Nr. 158.

Mittwoch, den 10. Juli 1889.

6. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen

Das Berliner Volksblatt"

erscheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. Abonnementspreis für Berlin   frei in's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Bei Abholung aus unserer Expedition Zimmerstraße 44 1 Mart pro Monat. Postabonnement 4 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreisliste für 1889 unter Nr. 866.) Für das Ausland: Täglich unter Kreuzband durch unsere Expedition 3 Mark pro Monat.

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der Arbeiter.

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Redaktion: Beuthstraße 2. Expedition: Bimmerffrake 44.

Das Unglück von

Saint- Etienne  .

Verstümmelte Leichen, weinende Wittwen und Waifen, schreckenbleiche Menschen beweisen wieder einmal, wie gefähr­lich der Beruf des Bergmannes ist und welche Opfer, welches Elend er in seinem Gefolge haben kann. Dunkle und furchtbare Naturgewalten, gegen welche menschliche Vorsicht und Kunst sich nicht als ausreichend erwiesen haben und die man deshalb im Volksglauben so gern zu bösen Dämonen gemacht hat, walten in der unheimlichen Tiefe der Bergwerke und brechen zuweilen mit furchtbarer Zerstörungs­fraft mitten in das Menschenwerk. So ist es auch in St. Etienne   geschehen; ein schlagendes Wetter, das man weder voraussehen noch abwehren konnte, ent­Iud sich in den tiefen Kohlengruben mit einem furchtbaren Knall der auf der der Oberfläche weit­hin gehört wurde und alle Herzen erbeben machte, denn man wußte sofort, daß nun der Tod in den Gruben eine reichliche Ernte gehalten habe. Man blieb auch nicht lange in Un­gewißheit; bald wurden Leichen und verstümmelte, noch athmende Menschen an's Tageslicht aus der Tiefe gefördert, vor einer zusammengeströmten erregten Menschenmenge und vor den Augen der Ihrigen. In diesem Moment zählt man 213 Todte oder Vermißte. Der Jammer in den vom Unglück betroffenen Familien ist unbeschreiblich.

Die Gruben von Saint- Etienne   sollen, so lesen wir, zu den reichsten unter den bis heute aufgedeckten und be­fannten gehören. Die Mächtigkeit einer fruchtbaren Kohlen­schicht steigt bort nämlich manchmal bis gegen 30 Meter, die zwischen den nach der Tiefe fich folgenden Kohlen­lagern liegenden Felsbänder sind dünn und brüchig, die Kohle selbst meist stark zersplittert, so daß sie schlecht trägt und zudem durch ihre große Oberflächenentwickelung der 3ersegung und Gasbildung besonderen Vorschub leistet. 3um Betrieb und zur Sicherung der Werke sind daher stets die sinnreichsten und kühnsten Vorkehrungen nothwendig, und doch bildet die Tiefe des zwischen Rive de Gier   und Firming gelegenen, 32 Kilometer langen und 8 Kilometer breiten Grubenfeldes einen Herd steter Todesgefahr. Ab und zu wird die Gefahr zu einer furchtbaren Katastrophe und doch finden sich immer wieder die Menschen, die sich für färglichen Lohn bei harter Arbeit dem gefährlichen Berufe widmen, in die Tiefe der Schächte hinab zu steigen, und die dem heutigen menschlichen Gemeinwesen unentbehr­liche Kohle ans Tageslicht zu fördern.

Man stelle fich einmal vor, welche Wirrniß in der heutigen Gesellschaft entstehen müßte, wenn sie einmal vierzehn Tage ohne Kohlen sich behelfen sollte! Beleuchtung, Heizung und was damit zusammenhängt, wäre unmöglich; ber ganze ungeheure Verkehrsapparat, der die fünf Erdtheile so nahe aneinander gebracht hat, müßte stille stehen. Das

Feuilleton.

Machbruck verboten.]

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Ein Goldmensch.

Roman von Maurus Jókai  .

Fünftes Kapitel.

