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Sonnabend, de« St. Dezember 188»

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SttlimrVMloll. Brgan für die Interessen der Arbeiter.

Das stkklirlxe FunKerkhum. Unsere ostelbischen Junker sind bekanntlich die Erb- Pächter der Sittlichkeit, und wenn man ihren Reden Glauben schenkt, so muß man annehmen, daß die Bezirke, in welchen sie unumschränkt gebieten, Muster idealer Gesittung sind. Nun ist eS eine alte Erfahrung, daß sich bei den Feudal- Herren Worte und Thaten nicht immer im Einklang be- sinden, und der ruhige Beobachter, der sich durch Phrasen nicht beeinflussen läßt, sondern den Dingen auf den Grund geht, wird sich hüten, den Herren Glauben zu schenken, welche die erste Geige spielen, aber eine für demokratische Ohren ganz abscheuliche Musik machen. Man hat es zu oft erlebt, mit welcher Keckheit die Parteigänger despraktischen Christen- thumS" sich unterfangen haben, das waS ihnen und nur ihnen nützlich war, der Welt al» einen Vortheil für die Gesammtheit auszuschwätzen. Ginge es nach ihnen, so wäre « die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit jedes deutschen Staatsbürgers, jedes Wählers, mit Inbrunst auf den kon- servativen Katechismus zu schwören. Dieser Katechismus ist der Inbegriff aller reaktionären Maßregeln auf politischem und auf wirihschaftlichem Gebiete, er ist die Quintessenz der Volksfeindlichkeit, natürlich ein- gehüllt in den fadenscheinigen, schäbig zerschlissenen Mantel der Tugend, der allgemernen Menschenliebe und der bis zur Aufopferung getriebenen Selbstlosigkeit. Der MoralitätS- Mantel ist, wie wir schon betont haben, ein jammervolles Flickwerk, und er ist nicht im Stande, den Pferdefuß zu verstecken. Lebensmittelzölle sind nach dem Junker- kat«>hi«n,uS sine Rettung b»r not&I<!tki>nWn Äand.vivthschaft, die Hilfe für den Bruder Bauer. Die Geschichte der letzten Jahre hat selbst dem beschränktesten Philister gezeigt, daß dieselben nur der Bereicherung einer kleinen Schaar von Großgrundbesitzer» dienen. Die Schnaps st euer wurde gefeiert als eine sittliche That gegen diePest des Alkoholismus". Die Herren mit Wappenschild und Stammbaum brennen aber thatsächlich ihren Fusel jetzt mit dem seligen Bewußtsein, vom arbeitenden Volk für ,hre Verdienste um Freiheit und Wohlstand siehe Zölle und Sozialistengesetz! ew Riescntrinkgeld einzusacken. Deutsche und Kameruner trinken den Kartoffelbranntwein, Italien , Spanten, Frankreich falschen ihre Weine damit, Alles zur Hebung des moralischen Niveaus der Kulturmenschheit. Der Militarismus, der Mllllarden auf Milliarden so gemüthSruhig verspeist, wie ein Feinschmecker Artischocken, diese Quelle der nationalen Lasten, erscheint m der Darstellung der Feudalherren als eine Wohlthat für die darbende Menschheit. Soweit diese Menschheit aus den

