Laufe des weiteren Lebens nicht erspart bleiben.

Geistig gewect und auf seine Ausbildung emsig bedacht, Tonnte er von der Bewegung, die in den sechziger Jahren immer weitere Kreise der Arbeiter ergriff, nicht unberührt bleiben; aber er war längere Zeit unentschlossen, welcher der beiden damals im harten Rampfe miteinander liegenden Richtungen er sich anschließen sollte. Er gründete im Jahre 1867 mit gleichgesinnten Freunden den Breslauer Arbeiter verein, dessen thätiges Vorstandsmitglied er wurde; 1869 schloß er sich nach dem Eisenacher Kongreß der sozialistischen  Arbeiterpartei an und war von da ab für diese ununterbrochen agitatorisch thätig. Die Folge war die gleiche, die bisher noch fast alle Arbeiter traf, die für die Befreiungsbestrebungen ihrer Klasse eintraten, er wurde ge­maßregelt und fand fortan teine Stelle mehr für die Auss übung seines Gewerbes. So wurde er mit Gewalt in die journalistische Laufbahn gedrängt und wurde nacheinander Mitredakteur der Wahrheit", des Breslauer Tageblatt"

Nachdruck verboten.]

Feuilleton.

Die Ritter der Arbeit.

Aus dem Amerikanischen des 3or. Uebersetzt von Natalie Liebknecht.

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Diese Sonntagszusammenkünfte brachten ihn mit den Leitern und tüchtigsten Männern der verschiedenen Gewerke in Berührung, und wenn er auch selbst nur felten etwas sagte, so fonnte er aus den fortwährenden Berathungen über verschiedene Angelegenheiten der Gewerke, über die allgemeinen Biele und das Wohl des Ordens viel lernen. Er war sehr erstaunt, wie diese Maurer auch mit den Gewerken der anderen Mitglieder vertraut waren. Jeder fprach von den Angelegenheiten sämmtlicher Gewerke, als feien es die feines eigenen. Heute war der Haupt gegenstand der Unterhaltung ein regelrechter Boycott, mel­chen die Maler erklärt und den alle übrigen Versammlungen" gut geheißen hatten.

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Wallace bat Nolan, ihm den Ursprung dieses Boycott  genau zu erklären." Die Sache ist," sagte Nolan, daß diese Dampfschifffahrtsgesellschaft, die wir boycotten, uns zuerst geboycottet hat. Sie fetten unsere ganze Maler Bersammlung" auf die Schwarze Liste, gaben uns keine Arbeit und ließen es sich viel Geld tosten, um Nichts Unionsleute zum Anstreichen und Bemalen ihrer Boote zu bekommen, mit denen wir fahren sollten. Nun haben wir beschlossen, daß wir in ihren Booten nicht fahren, und wir werden Jebermann sagen, warum wir ihnen unsere Kund­schaft nicht geben."

Aber glauben Sie, Mr. Nolan, daß wir zahlreich genug sind, um diese Dampfschifffahrtsgesellschaft ernstlich zu Schädigen?"

Nun, mein lieber Junge, wir hoffen, immer mehr zu wachsen. Diese billigen Bootfahrten auf dem Fluß sind so siemlich die einzige Erholung, die wir Lohnarbeiter

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Jnsertionsgebühr

beträgt für die 4 gespaltete Betitzeile oder deren Raum 25 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bf. Bel größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin   SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen.

Expedition: Zimmerstraße 44.

daß nicht einmal die Prozeßkosten gedeckt werden konnten. Rräder war schon vor Jahren wegen Verlegung des

§ 130 des Strafgesetzbuches zu 3 Monaten Gefängniß ver­urtheilt worden, die er auch verbüßte.

und des Schlesischen Rourier". Das Sozialistengesetz und Bahlung der von seiner Partei empfangenen Diäten an den die darauf erfolgte Unterdrückung der sozialdemokratischen Fiskus führte zur Auspfändung und Versteigerung seines Preffe machte Kräcker wie so viele andere abermals brot- Hausraths, ergab aber ein so geringes finanzielles Resultat, und existenzlos. Er begann ein Bigarrengeschäft zu eröffnen, das ihm aber die gesuchte materielle Stellung nicht ge währte, und wurde er Mitinhaber der Firma: Buchdruckerei und Verlagsgeschäft Silesia W. Kuhnert u. Romp. in Breslau  . Wie diese Buchdruckerei, die Kräcker's Privat eigenthum war, von der Breslauer Polizei als Eigenthum einer sozialistengefeßlich verbotenen Verbindung gesehen wurde, deren nomineller Eigenthümer Kräcker nur fei, und wie auf Grund dieser Auffassung die Polizei die Druckerei tonfiszirte und verkaufte ist durch bie bezüglichen Reichstagsverhandlungen auch weiteren Kreisen bekannt geworden. Kräder verlor sein Eigenthum, obgleich die Zivilkammer des Breslauer Landgerichts ausdrücklich dasselbe als unbezweifelbar anerkannte.

