2

10000

0

Nr. 223.

Dienstag, den 24. September 1889. 6. Jahrg.

Berliner Volksblatt.

Organ für die Interessen der Arbeiter.

Das Berliner Boltsblatt"

"

erfcheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Fefttagen. Abonnementspreis für Berlin frei m's Haus vierteljährlich 4 Mart, monatlich 1,35 Mart, wöchentlich 35 Pf. Einzelne Nummer Bf. Sonntags- Nummer mit dem Sonntags- Blatt" 10 Pf. Bei Abholung aus unserer Expedition Zimmerstraße 44 1 Mart pro Monat. Bostabonnemem 4 Mart pro Quartal. ( Eingetragen in der Postzeitungspreislifte für 1889 unter Nr. 866.) Für das Ausland: Täglich unter Kreuzband durch unsere Expedition 3 Mart pro Monat. Redaktion: Beuthftraffe 2.

Die Jahresberichte der preukischen Fabrikinspektoren für 1888.

IV.

Da die Berichte sich in ihrer Oberflächlichkeit im Allge­meinen gleichen, so wäre es eine überflüssige Arbeit, wenn man alle einzeln burchgehen wollte. Buweilen freilich stößt man auf ganz wunderbare Perlen offizieller unfreiwilliger Romit; so zum Beispiel erzählt der Herr Gewerberath für Schleswig unter dem pomphaften Titel Wirthschaftliche und ftliche Bustände der Arbeiterbevölkerung; Wohlfahrtsein­richtungen; Verschiedenes":, Mehrfach wird den Arbeitern ein Ersatz für Branntwein durch billiges, leichtes Bier ge­boten. In einer Glashütte fand sich ein Präparat vor, das Trinkwasser- Corrigens von C. Leich in Gerresheim , welches geeignet ist, dem Trinkwasser einen angenehmen Geschmack zu verleihen." Ein Wint, den sich vielleicht unsere Leser zu Ruge machen können, findet sich in dem Bericht des Beamten für Kassel und Wiesbaden : Von Max Nößler,

bem

-

Direktor der Wächtersbacher Steingutfabrik in Echlierbach ist auf Anregung des Professor Dr. Julius Poft in Hannover im Oktober unter der Bezeichnung Schlierbacher Fabrikbote" eine fleine 3eitung bemerkens­gegründet worden, aus deren Inhalt ein werth gutes Verhältniß zwischen der Fabrikleitung und den Arbeitern zu erkennen ist. Die Kürze und zum Herzen sprechende Darstellung und die mitunter trefflichen Beleh­rungen und Winte, welche manche dieser Blätter enthalten, veranlassen mich, an dieser Stelle auf die Arbeiterzeitung hinzuweisen, die mit zu dem Besten gehören dürfte, was bisher auf diesem Gebiete bekannt geworden ist." Schade, daß der Abonnementspreis des Blattes nicht mit angegeben ist; immerhin aber können wir es unsern Lesern empfehlen; fie können daraus sehen, wie sehr sie von der sozialdemo­fratischen Presse belogen werden, welche ja immer behauptet, daß zwischen Arbeitern und Unternehmern ein vollständiger Gegensatz der Intereffen existirt, welcher ein gutes Ver­hältniß zwischen den beiden unmöglich macht. In der kurzen und zu Herzen sprechenden Darstellung jenes Blattes werden hie das Gegentheil erfahren.

Indessen, das sind Lesefrüchte, die man während des Gehens von den Bäumen nascht; von solchem Nachtisch tann man nicht leben.

Ein sehr wichtiger Punkt in den Berichten ist die Frage, in welchen 3wischenräumen die Lohnzahlungen stattfinden.

Bekanntlich wird der Lohn nicht vor der geleisteten Ar­beit gezahlt, sondern nach derfelben; das variable Kapital kellt sich nicht dar als Vorschuß der Kapitalisten, wie es

Feuilleton.

19afbrudt verboten.]

173

Ein Goldmensch.

Roman von Maurus Jókai .

