Ur. 244

Freitag, den 18. Oktober 1889«

S�Iahrg.

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lerlincrDolkslilalt. Drgan für die Interessen der Arbeiter.

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Die rärfjltWlcn Lsndksgsn»shlen. Der Ausfall der Ergänzungswahlen zum sächsischen Landtag ist weit günstiger gewesen, als die Partei erwartete. Sicher rechnete sie nur auf einen Sitz, Chemnitz II, statt desien hat sie 3 Sitze erobert: Chemnitz , Chemnitz Land und Stollberg -Lugau , in einem vierten, Crimmitschau -Werdau , ist sie mit nur K9 Stimmen in der Minorität ge- sieben. Ueberall fast hat die Partei bedeutend an Stimmen ge- wonnen, und so ist die kleine Scharte bei der Reichstags- wähl im Wurzen -Ofchatzer Wahlkreis doppelt und dreifach ausgewetzt. Diejenigen, welche aus dem letzten Vorgang schliefen zu dürfen glaubten, die Sozialdemokratie sei in Sachsen im Rückgang und diese Ansicht vertrat unter Andern dasFrankfurter Journal" und die bezügliche Notiz wurde vomReichSanzeiger" in seinem nichtamtlichen Theil zustimmend abgedruckt, werden jetzt eines besseren belehrt sein. Der günstige Ausfall der LandtagSwahlen für die So- zialdemokratie ist vielmehr ein günstiges Omen für die Ent- Wickelung der Partei und für den Ausfall der nächsten Aeichstagswahlen in Sachsen . Die leipziger Zeitung", die vor einiger Zeit in diesem Sinne den Ausfall der jandtagSwahl aufgefaßt wissen wollte, wird nunmehr die Konsequenzen aus ihrer Anschauung ziehen. Erfreulich werten ste allerdings für sie nicht sein. Um aber den Ausfall dieser Wahlen richtig würdigen zu kennen, ist nothwendig, das Wahlgesetz, aus Grund dessen die Wahlen stattfinden, näher zu kennen. Zunächst sei bemerkt, daß nach der sächsischen Verfasiung die zweite Kammer alle zwei Jahre in einem Drittel erneuert wird. Die Kammer zählt 80 Mitglieder, also trifft die Neuwahl alle zwei Jahre 26 bis 27 Wahlkreise, wozu denn noch die Wahlkreise der mittlerweile verstorbenen oder freiwillig aus- geschiedenen Mitglieder kommen, soweit deren Wahlkreise nicht zufällig zu den Wahlkreisen, welche nach dem Turnus zu wählen haben, gehören. Ferner ist bei den sächsischen Landtapswahlen Stadt und Land künstlich getrennt. Die Städte haben 35 Abgeordnete zu wählen, darunter Dresden 5, Leipzig 3, Chemnitz 2, Zwickau 1, das flache Land 45 Ab- geordnete. Diese Trennung von Stadt und Land will bei der großeü industriellen Entwickelung Sachsens weniger bedeuten, als anderwärts sind doch einige der besten Wahlkreise, in denen die Sozialdemalratie ihre Sitze hat, sogenannte ländliche Wahlkreise, z. B. die Jndustriedörfer um Leipzig und Chentnitz aber dennoch führt diese Trennung zu un- natürlich-r Verbindung von Orten die in ihren Interessen -oft gegensätzlich sind.

Iseuillekon.

Machdruck«rbotm.1

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Gsrminerl. S., zraler Roman von Emile Zola . Einzig autorisirte Uebersetzung von Ernst Ziegler. Mahxu kniete vor dem Schranke in der Wärmestube und zog se.ne Holzschuhe und Strümpfe aus, als Stephun kam. Mit. ein paar Worten war die Sache abqethan- Dreißig Sous pro Tag... die Arbeit ist ermüdend, aber sie ist bol-d gelernt." Der Häuer rieth ihm, seine Stiefel zu beHaften und lieh ihm eine lederne Grubenhaube zum Schutze des Kopfes, eine Vorsicht, die er und seine Söhne verschmähten. Dann nahm er die Schaufel von Fleurance aus dem Schranke, gab sie ihm und verwahrte seine und seiner Kinder Strümpfe und Schuhe in demselben, sowie das Packet Stephan'S. Jetzt aber wurde er plötzlich unge- duldig und brummte: Wo nur dieser Mensch, der Chaval, bleibt' er treibt sich wohl wieder mit den Dirnen herum! Wir sind schon nne halbe Stunde im Rückstände heute!" Zacharias und Levaque wärmten sich ruhig die Schul- tun unv ließen ihn schelten; endlich sagte du'Elftere: Tu wartest auf Chaval? Aber der ist ja vor uns ® mmn gleich eingefahren." -," Du weißt das, und sagst mir nichts?! Vor- war»! Vorwärts!" wachten sich auf den Weg. Käthchen ging hinter ,- ihr folgte Stephan. Wieder mußte er durch allerhand dunkle Treppen und Gänge, wo die nackten Füße un weiches Guäusch machten, wie alte Filzsocken. Aber plötzlich brach das helle Licht des Lampen-Magazins aus der Nacht. Es war ein Glashaus mit Gestellen an ven Wänden, rvonn Hunderte von Davy'S Sicherheitslampen, sarn vorigen

