Ur. 338. Freitag» hm 11. Oktober 1889« H. Zabrg. Brgan für die Interessen der Arbeiter. Das..Berliner Voltsblatt" «scheint täglich Morgens außer nach Sonn- und Festtagen. AbonnementSpreiS für Berlin frei »n's Haus vierteljährlich 4 Marl , monatlich 1�5 Morl, wöchentlich 35 Pf. Einzelne Nummer 5 Pf. Sonntags-Nummer mit demSonntags-Blatt" 10 Pf. Bei Abholung aus unserer Expedition Zimmerstraße 44 1 Marl pro Atonal. Postadonnemen« 4 Mark pro Quartal. (Eingetragen in der PostzeitungSvreisltste für I88S unter Ztr. 866.) Für da» Ausland: Täglich uuler Kieuzdano durch unsere Expedition 3 Atark pro Monat. Jttsertionsgebühr beträgt für die 4gespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pf., für Vereins- und Vcrfaminlung«» Anzeigen 20 Pf. Inserate werden bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition, Berlin 8W., Zimmerftraße 44, sowie von allen Annoncen-Bureaux, ohne Erhöhung des Preises, angenommen. Die Expedition ist an Wochentagen bis l Uhr Mittags und von 37 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Festtogen bis 10 Uhr Vormittags geöffnet. -« Fernsprecher: Amt vi. Mr. 4100. VodakNon: DeuthPkvatze S. Exprdrkion: IimmerpkraHe 44. Die lDaI|len unv vee SeziMisnrus in Isennkreich. Ein amerikanisches Arbeiterblatt veröffentlicht über die Lage der sozialistischen Partei und den Ausfall der Wahlen einen Artikel, den wir zum vollen Abdruck bringen, weil er m allen Hauptpunkten den Anschauungen entspricht, den auch wir über die Entwickelung des Sozialismus in Frank­ reich haben. Der Artikel ist unmittelbar nach dem Ausfall der Hauptwahlen geschrieben, sein Inhalt ist aber durch den Ausgang der Nachwahlen nur bestätigt worden. Der Artikel lautet: Man ist im Auslande, und zwar theilweise auch Seitens der Sozialisten, im Unklaren über Umfang und Tiefe der französischen sozialistischen Bewegung und nimmt meist ohne Weiteres an, daß in Frankreich eine starke und wohlorganisirie sozialistische Arbeiterpartei existire. Diese Annahme ist jedoch eine irrthümliche, und es muß ihr im Ariteuffe unserer Sache selbst entgegen getreten werde». Wir Sozialisten dürfen uns nicht in Illusionen wiegen, sondern müffen den Thatsachen klar ins Auge blicken, mögen dieselben nun angenehm oder unerquicklich sein. Die falsche Auffaffung und Beurtheilung der französi- schon Bewegung wurzelt meist in dem Schluffe, daß Frank- reich als klassisches Land der Revolutionen unbedingt auch eine kräftig entwickelte sozialistische Partei besitzen muffe, um so mehr, da die Verhältniffe einer Bewegung seitens der Arbeiter viel freien Spielraum gewähren, und der bewegliche, thatenfrendige Charakter der Bevölkerung einem Gedeihen der Bewegung nur unendlich günstig sein kann. Thatsachen, die sich auf Thatsachen häufen, zeigen, daß die moderne Arbeiterbewegung selbst in den monarchi - scheu Ländern mit jedem Jahr an Stärke und Festigkeit der Organisation zunimmt und trotz eines sich stetig steigernden unerhörten geistigen und polizeilichen Druckes zu einem mächtig einherfluthenden Strom anschwillt. Folglich, ist man denken geneigt, muß die Bewegung in Frankreich , dem republikanischen Frankreich , dem revolutionären Frankreich , einen noch weit intensiveren und tiefer gehenden Charakter tragen. Die Wirklichkeit stimmt jedoch zu solcher Voraussetzung sehr schlecht. Die Ursachen, warum die französische Arbeiter- bcwegung gegenwärtig noch so schwach entwickelt ist, sind vielfacher Natur und werden bei Beurtheilung der fran- zösischen Parteiverhältniffe oft nicht genügend in Betracht gezogen. In erster Linie dieser Ursachen stehen wohl die vielen Revolutionen, die seit bald einem Jahrhundert Frankreich