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Dmmrrstag. de« 17. Oktober 1889.
6. Jahrg.
Krgan für die Interessen der Arbeiter.
Theusvungszulsge. Aus Sachsen kommt eine Nachricht, die wohl geeignet ist, die Aufmerksamkeit weitester Volkskreise auf sich zu ziehen. Die sächsische Regierung wird nämlich dem Land- tage zu Dresden eine Vorlage machen, die sich auf die niederen Bahnbeamten bezieht. In dieser Vorlage verlangt die Negierung eine Theuerungszulage für diese schlecht bezahlte und doch so angestrengte Beamtenkategorie. Wir haben gegen diese Vorlage im Allgemeinen Nichts einzuwenden; ob im Besondern, können wir nicht sagen, bevor uns der Wortlaut vorliegt.' Die niederen Bahn- beamten— Weichensteller, Bahnwärter, Rangirer, An- kuppler, Heizer u. s. w.— haben ein Einkommen, mit dem sie kaum bestehen können. Dazu haben sie noch einen äußerst verantwortungsvollen Dienst. Hundert Mal ist schon darauf hingewiesen worden, wie sehr diese Beamten mit Arbeiten überbürdet sind, so daß man sich nicht wundern darf, wenn die Eisenbahnunfälle so häufig sind. Das ge- ringe Einkommen zwingt diese Angestellten, sich nach Neben- arbeiten umzusehen, was besonders bei dem Hilfspersonal, unter dem sich bekanntlich auf manchen deutschen Bahnen auch Frauen befinden, der Fall ist. Man würde das Gefühl der Sicherheit bei dem reisenden Publikum sehr stärken, wenn man diese Beamten besser bezahlen und sie weniger mit Lasten überbürden wollte. Daß man auf die Theuerung ge- wartet hat, um ihnen eine— jedenfalls nicht übermäßige— Zulage zu gewähren, ist in gewisser Beziehung bezeichnend. Es hätte gewiß nichts geschadet, wenn inan einen solchen Gedanken schon früher gefaßt und ausgeführt hätte. Zndessur haben wir die Thatsache vor uns, daß eine der deutschen Regierungen die Theuerung offiziell anerkannt »nd einer Beamtenkategorie infolge dessen eine Zulage ge- währen will. Wir wollen nur hoffen, daß nun nicht auch die Geheimräthe und die Oberpräsidenten, die Kirchenräthe und die Kreisdirektoren kommen und unter Hinweis auf die Theuerung der Lebensmittel eine Gehaltszulage verlangen. Denn es giebt Leute in den Volksvertretungen, die solche Zulagen einer hohen Bureaukratie viel lieber bewilligen, als den niederen Beamten an der Eisenbahn. Man erkennt also offiziell an, daß die Lebensmittel- preise eine Höhe erreicht haben, die eS unmöglich macht, mit einem gewissen Einkommen zu leben. Nu«, wir freuen uns, wenn den sächsischen niederen Elsenbahnbeamten etivaS geholfen werden soll. Aber es be- finden sich in Sachsen und im Reich noch viele Tausende, ja viele Millionen von Menschen, die eben so schlecht oder noch schlechter gestellt sind, wie die niederen Bahn- beamten in Sachsen . Alle diese Menschen werden die Theuerung auf's Empfindlichste verspüren. Vom Fleisch werden Millionen Familien in diesem Winter trauriger Weise nicht viel sehen und sie werden
IseuMeton.