an

Im Jahre 1877 wurde Kräcker zum ersten Mal von seinen Breslauer Parteigenoffen als ihr Kandidat im West treis zum Reichstag aufgestellt. Er erhielt 4347 Stimmen und kam mit dem Kandidaten der Fortschrittspartei, Prof. Dr. Hänel, in engere Wahl, in welcher er unterlag. Das gleiche Schicksal erfuhr er im Jahre 1878, als infolge der Auflösung des Reichstags nach dem Nobiling- Attentat Neu­wahlen stattfanden; er unterlag ebenfalls wieder in engerer Wahl dem fortschrittlichen Kandidaten Bürgers mit 8819 Stimmen gegen 10 217. Als wegen des einige Monate später erfolgten Todes Bürgers eine Nachwahl im Breslauer später erfolgten Todes Bürgers eine Nachwahl im Breslauer Wahlkreis stattfand, warihm das Wahlglück abermals nicht hold, er unterlag mit 7544 Stimmen gegen 8960, die auf den Fortschrittler Freund fielen und zwar abermals in der engeren Wahl. Breslau   bietet überhaupt das Bild, daß von 1877 bis 1887 keine endgiltige Wahl ohne engere Wahlen zu Stande kam. Endlich im Jahre 1881 erlangte Kräcker den Sieg über seinen Gegner, er wurde in der engeren Wahl mit 8313 gegen 7898 Stimmen gewählt und vertrat seitdem bis zum Tage feines Todes den Westkreis Breslau  . Während in der Kriegsheße des Februars 1887 der Ostkreis Breslau an die Konservativen verloren ging, behielt er den Wahlkreis in engerer Wahl mit 10 779 Stimmen. Kräder war fein hervorragender Rebner, dazu fehlte ihm das 3eug, aber er zeichnete sich durch große Sachkunde in allen Arbeiterfragen aus und nahm sehr thätigen Antheil an allen Berathungen der Fraktion, die ihn auch mehrmals als ihren Vertreter in verschiedene Reichstagskommissionen belegirte.

Kräder gehörte neben seinem Freunde Hafenclever zu denjenigen Reichstagsabgeordneten, gegen die auf Be­treiben des Reichskanzlers die bekannten Diätenpros zeffe in Szene gesetzt wurden. Seine Verurtheilung zur

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haben, und dieses Boycott   ist nicht nur für einen Tag verhängt. Sie werden noch lange davon hören und es befolgen, so lange Sie leben, es sei denn, die Dampfschifffahrts Gesellschaft ergiebt sich. Wir sind aus­gelacht worden, weil wir eine so reiche Gesellschaft angriffen, aber, mein lieber Bursche, als Ritter der Arbeit wissen wir, daß das Geschäft dieser Herren reich geworden ist von den Fahrkarten zu 25 und 50 Cents'), die Leute, wie Sie und ich bezahlt haben. Nehmen Sie an, nur einige Hundert von uns gehen dieses Jahr in anderen Booten sagen wir nur ein Hundert wir nur ein Hundert und jeder macht zehn Fahrten, und jeder macht zehn Fahrten, das sind tausend Fahrten zu 50 Cents. Das allein würde das Geschäft in diesem Sommer um 500 Doll. schädigen. Wir verdoppeln die Bahl nächsten Sommer, dann macht es 1000 Dollars; die folgenden Sommer find es 2000, dann 4000 u. f. w. Würden die Herren das nicht fühlen? Und diese Schätzung ist sogar die niedrigste, die überhaupt gemacht werden kann. Vergessen Sie nicht, was ich sagte: zwei Sommer und wahrscheinlich noch weniger werden biefe große Gesellschaft zur Vernunft bringen. Ja, mein Junge, dieses Boycotten wird im Laufe von 1 bis 2 Jahren mehr zur Herbeiführung von Schiedsgerichten thun, als die Streits in einem Jahrhundert gethan haben. Wir boycotten und leben dabei, während wir sonst zu streiken pflegten und babei hungerten."

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Hat diese Organisation nichts anderes zu thun, als ewig zu boycotten und zu streiken? Ist keine Hoffnung auf Frieden?"

Harry, Sie sind noch ein Neuling im Orden und mit seinen Prinzipien noch nicht vertraut. Als Ulrich Ste. vens den ersten Grundstein legte, wurde an den Boycott  noch nicht gedacht. Man wollte Schiedsgerichte, d. h. die Streitigkeiten zwischen Arbeit und Kapital sollten durch unparteiische Personen gütlich beigelegt werden. Hier in Washington   wurde uns sehr balb klar, daß, so ge­

1) Der Dollar

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ungefähr 4 M.- theilt sich in 100 Cents. Der Cent ist also ungefähr das Vierfache eines Pfennigs, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß in den Vereinigten Staaten   das Geld weit weniger Werth oder kauftraft hat, als bei uns.