Die herrenlose Insel.

festen noch in derselben Nacht sammt dem gekappten Schiffsfeil Die auf dem ferbischen Ufer zurückgelassenen Zugpferde in Ueberfuhrplätten auf das ungarische Ufer über, unterwegs überall die Kunde verbreitend, das Tau sei bei dem gefährlichen Peri­grader Strudel von selbst gerissen und das Schiff mit Mann und Maus zu Grunde gegangen. Am Morgen war dann im Orsovaer Hafen keine Spur mehr von der heiligen Barbara". Wäre zufällig der Kommandant der türkischen Brigantine auf den Einfall gerathen, auf dem Kanal in­mitten des Eisernen Thores bis nach Orsova   hinauf zu rubern, so hätte er hier schon nicht mehr gefunden, was er fuchte; und über Orsova   hinauf bis Belgrad   gehört ihm nur die Hälfte der Donau  ; auf dem ungarischen Ufer hat er nichts zu befehlen. Die Festung auf der Neu- Orsovaer Insel gehört noch ihm.

Um 2 Uhr Nachts war die Heilige Barbara  " von Orsova   aufgebrochen. Nach Mitternacht   pflegt der Nord­wind in der Regel auszuseßen, und so mußte man die günftige 3eit benußen. Die Mannschaft hatte, um sie bei gutem Muthe zu erhalten, eine doppelte Ration Branntwein erhalten, und oberhalb Orfova ertönte wieder das melancho­lische Getute des Schiffshorns.

Der Aufbruch erfolgte in aller Stille; von den Wällen der Neu- Orsovaer Inselfestung tönten die lang gezogenen Rufe der türkischen Schildwachen herüber. Das Schiffshorn

gewaltige Beförderungs- und Betriebsmittel, das heute alles bewegt, der Dampf, wäre lahm gelegt.

Die Kohle kann uur mit Mühsal und harter An­strengung dem dunkeln Schooß der Erde entrissen werden; der Mensch, der sich dieser Arbeit widmet, muß dem goldnen Sonnenlicht entsagen und sich in eine geheimnißvolle und unheimliche Tiefe begeben, in ungesunde Stickluft, wo sich die furchtbaren schlagenden Wetter zusammenballen. Der Mensch auf der Erdoberfläche, der da athmet im rosigen Licht", sollte von der größten Hochachtung erfüllt sein für die opfermuthigen Brüder, die der Gesellschaft so große Dienste leisten, indem sie in die Tiefen der Erde hinab­steigen. Man wird, wenn man in die Vergangenheit zurückblickt, zurückblickt, finden, daß das früher anders war als heute. Wir wollen uns glücklich preisen, daß so manche finsteren Gespenster und Schreckgestalten der Vergangenheit verschwunden sind; andererseits aber wollen wir auch nicht verkennen, daß die hinter nns liegenden Jahrhunderte Man­ches aufzuweisen haben, was wir heute mit Schmerzen ver­missen. Es hat Zeiten gegeben, da die rasende Jagd nach Erwerb und Gewinn noch nicht den groben Materialismus großgezogen und die Menschenseelen verhärtet hatte; es gab Beiten, da die Konkurrenz noch nicht dahin geführt hatte, durch Herabdrückung der Produktionskosten das Arbeitsver­hältniß zu einem Knechtschaftsverhältniß zu machen. Unsere Altvordern hatten vor der Arbeit mehr Respekt als die Neu­zeit und ließen ihr eine Achtung und Verehrung zu Theil werden, die man heute nicht mehr kennt. Den Berg­bau betrachteten unsere Vorfahren als eine würdige und hochzuverehrende Kunst; die Bergknappen bildeten weit­hin angesehene und geachtete Körperschaften und sie ver dienten auch soviel, daß sie eine Rolle in der Gesellschaft spielen konnten, denn der Lohn wurde nicht durch Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern er war fest regulirt und man hatte es dahin gebracht, daß kein Grubeneigenthümer weniger Lohn zahlen durfte, als die anderen. Die Berg­meister," so heißt es in einer alten Bergordnung, sollten ein ehrbar christlich Bedenken haben, daß sie den Bergarbei­tern ein ziemlich Lohn machen und ordnen, davon sie sich erhalten können, auf daß sie nicht aus Mangel ihres Enthalts zu stehlen) versucht werden.".

Wir führen diese Dinge an, um den Geist der früheren Auffassung zu zeigen im Gegensatz zu dem der heutigen.