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Feuilleton. ®a4tru4 utiboten.]- (Bevminal. e»,ialerR»ma»v,«EmiZeZ»la. «»zig autorifirte rleberse»»«« m»«r»st Sie«!«». Drittes Kapitel. Am Sonntag saß Souvarine um acht Uhr Abends Zllein im Schänkzimmer bei Rasseneur an seinem gewohnten Platz. Kein Kohlenmann wußte mehr, wo die zwei SouS lär einen Schoppen austreiben; niemals hatten die Wirthe d>eniger verdient. Frau Rasseneur hinterm Schänktische schwieg »ervös, während ihr Mann dem Rauch der Kohle ,m Kam,n Nachblickte .. Es klopfte dreimal an'S Fenster Souvarine blickte ?naus und erhob sich: dies war das Zeichen, welches ihm Stephan schon mehrmals gegeben, wenn er ihn allein sah. "ch bevor der Russe zur Thüre schreiten konnte, hatte leneur dieselbe geöffnet und rief hinaus _Fürchtest Du, daß ich Dich verkaufe? Jedenfalls könnt % im Zimmer besser plaudern." Stephan trat ein; aber er schlug dankend das GlaS welches Frau Rasseneur ihm anbot. Der Wirth fuhr fort:_..._ Mir ist lang bekannt, wo Du Dich versteckst' wenn der Verräther wäre, für den Deine Freunde mich aus- schickt' si&o" vor einer Woche Gendarmen ge- Du brauchst mir das nicht zu betheuern," ent- ?°g«ete Stephan,ich weiß wohl, daß Du ke,n Vemiher Tg- Man kann ja verschiedener Meinung sein und sich doch echten." schwiegen. Souvarine Chatte sich wieder gesetzt, an die Wand�und schaute träumenden

u Sie___ Me den Rücken

Sprößlingen des altpreußischen Adels besteht, die im Heere eine so einflußreiche Rolle spielen, mag das zutreffen. Die Steuerzahler, die breiten Massen der Nation, die mit ihrem Gelde die Zeche zahlen, mit ihrem Gelde und mit ihrem Blut es ist eine Gut- und Blutsteuer denken darüber freilich anders. Viel zu gute thun die Herren sich auf die Sozial- reform von Oben. Was dieselbe bis jetzt in den Versicherungsgesetzen geleistet hat, ist keine Reform der sozialen Zustände, sondern eine Umgestaltung der Armenpflege, die, wie bei der Alters- und JnvaliditätS- Versicherung, laut Zeugniß eines so regierungsfrommen Mannes wie Lujo Brentano , des Professors der StaatSwissenschaften in Leipzig , nichts ist als eine Ab- wälzungderArmenlastenvondenSchultern der Besitzenden auf die Schultern derPro- letarier! Wie das Junkerthum für R a s s e n- und R e l i g i o n S- hetze, für die fortgesetzte Störung des sozialen Friedens durch Begünstigung der Polizeigewalt, durch Sozialistengesetz, durch Unterdrückung des Koalitionsrechtes wirkt, braucht bloS angedeutet zu werden. Das erfährt die Arbeiterschaft täglich zur Genüge am eigenen Leibe. Statt daß die Herren für anderer Leute Sittlichkeit zu sorgen sich gestatten, sollten sie den Spruch beherzigen: DaS Mitlerd beginnt zu Hause. Die neueste amtliche Veröffentlichung über deutsche Kriminal st ati st ik für das Jahr 1887 zeigt, daß, wie der Staatsanwalt Lindenberg in Professor C o n r a d's Jahrbücher für Nationalökonomie schreibt, daßdie kriminellsten(ver- brecherischsten) Bezirke an Preußen» Ost grenze zu suchen sind," also da wo die Funker herrschen. Der im südlichen Ostpreußen gelegene Kreis Johannisburg bringt eS auf die Riesenziffer von 347 Verurtheilungen auf je 10 000 Bewohner; nicht weniger als 125 wurden wegen Diebstahls bestraft l Die Durchschnittszahl für das R e i ch ist rund 100 auf je 10 000 Einwohner. Von den 36 Kreisen der Provinz Ostpreußen gehören 13 der Gruppe an, welche 200 und mehr Verurtheilungen auf je 10 000 Einwohner aufweisen. Aehnlich ist eS in Posen, ähnlich in Schlesien . Die furchtbare Verelendung des werkthätigen Volkes jener Bezirke, das zum größten Theil dem frischen Lustzug der Arbeiter- bewegung künstlich ferngehalten wird, die chronische Roth, daS daraus folgende Regiment des FuselS und des Messers, die thatfächliche Hörigkeit der Land- arbeiter unter der Herrschaft deS Großgrundbesitzes er- klären diese erschreckenden Thatsachen. Wahrlich, dieEdelsten und Beste» der Nation" haben sehr viel Schmutz vor ihrer eigenen Thüre fortzufegen.

