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Mr. 303.
Dienstag, den 25. Dezember 1888.
5. Jabrg.
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erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin fret in's baus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Bf. Poftabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Bf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Bf. ( Eingetragen in der Bostzeitungspreisliste für 1888 unter Nr. 849.)
Weihnachten!
Insertionsgebühr
beträgt für die 4 gespaltete Betitzeile oder deren Raum 25 Pf. Arbeitsmarkt 10 Bf. Bel größeren Aufträgen hoher Rabatt nach Uebereinkunft. Inferate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Bimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaur, one Erhöhung des Preises, angenommen.
Redaktion: Beuthstraße 2. Expedition:
Wieder geht ein Jahr zur Rüste, und wieder blicken wir finnend zurück auf die Arbeit der verflossenen Monate und fragen uns, ob denn das hehre Wort: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen" immer nur Verheißung bleiben soll.
zu
Millionen unserer Mitbürger, ja man kann sagen, die große Mehrheit des Volkes, wissen nur nach dem Kalender, daß Weihnachten ist; sie sind nicht im Stande, für Weib und Kind den Weihnachtsbaum auszuschmücken, fie hungern und frieren auch an dem Tage, welcher ihnen Frieden auf Erden" verheißt; wenn die Besitzenden ihr Heim in strahlens bem Kerzenglanz erblicken, wenn sie in die freudig glänzenden Augen ihrer Kleinen schauen, wenn sie beglückt im Kreise der Familie sich anschicken, das schönste Fest, das burch Jahrtausende sich erhalten, feiern, dann müssen die Enterbten der Gesellschaft stumm und traurig bei Seite stehen, denn der Verdienst war zu gering; kaum der nothdürftigste Lebensunterhalt fonnte herbeigeschafft werden; trok redlicher, raftloser Arbeit müssen bie Eltern auf das höchste Glück, den Kindern Weihnachten zu bereiten, verzichten, denn es fehlen die Mittel dazu. In folchen Tagen, welche für wenige Glück und Zufriedenheit, für die Mehrzahl der Menschen jedoch Kummer und Sorge mit sich führen, zeigt sich deutlich, wie vieler Anstrengung und Arbeit es noch bedarf, um in Wahrheit Friede auf Erden" zu schaffen, Bustände herbei zu führen, welche„ den Menschen ein Wohlgefallen" find.
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Denn das ist die Aufgabe, welche die menschliche Ges sellschaft zu lösen hat und welche erfüllt werden wird, trok bes mächtigen Widerstandes, den heute noch die vorwärts ringende, für jugendfrische Ideen begeisterte arbeitende Bes völkerung findet.
Weihnachten, das Fest des Friedens, zeigt uns, wie bie Erzeuger aller Werthe die Freude daran Anderen überlafsen müssen, und wie der Friede nicht in die Bruft derjenigen einziehen fann, welchen es versagt ist, die Früchte ihrer Arbeit in genügendem Maaße zu genießen. Das erhabene Biel, welches Friede auf Erden und den Menschen
ein Wohlgefallen" verheißt, ist noch nicht erreicht, aber gleich
einem goldnen Stern leuchtet es uns entgegen, hell und tlar ist sein milder Schein uns Führer auf dem Wege.
Deshalb rastlos vorwärts; in nimmer erlähmender Arbeit muß und wird das arbeitende Volk sich geistige Aufflärung schaffen; in immer weitere Kreise muß es die Ueberzeugung tragen, daß eine gründliche Umformung der politischen und wirthschaftlichen Zustände ers folgen muß, wenn Kraft und Gesundheit der Volksmassen der Gesellschaft erhalten bleiben soll.
( Ragan tates.]
Roman von F. M. Dostojewski. Aus dem Nuffischen überfest von Wilh. Hendel. Nun, wie war es denn mit dem Ueberfahrenen ich unterbrach Dich, rief Rasumichin schnell.
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Expedition: Zimmerstraße 44.
Die zielbewußte Arbeiterschaft hat längst erkannt, daß fie die Trägerin des wirthschaftlichen Wohlstandes ist, daß Sie den Gesellschaftskörper erft lebensfähig macht, ihm Odem einbläft, und deshalb strebt sie mit Recht danach, ihren Antheil an dem Produkt der Arbeit zu vermehren.