nicht zur Ruhe kommen ließen und noch obendrein die energischsten und intelligentesten Kräfte aus dem Volke dahinmähtcn. Revolutionäre von Profession erblickten I»achtruck«rbolm.Z Feuilleton. sL8 Vin<ß o 1& m c n f dj. Roma» von Mauru « I 6 k a i. »Was für ein sonderbares Siegel das ist," sagt der Major, als ,hm cm Brief in die Hand kommt, der mit einem Goldkäfer zugeklebt ist.In der That," sagte Timea, auch mir ist er aufgefallen." Der Major erbricht ihn; vachdem er die ersten Zeilen gelesen:Gnädige Frau, in Ihrem Zimmer ist ein Bild des heiligen Georg," erstirbt ihm das Wort im Munde; seine Augen rollen wild, während er leise für sich weiter liest, seine Lippen werden blau und kalter Schweiß tritt ihm auf die Stirn; plötzlich schleudert er den Brief auS der Hand und stürzt wie ein Rasender auf da« Sankt Georgs-Bild zu, stößt es mit der Faust ein und reißt es sammt dem schweren Rahmen auS der Wand. Dort gähnt der dunkle Schlund des Verstecks. Ter Major stürzt in die Finsterniß hinein, und kehrt pach einer Minute wieder zurück, die Beweisstücke des Mordes, das blutige Gewand Athalie'S hoch in der Hand haltend. Timea verbirgt erschrocken ihr Antlitz zwischen beiden Händen. Der Vizegespan hebt den weggeworfenen Brrcf auf, steckt ihn zu sich und legt auch Beschlag auf die Beweisstücke. Das Versteck fördert auch noch Anderes zu Tage: die Eiftdose und Athalie'S Tagebuch mit den schrecklichen Selbst- Geständnissen, welche in die Abgründe ihrer Seele ein Licht werfen, wie die phoSphoreszirenden Mollusken in die Korallcnwälder des Meeres. Welche Ungeheuer «-ohne» dort! Und Timea vergißt, daß ihre Hände zer- schnitten sind; mit ineinander gefalteten Fingern sieht sie freilich in diesen Revolutionen ein großes und fruchtbares Erziehungsmittel, die Volksmaffen zu befähigen, für Ver- besierung ihrer Lage einzutreten. Bei näherem Zusehen er- scheint jedoch dieses oft den deutschen Sozialisten entgegen- gestellte Erziehungsmittel etwas problematisch. Eine der- artige, wir möchten fast sagen: mechanisch-revolutionäre Bewegung setzt weder eine besonders erzogene VolkSmaffe voraus, noch wirkt sie besonders erzieherisch, um die Masten für ihre weitere geschichtliche Rolle vorzubereiten. WaS sie voraussetzt, ist weiter nichts als ein gegebener außerordent- sicher Moment der Begeisterung, und was sie wirkt, ist die Anfeuerung durch das Beispiel. Aber der Werth dieser beiden Faktoren ist für die innere Hebung der Volksmassen ein äußerst begrenzter; gewähnlich folgt auf sie sogar eine Periode der Erschlaffung und Erschöpfung. Die revolutionäre Tradition treibt auf die Barrikade und verwandelt Hunderte von sorg- und harmlosen Bürgern in kampfeLmuthige Löwen, aber sie vermag nicht jene zielbewußte Intelligenz und jene ruhige, kaltblütige Energie, jene stätige Anspannung aller Kräfte und pflichtfteudige Aufopferungsfähigkeit zu zeitigen, die Tag auS Tag ein, Stunde für Stunde auf Posten stehen läßt, und dies in einem Kampfe, der für den oberflächlichen Beobachter des Glorienscheins von Heroismus entbehrt und als alltäglich und bedeutungslos erscheint. Dies zeigt sich auch in Bezug auf die französische Be- wegung. Die Arbeitermaffe ist trotz der Revolutionen noch nicht in dem Maße, wie Viele voraussetzen, an die moderne sozialistische Bewegung herangezogen und für sie geistig ge- schult, und die geringe Energie, mit der sie in dieselbe ein- iritt, erklärt sich zum Theil durch die starken und häufigen Aderläffe, welche die französische Bourgeoisie(mit oder ohne radikale Phrasen) an dem französischen Proletariat vorge- »ommen hat. Speziell die letzte, 1871 stattgehabte Niederlage des französischen