(stachdruck Bttboltn]
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05 e r nt i n a l. Sozialer Roman von Emile Zola . Einzig autorifirte Uebersetzung von E r n st Z i e g l e r. Und bis zum Voreux hin bewegte sich, unter dem Pfeifen des Windes, eine lange Kette schwarzer Schatten: Die Bergleute, welche zur Arbeit zogen. Die Schultern vorschiebend, die Arme auf der Brust gekreuzt, kamen sie daher, während die Ziegel ihnen am Rücken Buckel machten. Es fror sie in ihren dünnen Leinenkütteln, doch sie trotteten langsam fürbaß, Schritt für Schritt, wie eine Heerde. " Stephan hatte sich entschlossen, in die Mine zu gehen. Doch Alle, die er fragte, ob es keine Arbeit für ihn gebe, zuckten die Achseln und meinten dann, er solle auf den Oberaufseher Dansaert warten. Man ließ ihn frei herum- vren zwischen den spärlich beleuchteten Gebäuden, mit ihren unheimlich schwarzen Vertiefungen und ihrem Labyrinth von Sälen und Korridoren. Er war eine dunkle, halbzerstörte �eppe hinaufgestiegen, hatte eine schwanke Brücke über- schatten und sich durch einen Schuppen getastet, der so finster war, daß er sich nur schrittweise mit den Händen vor- «'arts gesucht, um nicht zu fallen; plötzlich befand er sich vor zwei enormen gelben Lichtern, die wie Riesenaugen aus dem Finstern blickten. Er war im Schachthause, dem Ein- gang der Grube. Ein Aufseher, der Vater Richomme, ein beleibter Mann nnt gutmüthigem Gendarmengesicht, ging vorüber; Stephan redete ihn an: �»Braucht man hier Niemanden für irgend welche Ar- Richomme wollte Nein sagen, aber er besann sich und antwortete wie die Anderen:
den hohen Fleischpreisen dadurch entgehen, daß sie von Brot, Kartoffeln und Kaffee leben. Aber auch her Preis von Brot und Kartoffeln wird steigen infolge der schlechten Ernte und der Ertrag des deutschen Bodens wird nicht ausreichen. So werden denn Cerealien eingeführt werden müssen und diese können dann nur arg vertheuert durch die Zölle auf den Markt kommen. Das wird ein Fest werden für die Händler, Aufkäufer und Spekulanten, die solch„günstigen Moment" schon lange herbeigesehnt haben. Denn unsere wirthschaftlichen Einrichtungen sind so mangelhaft, daß in Zeiten der Roth trotz unserer hochge- stiegenen Kultur der arme Mensch gerade so verlassen ist, als lebten wir noch in Urzuständen und wären die modernen Verkehrsmittel gar nicht vorhanden. Dahin werden die sich steigernden Kohlenpreise kommen und die sich noch immer, trotz allen Bauens, in den Städten steigernden MiethSpreise, da die Grundbesitzer, in dieser all- gemeinen Zagd nach Erwerb, aus Häusern und Grundstücken auch herausschlagen, waS sie können. Wo bleibt aber die Theuerungszulage für die Hundert- taufende und Millionen, die unter der allgemeinen Roth und Theuerung leiden müssen? Darauf wird man antworten: Die Regierungen können nur Beamten Zulagen gewähren; die Unternehmer und Arbeitgeber aber können die Löhne nicht aufbessern, denn sie stehen nach wie vor unter dem Banne der Konkurrenz welche sie zwingt, die Produktionskosten möglichst einzu- schränken. Was wird also geschehen? WaS gewöhnlich geschieht, nämlich—Nichts. In den armen Provinzen aber, fürchten wir, wird die Theuerung einen N o t h st a n d be- wirken— eigentlich ist er ja permanent, dieser Nothstand — und wenn dann in Folge dessen Epidemien aus- brechen und Landstriche verheeren, dann wird man mit Roth- stanvSvorlagen kommen— zu einer Zeit freilich, da es für Viele schon zu spät ist. Aber kann man denn gar Nichts thun? O ja, man könnte sogar sehr viel thun. In erster Linie könnte man die Getreidezölle aufheben, damit die Brotvertheuerung ein Ende nähme. Allein die Herren Großgrundbesitzer und Junker, die A gr a ri er aller Art, die sich sonst so sehrihres warmen Herzens für daS Volk rühmen, werden ihren Vortheil nicht aufgeben wollen und werden auf demselben Standpunkt verharren, den sie gegen- über dem Antrag Bebel-Singer auf Abschaffung der Korn- zölle eingenommen haben. Dagegen werden die Matadore der Börse, wenn wieder eine russische Anleihe gemacht wird, sehr stark in russischen Werthen spekuliren und werden sich ganz von selbst eine Theuerungszulage machen. Solche Leute haben es doch am Besten.