Dies Duell hängt mit höchst räthselhaften Umständen zu­fammen, welche birekt Sie und noch mehr Ihren Ge­mahl betreffen. Gestatten Sie mir eine Zusammenkunft von einigen Minuten, um Ihnen alles fagen zu können, In diesem Briefe sind was Ihnen zu wissen nöthig ist. In diesem Briefe sind bie Worte Ihren Gemahl" zweimal unterstrichen

" 1

und das war der Grund, der mich bewog, Ihnen Gelegen­heit zu geben, mit mir zu sprechen. Reben Sie! In welchem Busammenhang steht Ihr Duell mit den persönlichen Ange­legenheiten des Herrn von Levetinczy? Ich werde Ihnen so lange zuhören, so lange das, was Sie mir zu sagen haben, Herrn v. Levetinczy betrifft;- so wie Sie auf einen anderen Gegenstand übergehen, werde ich mich entfernen." Der Major verneigte sich mit gedankenvollem Ernst. Ich beginne also damit, gnädige Frau, daß sich hier in der Stadt ein unbekannter Mensch herumtreibt, der die Uniform eines Marine- Offiziers trägt, und dem diese Uniform das Vrivilegium giebt, überall Butritt zu haben, wo Offiziere find. Er scheint ein Lebemann und ein unterhaltender Gesellschafter zu sein. Wer er eigentlich ist, darüber weiß

idh nichts Näheres, denn es ist nicht meine Art zu spioniren. Dieser Mensch pflegte seit Wochen sich mit uns zu unter­halten; an Gelb scheint es ihm nicht zu fehlen; als Grund feines Hierseins gab er Jedermann an, daß er auf Herrn non Levetinczy warte, mit dem er eine sehr wichtige Ange­Legenheit persönlich abzumachen habe. Die Sache fing nach­Berabe an, uns zu enuyiren. Der Mensch erfundigte fich täglich nach Herrn v. Levetinczy, und schnitt dazu ein fo ge

-

Insertionsgebühr

beträgt für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Versammlungs. Anzeigen 20 Pf. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin SW., Zimmerstraße 44, sowie von allen Annoncen- Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 3-7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtagen bis 10 Uhr Vormittags geöffnet. Fernsprecher: Amt V1. Mr. 4106.

Expedition: Bimmerffrakže 44.

bas konstante thut. Bei einer achttägigen Lohnzahlung be­hält der Unternehmer den Werth der Arbeitskraft sieben, sechs und so fort Tage ein, während er ihr Produkt, in welchem die Arbeit der noch nicht bezahlten Arbeitskraft steckt, als einen Werth besitzt, den er jeden Augenblick Geld­form annehmen lassen kann. Der Arbeiter leiht dem Unter­nehmer den Werth seiner Arbeitskraft sieben, sechs und so fort Tage. Offenbar ist das ein großer Vortheil für den Unternehmer; er kann das Geld, das er dem Arbeiter schuldig ist, das er sonst als variables Rapital anlegen mußte, als tonſtantes Kapital anlegen; und dies vergrößerte tonstante Kapital das dann natürlich auch eine Ver­mehrung der Arbeitskräfte verlangt saugt dann im Ver­hältniß mehr Mehrwerth ein. Mit anderen Worten: Der Arbeiter leiht dem Unternehmer ein Kapital, das dieser nicht zu verzinsen braucht.

Naturgemäß wird der Unternehmer suchen, die Fristen der Lohnzahlungen zu vergrößern, er wird, wenn es mög­lich ist, nicht alle acht Tage, sondern alle vierzehn Tage oder vier Wochen zahlen. Aber da er dem Arbeiter doch dafür nicht den wahren Grund angeben kann, so wird er irgend welche Gründe aushecken, mit denen er ihm womöglich be­weist, daß eine Verlängerung der Lohnfristen fogar in feinem, des Arbeiters, Interesse sei.

Betrachten wir nun, wie sich diese Verhältnisse in den Augen der königlich preußischen Gewerberäthe ausnehmen! Der Beamte für Düsseldorf erklärt sehr richtig: Im Allgemeinen zeigt sich in der Großindustrie das Bestreben, in größeren 3wischenräumen zu löhnen."

Freilich sind die Arbeiter doch scharfsichtiger, als die Herren Unternehmer glauben, und auch scharfsichtiger als die Regierungsbeamten. Der Gewerberath für Ost- und West­ preußen fagt bei Gelegenheit seiner Berichte über die Lohn­verhältnisse: Eine Berzinsung erfolgt nur in sehr verein­zelten Fällen; die hierin scheinbar liegende Unbilligkeit ver­mindert sich auf ein Geringes, wenn man berücksichtigt, daß bei einem so kleinen Kapital immerhin sehr unbedeutende 3insbeträge, höchstens 15 Pfennige, in Frage kommen". Es handelt sich eben nicht um ein so kleines Kapital", sondern um eine Summe von so kleinen Kapitalen", und es handelt sich nicht um einfache Verzinsung, sondern um die Erzeugung von Mehrwerth, nicht vier Prozent, sondern vielleicht zehn, fünfzehn, zwanzig Prozent. Der Düffel dorfer Gewerberath erzählt denn auch:" Der letteren Auf­fassung entspricht denn auch die der Arbeiter, bei welchen sich indessen auch außerdem wohl die Meinung vertreten findet, als ob der Arbeitgeber sich durch den einbehaltenen Lohn auf Kosten der Arbeiter ein zinsfreies Betriebskapital verschaffen wolle,"