Auges dem Rauch der Zigarrette nach. Seine Finger irrten spielend über sein Knie; er hatte das unbestimmte Gefühl, daß ihm etwas fehle, doch er wußte nicht waS: Es war Polonia", welche heute nicht auf seinem Schooße lag und deren warmes Fell seine Hand vermißte. Stephan setzte sich ihm gegenüber. Morgen beginnt im Voreux wieder die Arbeit, die Belgier sind mit dem kleinen Negrel angekommen." Ja", bestätigte Rasseneur,man hat sie während der Nacht hergebracht. Wenn das nur kein Blut kostet!" Und die Stimme hebend: Siehst Du, ich will keinen neuen Streit anfangen, aber ich wiederhole Dir, es wird böse enden, wenn Ihr nicht einlenkt. Euch geht'S gerade wie der Internationale. Ich habe Pluchart vorgestern in Lille getroffen, wo ich zu thun hatte, der Verein geht auseinander, scheint es." Er erzählte: Nachoem die Internationale Arbeiter der ganzen Welt angeworben, krankt sie jetzt an ehrgeizigen und eigennützigen Bestrebungen im Schooße ihrer Verwaltung. Seit die Anarchisten die Oberhand gewonnen und die Evo- lutionisten verdrängt haben, giebt es kein einheitliches Wollen mehr. Der ursprüngliche Zweck, die Lohnreform, verliert sich im Parteienstteit; die Disziplin lockert sich, und schon ist daS Ende abzusehen: die gänzliche Auflösung dieses Ver- bandeS, der mit so kräftiger Begeisterung in Wirksamkeit getreten, als müsse er die bestehende Gesellschaft vom Erd- boden reißen. Pluchart ist krank davon," schloß der Wirth,da- bei hat er fast gar keine Stimme mehr; aber er spricht immer noch; er will nach Paris gehen... Er hat mir dreimal wiederholt, daß er unsere Sache für verloren hält." Stephan hielt die Augen an den Boden geheftet. Als er am vorigen Abend mit einigen Kameraden geplaudert, hatte er gemeint, Groll und versteckte Anklagen aus ihren Worten zu lesen, die ersten Vorboten der Unpopularität, vielleicht die Anzeichen seiner gänzlichen Niederlage. Er