„Warten Sie auf den Oberaufseher Dansaert." Die Reflekteure von vier Laternen beleuchteten die Mün- dung des Schachtes und beschienen grell die eisernen Ram » !>en und die Leitpfosten, zwischen denen die Aufzugmaschine ich bewegte; der Rest des großen Raumes lag in einer chleierhaften Halbhelle, wie ein Kirchenschiff, und war von allerhand Schatten belebt. Nur ganz im Hintergrund glänzte sehr hell das Magazin der Grubenlichter, während aus dem Empfangsbüreau eine einzige kleine Lampe herüberblinzelte, wie ein Stern, der verlöschen will. Die Förderung hatte eben wieder begonnen. Die Kohlen- karren polterten mit rollendem Donner auf den eisernen Fliesen und die Wagenstößer schoben sie mit gebücktem Haupt und gebogenem Rücken fort. Es war ein ewiges Bewegen schwarzer Dinge und ein ewiges Lärmen. Einen Augenblick blieb der junge Mann wie betäubt und geblendet. Eisige Zugluft durchfuhr die Halle; ihn fror. Er nahte sich der Dampfmaschine, deren glänzendes Stahl- und Kupfergetriebe ihn anzog. Sie thronte fünf- undzwanzig Meter hinter dem Schacht in einem erhöhten Raum so solid auf ihrem Ziegelfundament, daß, obwohl sie mit der ganzen Wucht ihrer vierhundert Pferdekräfte ar- beitete, doch ihre immense Treibstange, ohne den Boden er- zittern zu machen, sich geschmeidig hob und senkte. Der Maschinist stand daneben, auf die Signalglocken horchend und den Blick auf eine Miniatur-Darstellung des Schachtes geheftet, wo jede Etage angemerkt war und wo kleine Blei- stücke, die Fahrkünste oder Aufzüge vorstellend, an Fäden auf- und niederstiegen. Und jeoesmal, wenn die Maschine sich in Bewegung setzte, drehten sich die fünf Meter weiten Räder, auf denen die stählernen Grubenseile sich auf- und abrollten, mit solcher Geschwindigkeit, daß sie nur wie ein graues Staubgewebe erschienen. „Aufpassen!" riefen zwei Arbeiter, welche eine nesige Leiter heranschleppten. Stephan sprang schnell zur Seite. Nach und nach sing sein Auge an, sich zu gewöhnen. Er blickte zur Decke, wo
Dieser Winter wird, sollte er hart werden, über unser Volk viel Ungemach bringen. Mißwachs und Theuerung— der Schrecken der Armen, dessen Wirkungen man durch die fortgeschrittenen Einrichtungen unserer Zeit abgeschwächt glaubte, droht heute noch wie in alter Zeit. Gehen wir denn immer rückwärts?
Derschen GesellsAsten in Amrika und die CiNMNdming. Die Deutsche Gesellschaft von Milwaukce hat ihren Schwester» vereinen, welche nächstens in Milwaukee zu einer Konvention zusammenkommen, eine Vorlage gemacht, nach welcher sich diese Gesellschaften zu einer Prinzipien- Erklärung vereinigen. Den Haupttheil dieser Erklärung nimmt die Frage der Einwanderung ein und lautet dieselbe folaendernraßen: Wir erkennen den hohen Werth an, welcher diesem Lande aus der Einwanderung erwachstn ist. Es mag zugestanden werden, daß die Entwickelung unserer natürlichen Hilfsquellen nur durch fremden Zufluß wachgerufen werden konnte. Aber trotzdem können wir uns der Thatsache nickt verschließen, daß der Gcsammtcharakier der Einwanderung sich im Laufe der Jahre bedeutend verändert hat, und daß beisvielsweise im letzten Jahre der deutsche Zuzug kaum den fünften Theil der Gesammtzahl der Einwanderung bildet, nämlich: 109 000 aus 546 000, während' die Zahl der unga» rischen Einwanderer um 16 000, die Italiener um nahezu 52 000, die Russen um 40 000 und die Jrländer um 75 000 angewachsen ist. Ein Jeder, welcher die statistischen Erhebungen verfolgt, wird