Das Wahlgesetz ist ein Zensuswahlgesetz. Wahlberechtigt ist du sächsischu Staatsangehöriger ist, das 25. Lebensjahr zurücklegte und mindestens drei Mark direkte StaatSsteuer bezahlt, odu Eigenthümu eines mit Wohnung vusehenen Grundstückes ist. Drei Mark Einkommensteuer werden bei einem Ein- kommen von 6700 M. bezahlt, da aber gerade in den Jndustriebezirken viele Arbeiter dieses Einkommen nicht besitzen, so schrumpft die Wählerzahl in manchen diesu Be- zirke erheblich zusammen und zwar derart, daß an Orten, wo die Partei bei den ReichstagSwahlen stets eine große Mehrheit hat, sie bei den Landtagswahlen nur eine kleine Minderheit auf ihre Kandidaten vereinigt. DaS gilt beson- derS von den Weber- und Strumpfwirkerbezirken. Das passive Wahlrecht, das Recht zum Abgeordneten gewählt werden zu können, hängt davon ab, daß der Kan- didat wenigstens 30 Jahre alt ist und 30 M. direkte Staatssteuer bezahlt. Diesu ZensuS wird bei einem Einkommen von 19002200 M. erworben. ES giebt nur sehr wenig Parteigenossen, die diesen ZensuS haben, und die auch geneigt sind, eine Kandidatur anzunehmen. Deshalb ist die Kandidatennoth bei den LandtagSwahlen chronisch und eS werden bei jeder Wahl einzelne Kandidaten drei und viermal aufgestellt. Diese Mehr- und Vielkandidaturen sind bis jetzt allen entgegenstehenden Bedenken zum Trotz nicht zu überwinden gewesen. Die Wahl selbst ist direkt und geheim. Unter so bewandten Umständen kann die Partei immer nur einen Theil der Wahlkreise, die bei der Wahl in Frage kommen, besetzen, und sie verzichtet von vornherein auf die rein ländlicher. Wahlkreise, in denen une uennenSwerthe Stimmenzahr nicht zu holen, ein Sieg unter keinen Um- ständen zu erzielen ist. Eine Eigenthümlichkeit des sächsischen Wahlver- fahrens ist noch, daß die relative Majorität genügt, vorausgesetzt, daß du Betreffende wenigstens ein Drittel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Diese scheinbar du Partei günstige Bestimmung veranlaßt aber die Gegner von vornherein jede Stimmenzersplitterung möglichst zu ver- meiden und du Sozialdemokratie geschlossen gegenüber zu treten. DaS Kartell untu dem Namen derOrdnungsparteien", bestand in Sachsen gegen die Sozialdemokratie lange Jahre, bevor man im übrigen Deutschland daran dachte. Der scharfe Klassengegensatz im industriell hochentwickelten Sachsen führte zur Vulöschung du Unterschiede zwischen den bürgeo lichen Parteien. Unter so bewandten Umständen traten die sächsischen Genossen in die LandtagSwahlen ein und daS Resultat, das sie in den von ihnen mit Kandidaten besetzten Wahlkreisen erzielten, ist folgendes:

Tage revidirt und gesäubut, in langen Reihen hingen, wie Kerzen in einer Todtenkapelle. Jeder Arbeiter empfing die seine, mit seinen Anfangsbuchstaben gemerkt, untersuchte sie noch einmal und schloß sie, während ein Beamter seinen Namen und die Stunde, in welcher er einfuhr, notirte. Dann mußten sie noch bei einem Kontroleur vorübu, der sich übuzeugte, ob jede Lampe gut geschlossen sei. Brrr! Es ist kalt," flüsterte Katharina, sich schüttelnd. Stephan nickte mit dem Kopfe. Sie schritten durch die weite zugige Halle zum Eingang des Schachtes. Er war nicht furchtsam und voch überkam ihn ein angstvolles Gefühl bei dem Donner du Karren, den dumpfen Signal- schlügen, den hohlen Rufen des Sprachrohres, unter dem gleißenden Flug du Stahltaue, die endlos und mit rasen- der Eile sich um die treibenden Räder spannen und wieder abhaspelten. Die Aufzüge kamen und verschwanden mit ihrem lautlosen Schleichen und nahmen noch immer Männu auf, die der schwarze Schlund hastig verschlang. Bald wird die Reihe an ihn kommen. Ihn fror; er war sehr aufgeregt und nuvös, worüber Zacharies und Levaque fpötteltcn. Beiden war das Engagement des Fremden unangenehm; besondus Levaque ärgute sich, daß man ihn nicht um Rath geftagt habe. Katharma war froh, als Maheu anfing, dem jungen Manne die Maschine zu erklären. Sehen Sie, dort oben über du Fahrkunst ist ein Fallschirm; wenn das Seil reißt, krallen sich diese stählernen Spitzen in die Leitpfosten ein. Das funktionirt ganz gut, odu doch in den meisten Fällen nicht immer!... Jedu Schacht ist in drei Stockwerke aetheilt und von oben bis unten mit Brettern verschlagen. In du Mitte ist der Aufzug, links die Fahrten, die Leitern meine ich, zum Hinabklettern." Abu er unterbrach sich und schalt mit halblauter Stimme:., Was ist das nun wieder für eine Zottelei! Himmel, Kreuz... Lassei; sie uns hier zu Eis frieren!"

