Nr. 306.
Sonntag, den 30. Dezember 1888.
5. Jahrg
Berliner Volksblatt.
Organ für die Interessen der Arbeiter.
erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin fret n's baus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Bf. Boftabonnement 4 Mart. Einzelne Nummer 5 Bf. Sonntage- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 f. ( Eingetragen in der Bostzeitungspreislifte für 1888 unfer Nr. 849.)
Redaktion: Beuthstraße 2.
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Berliner Volksblatt
mit dem Sonntagsblatt als Gratisbellage.
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Das Berliner Volksblatt" ist das einzige, täglich er. fcheinende Arbeiterorgan der Reichshauptstadt. Als Verfechter und Vertreter einer neuen Weltanschauung auf allen Gebieten bes menschlichen Lebens, ist es seine erste und vornehmste Auf gabe, überall und in jeder Beziehung für die Intereffen der unter brückten Klaffe, der Arbeiter, einzutreten. Auf die Arbeiter ges ftüst, von ihrem Vertrauen getragen, hofft das Berliner
Volksblatt", durch raftloſe, unermüdliche Thätigkeit auch an feinem Theile dazu beizutragen, daß unsere Prinzipien zum Durch bruch gelangen und daß der produzirende, die Menschheit er haltende Theil unserer Bevöllerung denjenigen Platz in der Ge fellschaft einnimmt, der ihm gebührt.
Darum, Arbeiter Berlins , werbet und agitirt, wo ihr auch sein möget, ob in der Werkstatt, ob im Freundeskreise, werbet und agitirt für Eure Beitung.
Jedermann kennt unferen Standpunkt in politischen und wirthschaftlichen Fragen. Mit Schärfe und Sachlichkeit werden, wie bisher, alle dieses Gebiet berührenden Vorkommnisse be bandelt werden, ebenso wie wir bestrebt sein werden, in allen amberen Büchern durch Schnelligkeit, Präzision und fachgemäßes Urtheil unsere Schuldigkeit zu thun.
Im Feuilleton unseres Blattes veröffentlichen wir einen aus gezeichneten Roman, betitelt
Raskolnikow
Don
Dostojewski.
Den neu hinzutretenden Abonnenten wird der bisher er Schienene Theil dieses Romans gratis nachgeliefert.
Unser Sonntagsblatt macht es fich nach wie vor zur Auf gabe, nur die besten und vollendetften Arbeiten derjenigen Schriftsteller zu bringen, welche auf dem Boden des wirklichen Lebens stehen.
Das Berliner Volksblatt" toftet für das ganze Viertel jahr feet ins Baus 4 k., für den Monat Januar 1 h. 35 Pf., pro Woche 35 Pf. Bei Selbstabholung aus unserer Expedition 1 Mk. pro Monat.
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and mision.]
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Der Duellunfug.