zu dem Schlüsse gelangen müssen, daß seit den letzten zehn Jahren unsere deutsche Einwanderung um mehr denn dieHälfte zurückgegangen i st, wahrend die aus England, Schottland , Irland , Oesterceich's nicht deutschen Ländern, Ungarn , Italien und Rußland (aus den letzteren Distrikten keineswegs allzuwünschenswerth) stetig zu- genommen hat. Wir glauben an den von der Deutschen Gesellschaft von Milwaukee im Oktober 1387 aufgestellten Ansichten festhalten zu müssen, indem wir allseitig anerkennen, daß die vielen heterogenen(ungleichartigen) Elemente dieses Landes in etwas der Zeit und der Ruhe bedürfen, um sich zu einem Gesammt» korper mit ausgeprägtem Wesen und Rational - Charakter zu entwickeln. ES braucht die Einwanderung nicht mehr wie früher künstlich stimulirt zu werden. Wenngleich wir Willens sind, in der Zukunft, wie auch in der Vergangenheit ehrlichen und strebsamen Menschen herzlichst die Hand zu bieten, wenn solche wünschen, dieses Land, unter Beobachtung der bestehen- den Gesetze zur bleibenden Heimath zu gestalten, können wir doch andererseits Gesetzesflüchligen, Anarchisten, Nihilisten, OrtSarmen, CoolieS und derartigen �Persönlichkeiten keinerlei Sympathie entgegen bringen; für sie ist in diesem Lande ebenso wenig ein geeigneter Platz zu finden, als dies auf der anderen Seite des Ozeans der Fall zu fein scheint. Es muß in dieser Richtung alle Sentimentalität einer vernünftigen und die stählernen Grubenscile zum Thurm hinaufliefen, sich dort über Räder spulten, um endlich, an die Fahrkünste geheftet, jäh in den Schacht hinabzujaaen. Die Räder trug ein eisernes Gestell, das dem Gerüste eines Kirchthucmes gleich sah. Die Seile glitten dort hinauf, so lautlos und so sicher, wie ein Vogel durch die Luft streicht; und doch waren sie ungeheuer schwer und konnten bis zwölftausend Kilogramm mit einer Geschivindigkeit von zehn Meter in der Sekunde heben. „Paffen Sie doch auf!" riefen die Arbeiter wieder, die Leiter jetzt an die andere Seite tragend, um das linke Rad im Thurme zu untersuchen. Er näherte sich der Rampe. Dieser Riesenflug der Seile über seinem Kopfe fing an, ihn zu ängstigeu, klappernd vor Frost in dem kalten Zugwind, beobachtete er das Auf- und Niedersteigen der Fahrkünste, während das Rollen der Karren ihm schier das Trommelfell zerriß. Ueber dem Schacht befand sich das Signal: ein schwerer Hammer, den ein von unten gezogenes Seil auf einen Ambos fallen ließ. Ein Schlag bedeutete:„Halt," zwei: „Hinunter", drei:„Hinauf". Diese Keulenschläge über- tönten den Tumult; ein leises Geklingel begleitete sie, und durch ein Sprachrohr riefen die Arbeiter zu dem Maschinisten hinüber. Die Aufzüge kamen an die Oberfläche und ver- sanken in die Tiefe, leerten und füllten sich, ohne daß Stephan noch reckt sah und verstand, wie Alles geschah. Eines verstand er deutlich: die Grube verschlang Schaaren von Arbeitern, zwanzig, dreißig, vierzig mit einem Mal und das so leicht, als fühle sie es nicht. Um 4 Uhr früh hatte die Einfahrt der Bergleute begonnen; sie kamen mit nackten Füßen, ihr Licht in ver Hand, und warteten gruppenweise, bis sie in genügender.Zahl versammelt waren. Lautlos, wie ein nächtliches Raubthier, kroch der Auf- zug aus der schwarzen Tiefe empor und ankerte sich fest. Jedes seiner vier Stockwerke hielt zwei, mit Kohlen gefüllte Karren; die Arbeiter kamen, zogen die Karren heraus und schoben andere, thcilS leere, theils mit Grubenholz gefüllte