Die Gründe, welche die Kapitalisten anführen, um die längeren Löhnungsfristen zu entschuldigen, werden meisten­theils von den bekannten Vorwürfen über die Unwirthschaft­lichkeit der Arbeiter hergeholt. Wenn der Arbeiter seinen

heimnißvolles Gesicht, daß wir zuletzt auf den Gedanken ge­riethen, er müsse ein Abenteurer sein. Eines Tages trieben wir unsern Mann in die Enge. Wir wußten nicht, wie wir mit einem Menschen daran sind, der sich in unserer Gesell­schaft bewegt. Ich nahm ihn ins Examen. Er rutschte wieder mit seinen gewöhnlichen Phrasen hervor, daß er mit Ihrem Gemahl etwas abzumachen habe. Auf die Frage, warum er sich nicht an den Geschäftsleiter des Herrn von Levetinczy wende, erwiderte er, daß es Angelegenheiten sehr delikater Natur seien, die nur persönlich erledigt werden können. Auf diese Antwort entschloß ich mich, ihm schonungslos auf den Leib zu rücken. Hören Sie", sagte ich zu ihm, ich glaube nicht, und wir alle zweifeln daran, daß Sie irgendwelche persönliche Angelegenheiten mit Herrn von Levetinczy haben tönnen, welche delikater Natur find.

"

Wer Sie sind, wissen wir nicht, das aber wissen wir, daß Herr von Levetinczy ein Ehrenmann ist, ein Mann von Geist und Charakter, dessen Vermögensverhältnisse, dessen Ruf und Stellung in der Gesellschaft für Jedermann bekannte Größen sind. Außerdem ein Mann, der als Fa­milienhaupt ein unbescholtenes Leben führt und der daher feinen Grund haben kann zu geheimnißvollen Zusammen­fünften mit Leuten Ihres Kalibers."

Während der Major so sprach, hatte sich Timea lang­fam von ihrem Sig erhoben; sie trat vor ihn hin und sagte: Ich danke Ihnen."

Und auf's Neue sah Timar auf ihrem weißen Antlig

jenes ihm bisher unbekannt gebliebene Rofenroth aufflammen, das nun dauernd darauf blieb. Die Frau hatte bei dem Gedanken sich erwärmt, daß eben der Mann, den ihr Herz anbetet, jenen andern Mann so vertheidigt, der als ihr ange­trauter Gatte zwischen ihren Herzen steht.

Der Major fuhr in seiner Erzählung fort und suchte babei, um Timea mit seinen Blicken nicht zu verlegen, sich einen anderen Gegenstand im 3immer aus, auf den er seine Blicke heften konnte, wie diejenigen einen festen Punkt zu

Lohn bekommt, so hat er ja bekanntlich nichts Eiligeres zu thun, als in die Kneipe zu laufen und ihn dort zu vers saufen. Wenn er nun 52 Mal im Jahre gelöhnt wird, so befäuft er sich 52 Mal; wird er 26 Mal gelöhnt, so besäuft er sich 26 Mal; und wird er gar nur 12 Mal ge= Löhnt, so findet das Besaufen nur 12 Mal statt. Es ist also wesentlich im Interesse der Arbeiter, sowie auch ihrer hungernden Frauen und Kinder, wenn der eble Kapitalist feinen Lohn zurückbehält.

Andere Gründe sind: wenn der Arbeiter am Monats­

schluß eine größere Summe Geld in der Hand habe, so sei

er den großen Ausgaben für Miethe 2c. besser gewachsen; er könne überhaupt en gros einkaufen, wo er alles viel billiger bekomme.