Der tragische Ausgang des Duells Blum- Eichler hat der Preffe der verschiedensten Parteien wieder Anlaß ge geben, sich über das Duell auszusprechen, wobei mit Ausnahme der Ausführungen einiger ultramontaner Organe meist nur Halbheiten zu Tage gefördert wurden. Die fatholische Kirche verdammt das Duell als unfittlich und verbrecherisch und würden Arbeiter oder sonstige arme Leute dumm genug fein und zur Rehabilitirung ihrer Ehre" ebenfalls auf abgemessene Distanz und nachdem sie sich vorher entsprechend eingeschoffen haben, sich gegenseitig todt schießen, dann würde die Kirche einem auf solche Weise ums Leben gekommenen Schuster oder Schneidergesellen ganz sicher ein ehrliches Begräbniß verweigern, wie sie dies ja auch gegenüber den Selbstmördern aus der niederen Klaffe" thut. Da aber im Duell nur Angehörige der besseren" Klasse fallen, einfach weil der Plebs" zu ver nünftig ist, solchen verbrecherischen Unsinn mitzumachen, so dürfte es wohl noch nie vorgekommen sein, daß einem getödteten Duellanten die kirchlichen Ehren nicht erwiesen worden wären, wie ja auch die Selbstauch die Selbst nie mörder aus den höheren Klassen unter die Kirchhofsmauer oder auf den Riesweg zu liegen kommen, da es einem 3weifel nicht unterliegt, daß die unglückselige That nur eine Folge geistiger Störung war, während die Proletarier natürlich nur aus purer Niedertracht und Bos heit und um ihre Mitmenschen zu ärgern, zum Strid greifen oder in's Wasser gehen. Verdientermaßen wird deshalb das Grab solcher ruchloser Menschen denn auch mitten im fohlen weggetragen wird. Wege angebracht, damit das Andenken an sie an den Stiefel
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Abgesehen aber davon, daß die Kirche den im Duell Gefallenen die letzten Ehren und Segnungen nicht vers weigert, muß man anerkennen, daß die einzigen ernsten Maßnahmen, die gegen den Duellunfug bisher ergriffen worden sind, nur von der katholischen Kirche ausgehen. Die katholischen Studentenverbindungen haben das Duell grundfäßlich ausgeschlossen, und es hat sogar schon katholis fche Offiziere gegeben, welche den Muth hatten, das Duell abzulehnen und lieber auf ihre 3ugehörigkeit zum Heere verzichteten, als daß sie sich auf solche verbrecherische Weise mit dem Blute ihrer Nebenmenschen befudelten. Weise mit dem Blute Man kann solchen Männern die Hochachtung wirklich nicht versagen, denn schließlich gehört bei den Vornicht versagen, denn schließlich gehört bei den Vorurtheilen, wie sie nun einmal bei der Elite der Nation" herrschen, mindestens ebenfalls so viel Muth und sicherlich herrschen, mindestens ebenfalls so viel Muth und sicherlich mehr Charakter dazu, die Annahme eines Duells zu ver weigern, als dazu gehört, in häufig sehr sicherer Entfernung einen Schuß auf sich abgeben zu lassen. Mit Ausnahme ber katholischen Kirche aber befindet sich die gesammte beffere" Gesellschaft- auch den bürgerlichen Liberalismus nicht ausgenommen noch im Banne des Duellunfugs und das Gejammer und Geflenne aus Anlaß des Duells
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Uhr verloren ginge! Du weißt ja, Weiber! Also was ist da zu machen? Rathe mir! Ich weiß, daß eine Anzeige im Polizeibureau gemacht werden müßte; wäre es aber nicht [ 47 vielleicht besser, fich direkt an Porphyrius zu wenden, wie? Was meinst Du? Ich möchte diese Sache so schnell als möglich abmachen. Du wirst sehen, Mütterchen wird beim Effen nach der Uhr fragen.
Roman von F. M. Dostojewski. Aus dem Ruffischen überseht von Wilh. Hendel Hör' einmal, ich habe da ein Anliegen... fagte Raskolnikow , Rasumichin ans Fenster führend.
Ich werde also Ratharina Iwanowna melden, daß Sie kommen werden... sagte Sfonja haftig und wollte fich entfernen.
Gleich, Sophie Ssemjonowna, wir haben keine Ge heimnisse; Sie stören uns nicht... ich möchte Ihnen noch ein paar Worte sagen... Also, wandie er fia wieder an Rafumichin,... Du kennst doch den... wie heißt er doch gleich... Porphyrius Petrowitsch?
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Versteht sich, wir sind ja Verwandte! Weshalb? fügte er neugierig und eifrig hinzu.
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Er hat doch diese Angelegenhett jeßt... nun, die von dem Mord da... Ihr spracht noch gestern
davon.
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lich an.