In geistiger Beziehung Bildung, in politischer Freiheit und in wirthschaftlicher durchgreifende Besserung ihrer Klassenlage, dies find die Forderungen der arbeitenden Be völkerung und erst mit der Erfüllung derselben wird ,, Friede
auf Erden" sein, und erst dann wird man sagen können, den Menschen ein Wohlgefallen".
Diese Gedanken bewegen uns am Weihnachtsfest, und wahrlich wir haben ein Recht dazu, grade heute unseren Hoffnungen Ausdruck zu geben, denn wie das alte, nordis sche Julfest den Ursprung der Weihnachtsfeier bildete und zu Ehren des Sonnengottes Freya begangen wurde, so dürfen auch wir muthvoll und unverzagt weiter kämpfend dem Tage entgegensehen, an welchem unfere, die Sonne der Freiheit und Gleichheit, fiegreich das schwarze Gewölk durchdringend, die ganze Menschheit erleuchtet und be glückt.
Das ist der tiefe Sinn des Weihnachtsfestes, daß die Menschheit sich der Wintersonnenwende freut, weil damit die Hoffnung verbunden ist, daß die steigende Sonne Licht und Wärme spendet und die Menschen zu neuem Streben und Thun aufruft.
So ist auch uns das Weihnachtsfest eine Mahnung, nicht abzulassen von dem Streite für des Volkes Wohl und Recht, und wir wissen uns hierin eins mit den HundertRecht, und wir wissen uns hierin eins mit den Hunderttausenden und Millionen, mit denen wir in Reih und Glieb stehend Schulter an Schulter fämpfen.
Vorwärts, unaufhaltsam vorwärts ist die Parole, welche heute durch die Reihen der Parteigenossen von Mund zu Mund geht und mit treuem Händedruck bekräftigt wird; die flammende Begeisterung für die gerechte und große Sache, welcher die Arbeiterklaffe, das Proletariat, sich geweiht hat, wird und muß zum Siege führen.
roth heraufziehen und nicht mehr fern ist der Tag, an welchem unter Jubelklängen das erhabene, dann zur Wahrheit gewordene Wort ertönt:
Schon leuchtet es am Horizont, wir sehen das Morgen
Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen."
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alles, was Du thust, sehr gut ist! sagte die erfreute fagte die erfreute Mutter. Seien Sie nicht überzeugt davon, antwortete er, [ 44 ben Mund zu einem Lächeln verziehend. Alle schwiegen. Es lag etwas Gezwungenes sowohl in diesem ganzen Gespräch, als auch im Schweigen; im Versöhnen sowohl, wie im Verzeihen, und alle fühlten es.
Was? antwortete jener, als ob er eben erwache, ja nun, als ich ihn in seine Wohnung tragen half, ba besudelte ich mich mit Blut... Ach, Mütterchen, bei Dieser Gelegenheit habe ich etwas Unverzeihliches gethan; ich war sicher nicht bei vollem Verstand. Ich gab alles Geld, was Sie mir geschickt haben, gestern fort seiner Frau zur Beerdigung. Sie ist jetzt Wittwe, schwindsüchtig, ein erbarmungswürdiges Weib- brei kleine, hungrige Waisen- im Hause alles tabl... es ist auch eine Tochter da Vielleicht hätten Sie es auch hingegeben, wenn Sie alles gefehen hätten. Ich geftehe übrigens, daß ich kein Recht bazu hatte, besonders da ich wußte, wie schwer es Ihnen ward, bies Geld aufzutreiben. Um zu helfen, muß man vor allen Dingen ein gewisses Recht haben, und hat man bas nicht, nun bann: ,, Crevez, chiens, si vous n'êtes pas ist's nicht so, Dunja? contents!" Er lachte auf; Nein, es ist nicht so! antwortete Dunja fest. Bah! auch Du... mit Grundsägen?... brummte er, indem er sie faft mit Widerwillen ansah und spöttisch lächelte. Ich hätte zuvor überlegen müssen,... nun, was ist dabei, das ist ja lobenswerth, desto besser für Dich da kommst Du an eine gewisse Grenze, überschreitest Du die nicht, so wirst Du unglücklich, und überschreitest Du fie, bann wirst Du vielleicht noch unglüdlicher. Uebrigens, alles das ist Unfinn! rief er ungeduldig aus; er ärgerte fich über sein unwillkürlichrs Sichgehenlassen. Ich wollte blos sagen, daß ich um Verzeihung bitte, Mütterchen, schloß er kurz und schroff.