Proletariats hat die Masse in moralischer und physischer Hinsicht so geschwächt, daß sie bis jetzt noch nicht wieder zu iyrer ursprünglichen Kraft erstarkte und diese Kraft in zielbewußtem politischem Kampfe bethätigen konnte. Das Häuflein derer, die als Kämpfer in Reih' und Glied der modernen Arbeiterbewegung stehen, ist noch nicht groß genug, um eine gewaltige moralische Wirkung im Lande auszuüben� die breiten Schichten bringen ihm nicht das Vertrauen, die Herrschenden nicht die Furcht entgegen, welche die natürlichen Erforderniffe einer starken Arbeiter- partei sind. Als weiteren Grund der schwachen Bewegung finden wir die in Frankreich vorherrschende kleinbürgerliche Pro- duktionsweise, die einerseits die Klassengegensätze nicht so scharf hervortreten und zum Bewußtsein gelangen läßt, andererseits bisher nur wenig große Arbeitszentren schuf Paris hiervon abgerechnet, das Herz und der Kopf Frank- reichs ist. Die Provinz hat erst in letzter Zeit ein selbst- ständiges Leben angefangen, und mit diesem hat auch erst seit kurzem eine Bewegung des provinzialen Proletariats die Herren an, den Arzt, den Vizegespan und ihren Bräuti- gam, sie möchten Niemandem davon erzählen und die Sache geheim halten... Das aber ist unmöglich. Die Beweisstücke sind in den Händen des Vizegespans und für Athalie ist keine Gnade mehr, außer bei Gott . Und auch Timea kann sich nicht länger der gesetzlichen Vorschrift entziehen. So wie sie das Zimmer verlassen darf, muß sie vor dem Gerichte er- scheinen und sich mit Athalie konfrontiren lassen. O, das war für sie ein grausamer Zwang. Auch jetzt kann sie ja nichts anderes aussagen, als daß sie sich an nichts erinnere, waS dem Mordattentat vorausging. Nun muß auch die Vermählung mit dem Major be- schleunigt werden; vor dem Gerichtshof kann Timea nur als Gattin Katschuka's erscheinen. So wie Timea's Rekon- valeScenz es gestattet, geht die Trauung ganz in der Stille und im Hause vor sich ohne Sang und Klang, ohne Gäste und Hochzeitsschmaus. Nur der Geistliche und die Beistände der Vizegespan und der Hausarzt waren anwesend. Andere Besuche dürfen gar nicht vorgelassen werden. Die menschliche Gerechtigkeit erspart ihr nicht die pein- liche Szene, noch einmal ihrer Mörderin vor die Augen treten zu müssen. O! Athalie zittert nicht vor diesem Augen- blick. Sie erwartet mit Ungeduld den Moment, wo man ihr Opfer ihr vorführen wird. Wenn mit nichts Anderem, so wünscht sie wenigstens mit den Blicken ihrer Augen dem- selben noch einmal einen Stoß ins Herz versetzen zu können. Sie zuckt aber dennoch zusammen, als der Gerichtspräses die Worte spricht:Man rufe die Gemahlin Emerich Katschuka's herein." Die Gemahlin Emerich Katschuka's: Also ist sie den- noch seine Frau! Dann aber verräth sie trotzdein eine nicht zu verhehlende Befriedigung in ihren Zügen, als Timea hereintritt, und Athalie dies mehr als je bleiche Antlitz begonnen, eine Bewegung, die in erster Linie das Werk der Kollektivisten ist mnd sich schon von Anfang an durch große prinzipielle Erfolge auszeichnet. Endlich sind die vielen revolutionären und utopistisch- sozialistischen Schulen zu nennen, die bisher hinderten und noch heute hindern, daß die nüchterne zielbewußte moderne Bewegung tieferen Grund faßte. Frankreich zeigt eine wahre Musterkarte von sozialistischen Schulen und Schulchen, welche die Masse der Arbeiter in kleine, meist fanatische, sich gegen- einander abschließende Gruppen zersplittern. Am tiefgehend- sten und weitverbreitetsten wirkt noch Proudhon'S Einfluß nach, dessen kleinbürgerliche Utopien der kleinbürgerlichen Produktionweise und dem kleinbürgerlich-radikalen Geist am meisten zusagen. So