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Ja!... nun und... stierte ihn Rasumichin plöß
Er hat die Pfandgeber verhört; ich habe auch
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Durchaus nicht ins Polizeibureau, sondern jebenfalls zu Porphyrius ! rief Rasumichin, ganz besonders aufgeregt. Nun, bin ich aber froh! Was ist da lange zu zögern, laß uns gleich hingehen, es find nur zwei Schritt von hier, wir treffen ihn jetzt sicher! Meinetwegen... tomm'
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Und er wird sich sehr, aber sehr, sehr freuen, Deine Bekanntschaft zu machen. Ich habe ihm schon viel von Dir erzählt, zu verschiedenen Beiten auch gestern noch. Gehen wir also! Also Du kanntest die Alte? fofo! Das hat fich aber ausgezeichnet gewendet!... Ach ja... Sophie Iwanowna Sophie Ssemjonowna, forrigirte Raskolnikow . Sophie Sfemjonowna, sehen Sie, das ist mein Freund Nafumichin, ein guter Mensch.. Wenn Sie jetzt gehen müssen, begann Ssonja
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wieder, ohne Rafumichin anzusehen, und wurde noch ver
Tegener.
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Eichler- Blum erscheint uns deshalb gerade von dieser Seite als widerliche Heuchelei. Hier giebt es nur ein Entweber
Ober. Ist die Auffassung richtig, daß die sogenannten höheren Klassen eine besondere Ehre haben, und daß Kräns fungen, die unter Mitgliedern der„ fatisfattionsfähigen Gesellschaft gegenseitig vorkommen, nur mit Blut gefühnt werden können, dann hat das Duell seine Berechtigung und es ist eine Nothwendigkeit. Was hat aber dann das Ges flenne zu bedeuten, wenn diese Nothwendigkeit ihre Opfer fordert?
Der erschossene Blum hat beleidigt, das steht feft; er hat die Beleidigung mit seinem Leben gefühnt, das ist nach den Regeln der Duellfitte ein ganz normaler Vorgang. Also warum das Geschrei und Gejammer?
Stehen aber die Jammerer und Schreier nicht auf dem Boden, daß eine Beleidigung nur mit Blut gerochen werden fann, ja, warum erklären sie dann das Duell nicht einfach für das, was es nach unserer Ansicht allerdings ift,
nämlich für einen verbrecherischen Unfug, der unter die Rubrik der Körperverlegungs- und Topischlagsverbrechen im Strafprozeßbuch gehört und dementspre bestraft werden muß man behandle ein Duell, wie bases ist, welches. jetzt die öffentliche Meinung" so sehr beschäftigt, als das, was es in Wirklichkeit ist, nämlich als hundsgemeinen Tobis schlag, der sich vom überlegten Morb kaum unterscheiden läßt. Man bestrafe sämmtliche Theilnehmer an einer solchen Menschenschlächterei, den Arzt sowohl wie den Kartell träger und die Duellanten selbst, als gemeine Verbrecher und wende die Praxis an, welche gegenüber politischen Sündern so ftritte innegehalten wird, nämlich man bes gnadige grundfäßlich nicht und verweigere den Inhaftirten alle Begünstigungen.
Daß auch diese strengen Maßnahmen das Duell nicht aus der Welt schaffen werden, das geben wir zu. Aberc hat man sich dadurch, daß die Bauernburschen in Bayer n 3. B. trotzdem weiter raufen", schon abhalten laffen, Rörperverlegungen oder Todtschlag strenge zu bestrafen? Und doch ist der ungebildete und naturwüchsige Sohn der beiyes rischen Berge, der von Eifersucht gepeinigt seinen Ne'bens bubler um bie Gunft der drallen Dirne niederschlägt und in seiner brünstigen Wuth ihm die Knochen entzwei bricht, eine tausend Mal angenehmere und vom menschlichent Standpunkt aus viel mehr entschuldbare Erscheinung, als jener gebildete" Rowdy, ber, nachdem es ihm durch Ausnügung eines blödsinnigen gesellschaftlichen Vorurtheils gelungen ift, einen sonst vielleicht durchaus friebfertigen Mens schen zur Annahme eines Duells zu zwingen, sich Tage lang vorher einschießt, um ja sein Opfer sicher in den Sand zu ftreden.