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Laß doch das, Robja, ich bin überzeugt, daß
,, Es ist wirklich grade so, als ob fich alle vor mir fürchteten," dachte Raskolnikow , indem er Mutter und Schwester verstohlen anblickte. Pulcheria Alexandrowna wurde wirklich, je länger fie schwieg, desto ängstlicher.
Und wie hatte ich sie, die Abwesenden, doch so lieb!" fuhr ihm durch den Ropf.
Weißt Du auch, Nodja, Marfa Petrowna ist ges storben! fing Pulcheria Alexandrowna plöglich wieder an. Wer ist das, Marfa Petrowna?
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Ach, mein Gott, Marfa Petrowna Swidrigailow! Ich schrieb Dir ja doch so viel von ihr.
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Ah, richtig, ich entsinne mich... also sie ist ge= storben? Wirklich? fuhr er plößlich auf, als ob er eben erwache, also wirklich gestorben? Woran denn?
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Stelle Dir vor, ganz plößlich starb fie,- beeilte sich Pulcheria Alexandrowna, von seiner Neugier aufgemun tert, fortzufahren und grade zur nämlichen 3eit, als ich bamals den Brief an Dich abfandte, am gleichen Tage! Dente nur, dieser fürchterliche Mensch scheint auch an ihrem Tode schuld zu sein. Man sagt, er habe sie so arg geprügelt! Lebten sie denn so schlimm mit einander, daß man dergleichen vermuthen konnte?- fragte er, sich zur Schwester wendend. Durchaus nicht, im Gegentheil; er war immer sehr geduldig, sogar artig. Häufig war er sogar mit ihrem Charakter zu nachfichtig, ganze fieben Jahr lang... Plötz lich aber verlor er die Geduld. Er ist also gar nicht einmal so fürchterlich, wenn er es sieben Jahre lang mit ihr aushalten fonnte? Es scheint mir, Dunetschka, als ob Du ihn gar in Schuß nähmest? Oh nein; nein, durchaus nicht, mir ist er ein fürchterlicher Mensch! Ich kann mir nichts Schrecklicheres
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Original- Korrefpondenzen.
Aus Oesterreich , den 21. Dezember. Das Kapital ift raubgierig," sagte Präfident Cleveland in seiner letten Botschaft an den Kongreß. Rein wahreres Wort als dieses. Wo es fann, tritt es alle Gefeße der Menschlichkeit mit Füßen, nicht blos in Afrika , fondern auch in unserem sich seiner Bivilisation so rühmenden Europa . Arbeiterschußgefeße find nur da, um von den Kapitalisten und ihren Helfershelfern umgangen zu werden. Das haben wir hier in Desterreich in unmittelbarsler Nähe der Reichsbauptstadt wieder an einem llaffischen Beispiel tennen gelernt. Seit Jahren lagen die österreichischen Fabrik inspektoren über das Trucksystem, das namentlich in den Biege lelen und auf Bauten vorkommt. Ihre Klagen find bisher in ben Wind gesprochen gewesen. Der Unfug und die Arbeiterbetrügerei bauert fort. Der Wiener Gewerbeinspektor ging_im Sabre 1887 wiederholt den Magistrat an, dem Trucksystem auf den Bauten zu Leibe zu geben; es blieb in der Hauptsache beim Alten. Wie nun vor einiger Zeit in weiteren Kreisen bekannt geworden ist, eristirt eine wahre Schandwirthschaft in den Ziegeleien der Wienerberger Altten Gesellschaft. Das dort herrschende Trucksystem, wie die ganze Behandlung der Are beiter übersteigt alles erlaubte Maß, und die Direktoren der Attien Gesellschaft, weit entfernt, auf Abstellung der ihnen be fannt gewordenen Beschwerden zu hören, rufen vielmehr die Gendarmen gegen die opponirenden Arbeiter zu Hilfe und finden diefelbe. Das Aufsehen und die Aufregung, welche diese Vorgänge in den österreichischen Arbeiterkreisen hervorriefen, führte zu einer Jnterpellation im österreichischen Reichsrath, die die Abgeordneten Bernerstorfer, Dr. Kronawetter und auch 18 verschiedenen Parteien angehörende Abgeordnete unterzeichneten und am 18. dieses Monats einreichten. Diese Interpellation giebt ein so treffendes Bild der ganzen in Frage stehenden Vorgänge, daß es fich empfiehlt, dieselbe hier nach ihrem Wortlaut zum Abdruck zu bringen. Sie lautet:
Anfrage der Abgeordneten Bernerstorfer, Kronawetter und Genoffen an den Herrn Ministerpräsidenten als Leiter des Ministeriums des Innern, den Herrn Handelsminister und den Herrn Landesvertheidigungsminister.