hat der moderne Sozialismus bei aller äußeren Entwickelungssreiheit einen wahren Riescnkampf mit den französischen Arbeitern selbst zu führen, und sein Marsch kann nur langsam, Schritt für Schritt, vorwärts gehen. Er kann sein Programm eben nicht auf eine tabula rasa schrei­ben, sondern muß erst Zug um Zug das auslöschen, was frühere, kommunistisch angehauchte Systeme im Volksbewußt- sein gegraben haben. Für den bei weitem größten Theil der Arbeiterschaft, der sich an der Bewegung betheiligt oder mit ihr sym- pathisirt, konzentriren sich alle Fragen in der sozialen Revolution". Aber über das, was ihr vorausgehen, das, was ihr folgen muß, herrscht die größte Begriffsverwirrung. Jeder hat dafür sein eigenes Rezeptchen in der Tasche, dem gegenüber die Beweisführungen des modernen Sozialismus nicht vorhanden scheinen. UebrigenS legen die gebildeten Klassen des Landes eine noch größere Unkenntniß des Sozialismus an den Tag, für sie sind Sozialismus und Anarchismus einfach identisch und decken sich mit der Vor- stellung von Revolution nach der alten bekannten Heugabel- schablone. Die angedeuteten Ursachen verlangsamen zwar die Be- wegung, vermögen aber nicht, dieselbe zu unterdrücken. Ihnen gegenüber steht die Thatsache fest, daß die verschiede- nen sozialistischen Schulen immer mehr zusammenschrumpfen und vor der Logik der ökonomischen Entwickelung ver- schwinden. Die Macht der Verhältnisse schafft eine moderne Arbeiterbewegung, wenn auch nur schwach und langsam." M orvefzxondrnzen. Vari«> den 7. Oktober. Die in den letzten Wochen so stürmisch bewegten Wogen des politischen Lebens sangen an, sich zu glätten. Bereits der Ausgang des ersten WahtgangeS hatte den Ton der Preßorgane der verschiedenen Parteien mit Ausnahme der boulangistischen Blätter bedeutend ruhiger und friedlicher gestimmt. Nachdem nun auch die Stichwahlen und auf der Stirn bis herab zur Schläfe einen rothen Strich erblickt, die Narbe des mörderischen HiebeS. Dies Andenken ist von ihr. Auch dann schwillt ihr schöner, stolzer Busen vor Wonne, als der Gerichtspräses Timea auffordert, bei dem lebendigen Gott zu schwören, daß sie auf die Fragen der Richter die Wahrheit sagen werde, und daß auch Alles«vahr, was sie bisher ausgesagt hat, und hierauf Timea ihren Handschuh auszieht und die Hand emporstreckt, welche durch die Narbe einer schrecklichen Hiebwunde verun- staltet ist. Auch das ist ein Brautgeschenk von Athalie. Und Timea schwört mit der zitternden verwundeten Hand, daß sie Alles vergessen habe, und sich nicht einmal mehr zu er- ,nnern wisse, ob der Mörder, mit dem sie gerungen, ein Mann oder ein Weib gewesen. Elende!" murmelte Athalie zwischen denZähnen.(Habe» sie doch Leib an Leib mit einander gerungen.)WaS ich zu thun gedacht, dessen wagst Du nicht einmal mich anzu- klagen." Um daS befragen wir Sie jetzt nicht," sagte der Präsident.Wir richten nur die Fragen an Sie: Ist dieser von Kinderhand geschriebene, mit einem Käfer ver- siegelte Brief wirklich auf der Post an jSie gelangt und zwar am Tage des Attentats? War er damals noch uner- brochen und hatte Niemand Kenntniß von seinem Inhalt?" Timea antwortete ruhig auf alle diese Fragen mit Ja oder Nein. Nun wendet sich der Präsident an Athalie...Und jetzt hören Sie, Fräulein Athalie BrazovicS, was in diesem Briefe steht:Gnädige Frau! In Ihrem Zimmer befindet sich ein Bild deS heiligen Ritters Georg an der Wand. Dies Bild verdeckt ein Versteck, zu welchem der Eingang sich im Ge- schirrschrank befindet. Lassen Sie dieses Loch vermauern und wachen Sie über Ihr theures Leben, das lang und glücklich sein möge. Dodi." Und damit hebt der Präsident einen Teppich vom Tisch,