1889

Sozialdemokraten. Liebknecht 1300

Peius

1284

Winkler 1190

Münch

2379

Liebknecht 1900

Liebknecht 4088

Liebknecht*) 10

Ordnungsparteien. Dresden U: Schickert 3447 Dresden III: Bönisch 2229 Dresden V: Klemm 2027 Leipzig II: Schill 3323 Thiede 138 Leipzig IN: Fritzsche 4238 Streller 200 Chemnitz N: Enzmann 2130 Zettler 509 Zittau: Habukorn 1214

1883 Sozialdem. Ordp.

719 2699

836 1551 1340 2070

305 1358

1492 3949

2523 1181

758 BischofSwerda , Großenhayn tc. Winkler 349 Buchwald 1295 182 1423 Döbeln K. Grünberg 387 Niethammer 387 1695 Kellubauer 160 Frohburg, Penig zc. Stolle**) 757 Bretschneidu 1284 250 1191 Werschner 529 Krimmitfchau-Werdau ; Colditz 1506 Künzel 1575 700 996 2. ländl. Wahlkreis(Lausitz ): Münch 295 Fährmann 1146 530 Israel 973 31. ländl. Wahlkreis(Limbach -Chemnitz ): Otto 1569 Jungnickel 1465 571 1185 36. ländl. Wahlkreis(Stollberg-Lugau): Stolle 2235 Lamprecht 2127 1688 2321 41. ländl. Wahlkreis(Reich enbach-Schneeberg): Neu 627 Scheck 1513 3 1208 20. städt. Wahlkreis(Aue-Schneeberg): Liebknecht 353 v. Trebra 871 796 Bauer 737 S9SS9 33 517 1V«99 24 911 Ein Vergleich der dieses Mal für die sozialdemokrati- schen Kandidaten abgegebenen Stimmen mit denjenigen, die vor sechs Jahren in denselben Wahlkreisen abgegeben wurden, ugiebt, daß die Zahl derselben sich um fast 100 pCt. vennehrte. DieOrdnungsparteien" hingegen hatten insge- *) Die Stimmen wurden untu der Hand abgegeben. **) Es ist dies Musikdirektor Stolle in Meerane , Bruder des früheren Reichstagsabgcordneten. Letzterer ist ebenfalls Landtagsmitglied. Du Aufseher Richomme, dem eine offene Lampe an der Ledertappe hing, hatte diese Worte gehört und er- mahnte ihn mit väterlicher Stimme; denn als früherer Hauer war er gut und freundlich mrt seinen einstigen Ka- meraden geblieben. Sei vorsichtig! Die Wände haben Ohren!" sagte er leise.Es muß doch Alles seinen Gang gehen!... So, jetzt kommt die Reihe an uns; steig' mit Leuten ein!" Maheu, Zacharias, Levaque und Katharina stellten sich in einen der untersten Karren, und da derselbe Fünf fassen sollte, kletterte auch Stephan hinein. Aber die guten Plätze waren eingenommen und er mußte sich neben daS junge Mädchen quetschen, deren Ellenbogen sich ihm in den Leib bohrte. Auch die Lampe hinderte ihn. Die Anderen riethen ihm, sie an den Knopf seiner Weste zu hängen, doch er verstand nicht und behielt sie linkisch in der Hand. Die Maschine füllte sich. Oben und unten schob sich Einer neben dm Anderen, eS war ein Geräusch, als wenn Vieh verladen würde. Warum man nur nicht hinunterfuhr? Ihm kam die Zeit schon lang vor. Endlich fühlte er eine Erschütte- rung und fogleich verschwanden die Gegenstände neben ihm; er verfank; ein unheimlicher Schwindel beklemmte ihn, wie bei einem jähen Sturz. Es ging durch die zwei Stockwerke des Schachthauses; das Gerüst des Holzbaues umtanzte wild sein Auge dann plötzlich fuhr's hinab in daS schwarze Loch er blieb betäubt und wußte nicht, wie ihm geschah. Jetzt fahren wir ein!" sagte Maheu ruhig. Den Anderen kam das sehr natürlich vor. Stephan fragte sich zuweilen, ob er aufsteige oder falle; dann wieder, wenn die Maschine an den Leitbalken vorüberglitt, ohne sie zu berührm, war'S ihm, als stünden sie still, und im nächsten Augmblick, wenn ein leises Schüttern die Pfosten durch- zitterte, packte ihm die Furcht vor einer Katastrophe. Er lehnte die Stirn an das Drahtgitter, welches den Aufzug umhüllte, und doch konnte er die Wände des Schachtes nicht sehen, denn die Grubenlichter der Berg-