Vor einigen Wochen wurden in dem Wochenblatte ,, Gleich heit" die Verhältniffe der Arbeiter der Wienerberger Biegel fabriks und Baugesellschaft ausführlich geschildert. Es fam dabei zu Tage, daß die niedrigen Löhne, welche die Parties arbeiter der Gesellschaft beziehen, durch ein systematisch durch geführtes Trudsystem in Form der Blechwirthschaft noch weiter verringert werden, daß die Wirthe als Bächter der Gesellschaft, die Bartieführer als die unmittelbaren Angestellten derselben zum Bwecke der Bewucherung der Arbeiter einen Terrorismus ausüben, ber nicht nur jedem menschlichen Gefühle, sondern auch dem§ 78 der Gewerbeordnung hohnspricht. Bet Strafe sofor tiger Entlaffung mußten die Arbeiter ihr Blechgeld in bestimm ten Rantinen verausgaben.
Durch Eingreifen des Gewerbeinspektorats wurde die Blech wirthschaft abgestellt und wurde seither in Baargeld ausbezahlt. Der„ Trud" wird aber fortgefest, indem auch jetzt den Arbei
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denken! antwortete Dunja, fast schaudernd, runzelte die Brauen und wurde nachdenklich.
Es war an einem Morgen, fuhr Pulcheria Alexan browna haftig fort;... gleich darauf gab sie den Befehl, die Pferde anzuspannen, um nach dem Mittagessen in die Stabt zu fahren, in solchen Fällen pflegte sie immer in die Stadt zu fahren; man sagt, sie soll sogar mit gntem Appetit zu Mittag gegessen haben.
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Nachdem er sie durchgeprügelt hatte?
Sie hatte von jeher diese... Angewohns heit; und gleich nachdem sie gegessen hatte, begab sie sich ins Bad. um nicht zu spät fahren zu müssen Es war das eine Art Badekur, weißt Du, fie haben eine falte Duelle und darin badete fie regelmäßig jeden Tag. Aber kaum war sie diesmal ins Wasser gegangen, da bes tam sie einen Schlaganfall!
Das ist sehr begreiflich! sagte Soffimow. Und hatte er sie arg geschlagen? Darauf tommt ja schließlich nicht an, widerte Dunja.
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HmUebrigens, Mütterchen, was finden Sie nur für ein Vergnügen baran, solchen Unsinn zu erzählen! fagte Raskolnikom plöglich, unwillkürlich und gereizt. Ach, mein Lieber, ich weiß wirklich nicht mehr, wovon ich sprechen soll.
" Ja, was ist denn los?... fürchtet Ihr Euch etwa vor mir sagte er mit gezwungenem Lächeln.
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Das könnte wohl sein, antwortete Dunja, den Bruder
scharf figirend;
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als Mütterchen hier die Treppe herauf
fam, schlug sie vor Angst sogar ein Kreuz. Sein Geficht verzog sich krampfhaft.
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Ach, was Du nur wieder sprichst, Dunja! Ich bitte Dich, Nodja, ärgere Dich nicht Weshalb sprichst Du so, Dunja!.. fiel Pulcheria Alexandrowna verwirrt ein; allerdings, schon im Eisenbahnwagen, als ich hierher fuhr, träumte ich die ganze Zeit von diesem Wiedersehen und was wir uns alles mittheilen würden... und ich war so glücklich, daß ich gar nicht merkte, wie die Zeit verging! Doch, was rebe ich benn, auch jetzt bin ich ja glücklich
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