Die Opfer von Saint- Etienne   mögen dem Philisterthum von heute wieder den Beweis liefern, welche Gefahren der Grubenbetrieb mit sich bringt und wie es nur eine einfache Pflicht der Humanität und des Anstandes wäre, wenn man dafür sorgen würde, daß die Bergarbeiter, die der Gesell­

*) Die Bergordnung bezieht sich auf Bergwerke, in denen nach edlen Metallen gegraben wurde.

gab erst dann ein Signal, als auch der Gipfel des ,, Allion" hinter den neuen Bergriesen verschwunden war.

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Auf das Hornsignal kam Timea aus der Kabine heraus, wo fie einige Stunden geschlafen hatte, und ging, eingehüllt in ihren weißen Burnuß, zum Schiffsschnabel, um Euthym zu suchen, welcher die ganze Nacht sich nicht schlafen gelegt und die Kabine gar nicht betreten, ja was noch auf­fallender war nicht einmal geraucht hatte. Es war nicht erlaubt, bei Nacht irgend ein Feuer an Bord des Schiffes anzuzünden, damit man auf der Neu- Orsovaer Insel nicht aufmerksam auf das Schiff werde.

habe; denn sie sprach Timar an und befragte ihn über die Timea mochte fühlen, daß sie einen Fehler gut zu machen Sehenswürdigkeiten an beiden Ufern. Der Instinkt ihres Kindlichen Herzens flüsterte ihr zu, daß sie diesem Manne zu

Dank verpflichtet sei.

Die Morgendämmerung traf das Schiff in der Gegend famkeit Timea's auf ein achtzehn Jahrhunderte altes Denkmal. von Ogradina. Der Kommissär lenkte dort die Aufmerk­Es war dies die in die Felsenwand eingehauene Trajan­Tafel", welche von zwei geflügelten Genien gehalten wird und von Delphinen umgeben ist; auf der Tafel stehen die Gedenkzeilen, welche das Menschenwerk des göttlichen Impe­spiße des großen Sterbecz" verschwindet, folgt wieder ein rators verewigen. Wenn auf dem serbischen   Ufer die Berg­neuer Felsenkorridor, welcher die Donau   in ein fünfhundert Klafter breites Bett zusammendrängt. Diese Gebirgshalle führt den Namen Kaßan". 3wei bis dreitausend Fuß hohe steile Felswände erheben sich rechts und links, deren Wendungen sich in opalfarbene Nebel verlieren. Von der einen Steilwand stützt ein tausend Fuß hoch aus einer Höhle hervorquellender Bach herab, wie ein zartes Silber­band, das sich in Nebel auflöst, bevor es die Donau   erreicht. Die beiden Felswände laufen ununterbrochen fort, nur an einer Stelle spaltet der Berg, und durch diesen Spalt lacht die blühende Landschaft eines Hochgebirgthals hernieder, mit

schaft so große Dienste leisten, nicht allzulange zu arbeiten hätten und im Verhältniß zu den Mühseligkeiten und Ge­fahren des Bergbaus auch bezahlt würden.

Aber welche Vorurtheile sind da aufgetaucht bei Ge­legenheit des letzten großen Bergarbeiterstreifs. Die Kata­strophe von Saint- Etienne   wird das Pathos der Philister herabstimmen. Leider, daß erst immer solch eine Katastrophe fommen muß!

Einigungsämter.

Eine recht interessante Notiz fanden wir dieser Tage in der Frff. 3tg." Dieselbe lautete:

Eine eigenthümliche und bedauernswerthe Erschei­nung ist es, daß von den Theilnehmern an den vielen Streifs, die in lezter Zeit in unserer Stadt ausbrachen, fast noch keine Partei daran gedacht hat, das eigens zu diesem Zweck geschaffene Einigungsamt des städtischen Schiedsgerichtes um Vermittelung anzugehen. Die Är beiter sind doch in diesem Amt ebenso gut vertreten, wie die Unternehmer, und die Leitung des Schieds­gerichtes liegt bekanntlich auch in durchaus humanen Händen."

Was mag sich wohl Dr. Mar Hirsch gedacht haben, als ihm diese Notiz zu Gesicht fam?