Der letzte Grund ist, daß der Kapitalist durch den ein­behaltenen Lohn gegen den Kontraktbruch", will sagen Streit, seiner Arbeiter geschützt sei; im Fall des Kontraft­bruches soll nämlich der rückständige Lohn den Arbeitern nicht ausgezahlt werden. Freilich nüßt das nicht viel; ,, un­geachtet dessen kommt der Kontraktbruch nicht selten vor," flagt der preußische Beamte.

" 1

23 88

"

H

"

"

5 131

2245 10 195 660

"

"

" 1 "

12 715

"

" "

"

In dem Bericht für Minden und Münster sind 3ahlen gegeben über die Verhältnisse zwischen den Fabriken, welche wöchentlich und denen, welche seltener lohnen. Monatlich zahlen 36 Betriebe mit 10 525 Arbeitern, Halbmonatlich Alle 2 Wochen Alle 12 Tage Wöchentlich Natürlich sind diese weit auseinanderliegenden Lohn­fristen für die Arbeiter vom größten Nachtheil, da sie ihre Arbeitskraft auf Borg verkaufen müssen, so müssen sie noth­wendig auch die Lebensmittel, welche die Arbeits­kraft produziren, auf Borg Borg einkaufen, und je weiter die Lohnzahlungen auseinander liegen, desto länger müssen sie borgen, je länger sie aber borgen müssen, desto theurer taufen sie ein. Sehr instruktiv ist dafür eine Bemerkung in dem Düsseldorfer Bericht: Die Anlagen einer Glasfabrik liegen abgesondert, die Arbeiter wohnen in der Nähe der Arbeitsstätte in einer zur Fabrik gehörigen Rolonie und erhalten wöchentlich ihren Lohn. Innerhalb der Stadt selbst befinden sich drei Drahtstift= fabriken, welche vierzehntägig lohnen. Das Borgen ist unter den Arbeitern Gang und Gäbe und dauert mit wenigen Ausnahmen von einem Löhnungstage bis zum andern, in der Stadt demnach 14 Tage, in der Glashütte 8 Tage. Nach den Erfahrungen meines Gewährsmannes sind nun die Preise der Lebensmittel nächst der Glasfabrik wesentlich niedriger, als in der 20 Minuten entfernten Stadt, und er schreibt das hauptsächlich der kürzeren Löhnungsfrist zu.

wählen pflegen, welche in einer spannenden Erzählung begriffen find. Als einen solchen ersah er sich den Drachen­topf auf dem Bilde des heiligen Georg. Dieser Drachen­topf war nun aber gerade die Stelle, durch welche Timar in das Zimmer lugte, so daß es diesem vorkam, als würde der Major seine Worte direkt an ihn richten, obwohl es dort, wo Timar stand, so dunkel mar, daß Niemand ihn sehen konnte.

" 1

Auf das hin verwandelte sich plößlich das Gesicht jenes Menschen, er fuhr auf, wie ein schlafender Hund, den Jemand unversehens auf den Schwanz tritt. Was?" schrie er, so daß es Alle hören konnten. ,, Sie halten also Levetinczy für einen reichen Mann, der einen berühmten Namen hat, für einen Mann von Geist, einen glücklichen Familienvater, einen treuen Unterthan? Nun ich werde Ihnen

zeigen, daß dieser Mensch, diefer Levetinczy, wenn ich ihn

treffe, Tags darauf Reißaus nehmen wird von hier, daß er, sein Haus und sein schönes Weib im Stich lassend, aus Ungarn , aus Europa fliehen wird und daß Sie nie mehr von ihm werden zu hören bekommen."

Timea's Hand verirrte sich unwillkürlich an den Griff des zerbrochenen Säbels.

"

Statt aller Antwort versetzte ich diesem Men­schen einen Schlag ins Gesicht." Timar zog den Kopf von der Späherlücke fort, als fürchtete er, der Schlag werde ihn treffen.

Ich sah gleich, daß dieser Mensch bereute, was er ge­sagt hatte; er hätte sich gern von den Konsequenzen dieses Faustschlages verkrochen; aber ich ließ ihn nicht los. Ich vertrat ihm den Weg. Sie sind Soldat, Sie tragen einen Säbel. Sie werden wissen, wozu unter Männern von Ehre ein solches Renkontre führt. Dort oben im Gasthof ist ein geräumiger Tanzsaal; wir lassen die Kerzen anzünden, dann wählen Sie sich zwei von uns zu Sekundanten, auch ich wähle mir zwei, und dann fechten wir unsere Sache aus". Wir ließen ihm keine Minute Bedenkzeit. Der Mensch focht