Also, der Einwurf, daß strenge Strafen dem Duell unfug nicht zu steuern geeignet find, ist durchaus hinfällig. Mit Strafen ist überhaupt noch kein Uebel aus der Welt geschafft worden, und wenn man alle jene Verbrechen und Bergehen, welche trotz aller auf sie gefeßten Strafen boch
nichts zu verschließen haben! wandte er sich lachend an Sfonja.
Sie blieben am Thorweg stehen.
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Ihr Weg geht rechts, Sophie Sfemjonowna. Wie haben Sie mich benn finden können? fragte er, es schien jedoch, als ob er etwas ganz anderes auf dem Herzen habe. Nur noch einmal wollte er in ihre klaren, ruhigen Augen blicken, es wollte ihm aber nicht recht gelingen" Sie haben ja Poletschta gestern Ihre Adresse gesagt! Polja, ach ja, Poletschka! Diese kleine... das ist Ihre Schwester? Nichtig, also ihr habe ich es gesagt, wo ich wohne? Haben Sie es denn vergessen? Nein,... jeßt erinnere ich mich
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Schon früher habe ich von Ihnen gehört... Ich wußte nur ihren Namen nicht... Väterchen erzählte uns. er fannte ihn wohl selbst nicht einmal Da ich nun geftern Ihren Namen erfuhr... fo fragte ich heute, wohnt hier Herr Rasfolnikow? Ich wußte nicht, daß Sie auch bei einer Vermietherin wohnen... Leben Sie also wohl... Ich werde es Ratharina Iwanowna sagen...
Pfänder da, Kleinigkeiten zwar, aber für mich sind sie werth ich werde heute noch zu Ihnen kommen, Sophie Ssemjos finnen, sich an das soeben Erlebte zu erinnern, jedes ge
voll; einen Ring von der Schwester, den sie mir beim Ab fchied zum Andenken schenkte, und eine filberne Uhr, noch vom Vater her. Alles in allem nur fünf bis sechs Rubel werth. Was soll ich nun thun? Ich möchte nicht, daß diese Sachen verloren gehen, besonders die Uhr. Schon vorhin fürchtete ich, als von Dunetschkas Uhr die Rede war, daß bie Mutter banach fragen würde. Es ist das einzige Anbenken vom Bater. Sie würde krank werden, wenn dieſe
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nowna, fagen Sie mir nur, wo Sie wohnen.
Er wich ihren Blicken aus und schien zu eilen. Ssonja nannte ihre Adresse und erröthete. Sie entfernten fich gleichzeitig.
-Verschließest Du nicht? fragte Rafumichin, als er ihnen auf der Treppe folgte.
- Niemals!... Schon seit zwei Jahren nehme ich
Sie war sehr froh, endlich losgekommen zu sein und eilte, um schneller aus dem Gesichtskreis zu entkommen, mit niedergeschlagenen Augen die zwanzig Schritte bis zur nächsten Ede, um dann, unbeachtet von jedermann, nachzusprochene Wort zu überlegen und sich jeden Umstand ins Gedächtniß zurüd zu rufen. Noch niemals hatte sie ein ähnliches Gefühl empfunden. Eine ganz neue Welt war unbewußt in ihrer Seele aufgegangen. Plöglich fiel ihr ein, daß Raskolnikom heute zu ihr kommen wollte, vielleicht noch am Vormittag, vielleicht jetzt gleich.
,, Nur heute nicht, bitte, bitte, nur nicht heute!"
mir vor, ein Schloß zu kaufen. Glückliche Menschen, die stammelte sie mit bellommenem Herzen, wie ein ängstliches