Das Einigungsamt soll ja nach diesem Sozial- Quacksalber das unfehlbare Hilfsmittel gegen die Streiks und ihre für Ar­beiter wie Unternehmer gleich unliebsamen Wirkungen sein. Erst vor wenigen Wochen, als die Lohnbewegung in Deutsch­ land   immer weitere Streise zu ziehen begann, wartete Herr Hirsch mit seinem Heilmittel wieder auf, indem er in einer Versammlung feiner Gewerkvereine eine Reso lution annehmen ließ, nach welcher die geseglichen" Ar­beiter die Lohnfrage ohne schädliche Streits auf dem Wege der Organisation und durch Einigungsämter" zu lösen ent­schlossen sind.

Und kaum ist diese Resolution angenommen und durch den Druck veröffentlicht, da kommt aus Frankfurt  , wo ein folches Einigungsamt, wenn auch nicht genau nach der Hirsch schen Schablone, schon seit Jahren besteht, die Nachricht, daß in der Zeit, wo gerade diese Institution in Wirksamkeit treten soll, d. h. bei ausbrechenden Lohnkämpfen, sich kein Mensch, weder Unternehmer noch Arbeiter, um dieselbe kümmert. Was aber von Frankfurt   berichtet wird, das hat sich mit geringen Ausnahmen überall wiederholt, wo es bisher zu Lohnkämpfen gekommen ist. Bestehen auch Einrichtungen wie sie, im An­schluß an das dortige Gewerbeschiedsgericht, in Gestalt des Einigungsamtes eingeführt sind, nur an sehr wenigen Orten, so hat es doch an Versuchen, die Lohnstreitigkeiten auf fried­nirgends gefehlt, und doch wie felten sind diese Bemühungen lichem Wege, d. h. ohne Niederlegung der Arbeit, zu regeln, von Erfolg begleitet gewesen! Uns ist augenblicklich nicht ein einziger Fall bekannt, daß in der diesjährigen Lohnbewegung ein Streit durch das Eingreifen eines von beiden Theilen an= erkannten Schiedsspruches verhindert worden wäre.

Herr Hirsch behauptete zwar in der vorstehend erwähnten

einem weißen Thurm im fernen Hintergrund. Es ist der Thurm von Dubova; dort ist Ungarn  .

Timea wandte ihre Blicke von diesem Schauspiel nicht ab, bis das Schiff an demselben vorüber war und die Berge sich wieder schlossen über der reizenden Landschaft und die tiefe Schlucht mit ihren Schatten verhüllten.

,, Mir ist," sagte Timea ,,, als gingen wir durch einen langen, langen Kerkergang in ein Land, aus dem man nicht mehr zurück kann.

Die Bergwände werden immer höher, der Wasserspiegel der Donau   immer dunkler und zum Abschluß des wild romantischen Panoramas zeigt sich am nördlichee Abhang ist, mit Schießscharten für Kanonen. eine Höhle, deren Mündung von einer Brustwehr umgeben

,, Das ist die Veterani Höhle," sagte der Kom­missär zu Timea. Hier kämpften vor hundertvierzig Jahren dreihundert Mann mit fünf Kanonen gegen lang." Timea schüttelte den Kopf. Der Kommissär wußte eine ganze türkische Armee und hielten sich vierzig Tage aber noch mehr von der Höhle zu erzählen.

,, Vor vierzig Jahren vertheidigten die Unserigen diese Höhle in einem blutigen Kampf gegen die Türken. Die Osmanen verloren über zweitausend Mann unter den Felsen."

Timea zog ihre zarten Augenbrauen zusammen und warf dem Erzähler einen eisig kalten Blick zu, so daß ihm jedes weitere ruhmredige Wort im Halse stecken blieb. Timea verhüllte sich den Mund mit ihrem Burnus, wandte sich von Timar ab, ging in die Kajüte und kam bis zum Abend nicht wieder zum Vorschein. Sie sah nur durch das kleine Kabinenfenster, wie am Ufer der Reihe nach verfallende Burgthürme, alterthümliche, vereinsamte, massive Wachthäuser, die bewaldeten Felsen des Klissura- Thales und inmitten der Donau   aus den Fluthen hervorragende Felsenkolosse an ihr vorüberzogen. Sie frug nicht einmal nach der Geschichte jenes achteckigen Schloßthurmes in der Nachbarschaft von