Im vorigen Jahre wurde er in Breslau   in einen der jetzt graffirender Geheimbundsprozesse verwickelt und als angeblicher Leiter einer angeblichen geheimen Verbindung an­geklagt.

In seiner Fraktion, wo man Kräder's entschiedene Ab­neigung gegen alle Geheimbündelei kannte, war man von seiner Unschuld vollkommen überzeugt und hielt Anfangs eine Anklage und, als diese dennoch erfolgte, eine Verur­theilung für ganz unmöglich. Man hatte sich getäuscht. Bunächst mußte Kräcker erleben, daß man ihn am 18. Juni vorigen Jahres bei Schluß des Reichstags fast vor der Thüre desselben auf Antrag der Breslauer Staatsanwalt­schaft verhaftete und bis zum November vorigen Jahres in ftrenger Untersuchungshaft hielt. Und in der damals statt­findenden Prozeßverhandlung geschah dann ebenfalls das Unerwartete, daß er als einer der Führer der in Breslau  bestanden haben sollenden geheimen Verbindung mit sieben Monaten Gefängniß bestraft wurde, wobei ihm die fünf Monate Untersuchungshaft nicht angerechnet, sondern als verbüßte Strafhaft mit angesehen wurden. Diese fieben Monate trat Rräder am dritten Osterfeiertag an, an welchem Tage er abermals auf Befehl der Staatsanwaltschaft uner­bender zu verlassen. wartet verhaftet wurde, um das Gefängniß nur als Ster

Rräder litt schon seit längerer Zeit an einem Lebers und Nierenleiden, das aber durch die Verfolgungen und Drangsalirungen und die schließliche Prozessirung und In­haftnahme unzweifelhaft hochgradig gesteigert wurd. Dazu fam die Sorge um eine neue Existenz, sobald er die Haft verlassen würde.

So starb Julius Kräcker   als ein Opfer des Sozialisten gefeßes im Dienste der Partei, der er während zwanzig Jahren treu gedient. Arm in die Bewegung eingetreten, hinterläßt er mittellos seine Frau und zwei zum Glück schon erwachsene Rinder.

Das deutsche Proletariat wird sein Andenken in Ehren halten.

Politische Uebersicht.

Neber die Parteizugehörigkeit des Dr. Geffcken ftreiten sich jetzt die Kartellblätter untereinander. Die" Post" bezeichnet ihn als flerital- fonservativ", rechnet ihn also mehr

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mäßigt mir auch auftraten, die Herren Meister doch nie auf ein Schiedsgericht eingingen. Wir gingen bei den Irländern in die Schule Irländern in die Schule und führten ihren Boycott ein als Schiedsgerichtsmahner"; und bis jetzt hat er wie ein Sauber gewirkt. Aber wir sind überzeugt, daß das Prinzip des Schiedsgerichts zur Geltung kommen wird, wenn wir für unsern Rampf, das Feld der Gewalt und der Kraft­proben, auf welchem die Streiks sich bewegen, mit dem Feld friedlicher Auseinandersetzung vertauschen. Die 3eit wird kommen, wo man den Profit des Arbeitgebers eben so gut kennen wird, wie den Lohn der Arbeiter. Wenn diese Beit kommt und die Bezahlung des Arbeiters festge= stellt ist im Verhältniß zu dem, was er dem Arbeitgeber schafft, und wenn das Festgestellte in ruhigem, friede lichem Einvernehmen auch gehalten wird, bann gehört der Boycott der Vergangenheit an, dies, mein Junge, ist aber nicht alles, was die Ritter der Arbeit erstreben. Sie gehen weiter und hoffen noch mehr zu erreichen. Die Errichtung von Schiedsgerichten wird für immer diese nicht aufhörenden, erbitternden Klassen­kämpfe beseitigen, die das Ergebniß desjenigen Lohnsystems find; und wir werden mehr Muth haben zur Lösung des Arbeiterproblems jenes großen Problems, das alle Probleme der Erde umfaßt. Ja, mein lieber Bursche, wir hoffen schließlich die Prinzipien einer neuen politischen Detonomie) festzus fteller, die lehren wird, daß die beste Regierung diejenige ist, unter welcher das dem bescheidensten Bürger zugefügte Unrecht als der Gesammtheit zugefügt gilt. Wir bekämpfen die brutalen Lehrfäße jener alten Schule der politischen Dekonomie, welche die Männer und Frauen der ganzen Erde zu Sklaven macht. Mr. Wallace, Sie müssen einige der alten Schriftsteller lesen z. B. Adam Smith's  " Wealth of Nations" ( Reichthum der Nationen") und Ricardo. Lesen Sie etwas von den blödsinnigen und unmenschlichen

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1) Political Economy  - der englische   Name: politische Dekonomie" ist weit paffender als der bei uns gebräuchliche: Nationalökonomie.

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