Morrefimndenzim. New Uork, 6. Dezember. Wie ich seinerzeit in den Be« richten über die Vorkommnisse in der Partei anführte, war es meine Anficht, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit fich Be« strebungen geltend machen würden, um wieder eine Einigung in der Partei herbeizuführen, die ja im Grunde genommen reinfür nichts und wieder nichts" aus dem Leim gegangen. Nach dieser Richtung ist nun ein Beschluß der Parteimitglieder in St. Louis von Bedeutung, und zwar aus dem Gmnde, weil dies einer der bedeutendsten Orte für die Partei ist und ein sozialdemokratisches tägliches Pceßorgan hat. Die dortige Seklion verhandelte am letzten Sonntag über die Frage, welche Stellung fie den durch die New Borker Wirren entstandenen zwei Fraktionen gegenüber einnehmen solle. Man be- schloß, nichts zu thun, was die Spaltung erweitem könnte, sondern eine Wiedervereinigung der Fraktionen anzustreben; dies bedinge, daß fich die Sektion keiner derselben anschließe, sondem für fich bestehen bleibe, bis die Fraktionen verschwunden find. Der Vorstand der Sektion wurde beauf« tragt, an alle Sektionen des Landes ein Zirkular zu richtm, welches ibnen von diesem Beschlüsse Kenntniß giebt und die­jenigen Sektionen, welche(gleich der St. Louiser) fich von beiden Fraktionen femhalten, ersucht, sich mit der St. Louiser in Verbindung zu setzen, um die Führer beider Fraktionen im Interesse einer Wiedervereinigung zum Rücktritt zu bewegen. Da nun, wie schon früher mitgetheilt, wenigstens die Hälfte der(ca. 70) Sektionen auf demselben Standpunkt steht, wie die St. Louiser, während die andere Hälfte sich auf die beiden Fraktionen vertheilt, so dürfte die von St. Louis ausgehende Anregung guten Boden finden. Ist es doch klar, daß unter den obwaltenden Umständen die diversen Partei- Unternehmungen(Sozialist" undWorkmm Advocate" auf der einen, derVolksanwalt" auf der andern Seite, sowie der Schriften- und Flugblätter-Vertrieb) nicht ge- deihen können. Was übrigens denRücktritt der Führer" betrifft, so kommt dieser dabei sehr wenig in Betracht; es kann hier doch nur davon die Rede sein, daß dieselben sich nicht mehr in der Parteileitung befinden, und das ist Sache der Mitglieder am betr. Vorort. Zudem ist diese Angelegenheit auf der emen Seite schon insofern erledigt, als die in Chicago gewählte Exekutive schon vor mehreren Wochen(infolge Rücktritts der alt-n) die Parteigeschäfte übernommen hat, und binnen kurzer Zeit nach der Urabstimmung der für die andere Fraktion ge- wählte Vorort Brooklyn die Wahl der Exekutive vomehmm wird. Es bleibt zwecks einer Wiederoereinigung nichts anderes ubng, als ein nochmaliger, gemeinsamer Kongreß. Es ist zwar die Zahl derjenigen Sozialitten im Lande sehr groß, welche eine deutsche sozialistische Aktions-Partei(und von einer solchen konnte bisher nur die Rede sein, da selbst die mglisch-amerikanischen Sektionen zu aus Deutschen be­standen) für die Vereinigten Staaten als ein unnützes Ding betrachten; es geht das schon aus dem Umstände hervor, daß sich seit langen Jahren die große Mehrzahl derselben von der Partei fem gehalten hat und nur bei besonders wich« tigen oder interessanten Fällen in den großen Volksversamm- lungen sehen ließ. Man gab sich zwar der Hoffnung hin, daß

blieb stumm und finster, denn er mochte seine Entmuthigung nicht diesem Manne gestehen, der ihm vorhergesagt, daß daS Volk ihn eines TageS verwünschen werde, um sich für die getäuschten Hoffnungen zu rächen. Nach einer Pause entgegnete er: Gewiß, der Streik ist besiegt, ich weiß eS so gut wie Pluchart. Doch dies war vorauszusehen. Die ArbeitSein- stellung ist uns gegen unseren Willen aufgedmngen worden. Wir ahnten wohl, daß wir nicht stärker seien, wie die Kompagnie; aber man berauscht sich, hofft, und man ver- gißt, wenn eS schlecht endet, daß es nicht anders kommen konnte, und klagt und lamentirt, wie über ein plötzlich vom Himmel gefallenes Unglück." Also, wenn Du selbst glaubst, daß nichts zu machen ist," erwiderte Rasseneur, warum räthst Du dann dm Kameraden nicht, nachzugeben? Stephan blickte ihn fest an: Genug!... Du hast Deine Jdem, ich habe die meinen. Ich bin bei Dir eingettetm, um Dir zu beweism, daß ich Dich trotz alledem achte; aber ich glaube, und die» ist meine unverrückbare Meinung, wenn wir Alle zu Grunde gehe», so werden unsere verhungertm Gerippe der Sache des Volkes mehr nützen, als die Politik aller vorsichtige» Männer zusammen genommen!...£>, wenn einer von diesm verdammten Soldaten mir eine Kugel mitten in'S Herz jagen wollte, welch' ein heldenhaft schönes Ende wäre das!" Seine Augen feuchteten sich, währmd dieser verzwei- felte Schrei seiner Brust entfuhr, dieser heimliche Wunsch des Besiegten, die letzte Zuflucht, in der er für immer seine Qualm ertränken möchte. Sehr schön gesprochen! erklärte Frau Rassmmr, mit einem verächtlichen Seitenblick die Meinung ihres Gatte» verurtheilmd. Souvarine sah verschleiert in's Leere. Seine Hand tastete immer noch suchmd sein Knie. Er schim nicht ge- hört zu haben. Aber sein blonde» Mädchmgeficht mit der